einartysken

Mittwoch, 29. Februar 2012

Schafe blicken herab


Dieser Artikel hat mich fasziniert. Oder sollte ich sagen beschämt? Warum? Weil ich mal wieder eine riesige Wissenslücke bei mir entdeckt habe und zwar über ein spezielles Genre von 'Science fiction'. Und dabei habe ich selbst einen Haufen Science fiction-Bücher übersetzt, aber von der anderen Sorte, die Bowles erwähnt. Und die hasste ich, weswegen ich sie auch nicht unter meinem Namen übersetzte. Aber hier habe ich Tips für Bücher gefunden, die ich versuchen werde, irgendwie zu ergattern.

William Bowles
Strategic Culture Foundation

am 26. Februar 2012


In „Schafe blicken hinauf“, John Brunners bemerkenswert vorausschauender 'Science fiction' Roman, zuerst 1972 veröffentlicht, geht es um die Zerstörung unserer gesamten Umwelt in den USA und den Aufstieg einer von „den Multis gesponserten Regierung“, was zum schließlichen Zusammenbruch der US-Gesellschaft führt.
Niemand, mit der möglichen Ausnahme des verstorbenen John Brunner … hat je in Form von Science fiction etwas beschrieben, das entfernt der Realität von 2007 ähnelt, wie wir sie kennen.“ William Gibson
Oder auch jetzt. Die Fähigkeit von „Science fiction“, die Zukunft zu extrapolieren, was oft ziemlich genau ist, wird von den Priestern der 'hohen Kultur' ständig ignoriert und immer als eine „Genre“ abgetan, das sich auf eine Nische beschränkt, in der Monster mit Käferaugen leben und wo sich Kerle in schmutzigen Regenmänteln herumtreiben. 'Science fiction' gehört in Taschenbuchreihen mit schrecklichen Umschlägen mit großbusigen Frauen, die von außerirdischen Monstern belästigt werden. Das war keine Kunst und konnte schon gar nicht von der Gegenwart handeln, was keine andere Prosa wagte.
„ … Gewaltausbrüche und zivile Unruhen fegen über die USA hinweg, dank einer Mischung aus schlechter Gesundheit, schlechten sanitären Anlagen, Nahrungsmangel, Mangel an Dienstleistungen, Ineffektivität von Diensten (medizinische, polizeiliche), Enttäuschung über Regierung/Unternehmen, repressive Regierung, zivile Unruhe, hohe Zahl von Geburtsfehlern (durch Verseuchung) und anderer Faktoren; alle Dienstleistungen (Armee, Regierung, private und Infrastruktur) brechen zusammen.“

Eine Hausfrau in Irland riecht Rauch und sagt zu dem besuchenden Arzt: 'Wir sollten die Feuerwehr rufen, ist es ein Heuschober?' Worauf der Arzt antwortet: 'Die Feuerwehr hätte einen langen Weg. Es kommt aus Amerika. Der Wind kommt aus der Richtung.'“ (ibid - ich denke, dass er sich auf das Buch von John Brunner bezieht)
Schlimmer noch – es benutzte eine Sprache, die alle 'Regeln' der Hohen Kultur brach. Sie betrat einen Boden, auf den sich Mainstream-Schriftsteller nicht wagten, beim Beschreiben einer Welt, die 'Realität' im Wahnsinnstempo schuf. Science fiction war eigentlich Realitäts-fiction. In England änderte sie sogar den Namen in 'spekulative Fiktion'.
In Fortführung des Stils von 'Stand on Zanzibar' gibt es eine feinmaschige Erzählung und viele Charaktere in dem Buch, die einander niemals begegnen; manche Charaktere tauchen nur in ein oder zwei Vignetten auf. Und statt in Kapitel ist das Buch in Sektionen eingeteilt, die in der Länge von 30 Wörtern bis zu mehreren Seiten reichen.“ (ibid)
'Stand on Zanzibar', das schon 1968 geschrieben wurde, könnte auch heute geschrieben worden sein; es „ ... schleudert uns in die disfunktionale, überbevölkerte, medien-gesättigte Welt des Romans, wo man quer über das ganze Spektrum der Kanäle mit SCANANALYZERN zippt, wodurch ein 'INdepth INdependent INmediate INterface' (in die Tiefe gehendes, unabhängiges, unmittelbares Abbild) geliefert wird.“ (aus einer Rezension von Stand on Zanzibar von Charlene Brusso)
Es ist eine Welt, in der Multis mit ihren Söldner-Armeen ganze Länder kaufen, in diesem Fall ein kleines afrikanisches Land, wo sie 'Frieden' wiederherstellen im Tausch gegen Exklusiv-Rechte auf die reichen Naturressourcen des Landes. Klingelt es?
'Die herrschende Kultur' ist die kapitalistische Kultur, von der Art, wie sie an den Universitäten gelehrt wird. Sie kontrolliert die geschriebene und die visuelle Welt, alles, von den Boulevardblättern bis zu Hamlet. Die Akademiker haben sogar eine 'private' Sprache zur Kommunikation, damit keine 'Outsider' ihre Welt betreten.
Die Jugend/Pop Revolution räumte mit all dem Zeug auf, zumindest an der Oberfläche. Aber darunter war ein heimtückischer Prozess im Gange. In einer Konsum-Gesellschaft, in der wir unglücklicherweise leben, ist das Verständnis davon, was Arbeiterklassen-Kultur ist, wenn sie als Ware behandelt wird, wesentlich. So begann die Übernahme der Arbeiterklassenkultur durch die Multis, was wir die 'Kommerzialisierung' nennen.
Die schließliche Absorbierung der Kultur der Arbeiterklasse in die herrschende Kultur begann in der Nachkriegszeit mit der 'Jugend-Kultur'. Die Kultur der Arbeiterklasse vor dem Krieg wurde von den 'Intellektuellen' gemieden. Institutionen wie die Music Hall, die es seit dem 19. Jahrhundert gab, wurden als 'Unterklasse' angesehen. Oper war 'hohe Klasse'. Und Schriftsteller der Arbeiterklasse ware wirklich seltene Tiere. Der Besuch der Universität fegte schnell diesen Mist aus deinem System.
Es beweist nur die Tatsache, dass wir es sind, die erschaffen, und die Kapitalisten es sind, die sich aneignen. Wessen Kultur ist es also?
Es sind 'Science fiction' Schriftsteller wie Brunner, J. G. Ballard, William Gibson, Frederick Pohl and der sehr bekannte Philip 'Blade Runner' Dick und eine Menge anderer Schriftsteller gewesen, die ihre Finger am Puls des Kapitalismus hatten in einer Art und Weise wie praktisch kein anderer zeitgenössischer Schriftsteller, bis die Romanciers der 'hohen Kultur' diese Technik übernahmen. Vielleicht, weil ihre private Sprache nicht mehr die Welt, die ihre Herren geschaffen hatten, verstehen geschweige denn beschreiben konnte? Ich würde weiter gehen und sagen, dass die 'Science fiction' die zeitgenössische Fiktion vollständig umgewandelt hat.
Eine bemerkenswerte Ausnahme war George Orwells 1984, im Westen weithin als eine Kritik an der Sowjetunion interpretiert und dadurch als ein 'Mainstream'-Roman akzeptabel. Aber heute beschreibt er unsere gegenwärtige Situation wie sie leibt und lebt (und noch mehr) und nicht die Sowjetunion von damals, deren 'Gedanken-Kontrolle' amateurhaft und transparent war, verglichen mit den heutigen Mainstreammedien, was wahrscheinlich erklärt, dass sie so ineffektiv war. „Wir tun so, als ob wir arbeiten, und ihr tut so, als würdet ihr uns bezahlen“, war ein typischer russischer Scherz am Ende der Sowjet-Ära. Zwei ko-existierende Realitäten, eine, die sie ignorierte und die andere, die so tat, als würde die andere nicht existieren.
Und nicht überraschend haben zwei Schriftsteller aus der Sowjetära, die erstaunlichen Brüder Strugatsky in ihrem Buch Snail on the Slope (Die Schnecke am Hang), 1980 veröffentlicht, sich mit dem Dilemma einer statischen sowjetischen Gesellschaft, die von einem Direktorat beherrscht wird, befasst, auch wenn der Roman auf einem fernen Planeten spielt. (Ein Rezensent hat behauptet, dass der Film Avatar größtenteils auf Die Schnecke am Hang basiert, aber eine viel dürftigere Interpretation von fast der gleichen Geschichte ist.) [1]
In einem früheren Zeitalter (oder so scheint es jedenfalls), schrieben zwei Sowjetbrüder, Boris und Arkady Strugatsky einen großartigen Roman, Die Schnecke am Hang, der (leicht verändert) eine künftige Sowjetunion zeichnet, die einen fernen Planeten irgendwo kolonisiert hat. Der Planet war von einem einzigen riesigen Wald bedeckt, der ein einziger Organismus war. Die Behörden waren entschlossen, den Wald zu 'erobern', auch wenn es bedeutete, das ganze Ding abzuhauen. Das Problem war, das der Wald zurückschlug, was die Kolonisten zwang, in schwer befestigten Enklaven zu leben, die der Welt auf allen Seiten einschloß, egal welche Technik sie gegen die widerborstige Natur in Anwendung brachten. Den Behörden wurde klar, dass sie entweder den Planeten aufgeben müssten oder den ganzen Wald zerstören müssten. Aber natürlich gab es die Idee, von der Natur besiegt zu werden, nicht in ihrem Vokabular. Klingelt es?“ Die Schnecke am (glitschigen) Hang' von William Bowles am 29. Dezember 2005.
Schnecken und Schafe scheinen entgegengesetzt Beschreibungen unseres gegenwärtigen Zustands im Westen zu sein. Wir kriechen vorwärts, getrieben von einer Staats/Medien Absicht, unsere Situation ziemlich genau so zu sehen, wie die 'Behörde' in der Schnecke. 'Wir' gegen 'sie', die nicht aufzuhaltende Flut des Großen Ungewaschenen über das viel sehen, aber nichts wissen.
Es gibt zwei Protagonisten in der Schnecke; der eine will dem Wald entrinnen und der andere will in ihn eindringen. Beiden wird der Wunsch verweigert.
Schnecke ist eine allegorische Erzählung, nehme ich an, über die Vergeblichkeit des Versuchs, eine imaginäre 'perfekte' Zukunft im Hier und Jetzt zu konstruieren. Und wenn man darüber nachdenkt, ist die Welt, in der wir leben, die vorgestellte Zukunft im Hier und Jetzt, eine Welt, wo die Zukunft uns eingeholt hat und uns zurückgeschleudert hat in die schreckliche Welt der Räuber-Barone, der 'Drohnen Diplomatie' und des endlosen Krieges. Und wir Schafe scheinen zufrieden, darauf herabzuschauen, während sie uns in die Vergessenheit treiben.
Falls und wenn wir hochschauen, sehen wir wahrscheinlich Drohnen, die über unseren Köpfen wie Geier kreisen und darauf warten zuzuschlagen, aber dann könnte es zu spät sein, etwas dagegen zu tun.
Die Frage ist wirklich ganz einfach: In wessen Realität wollen wir leben? In der des Imperiums oder in unserer eigenen? Es ist für mich offensichtlich, dass zum größten Teil wir Bürger des Imperiums unsere Wahl getroffen und uns auf die Seite des Imperiums gestellt haben, und es scheinbar vorziehen, ein Leben in endlosen Schulden und ipads zu leben, anstatt den Planeten und die Ressourcen gleich und nachträglich mit der Mehrheit seiner Bewohner zu teilen.
Weil wir letztlich, bevor das Imperium wahrlich Armageddon über uns alle bringt, Stellung beziehen müssen, entweder für oder gegen das Leben. Für oder gegen den WALD.


Fußnote:
1. Man sehe auch 'Unruhig', die spätere Überarbeitung von Die Schnecke am Hang (das selbst wieder eine Überarbeitung einer Geschichte aus den 60-er Jahren ist, der Brüder Strugatzky und 'James Cameron has stolen the Avatar, Claims Boris Strugatzky', IC Russia am 3. Januar 2010, was mich nicht überraschen würde. Wir haben ja alles gestohlen.
Es war auch die Kurzgeschichte 'Roadside Picnic' der Strugatzkys, die der große Filmemacher der Sowjetära Andrei Tarkovsky (und einer meiner Favoriten) in noch eine andere vorausschauende Beschwörung der kommenden Dinge verwandelte (oder vielleicht sind wir schon da) den 'Stalker'.


2. [D. Ü.: Hier ist ein Link zur Die Bibliothek Strugatsky, wo es die deutschen Titel ihrer Werke gibt und Zusammenfassungen.]

4 Kommentare:

  1. Das Buch heißt "Schafe blicken auf"

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  2. Danke für den Blogeintrag - der mich dazu veranlaßt hat, das wirklich beeindruckende Buch (btw.: Anonym hat den Namen richtig korrigiert) aus meinem SF-Regal zu ziehen und erneut zu lesen, in seiner 1978 erschienenen deutschen Übersetzung - die heute noch genau so aktuell ist wie damals. Und sich auch total "frisch" liest.

    'Stand on Zanzibar' ziehe ich mir dann als nächstes rein... was bin ich froh, daß ich eine so gut bestückte Sammlung habe :-)

    PS.: Mach bei 'Frederick Poh' bitte noch das fehlende 'l' dran (Pohl), er verdient es...

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  3. Vielen Dank. Schön, wenn man so aufmerksame Leser hat. Im übrigen hat er ein paar Sachen vergessen, z. B. 'Die Eiserne Ferse' von Jack London. Und was Arbeiterliteratur angeht, da sollte er nach Schweden kommen. Hier ist die KLASSISCHE Literatur die Arbeiterliteratur. Angefangen bei August Strindberg, der als erster in der Sprache des Volkes schrieb (und deswegen vom Volk geliebt wurde) und dann geht's weiter mit Ivar Lo-Johannson, Harry Martinsson, Moa Martinsson (die meiner Meinung besser ist als ihr Mann. Aber den Nobelpreis bekam er und nicht Moa!) usw. In der DDR sind einige der Bücher erschienen. In der BDR habe ich sie wie sauer Bier angeboten. Es war nichts zu machen.

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