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Sonntag, 30. November 2014

SPANIEN: Podemos ist stärkste Partei geworden

Einar Schlereth

30 November 2014

Noch vor drei Wochen schrieb ZEITONLINE, dass 'Spaniens linke AfD' in wenigen Monaten zur viertstärksten Partei aufgestiegen sei. Dies ist jedoch schon Geschichte. Und was diese Partei mit dem disparaten Haufen der AfD gemeinsam haben soll, hat die Zeit verschwiegen. Immerhin hat sie der Partei bescheinigt, dass sie "sogar gute Aussichten (habe), die nächsten Wahlen zu gewinnen und danach Spanien zu regieren".

Vorweg ein paar Fakten: Podemos (wir können) wurde am 16. Januar 2014 gegründet von dem jungen Schriftsteller, Professor und Talkshow-Gast Pablo Iglesias. Nur vier Monate später stellte sie sich zur Europawahl auf und gewann ohne Parteiapparat auf Anhieb in Spanien 8 % der Stimmen.

Seit dem Juli d. J. kann man Mitglied werden und bis zum 23. November trugen sich 260 000 Leute ein, sehr viele davon über Facebook, was sie zur stärksten Partei des Landes machte.

Pablo Iglesias Turrión wurde 1978 geboren, studierte Jura (2001 Dr. Jur) und Politische  Wissenschaften (promovierte 2008 mit allerhöchster Auszeichnung) und lehrt seither an der Universidad Complutense in Madrid. Nahm 2001 an der Anti-Globalisierungs-Bewegung teil, wo er zivilen Ungehorsam als legitime Form des Kampfes verteidigte. Mitte Januar präsentierte er zusammen mit einer Reihe bekannter Persönlichkeiten und Kollektive die Bürgerbewegung Podemos. Gegenwärtig hat er einen Sitz im Europäischen Parlament und ist Generalsekretär von Podemos. Weitere Einzelheiten finden sich in Wikipedia.

Das Besondere an der Partei Podemos ist, dass sie nicht eine Partei unter anderen werden wollte. Erstens sollten alle ihre Beschlüsse unter Teilnahme möglichst aller ihrer Mitglieder diskutiert und gefasst werden. Sie forderte von Anfang an auch andere linke Parteien und Gegner des sozialen Abbaus zur Zusammenarbeit auf. Das brachte viele Kontakte und auch Verhandlungen ein, u. a. mit der Izquierda Unida (IU = Vereinigte Linke), jedoch keinen Zusammenschluss, aber immerhin auch die Unterstützung einiger linker Gruppierungen. Die Partei trat also alleine an und hielt Vorwahlen für die Kandidaten ab (an denen 33 000 Menschen teilnahmen), ein Punkt, der von der IU kategorisch abgelehnt worden war.

Wohlgemerkt hatte die Partei vor der Europa-Wahl noch nicht einmal ein Pogramm, sondern es gab lediglich Absichtsbekundungen. Dazu gehörten das Ende der Sparprogramme, die volle Anwendung des Paragraphen 128 der Verfassung, der festlegt: "Der gesamte Reichtum des Landes in seinen unterschiedlichen Formen und was auch immer seine Rechtsform sein möge, untersteht dem allgemeinen Interesse". Beibehaltung des öffentlichen Charakters der Bildung und Gesundheit; Erhöhung der Löhne und Re-Industrialisierung; Schaffung von kommunalen Wohnungen; gegen eine restriktive Neufassung des Gesetzes zum Abbruch der Schwangerschaft sowie Abschaffung der Ausländergesetze und Anerkennung des Rechtes von Katalonien, über seine Unabhängigkeit zu entscheiden.

Außerdem zeigten Podemos und Pablo Iglesias von Anfang an eine intensive Präsenz in den sozialen Netzwerken und den Medien. Pablo Iglesias nahm an zahlreichen Talkshows teil, wo er durch seine  Eloquenz, seine Intelligenz und seine Höflichkeit ein hervorragendes Bild abgab. Am Tag nach dem Wahlerfolg wurde der Hashtag von Pablo auf Twitter die Nummer 1 und im Juli stieg die Zahl seiner Fans auf Facebook auf 600 000 (aktueller Stand: 889807). Im August hatte Podemos auf Facebook bereits 708 763 Mitglieder, mehr als alle übrigen Parteien zusammen. Seine Fernsehauftritte gewannen bis zu fünf Millionen Zuschauer.

Natürlich wurde der Erfolg von Podemos auch von den internationalen Medien eifrig kommentiert. Für Reuters und Associated Press gehört sie allgemein zur Linken, für die Financial Times und die rechte spanische Zeitung ABC ist sie linksradikal, wie etwa Griechenlands Syriza-Partei. Aber man sieht auch Parallellen zu Italiens Beppe Grillo und seine Bewegung 'Fünf Sterne'.

Anfang Juni kündigte Pablo Iglesias für den Herbst eine konstituierende Versammlung an, für deren Durchführung 25 Personen verantwortlich sein sollten, die nach dem Muster der Europa-Wahl aufgestellt wurden. Von 55000 Personen wurde Pablo Iglesias als Spitzenkandidat gewählt.

Die Partei finanziert sich durch das sogenannte Crowdfunding. Für die Europa-Wahl brauchte man ca. 150 000 €, die aber nicht von Banken geliehen wurden, sondern durch einen Spenden-Aufruf zusammenkamen und am Ende vom Staat ersetzt werden.

Auf der Webseite von Podemos werden die Strukturen der Partei und Resolutionen,  wann und wie sie zustandekamen und verabschiedet wurden, genauestens aufgezeigt sowie die Kandidaten vorgestellt. Unter  'circulos' kann man eine Europa-Karte sehen, auf der hunderte Zirkel angezeigt werden in Spanien, den Kanarischen Inseln und hinauf bis nach Frankreich, Deutschland etc. Darunter werden die Themen der Zirkel angezeigt, die sich mit Gesundheit, Erziehung, Bildung, Arbeit, Sport und noch einigen Dutzend Themen befassen. Interessant ist, welche Punkte von der Podemos-Wählerschaft als die wichtigsten angesehen werden und somit die höchsten Prozentzahlen erreichten: 1. Die Öffentliche Gesundheit als ein Recht; 2. anti-Korruptions-Maßnahmen; 3. Recht auf eine Wohnung; 4. Recht auf Gesundheit; 5. Auditorium und Re-Strukturierung der spanischen Schulden.

Auf der Webseite hat die Partei auch einen eigenen Video-Kanal, auf dem aktuell die Rede von Iglesias für seine Präsidentschafts-Kandidatur im EU-Parlament zu sehen ist (siehe unten).

Die Konstituierende Versammlung hatte im übrigen eine Experten-Mannschaft zusammengestellt, um ein Wirtschaftsprogramm zu erarbeiten. Dafür gewannen sie zwei Ökonomen, die national und international in hohem Ansehen stehen: Vincenç Navarro (im Juni hatte ich von ihm hier einen Artikel übersetzt) und Juan Torres. Dieses Programm wurde vor drei Tagen auf einer stark besuchten Pressekonferenz mit seinen Kernpunkten vorgestellt. Das umfangreiche Dokument sollte am Freitag veröffentlicht werden, scheint sich aber verzögert zu haben.

Hauptpunkte waren die Ausweitung der öffentlichen Dienstleistungen, weil erstens Spanien in Europa damit fast am Ende stehe und zweitens, weil dadurch enorm viele Arbeitsplätze geschaffen würden. Vincenç Navarro zog Schweden als Beispiel heran, aber ich glaube, da war er nicht recht auf dem Laufenden. Denn hier werden sie ebenso hurtig abgebaut, respektive privatisiert wie andern Ortes auch. Dann ging es um die Ankurbelung der Wirtschaft, vor allem der Klein- und mittleren Unternehmen, für die es fast unmöglich sei, Kredite zu bekommen, während sie den Groß-
Unternehmen hinterhergeworfen würden. Da wurden Genossenschaftsbanken resp. Volksbanken als Möglichkeiten ventiliert. Es ging um die Wiederbelebung und Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus und um das Recht auf eine Wohnung. Um die Anhebung der Löhne und Pensionen. Und natürlich um die Korruption, die für die Bevölkerung, die Wirtschaft und den Staat eine Geisel ist. Und nicht zuletzt ging es um die Wiedergewinnung der Souveränität des spanischen Volkes. Man wolle keine Kolonie Deutschlands oder Wallstreets sein. Erfreulicherweise nimmt die Partei auch einen eindeutig anti-faschistischen und anti-rassistischen Standpunkt ein.  

Pressekonferenz zur Vorstellung des Wirtschaftsprogramms. Für Spanien-Versteher hier ein Link zum Video.
Pablo Iglesias, aber auch Navarro und Torres betonten, dass dies keineswegs ein kommunistisches Programm sei, sondern es  könne von jedem anständigen Sozialdemokraten vertreten werden. In der Tat wurde bei einer Umfrage festgestellt, dass selbst 40 % der PP-Wähler (PP = Partido Popular, die konservative Volkspartei), gefragt, ob sie Angst vor Podemos an der Regierung hätten, mit NEIN antworteten.
Man könnte dieses Programm mit der Sozialgesetzgebung Bismarcks oder dem New Deal Franklin D. Roosevelts vergleichen, die beide zu einem äußerst kritischen Zeitpunkt als Retter in der Not - für den Kapitalismus kamen, indem den hungernden Massen ein paar Knochen hingeworfen wurden. Nun, ganz so weit ist es in Spanien noch nicht gekommen, aber hart davor.

Trotzdem herrscht, wie mir ein Freund aus Andalusien vorgestern mitteilte, in den beiden großen Parteien  - PP und PSOE (Partido Socialista Obrero Español = rechte Sozialistische Arbeiterpartei) - eine immense Nervosität und Muffensausen. Wahrscheinlich würden sich beide Parteien schon darauf vorbereiten, eine Große Koalition zu bilden. Falls es dafür nicht auch schon zu spät ist. Denn, wie es jetzt aussieht, ist für Podemos sogar eine Mehrheit bei den Wahlen 2015 drin.

Ein weiterer interessanter Punkt ist auch die Wählerzusammensetzung von Podemos. Da hat es eine große Überraschung gegeben. Es ist keineswegs so, wie vorher angenommen, dass sie sich überwiegend aus Jugendlichen, Arbeitslosen und Armen zusammensetze. Nach der Umfrage von El País hingegen, sind 66 % der Podemos-Wähler älter als 35 Jahre, mehrheitlich Männer (56 % männlicher Stimmen), mit Ausbildungsniveau gleich oder höher als Abitur (das spanische Äquivalent heißt „bachillerato“) – keiner der Befragten gab ein Bildungsniveau unter dem zweiten Grad an – und mehrheitlich arbeitende Menschen (50 %, gegenüber 22 % Arbeitslosen, 15 % Studenten und 9 % Rentner). Ein Drittel der Podemos-Wähler hatte zuvor bei der Europawahl 2009 für die PSOE gestimmt und 30 % hatten sie bei den spanischen Parlamentswahlen 2011 unterstützt.
Damit wird klar, dass die Apparatschiks der großen Parteien im Ernst um ihre Pfründen bangen müssen.

Seit gestern sind in Spanien auch die "Marchas de la Dignidad" (Märsche der Würde) zum Hinauswurf der korrupten Regierung wieder aufgenommen worden. Auf der Facebook-Seite von Podemos könnt ihr genug Bilder davon ansehen, weshalb ich hier keine auflege. Die Seite ist im übrigen spannend - witzig, aussagekräftige Cartoons und dumme Sprüche der Politiker.

Zum Schluss will ich noch anmerken, dass in Deutschland die Berichterstattung über Podemos bisher recht anständig ist. In Spanien hingegen ist sie teilweise schon umgeschlagen in Beleidigung, Verleumdung und Dreckschleudern. Auf Facebook steht ein Spruch von Pablo Iglesias: "Wenn sie lügen, beleidigen und Dreck werfen, lacht einfach, denn wir werden gewinnen." Die Frage ist, ob er diese Haltung bis zum Ende durchziehen kann. Ein paar Klagen musste er schon einreichen. Es gibt halt für alles Grenzen.

Hier könnt ihr der Partei weiter folgen und eventuell teilnehmen:
WEB http://www.podemos.info/
Plaza PODEMOS http://www.reddit.com/r/podemos/
TWITTER https://twitter.com/ahorapodemos
FACEBOOK http://ow.ly/AqGmK
YOU TUBE http://www.youtube.com/user/CirculosP...

1 Kommentar:

  1. Hier die Kontaktdaten in Deutschland:

    https://www.facebook.com/pages/Circulo-Podemos-Colonia/259837434192728?fref=ts Köln

    https://www.facebook.com/pages/Podemos-Berlin/213472138850976?fref=ts Berlin

    https://www.facebook.com/podemosenbaviera Bayern

    https://www.facebook.com/Podemos.Alemania Deutschland

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