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Dienstag, 10. Juli 2012
Japan: Vernichtende Kritik an TEPCO, Aufsichtsbehörden und Regierung
Einar Schlereth
10. Juli 2012
Endlich ist in Japan ein umfassender Report zu Fukushima erschienen, der von einer unabhängigen Kommission (NAIIC) erarbeitet wurde, die vom Parlament im vorigen Jahr eingesetzt worden war. Dieser Bericht liefert eine vernichtende Kritik.
Schärfste Anklagen werden an die Regierung, die Industrie-Aufsichtsbehörde und TEPCO – den Betreiber der Atomkraftwerke - gerichtet. „Sie betrogen effektiv das Recht der Nation, vor atomaren Unfällen geschützt zu werden.“ Und abschließend heisst es: „Der Unfall ist eindeutig 'menschengemacht'.“
D. h. er ist das Produkt von unzureichenden Sicherheitsmaßnahmen und dem Versäumnis, Maßnahmen zu ergreifen, deren Notwendigkeit vohergesehen worden ist, aber von TEPCO nicht eingesetzt wurden, was die Aufsichtsbehörde wiederum auch nicht durchsetzte.
Im AKW kämpften Ingenieure und Arbeiter gegen das sich abzeichnende Verhängnis unter Bedingungen, für das sie nicht ausgebildet oder trainiert waren. Der Stromausfall bedeutete, dass die Kontrollräume, die Beleuchtung und die Kommunikation nicht funktionierten. Entsprechende Handbücher waren veraltet, Schlüsseldiagramme und Dokumente fehlten. Die Notausrüstung war schlechter als jene, die bei normalen Operationen benutzt wurde. Trümmer und Schäden erschwerten die Bewegung von Menschen und Ausrüstung.
„Die Kommission entdeckte, dass in Wirklichkeit sogar eine noch schlimmere Situation in den Einheiten 2 und 3 hätte entstehen können, und auch die Situation in den Einheiten 5 und 6 hätte schlimmer ausgehen können.“ Ferner „hätten Schäden an den verbrauchten Brennstäben in der Einheit 4 entstehen können mit noch größeren Auswirkungen auf die Umgebung. Es gab das Potential für einen noch viel schwereren Unfall, dessen Ergebnis ein erschreckendes Szenario geboten hätte.“
Die Reaktion von TEPCO war eigennützig und unangemessen. Weder ihr Vorsitzender noch der Präsident waren zur Zeit des Unfalls greifbar. Die Handbücher für Gegenmaßnahmen im Fall eines ernsten Unfalls „waren völlig ineffektiv und die empfohlenen Maßnahmen funktionierten nicht“. TEPCO hat es auch versäumt, die Situation in Fukushima hinreichend der NISA (Atom- und Industrie-Aufsichtsbehörde) oder dem Büro des Premierministers zu melden. Als Ergebnis intervenierte Premierminister Naoto Kan direkt, was das Chaos im Werk zusätzlich komplizierte.
Der Mangel an Information oder eines klaren Plans der Regierung, ihrer Behörden und von TEPCO führte zur planlosen Evakuierung von 145 000 Anwohnern. „Die Evakuierungsbefehle wurden ständig geändert, da die Zone von ursprünglich 3 km auf 10 km und später auf 20 km erweitert wurde, alles an einem Tag. Und bei jeder Änderung mussten die Evakuierten wieder woandershin. Manche wussten nicht, dass sie an Orte mit hoher Radioaktivität geschickt wurden. Krankenhäuser und Pflegeheime hatten große Probleme, Transportmittel und Unterkünfte zu finden; 60 Patienten starben im März durch Komplikationen während der Evakuierung.“
Am Ende des Berichts heisst es: „TEPCO, NISA und die Atom- Sicherheitskommission sowie das Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (METI) versagten allesamt, korrekt die elementarsten Sicherheitserfordernisse zu entwickeln.“
Er kritisierte auch TEPCOs Schlussfolgerung, dass der Tsunami allein für die Katastrophe verantwortlich war. Das sei nonsense. Erstens wusste man, dass Fukushima in einem Erdbebengebiet errichtet wurde. Zweitens wurden alle Auflagen, die älteren Gebäude mit zusätzlichen Verstärkungen zu versehen, missachtet. Auch die Auflage, bis zum Juni 2009 eine umfassende seismische Analyse zu erstellen, wurde einfach in den Papierkorb geworfen. All dies ermöglicht rechtliche Schritte gegen den AK-Betreiber.
Obendrein gab es auch Warnungen von Forschern, dass Tsunamis viel stärker ausfallen könnten, als die früheren Voraussagen andeuteten. All diese Warnungen wurden von TEPCO beiseitegewischt und nicht einmal die unzureichenden Vorkehrungen für den Ernstfall wurden instandgehalten. Und man wusste sogar, dass die Ersatz-Stromversorgung durch einen Tsunami überschwemmt werden könnte, aber es wurde nichts unternommen.
Das geheime Einverständnis zwischen TEPCO und den Aufsichtsbehörden war instituionalisiert. NISA war ein Teil des mächtigen METI-Ministeriums, das für die Förderung der Atomenergie verantwortlich war. Der Bericht bezeichnet die Beziehung zwischen Aufsichtsbehörden und der Atomindustrie und ihren Lobby-Gruppen als 'Geiselnahme', was jede Kontrolle unmöglich machte.
Dadurch wurden die Interessen der Atomindustrie an die erste Stelle gesetzt und die Sicherheit der Öffentlichkeit an die letzte.
Peter Symonds hat in einem Artikel „Bericht beschuldigt die japanische Regierung“ vom 7. Juli 2012 den Vorwurf von Professor Kiyoshi Kurokawa, Vorsitzender der NAICC-Kommission, dass die tiefsitzenden Konventionen der japanischen Kultur, der reflexartige Gehorsam und der Unwille, Autorität in Frage zu stellen auch Schuld träfe, zurückgewiesen und gesagt, dass der Inhalt des Reports diese Vorwürfe absurd erscheinen ließ, denn
„Erstens hat es keinen Mangel von Kritikern an der Atomindustrie im allgemeinen und TEPCO im besonderen gegeben. Diese Leute, vor allem jene, die dort angestellt waren, sind systematischer Schikane und Drangsaliererei ausgesetzt worden.
Doch noch wichtiger und grundlegender ist, dass das Einverständnis zwischen den Multis und der Regierung auf Kosten öffentlicher Sicherheit und Gesundheit kein speziell japanisches Phänomen sei, sondern Produkt des Profitsystems. Die Missachtung der elementaren Erfordernisse durch TEPCO und ihrer Aufsichtsbehörde war nicht viel anders als BPs Missachtung grundlegender Sicherheitsvorschriften, was zur Katastrophe im Golf von Mexiko 2010 führte.“
Im NAICC-Bericht heisst es auch: „Da die Atomindustrie über die Jahre immer weniger profitabel wurde, hat das Management die Betonung auf Kostensenkung und Erhöhung der Abhängigkeit Japans von Atomenergie gelegt. Zwar gab es Lippenbekenntnisse für „Sicherheit an erster Stelle“, doch in Wirklichkeit litt die Sicherheit wegen anderer Prioritäten des Managements.“
Und nun hat die Regierung trotz riesiger Proteste nur 15 Monate nach der Katastrophe wieder einen Reaktor in Gang gesetzt am selben Tag, an dem der Bericht veröffentlicht wurde. Das heisst, bevor irgendeine seiner Empfehlungen diskutiert oder umgesetzt wurde. Diese Entscheidung wurde von denselben Profitinteressen durchgesetzt, die zur Katastrophe im vorigen Jahre führte.
Zweifelhaft erscheint mir die Aussage des Berichts über die sinkenden Profite der Atomindustrie. Aber auch in Deutschland wird davon gesprochen. Doch Tatsache ist, dass in vielen Ländern – Deutschland, Japan, USA etc. seit Jahren keine neuen AKWs gebaut wurden und überall die alten AKWs weit über ihre eigentliche Lebensdauer hinaus noch im Betrieb sind und damit Reingewinne einfahren. Mir riecht das eher nach der üblichen Panikmache und Erpressung der Regierungen, um drohenden Restriktionen und Sicherheitsmaßnahmen zu begegnen. In Japan haben sie ja auch ständig von dem Kollaps der Industrie gefaselt, doch ist, obwohl alle 50 AKWs stillstanden, nicht eine Fabrik deswegen zum Stillstand gekommen.
Deswegen ist es unbedingt nötig, dass die Gegner nicht in ihrem Widerstand nachlassen und mit Nachdruck die Einführung bereits vorhandener alternativer und sicherer Energiequellen fordern.
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