einartysken

Montag, 5. März 2012

DIE ICC-DEBATTE: Eine pan-afrikanische Perspektive


Ich bin von Anfang an erklärter Gegner sowohl des ICC auch als aller anderen internationalen Gremien gewesen, die nichts anderes tun, als sich in innere Angelegenheiten einzelner Länder einzumischen. Das wäre in der Vorstellung Lessings von einem 'Nathan der Weise' vielleicht möglich, aber nie und nimmer in der heutigen oder künftigen Wirklichkeit unserer Welt. Und die gestrige Wirklichkeit hat nur ihr völliges Versagen, ihre groteske Einseitigkeit und Parteilichkeit unter Beweis gestellt.
Ich pflichte Herrn Zaya Yeebo voll und ganz bei, dass der ICC eigentlich der ideologische Überbau für die nackte Gewalt des Afri-Command ist (mit Sitz in Stuttgart. Es gibt immerhin dort schon Initiativen, Afri-Command aufzulösen). Ich würde noch weitergehen und den ICC als Monument des eurozentristischen Rassismus par excellence bezeichnen und als direkten Wurmfortsatz  der Berliner Afrika-Konferenz vor fast 130 Jahren. Unsere Menschlichkeit, die man schon damals mit der Lupe suchen musste, ist heute vollends ins Nirwana entschwunden.

von Zaya Yeebo
am 29. Februar 2012
Wieder einmal ist der Scheinwerfer auf Afrika gerichtet, da vier Kenyaner – drei politische Führer und ein Journalist – vom Internationalen Gerichtshof (ICC) angeklagt wurden. Wieder einmal die Frage, die nie beantwortet wurde: Warum Afrika? Und warum dieses Tempo? In den anglo-sachsischen Ländern werden etliche Führer mit Samthandschuhen angefasst, wenn sie 'Verbrechen gegen die Menschlichkeit' begehen.
Andere, wie der frühere britische Premier Tony Blair und der frühere US-Präsident George Bush schreiben ihre Memoiren und verteidigen ihre Verletzung internationaler Gesetze.
Stellen wir dies in den Kontext der Elfenbeinküste, wo ex-Präsident Laurent Gbagbo mitten in der Nacht 'entführt' wurde (nach Worten von Jerry John Rawlings, ehemaliger Präsident von Ghana)  und nach Den Haag gebracht wurde. Meiner Ansicht nach sind seine Verbrechen unbekannt, außer für die Franzosen und seine Gegner in der Elfenbeinküste. Charles Taylor (Liberia) ist immer noch in Den Haag eingesperrt.
Jetzt erfahren wir, dass der ehemalige Präsident Liberias womöglich immer ein CIA-Agent war. Also können wir annehmen, weshalb die US-Führung gerne hätte, dass er in Den Haag bleibt. Er weiss zu viel. Im Fall Libyen wurden Oberst Gaddafi und seine Söhne sogar angeklagt, bevor der ICC überhaupt untersucht hatten, ob sie Verbrechen 'gegen die Menschlichkeit' begangen hatten.
Anderen Afrikanern aus der Demokratischen Republik Kongo drohen auch Anklagen aus Den Haag. Im Sudan sitzt ein Staatschef, Präsident Omar Bashir, der ebenfalls angeklagt ist. Die Schlange von Afrikanern, die darauf wartet, von diesem internationalen Gericht gehängt zu werden, ist endlos.
Doch ein oberflächlicher Blick auf die Welt berichtet von vielen Verbrechen, die gegen gewöhnliche Bürger begangen werden – von Palästina bis Afghanistan, Libyen und natürlich Irak. Wer ist für diese Verbrechen verantwortlich? Oder meinen wir, dass das Leben von Irakern, Libyern und Palästinensern nicht zählt? Wie kommt es, dass niemand in Den Haag angeklagt ist?

Dies wirft ernste Fragen auf über die selektive Justiz und die Doppelstandards des internationalen Rechtssystems, das selektiv auf Afrika und besonders afrikanische Führer von der 'internationalen Gemeinschaft' angewandt wird.
Ich habe keine andere Wahl, als zu schließen, dass der ICC ein Instrument ist, um neokoloniale Interessen in Afrika durchzusetzen, die Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates zugute kommen sollen. Was noch betrüblicher ist - dass der ICC ein Werkzeug in den Händen bösartiger afrikanischer Mitglieder der Elite und Politiker geworden ist, die um den nationalen Kuchen kämpfen.
Man braucht nur die internationale Gemeinschaft überzeugen, dass dein Gegner nach Den Haag gehört. Ich behaupte allen Ernstes, dass in Libyen von den NATO-Armeen ernste Verbrechen gegen die Menschlichkeit und in der Elfenbeimküste von beiden Seiten in der Krise nach der Wahl begangen wurden. Aber diesbezüglich ist niemand in Aktion getreten.
Die Arbeit des ICC wird Sinn machen und dem Recht wird Genüge getan, wenn die Führer, die die Bombardierung von Tripolis unter dem Deckmantel der UN-Resolution veranlasst haben, ebenso wie wahrscheinlich die Kenyaner bestraft werden.
Im Fall Kenya sollten die Tatsachen von der Spreu getrennt werden. Es gab nach den Wahlen Gewalt, durch die über 1000 Bürger starben, manche unter schrecklichen Bedingungen. Jemand und irgendwelche Gruppen tragen dafür die Verantwortung.

Wie gewöhnlich haben sich die internationale Gemeinschaft und eine blasse kenyanische Führung ihrer Verantwortung, die Verantwortlichen zu bestrafen entzogen und diese einer Horde von internationalen Experten und UN- Rapporteuren zusammen mit langen Berichten übergeben.
Vielleicht haben diese Leute etwas Gutes getan, aber diese Berichte sammeln jetzt Staub, während die Aufmerksamkeit auf die Possen des ICC-Chefanklägers Luis Moreno-Ocampo gerichtet ist. Der glaubt jetzt, er sei in Kenya eine Berühmtheit. „Die Kenyaner lieben mich“, soll er gesagt haben.
Zweitens hat die kenyanische herrschende Elite versäumt, ein örtliches Tribunal aufzustellen, um den Fall der Gewalt nach den Wahlen und die historischen Ungerechtigkeiten zu behandeln. Dadurch wurde dem Gefühl unter gewöhnlichen Kenyanern Nahrung gegeben, dass der ICC-Weg der einzige Weg war, Gerechtigkeit zu finden.
Drittens scheint die Kenya-Elite, besonders die im bürgerlichen Leben, in der Ansicht vereint zu sein, dass, um die „Straflosigkeit“ zu beenden, es der Intervention einiger ausländischer 'Knechte in Waffen' bedarf, die in Kenya herabsteigen würden, um die bösen Buben zu greifen (ihre Führer, die verantwortlich für die Straflosigkeit sind).
In Kenya ist die ICC-Debatte, wie die meisten Debatten, das Paradies der Anwälte geworden, wo die Leute vom 'Rom-Statut' mit arroganter Leichtfertigkeit und Selbstzufriedenheit reden. Dass afrikanische Staatschefs dieses 'Rom-Statut unterschrieben, wird nicht angezweifelt, aus guten Gründen. Andere weigerten sich. Aber dies bedeutet nicht einen Blutschwur, an den wir ein Leben lang gebunden sind, wie die Juju-Spieler in Nollywood [Filmstadt in Nigeria. D.Ü.] - Filmen behaupten.

Die Debatte, wie man Gerechtigkeit für die Opfer der Gewalt nach den Wahlen finden soll, scheint einigen Aktivisten übertragen worden zu sein. Die intern vertriebenen Menschen Kenyas leben immer noch in Behelfslagern. Frauen, die vergewaltigt wurden, haben nicht Beratungshilfe oder finanzielle Entschädigung oder Unterstützung erhalten, um die Konsequenzen zu verarbeiten. Kinder dieser Familien erhalten keine regelrechte Grundschulerziehung, da ihre Familien nicht richtig sesshaft sind und es ihnen an Stabilität mangelt.
Kenya muss sich erholen, während die herrschende Elite und die sogenannte internationale Gemeinschaft endlose Debatten über 'Straflosigkeit' und den ICC führt. Die NGOs und die Gesellschaft sind in diesem Irrgarten gefangen und manche suchen Publicity für sich und ihre Organisationen auf Kosten wirklicher Gerechtigkeit für die Opfer. Für das internationale Publikum aufzutreten ist der eigentliche Zweck in Nairobi geworden. Wer spricht für die Flüchtlinge? Wer spricht für die geschändeten Frauen?

Das erinnert mich an Sierra Leone. Als ich Freetown nach dem Bürgerkrieg besuchte, gab es eine Menge Gerede über 'Straflosigkeit' und Gerechtigkeit, wie wir es heute hören. Das UN-Tribunal für Sierra Leone wurde in einem Riesengebäude in Freetown installiert als ein Rechtszentrum, um mit den sogenannten Tätern des Bürgerkrieges abzurechnen, aber für die Opfer gab es nichts.
Es war voller junger europäischer und amerikanischer Anwälte, die als 'Ermittlungs-Beamte' engagiert worden waren, mit ihren tollen Laptops und Mobiltelefonen. Alles wurde für die Gerechtigkeit getan. Weiter unten in derselben Straße war ein Lager für Amputierte, wo diese wirklichen Opfer des Bürgerkrieges in einer unvorstellbaren, scheußlichen Armut lebten. Und ich fragte mich: Wo ist unser Gefühl für Prioritäten geblieben?
Verurteilen wir die Lebenden, jung wie sie sind, zu einem Leben im Elend, damit ein paar 80-jährige vor Gericht kommen – zu welchem Zweck? Millionen Dollar wurden für diese trügerische Gerechtigkeit ausgegeben, während junge Opfer des Bürgerkrieges – ehemalige Soldaten und ihre Familien – preisgegeben wurden von demselben internationalen System, das Sierra Leone wegen seiner Diamanten zerrissen hat.
Ist das der afrikanische Sinn für Gerechtigkeit? Viele Menschen in Sierra Leone und Westafrika hatten dasselbe Gefühl; ungläubig konnten wir nur unsere Köpfe schütteln. In Sierra Leone starben die meisten der sogenannten Täter im Gefängnis beim Warten auf ihren Prozess.
Ich würde sagen, dass Kenya in dieselbe Richtung marschiert. Das weithin vorhandene Gefühl für soziale Gerechtigkeit für die Opfer ist in den Mülleimer der Geschichte gewandert, während die Leute nach Strafe suchen und kleinliche politische Rechnungen begleichen. Ob die vier angeklagten Individuen verdienen, vom ICC angeklagt zu werden oder nicht, ist eine Frage, die Kenyaner beantworten sollten.
Aber einige von uns werden es niemals erfahren, da nur die mit Stimme und Zugang zu Kenyas Medien, die von mächtigen Interessen abhängig sind, und in hohen Positionen, die die Marginalisierung Afrikas sowie die Misshandlung afrikanischer Führer im internationalen System fordern oder unterstützen,  gehört werden. Aber es wäre ungehobelt und ahistorisch, würde man es von dem trennen, was mit den vier Kenyanern geschieht.
Es ist Teil eines größeren Katz- und Mausspiels, afrikanische Führer zu erniedrigen, um globalen imperialistischen Interessen einiger Länder zu dienen und um die weitere Plünderung des Kontinentes und seiner Ressourcen zu rechtfertigen, ein Spiel, bei dem Afrika immer der Verlierer sein wird.
Im Fall der vier Kenyaner habe ich das Gefühl, dass es mehr um die bevorstehenden Wahlen (2012 oder 2013) geht, als um Gerechtigkeit für die Opfer. Manche in der internationalen Gemeinschaft und ihre Lakaien haben empfohlen, einige ethnische Gruppen abzuhängen. Ein gefährlicher Vorschlag in einem Land, das versucht, eine zusammenhängende Gesellschaft aufzubauen.
In einem Beitrag für Pambazuka News im vergangenen Jahr habe ich angedeutet, dass eine Kabale von pan-afrikanischen und globalen imperialistischen Interessen sich zusammengetan haben, um Afrika zu destabilisieren. Dies ist die Fortsetzung jener Debatte. Die Idee, vier Kenyaner (Afrikaner) zu verschiffen, um sich der bereits großen Anzahl in Den Haag anzuschließen, der beste Weg sei, Gerechtigkeit zu erlangen, gefällt mir nicht.
Meine Position wäre dieselbe, wenn diese vier Libyer, Nigerianer, Ghanaer oder Ugander wären. Ich glaube, dass Afrika reif genug ist, um seine eigenen Probleme zu lösen.
Ich glaube, dass weder die britische noch die US-Regierung ihre Untertanen, insbesondere junge, intelligente und hingebungsvolle Politiker, der Art von Erniedrigung aussetzen würden, wie sie die vier Kenyaner erleiden im Namen der Bekämpfung von Straflosigkeit.
Der ICC hat immer wieder bewiesen, dass er Ländern verpflichtet ist, die nicht einmal Signaturstaaten des Rom-Statuts sind (z. B. die USA im Fall von Präsident Charles Taylor). Ocampo hat bewiesen, dass er anti-afrikanisch ist, dass seine Interessen nur sind, Afrikaner anzuklagen und zu verurteilen, weil wir uns selbst auf diesen Prozess eingelassen haben.
Eben dieser Gerichtshof, der anerkennt, dass die afrikanischen Länder Signaturstaaten sind, ignoriert die Stimme der Führung der Afrikanischen Union – die wir gewählt haben, um unsere Interessen als Afrikaner zu vertreten. Würde der ICC die Führer Frankreichs, Englands, der Europäischen Union und der USA ignorieren?
Doch hat der ICC die AU im Fall Sudan ignoriert und er ignorierte die Appelle von Kenyas Vizepräsident, der die Unterstützung der Mehrheit der progressiv denkenden afrikanischen Führer in der AU hatte. Dies unterstreicht die verächtliche Haltung gegenüber afrikanischen Führern von niederen Beamten in internationalen Organisationen. Warum lassen wir so etwas zu?

Was im Fall Kenya noch bedenklicher ist, das ist die Auswirklung dieses Prozesses auf die nationale Psyche. Es destabilisiert das Land, schafft unnötige Ängste und entfacht Gerüchte gefährlicher Art. Kenyaner müssen die Gewalt nach den Wahlen abschließen, wenn sie eine zusammenhängende und progressive Gesellschaft auf der ethischen Basis der Verfassung von 2010 schaffen wollen.
Die Intelligentia müsste eigentlich diesen Kampf führen, aber sie versagt, weil sie keine ideologische Leitschnur oder Klarheit hat. „Menschenrechte“ werden als wertfrei, ohne ideologische Fundamente angesehen. Die Debatte über den politischen Übergang in Kenya wird aufs Nebengleis geschoben und ist fast tot, während das Land beunruhigt und gespannt ist in Erwartung der Entscheidung des ICC.
In Kenya ist der ICC zu einem 'Gott' erhoben worden mit dem Strafverfolger als eine Art Gottheit. Abweichende Meinungen werden zum Schweigen gebracht oder als irrelevant für die Debatte angesehen.
Es ist jedoch wichtig für Afrikaner, sich klar zu werden, dass es keine Alternative zur Staatsbildung und  für lokale Abläufe gibt. Weder die USA noch Frankreich würden solch große Verantwortlichkeiten einem fremden Gericht übergeben oder das ganze Land in so eine unnötige Angst versetzen.
Afrikaner müssen den Mut und den standfesten Glauben haben an unsere Fähigkeit, den Kontinent zu verändern, mit Übergriffen klar zu kommen und Gerechtigkeit zu ihren eigenen Bedingungen zu suchen.
Für mich wird der ICC immer eine imperialistisch geführte Institution bleiben, die eingesetzt wurde, um die Kräfte des Fortschritts aufzuhalten und afrikanische Institutionen zu unterminieren und unsere Fähigkeit, mit den Kräften des Rückschritts und der 'Straflosigkeit fertig zu werden. Es ist an der Zeit, dass die afrikanischen Führer das Ruder ergreifen und nicht den Kontinent an ein paar gesichtslose 'Richter' des internationalen Systems ausliefern.



Zur weiteren Lektüre empfohlen ICC's Kenya decision is no cause for celebration.
Quelle des Textes.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen