Mittwoch, 19. Dezember 2012

Wir nennen es Fortschritt

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Die Aufgabe, die sich Arundhati Roy wieder und wieder stellt, ist der Versuch, die Widersprüche Indiens anschaulich zu machen. Doch das ist eine Sisyphus- Arbeit. Man denke an dieses gigantische Land mit seiner gigantischen 1.2 Mrd Bevölkerung. Zerrissen von ethnischen, religiösen, ökonomischen und Kasten-Widersprüchen. Hinzu kommen noch tausend andere Widersprüche - die zwischen den Geschlechtern, zwischen Land und Stadt, zwischen diametral entgegengesetzten Rassen und Kulturen, total verschiedenen Sprachen etc. pp. Da ist es wirklich nicht verwunderlich, wenn sich die Autorin hin und wieder in all den Widersprüchen verhaspelt. Zum Teil liegt es natürlich daran, dass sie in der Dialektik nicht bewandert ist. Ein besonders großer Widerspruch kommt bei ihr regelmäißig vor: Sie sagt ganz klar, dass Indien von der ersten Stunde seiner Unabhängigkeit die Armee gegen die Indigenen eingesetzt hat. Wie kann ein solches Land denn dann eine Demokratie genannt werden? Was sie dann tut, wenn sie kurz danach davon spricht, dass die Demokratie ausgehöhlt worden sei. Nun ja, diesem Widerspruch erliegt sie nicht alleine. Bei uns wird ja sogar in den Schulen gelehrt, dass die griechische Sklavenhaltergesellschaft eine Demokratie gewesen sei. Oder dass die Vereinigten Staaten von Amerika gar die größte Demokratie seien. Ein Land, das in seiner ganzen Geschichte nur ein Dutzend Jahre Frieden hatte. Das einen Genozid nach dem anderen und einen Raubkrieg nach dem anderen durchführte. Also beurteilen wir Arundhati Roy nicht zu streng. Sie leistet eine ungeheuer große und wichtige Aufklärungsarbeit.
Da der Artikel sehr lang ist, gebe ich ihn in drei Etappen heraus.
Erster Teil

Arundhati Roy
17. Dezember 2012

Rede auf der Konferenz ”Die Erde in Gefahr”
Übersetzung aus dem Englischen: Einar Schlereth



Kohlen-Tagebau


Ich weiß nicht, wie weit zurück ich in der Geschichte gehen soll, also werde ich die Grenze in die jüngere Vergangenheit legen. Ich werde Anfang 1990 beginnen, nicht lange nachdem der Kapitalismus seinen Krieg gegen den Sowjet-Kommunismus in den öden Bergen Afghanistans gewann. Die indische Regierung, die viele Jahre lang eine führende Kraft in der Blockfreien-Bewegung gewesen war, begann sich plötzlich den natürlichen Alliierten der USA und Israels zu nennen. Es öffnete seine geschützten Märkte dem globalen Kapital. Die meisten Menschen sprachen da von Umwelt-Kämpfen, aber in der wirklichen Welt ist es schwierig, Umwelt-Kämpfe von allem anderen zu trennen: dem Krieg gegen den Terror zum Beispiel; dem abgereicherten Uran; den Raketen; der Tatsache, dass es in der Tat der militär-industrielle Komplex gewesen ist, der die USA aus der Großen Depression herausführte, und seither haben die Wirtschaften an Orten wie Amerika, vielen Ländern in Europa und natürlich Israel große Anteile an der Produktion von Waffen. Wozu sind Waffen gut, wenn sie nicht in Kriegen Verwendung finden? Waffen sind absolut notwendig; es geht nicht einfach nur um Öl oder Rohstoffe, sondern auch darum, dass der militär-industrielle Komplex am Laufen gehalten wird - deswegen brauchen wir Waffen.

Heute, während wir reden, sind die USA und vielleicht China und Indien in einen Kampf um die Kontrolle der Ressourcen in Afrika verwickelt. Tausende US-Truppen und Todesschwadronen werden nach Afrika geschickt. Der ”Ja, wir können”-Präsident hat den Krieg von Afghanistan nach Pakistan ausgedehnt. Dort sind Angriffe, die Kinder töten, an der Tagesordnung.

In den 90-er Jahren, als die Märkte Indiens geöffnet wurden, als alle Gesetze, die die Arbeiter schützten, abgebaut wurden, als die Natur-Ressourcen privatisiert wurden, als dieser ganze Prozess in Gang gesetzt wurde, öffnete die indische Regierung zwei Schlösser: das eine war das Schloss zu den Märkten und das andere war das Schloss zu einer alten Moschee aus dem 14. Jahrhundert, die auf einem von Hindus und Moslems umstrittenen Platz lag. Die Hindus glaubten, es wäre der Geburtsplatz von Ram, und die Moslems natürlich, nutzen sie als Moschee. Indem Indien dies Schloss öffnete, setzte es eine Art Konflikt in Gang zwischen der Mehrheits-Gemeinde und der Minderheiten-Gemeinde, eine Art, das Volk permanent zu spalten. Methoden zu finden, das Volk zu spalten, ist die Hauptübung von jedem, der an der Macht ist.


Amerika hat die Demokratie in die Werkstatt zum Aushöhlen gebracht
Das Öffnen dieser beiden Schlösser hat zwei Arten von Totalitarismus in Indien entfacht: die eine war ökonomischer Totalitarismus und die andere war der Hindu-Fundamentalismus. Diese Prozesse produzierten das, was die Regierung ”Terrorismus” nennt. Man bekam islamische Terroristen und man bekam, was die Regierung heute ”die Maoisten” nennt, was alle und jeden bedeutet, der sich dem Projekt der Zivilisation, des Fortschritts, der Entwicklung widersetzt; jeder, der die Wegnahme seines Landes oder die Zerstörung der Flüsse und Wälder ekämpft, ist heute ein Maoist. Die Maoisten sind das militanteste Ende der ganzen Bandbreite von Widerstandsbewegungen, mit den Gandhi-Leuten am anderen Ende des Bandes. Die Art Strategie, die von Leuten, die Widerstand leisten, gewählt wird, ist recht oft keine ideologische Wahl, sondern eine taktische, was von der Landschaft abhängt, in denen die Kämpfe stattfinden.
Seit 1947, seit Indien eine souveräne Republik geworden ist, hat es seine Armee gegen das eigene Volk, wie man sagt, eingesetzt. Heute werden die Staaten, wo die Truppen eingesetzt werden, nach und nach zu Staaten, die für ihre Selbstbestimmung kämpfen. Es sind die Staaten, die der entkolonisierte indische Staat sofort kolonisierte. Jetzt verteidigen die Truppen tatsächlich das Recht der Regierung große Dämme zu bauen, Kraftwerke zu bauen, den Prozess der Privatisierung durchzuführen. In den vergangenen 50 Jahren sind mehr als dreißig Millionen Menschen durch große Staudämme allein in Indien verjagt worden. Natürlich sind die meisten davon indigene Menschen, die von ihrem Land lebten.
Das Ergebnis von 20 Jahren dieser Art von Freiem Markt und diesem Popanz von Terrorismus ist die Aushöhlung der Demokratie. Ich treffe eine Menge Leute, die das Wort Demokratie als ein gutes Wort benutzen, aber eigentlich, wenn man nachdenkt, ist Demokratie heute nicht, was Demokratie einmal war. Es gab eine Zeit, wo die US-Regierung in Lateinamerika und sonstwo Demokratien stürzte. Heute führt sie Kriege, um Demokratie einzuführen. Sie hat die Demokratie in die Werkstatt zum Aushöhlen gebracht.
In Indien ist jede Institution, ob es die Gerichte sind oder das Parlament oder die Presse, ausgehöhlt und vor den Karren des Marktes geschirrt worden. Es gibt leere Rituale, um zu vertuschen, was wirklich geschieht. Und das ist, dass Indien weiter militärisiert wird, sich weiter zum Polizeistaat entwickelt. In den vergangenen 20 Jahren, nachdem wir uns den Freien Markt einverleibt haben, haben 250 000 Bauern Selbstmord begangen, weil sie in Schulden getrieben wurden. So etwas ist in der Menschheitsgeschichte noch nie passiert. Doch es ist offenbar, wenn das Establishment die Wahl hat zwischen Selbstmord der Bauern und Selbstmord- Bombern, welche Seite es ermutigen wird. Diese Statistik kümmert es nicht, weil sie ihm hilft; es tut ihnen leid, sie machen ein bisschen Getue, und machen weiter wie gehabt.
Heute hat Indien mehr Arme als alle armen Länder Afrikas zusammen. Es hat 80 % seiner Bevölkerung, die von weniger als 20 Rupien am Tag lebt, was weniger als 50 US cents sind. Das ist die Atmosphäre, in der die Widerstands-Bewegungen operieren.


 Quelle - källa - source

4 Kommentare:

  1. Blut der Erde
    Flammende Worte aus Ecuador:
    Quote:
    "Was für die großen Öl-Kompanien lediglich ein Produkt zum Verkauf darstellt, ist für uns das Blut der Muttererde. Wir mögen dem großen Kapitalherren, die ohne Zweifel die Welt immer mehr, bis in ihren kleinsten Winkel unter Kontrolle gebracht haben, als mysteriöse Spinner erscheinen, die keine Ahnung vom Geschäft haben, doch haben Sie noch viel weniger Ahnung von dem, was wir sprechen: ja und wir sprechen im Namen der Natur, als dessen Teil wir uns erleben: finsteren Geistern folgt Ihr, unwiderruflichen Schaden bringt ihr über die Welten!«

    »Dieser Blick auf uns, voller Gewalt, herrscht schon seit der Kolonialisierung Indoamerikas, seit damals sieht das christliche Abendland in uns primitive Untermenschen, die kultiviert gehören, wie überhaupt dieser Lebensraum Namens Regenwald, mit all seinen Erscheinungen als 'primitiv' angesehen und stets kultiviert werden soll. Schauen wir nochmal, mit Augen, nicht mit Gier! Was ist hier 'Primitiv', was 'Kultur'? Gibt es was primitiveres als das zu zerstören, was uns alle ernährt, als diese immense Feindseligkeit gegenüber über der Existenz – wie sie der Kolonialismus repräsentiert. Das Primitive ist nicht am Fortschritt der Technik zu messen, sondern daran, inwieweit die Existenz verstanden hat, sich und die Umwelt versteht, es ist also gar nicht messbar! Und nichts versteht der primitive Mensch im Namen des Kolonialismus, Kapitalismus, rennt es nur rastlos der Gier hinterher, welches er niemals einholen könnte, weil das falsche Versprechen stets das schnellere, uneinholbare Tier ist! Und noch nicht mal seine Gier versteht der Primitive!«

    »Und noch immer herrscht der Kolonialismus, heute unter anderen, »humaneren« Masken. Obwohl schon die meisten unter Waffengewalt den 'neuen' Standpunkt eingenommen haben, weil sie das Leben dem Tod stets vorziehen, werden wir noch immer als Ding zur Kolonialisierung angesehen. Es gibt heute kaum noch Nativos, die nicht irgendwie Christen wären und dennoch wird mit unglaublichen Mitteln weiter missioniert.

    Doch es gibt einen Haken an der Sache, wer nicht jeden Tag am Bibelunterricht teilnimmt, seinen Körper nicht der Wäscherei des Christentums ausliefert, muss das 'soziale' Zentrum wieder verlassen. Verstehst Du! Selbst noch in dieser Notlage der Leute werden sie von der Lüge der 'Nächstenliebe' ausgenutzt, ihre Notsitutation ausgenutzt zur Zwangschristianisierung. Und was sollen die Leute tun – natürlich wird man Christ, Katholik, Evangele und wie sie alle heißen, diese Großsekten, weil der Mensch nun mal überleben möchte, weil er überleben möchte, wählt es den Tod«

    »Viele der Kinder sprechen heute eher spanisch als indigene Sprache, bevorzugen Produkte aus imperialistischen Ländern – und dennoch, trotz all dieser Assimilation und Integration werden sie vom Kolonialismus als Fremdkörper behandelt – wir sind hier der Hinterhof der Paläste, die deren Leben tagtäglich das Blut spendet.«

    Jede_r weiß, dass es im Irak um das Öl geht, dass das Geschäft mit dem Öl, wie jedes dieser Geschäfte, über Tote geht, dermaßen besessen ist von der Gier, dass es es vor dem Schrecklichsten nicht halt macht. Seit Jahrzehnten unterstützen die großen Firmen, entweder direkt oder über ihre Regierungen, zumeist die USA, Militärs und Paramilitärs, um die Leute klein zu halten und die Rohstoffe, sowie Arbeitskräfte Südamerikas auszubeuten. Natürlich, heute hat man dazu gelernt, es läuft alles viel moralischer ab, das heißt psychologischer, es werden Gelder in Werbungen und Unterhaltung investiert, die entweder darauf ablaufen, korrupte Politikern die Wiederwahl zu ermöglichen, Politiker, die als Gegenleistung den Zustand der Ausbeutung aufrecht erhalten, oder noch besser, die Medien verdummen einfach die Leute, verschließen ihre Augen, brechen ihre Zungen, machen sie unfähig. In all dieser angeblichen Unterhaltung verliert der Mensch gerade das Leben zu genießen, denn dafür müsste es zuerst (er)leben.


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  2. __________________________________________________________________Wir nennen es Fortschritt liebe Freunde!
    Morgen ist Julfest und leiten die Rauhnächte ein!

    Vor 500 Jahren, am 20.Mai 1506 verstarb jener Mann, der Lateinamerika "unserer" Geschichte eingegliedert und den Zugang zur Neuen Welt eröffnet hat: Christoph Kolumbus. Dieser Zugang hatte für die dort lebenden Menschen, für ihre Kulturen und für die nachfolgenden Einwanderergenerationen fatale Folgen. Der Zugang deformierte aber auch die Moral des christlichen Abenslands und legte die Grundsteine für Rassismus, eines europäischen Überlegenheitsbewusstseins, für koloniale Sklavenwirtschaft, Zwangschristianisierung, Landraub und kolonialistische Ausbeutung und Unterdrückung.

    Legitimiert wurde die gewaltsame Eroberung der Neuen Welt, die Versklavung der Indios und die Zwangschristianisierung

    - mit einer von Papst Alexander VI erlassenen Bulle, die Spanier und Portugiesen ermächtigte, "die Länder der Ungläubigen und alle aufgefundenen oder zu entdeckenden Inseln und Festländer zu erobern und deren Bewohner zu versklaven, sofern sie sich nicht dem christlichen Glauben anschliessen",

    - mit einer Anordnung von Ferdinand II von Aragon, "dass jeder Karibe ohne weiteres Verfahren entweder getötet oder in die Sklaverei zu verbringen sei" und

    - mit einer Schrift des Dominikaners Tomas Ortiz, der erklärte, "die Indios auf dem Festland essen Menschenfleisch. Sie sind mehr als ein anderes Volk unzüchtig. Gerechtigkeit gibt es bei ihnen nicht. Sie sind unbeständig, glauben nicht an die Vorsehung, sind undankbar und umstürzlerisch... Ich kann versichern, dass Gott kein Volk je erschaffen hat, das mehr mit scheusslichen Lastern behaftet ist als dieses, ohne irgend eine Begabung von Güte und Gesittung".

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  3. iieber Msadurskli, deine Zitate sind wirklich gut und indirekt passen sie ja auch zu Arundhatis Vortrag, nur direkt haben sie ja mit ihrem Vortrag nicht so viel zu tun. Oder hast du hier auf meinen neuen Lese-Eintrag hier rechts geantwortet, das Buch von der Indianerin 'Almanach der Toten'? Da stehen nämlich die obigen Sachen drin.

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    1. Nein, aber ich suche nach Muster und die sind auf der ganzen Welt die Selben, ob in Indien, Afreeka oder Südamerika.
      Daher dachte ich es passt.

      Hätte auch mit: Doku: Bhopal: Der Prozess,der nie stattfand. 25.000 Tote/500.000 Verletzte(Arte)
      http://www.youtube.com/watch?v=6j39abATqDQ

      Die Katastrophe von Bhopal, auch Bhopalunglück, ereignete sich am 3. Dezember 1984 im indischen Bhopal, der Hauptstadt des Bundesstaats Madhya Pradesh. In einem Werk des US-Chemiekonzerns Union Carbide Corporation traten aufgrund technischer Pannen mehrere Tonnen giftiger Stoffe in die Atmosphäre. Es war die bisher schlimmste Chemiekatastrophe und eine der bekanntesten Umweltkatastrophen der Geschichte. Tausende von Menschen starben an ihren unmittelbaren Folgen.

      Ab 1977 hatte der Konzern in Bhopal (Zentralindien) pro Jahr zunächst 2.500 Tonnen des Schädlingsbekämpfungsmittels Sevin produziert. Die Anlage war für eine Kapazität von 5.000 Tonnen ausgelegt. Da die Verkäufe von Sevin in Indien Anfang der 80er-Jahre aber rückläufig waren, hatte man Sparmaßnahmen zur Kostensenkung durchgeführt, wie z. B. die Einsparung von Personal, Verlängerung von Wartungsintervallen, Verwendung billiger Austauschteile aus einfachem Stahl anstelle von Edelstahl. Außerdem wurde eine Schließung der Fabrik ins Auge gefasst. Zum Zeitpunkt des Unglücks fand aufgrund von Überkapazitäten keine Produktion statt. Es wurden lediglich Wartungs- und Kontrollarbeiten durchgeführt. Nachdem Wasser in einen Tank für Methylisocyanat (MIC) eingedrungen war, kam es zu einer exothermen Reaktion, bei der so viel Kohlenstoffdioxid freigesetzt wurde, dass sich der Tankinnendruck stark erhöhte und zwischen 25 und 40 Tonnen Methylisocyanat sowie andere Reaktionsprodukte (vor allem Dimethylamin, 1,3,5-Trimethylisocyanurat, 1,3-Dimethylisocyanurat) durch die Überdruckventile in die Atmosphäre entwichen.

      Obwohl zur Sicherung der Lagerung des MIC bei 0 °C ein separates Kühlsystem installiert war, war dies seit etwa fünf Monaten vor dem Unfall abgeschaltet; nach nicht weiter verifizierbarer Quellenlage möglicherweise, weil die verwendeten Fluorchlorkohlenwasserstoffe anderweitig benötigt wurden. Ein Natronlaugenwäscher zur Beseitigung auftretender Gase war nicht nachweisbar funktionsbereit. Eine Gasfackel zur Beseitigung aus dem Wäscher austretender Gase war seit drei Monaten abgeschaltet und die Verbindungsrohre zwischen ihr und dem Wäscher waren offenbar aus Wartungsgründen demontiert.
      Die offiziellen Berichte geben Anlass zur Vermutung, dass außerdem das Anlagenpersonal reduziert und die Sicherheitsausbildung aus Kostengründen stark vernachlässigt gewesen seien. Die Alarmsirene sei zunächst abgeschaltet worden, um die Bevölkerung nicht zu beunruhigen. Schließlich seien die Tanks an Standards westlicher Industrienationen gemessen zu groß und überfüllt gewesen (Füllstand zum Zeitpunkt der Katastrophe zwischen 70 und 87 %). Vergleichbare Anlagen arbeiten mit Tanks unter 20.000 l und mit einer maximalen Füllmenge von 50 % der Gesamtkapazität. Mitverantwortlich für die hohe Anzahl der Opfer ist auch die Tatsache, dass die meisten Betroffenen in Richtung des Krankenhauses flohen und somit mitten in die Wolke hinein; Katastrophenpläne existierten nicht.

      Für die Sicherheitsmängel in Bhopal und die daraus resultierenden Folgen wurde bis 2010 niemand persönlich vor der Justiz zur Verantwortung gezogen. Der damalige Vorstandsvorsitzende von Union Carbide, Warren Anderson, der nach der Giftgaskatastrophe aus den USA nach Indien geflogen und unmittelbar nach seiner Ankunft verhaftet worden war, kam gegen eine Kaution von 2.000 Dollar frei und entzog sich einer möglichen Bestrafung durch Flucht in die USA.
      Schätzungen der Opferzahlen reichen von 3.800 bis 25.000 Toten durch direkten Kontakt mit der Gaswolke sowie bis zu 500.000 Verletzten, die mitunter bis heute unter den Folgen des Unfalls leiden.
      lg Urs

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