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Donnerstag, 10. Januar 2013

DAS GROßE BUCH ÜBER DIE AFGHAHNISTANKRIEGE

„Die Reste einer Armee“ von Englands weiblichen Schlachtenmalerin Elizabeth Southerden Thompson, Lady Butler (Tate Gallery). Die 16500 Mann starke englische Besatzungsarmee zog am 6. Januar 1842 aus Kabul nach Indien ab. Eine Woche später erreicht der Feldscher William Brydon Jalalabad. Als man ihn fragte, wo die Armee sei, antwortete er: „Die Armee, das bin ich.“



Jan Myrdal
8. Januar 2013

William Dalrymple "Return of the King. The Battle for Afghanistan 1839 - 1842" (Die Rückkehr des Königs. Die Schlacht um Afghanistan 1839-1842, Bloomsbury, Neu Delhi 2012, London 2013 bei Knopf und New York.


Dies ist, zumindest auf dem südasiatischen Subkontinent und in der englischsprechenden Welt, eines der wichtigsten Bücher der Säson. Der in Indien wohnende schottische William Dalrymple hat nämlich die bisher beste und klügste Zusammenfassung des ersten Afghanistankrieges von 1839-1842 geschrieben. Er legt dar, mit welchen Zügen „das große Spiel“ um Asien damals eröffnet wurde und verdeutlicht mit bisher im „Westen“ unbekannten Dokumenten die unheimliche Parallellität zwischen dem ersten afghanischen Krieg und dem jetzigen fünften Afghanistankrieg.
Alle diese fünf Kriege sind für das Volk entsetzliche Leiden gewesen, sie sind auf allen Seiten mit Terror ohne Rücksicht auf herrschende offizielle „westliche“ Moral geführt worden und in den vier vergangenen und offenbar in dem fünften jetzt stattfindenden endet es mit dem Misslingen der angreifenden Großmacht.

Dass William Dalrymple so ein Werk zustandebringt, hat eine kulturelle Erklärung. Zum Unterschied von dem germanisch/nordeuropäischen Milieu gibt es im traditionell angelsächsichen einen Typ aus der gebildeten Oberschicht, die selbstverständlich außerhalb des üblichen Rahmens arbeiten können. Gore Vidal in den USA war ein typisches Beispiel. William Dalrymple, aus der gebildeten Oberschicht, geschult in Cambridge – der Vater der zehnte Hamilton-Dalrymple Baronet [höchste Stufe des niederen Adels in England. D. Ü.] und Cousin von Virginia Woolf – kann deshalb sowohl eine kulturell zentrale Figur in England und Indien sein und auch etwas schreiben, was von mehr anpassungsfähigen mittelklassigen Akademikern nicht fertiggebracht wird.

Afghanistan war 1839 eine ökonomisch blühende traditionelle Achse im Handel Asiens. Seine großen Basare waren sogar künstlerisch und architektonisch berühmt als Prachtbeispiele der Mogulperiode. Es ist symbolisch, dass der Große Basar von Kabul auf Befehl von Sir George Pollock 1842 aus Rache für die totale militärische Katastrophe im Jahr zuvor niedergebrannt wurde. Jetzt, im elften Jahr des fünften Krieges ist Afghanistan total zerstört; schlimmer als die deutschen Länder nach dem dreißigjährigen Krieg.

In großen Zügen ist jener Krieg immer noch bekannt und aktuell in Großbritannien und Russland, denn selbst wenn die britische Führung teilweise die damaligen russischen diplomatischen Vorstöße nach Zentralasien überinterpretierte, wurde der Erste Afghanistankrieg der militärische Eröffnungszug in dem Großen Spiel in Asien, das immer noch weitergeht, auch wenn die Hauptakteure, Staatsmänner, Fahnen, Symbole und politischen Phrasen in diesen 175 Jahren sich geändert haben und ausgetauscht wurden. Wie in Europa, wo das ähnlich blutige Balkanspiel seit zweihundert Jahren im Gange ist.

Es gab einen innerafghanischen Hintergrund für den Krieg. Das war der Konflikt – eine anhaltende Blutsrache – der akut wurde, als der Enkel von Ahmad Shah Abdali, de Begründer der Durrani-Dynastie, der Sadozai Shah Zahman 1799 führende Barakzai hinrichten ließ. Dessen Bruder empfing 1809 Mountstuart Elphinstone als britischen Botschafter (der später den für Generationen gültigen Bericht „An Account of the Kingdom of Caubul“ [Bericht über das Königreich Kabul] schrieb), wurde aber im selben Jahr von dem Barakzai Wazir Fatteh Khan vertrieben, und fristete in den folgenden 30 Jahren ein Leben als Flüchtling – von den Briten toleriert – und unternahm mehrere Versuche, den Thron zurückzugewinnen.

Dies gab den Briten den Vorwand zur Invasion. Trotz allem, was ihr Agent in Kabul Alexander Burnes sagte und schrieb, setzten sie Shah Shuja wieder auf den Thron. Daher Dalrymples Buchtitel „Rückkehr eines Königs“. Es muss gesagt werden, dass Shah Shuja in Dalrymples Geschichtsbild als wesentlich kenntnisreicher, klüger, gebildeter und außerdem echt heroischer dargestellt wird, als in den meisten Büchern, die ich las. Doch Dalrymple hatte auch verschiedene afghanische Dokumente zur Verfügung, darunter offenbar Shah Shujas glänzende Selbstbiographie „Waqia't-i-Shah Shuja“. Doch Shah Shuja blieb sein ganzes Leben lang ein Mann mit Pech.

Die Darstellung der administrativen, diplomatischen und militärischen Unwissenheit der britischen Führung, deren Unvermögen, sich Informationen zu eigen zu machen, ihre Kurzsichtigkeit, Trägheit, ihr Standesdünkel erinnern an alles, was man später über britische – und russische – Kriege in Afghanistan lesen konnte. Denn obwohl Dalrymple ein notwendiges Buch mit viel neuem Material geschrieben hat, so gibt es faktisch eine Menge Schilderungen über die britischen Afghanistankriege und die großen militärischen Niederlagen. Dass die militärische Niederlage der Briten in Afghanistan im ersten Krieg das erste Mal war, dass eine britische Armee in einem Koloniakrieg besiegt wurde, war ja schon früher bekannt. (Genau wie es im nächsten Afghanistankrieg das erste Mal war, dass eine reguläre und gut trainierte bitische Armee in offener Feldschlacht in Grund und Boden von einem „Eingeborenenheer“ geschlagen wurde. Bei Maiwand am 27. Juli 1880.)


Am 30 Mai 1962 sagte Feldmarschall Montgomery im britischen Oberhaus, dass es zwei grundlegende Regeln für die Kriegführung gäbe: Marschiert niemals nach Moskau! Geht nicht mit einer Armee nach China! Er hätte eine dritte hinzufügen können: Versucht nicht, Afghanistan zu besetzen!

1960 und 1965 durchreiste ich das damalige sowjetische Zentralasien. Ich traf und diskutierte mit mehreren der damaligen besten Kenner der Archäologie und Geschichte des Gebiets. Ich lernte viel und im Prinzip waren wir einig. Auch über Afghanistan. Beim zweiten Mal war das, was ich über das Land geschrieben hatte, übersetzt und im Osten verbreitet worden. Aber von den politisch Verantwortlichen hörte ich immer wieder zu meinem Erschrecken, dass sie meinten, dass die Afghanen von ihrer feudalen Unterdrückung befreit werden wollten. (Ein Danton-Argument, um mit westeuropäischen Begriffen zu reden.) Nichts, was ich sagte, konnte deren Glaube ins Wanken bringen.

Gewiss hoffe ich, dass man auch im Außenministerium und in schwedischen verantwortlichen Kreisen Dalrymple lesen wird. Aber ich befürchte ich, dass ebensowenig wie Burnes 1838 und die vielen sehr klugen sowjetischen Historiker und Spezialisten vor einer Generation die politisch Verantwortlichen beeinflussen konnten, wird es auch für Dalrymple und mich unmöglich sein, die Wirklichkeit den schwedischen Verantwortlichen zu erklären.

Denn ebenso selbstverständlich, wie es für mich und Gun Kessle war, dass derjenige, der einsam unter den Nomaden mit ihren schwarzen Zelten und im Grenzgebiet der Pashtunen unbewaffnet und höflich reist, immer vollkommen auf 'putunwali', die pashtunischen Stammesgesetze, zählen konnte, und folglich völlig sicher sein konnte. Ebenso selbstverständlich war es, dass derjenige, der bewaffnet und unhöflich war, sein Leben zu verlieren riskierte (und als Mann als Strafe und anderen zur Warnung daliegt mit abgeschnittenen Testikeln im Mund). Etwas, was ich damals und heute als richtig ansah.



Dass Dalrymples Buch zuerst in Indien erscheint und dann mit einigen Monaten Verspätung in Europa und Nordamerika sagt allerdings Einiges darüber aus, wie die Welt sich seit 1839 verändert hat. Vielleicht kann man auf die Vernunft hoffen.

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