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Sonntag, 21. Februar 2016

10 Jahre der Umwälzung in Bolivien


Katu Arkonada

19. Februar 2016


Aus dem Französischen: Einar Schlereth

Bolivien verändert sich!
In einem Monat wird die demokratische und kulturelle bolivianische Revolution transzendentale Momente ihrer jüngsten Geschichte erleben. Einerseits den 21. und 22. Januar, als der Jahrestag des plurinationalen Staates sowie 10 Jahre der Umwälzung und andererseits den 21. Februar mit einer historischen Abstimmung, mit der die Kraft der neuen bolivianischen Demokratie symbolisiert wird gegenüber der obsoleten neoliberalen Demokratie.


Am 21. Januar 2006

Evo Morales Ayma wurde zum Apu Mallku (Chef) der indigenen Völker Lateinamerikas ernannt im Laufe einer altüberlieferten Zeremonie in Tiwanaku. Am Morgen wird er als Präsident der Republik Bolivien vor der Gesetzgebenden Versammlung vereidigt. Dieselbe Zeremonie fand jeweils am 21. und 22. Januar 2010 und 2015 statt, nachdem Morales zum Präsidenten des plurinationalen Staates Bolivien gewählt worden war.


21. Februar 2016

Das bolivianische Volk der 339 Kommunen, wovon 11 ländliche autochtone autonome Kommunen sind, die zusammen die 9 Departements (Provinzen) bilden, wird auf souveräne und demokratische Weise entscheiden, ob die Verfassung teilweise durch ein Verfassungsreferendum geändert wird. Es dreht sich darum zu wissen, ob Präsident Evo Morales und Vize-Premier Álvaro García Linera sich für erneute allgemeine Wahlen 2019 aufstellen lassen können.

Das Verfassungsreferendum ist wahrscheinlich die wichtigst Wahl, der sich der Prozess der Veränderung gegenübersieht seit dem ersten Sieg von Evo Morales und seiner Partei MAS-IPSP (Bewegung zum Sozialismus – Politisches Instrument für die Souveränität der Völker) im Dezember 2005. Die Frage ist wichtig und die bolivianische Rechte, der es schon gelungen ist, im Parlament die Wiederwahl 'unter Verschluss zu halten', hat sich den Reihen des NEINS zum Referendum angeschlossen, ordnungsgemäß finanziert vom Innenministerium, wie kürzlich Álvaro García Linera monierte. (1)

Dies ist die wichtigste Wahl, denn zwei Dinge stehen zum ersten Mal auf dem Spiel. Erstens die Möglichkeit, dass Evo Morales nicht der Kandidat der sozialen Mehrheiten wird und zweitens, dass der Prozess der Vertiefung der Umwälzung in Gefahr gerät, denn, im Fall, dass es nicht zu einem JA kommt wird die MAS-IPSP mit der Kampfansage konfrontiert, ohne dass ihr führender Kopf Präsident des plurinationalen Staates ist.

Denn die Figur von Evo Morales übersteigt die eines Parteichefs und eines Präsidenten der Republik. Sie kristallisiert die Träume und Wünsche der Volksmassen und der ländlichen indigenen Bolivianer, die in den Jahrhunderten der Kolonisation marginalisiert wurden. Evo ist die Synthese der antikolonialen Kämpfe, die mit Túpac Katari und Bartolina Sisa begannen, aber auch mit den anti- kapitalistischen Kämpfen in den Wasser- und Gaskriegen.

Evo besitzt mit seinem ajayu (Geist in der aymara-Sprache, eine Kraft, die Gefühle mit Vernunft verbindet) einen anti-Imperialismus, der in den Kämpfen geschmiedet wurde, die er gegen die DEA (US-anti-Drogen-Behörde für den Kampf gegen Drogen) und die USAID (US- Behörde für humanitäre Hilfe) führte und gegen die Einmischung der US-Botschaft, weshalb er aus dem Kongress geworfen wurde, wo er Abgeordneter war.

Sein anti-Kolonialismus hat aus ihm einen internationalen Führer der gewerkschaftlichen und ländlichen Bewegung gemacht in der Kampagne „500 Jahre des indigenen, schwarzen und Volks-Widerstandes“, die 1992 ihren Höhepunkt erreichte, 500 Jahre nach der Invasion Unseres Amerika; und ausgehend von dieser Kampagne ist der „Vía Campesina“ (Weg der Bauern) 1993 entstanden, wo Evo seinen eigenen antikapitalistischen Horizont vollends definierte und sein Eintreten für die Nahrungs-Souveränität.

Aus diesem Grunde können alle großen Fortschritte des Prozesses der bolivianischen Umwälzung durch drei Beschlüsse verstanden werden. Als erstes die Nationalisierung der Naturressourcen, die dem Volk seine Souveränität zurückgab und ihm die Umverteilung des Reichtums erlaubte, was man in 200 Jahren republikanischer Geschichte nicht erlebt hat; er erlaubte ihm auch, einen Prozess der Umwälzung in Gang zu setzen Richtung Sozialismus, der notwendigerweise zur Stärkung des Staates führt, um den Neo-Liberalismus beiseitezuschieben und die Koordinaten eines anti-kapitalistischen Horizonts festzulegen, ausgehend von einer nationalen und gemeinschaftlichen Ökonomie.

Auf dieser Basis der Verbesserung der materiellen Bedingungen des bolivianischen Volkes wurde ein anti-kapitalistischer Weg beschritten, der die Vorstellungskraft der Gesellschaft verändert hat und einen langsamen, aber unausweichlichen Prozess der Dekolonisierung einleitete und der „Depatriarchalisierung“ des Staates und der Gesellschaft; wodurch abermals die alten Paradigmen zerschlagen wurden und eine Definition des gemeinschaftlichen Sozialismus vom „Bien Vivir“ (Guten Leben) ausbildete als Endziel eines politischen Projektes der nationalen und sozialen Befreiung.

Dazu gesellt sich auch eine neue Beziehung zur Mutter Erde. Und, wie nicht anders zu erwarten, hat Bolivien eine solide anti-imperialistische Position eingenommen, sowohl auf nationalem wie internationalem Niveau, die mit dem Rauswurf der DEA, der USAID und des US-Botschafters begann und sich fortsetzte mit der Verurteilung aller imperialistischen Aggressionen und der Verteidigung der nationalen Souveränität von welchem Land auch immer, das vom Imperialismus angegriffen wird.

Diplomatie des Volkes

Aber dieses anti-imperialistische Bewusstsein ist nur ein Teil einer neuen Doktrin der internationalen Beziehungen und einer neuen geopolitischen Vision der multipolaren Welt, die Bolivien dabei ist aufzubauen und die man unter dem neuen Paradigma der „Diplomatie des Volkes“ einordnen könnte.


Es gibt eine Menge Referenzen innerhalb dieser neuen Diplomatie des Volkes, die vom Präsidenten Evo und dem Kanzler (Außenminister) Choquehuanca gefördert wurden, aber wir wollen vier Punkte besonders hervorheben:

In erster Linie diese Rückgewinnung der nationalen Souveränität und Würde des bolivianischen Volkes in die internationale Sphäre zu übertragen. Das wird deutlich an der dem Internationalen Gerichtshof in Haag vorgetragenen Forderung von Chile nach einem souveränen Zugang zum Meer. Wir können nicht vergessen, dass Chile einen 400 km Streifen Meeresküste kriegerisch geraubt hat. Ein Stück Land, das obendrein (oder genau deswegen) reich an Natur-Ressourcen ist wie Guano, Salpeter, Borate, Kupfer und Silber.

Aber nochmal, Evo hat dem seinen Stempel aufgedrückt und es gelang ihm, die Interessen eines Landes hinter diese Forderung zu stellen und eine Mannschaft zusammenzustellen, die sich zum großen Teil aus ehemalige bolivianischen Präsidenten zusammensetzt, und er ernannte sogar den ex-Präsidenten aus der neo-liberalen Periode Carlos Mesa zum Sprecher der Forderung. Diese Einheit des bolivianischen Volkes und die internationale Unterstützung, die Bolivien genießt, wäre undenkbar unter welchem anderen Präsidenten auch immer.

Ein Präsident, der der wichtigste Initiator der lateinamerikanischen Integration ist an der Seite ihrer Architekten Fidel Castro und Hugo Chávez. Bolivien hat nicht nur die TCP (Vertrag des Handels der Völker) in die ALBA (Bolivarianische Allianz für die Völker unseres Amerika) integriert, sondern er hat auch einen wichtigen Pfeiler der Verfassung der UNASUR (Union der südamerikanisch Länder) und der CELAC (Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten) geschaffen.

Der CELAC-Gipfel wird 2017 unter dem Vorsitz von Bolivien stattfinden, zu dem nach Evos eigenen Worten „alle Präsidenten eingeladen sind. Die Mehrheit wird kommen, ausgenommen Kanada und die USA (…) dies ist auch eine Art, uns von der Vorherrschaft des nordamerikanischen Imperiums zu befreien“.

Wir dürfen auch nicht vergessen die Annäherung und Integration Boliviens in den Mercosur (Gemeinsamer Markt des Südens), sowie die Aufrechterhaltung der Kritik am Mechanismus der regionalen Desintegration, unter dem Namen der Pazifischen Allianz bekannt.
 
Das Setzen auf lateinamerikanische und karibische Integration hat sich gleichzeitig mit der Vertiefung der Süd-Süd-Beziehungen vollzogen. Und in diesem Bereich muss man den Ehrenvorsitz auf dem G77+China unterstreichen, der 2014 Bolivien gewährt wurde und die Durchführung des Gipfels der UNO in Santa Cruz de la Sierra im Juni desselben Jahren. Die Arbeit und Führung sind belohnt worden durch die Ernennung Boliviens in der UNO im Komitee für den Prozess der Neustrukturierung der souveränen Schuld den Vorsitz zu führen im Rahmen der Verteidigung der argentinischen Souveränität gegenüber den Geierfonds.

Aber Bolivien hat sich nicht allein in der Domaine der multilateralen Diplomatie bemerkbar gemacht. Die neue Diplomatie der Völker und die Süd-Süd-Beziehungen sind auch auf der bilateralen Ebene umgesetzt worden. Da muss man vor allem  die optimalen Beziehungen
unterstreichen, die wir mit der Volksrepublik China unter Führung der PCCh (Kummunistische Partei Chinas) haben, die sich in der Hilfeleistung materialisierte im Bereich der wissenschaftlichen und technologischen Souveränität Boliviens mit dem Bau des Satelliten Tupac Katari (TKSAT-1) durch China. Es ist der erste Satellit für Telekommunikation Boliviens.

Auch die Beziehungen mit Russland darf man nicht übersehen, die andere große Macht der BRICS, mit dem Bolivien ein Abkommen zum Bau eines Atomforschungszentrums und die Ausbildung von Personal zur Entwicklung atomarer Energie für friedliche und medizinische Zwecke geschlossen hat. [Das wundert mich, dass Evo auf dem Gebiet offenbar nicht informiert ist. D. Ü.]

Aber mit seiner Diplomatie der Völker in der ganzen Welt hat Bolivien den Blick auch auf das Herz Südamerikas gerichtet, aus zwei wesentlichen Gründen. Erstens der gute Zustand der bolivianischen Ökonomie. Im Zusammenhang mit der Krise und dem Preisfall des Öls auf eine historisches Niveau hat Bolivien weiterhin ein Wachstum von 5%, unerhört im benachbarten Lateinamerika mit 1% Wachstum im Schnitt 2015. Trotz des Gaspreises, der an den Ölpreis gebunden ist und im Moment bei 25 Dollar das Faß liegt, ist die gute Gesundheit der bolivianischen Ökonomie ein Phänomen, das sogar an der Wirtschaftsfakultät der Uni Chicago, der Wiege und Labors des Neoliberalismus studiert wird. (2)

Zweitens ist Bolivien dabei, vor aller Augen eine neue Beziehung zur Natur herzustellen. Angesichts eines Planeten, der die Grenzen seiner Ressourcen erreicht und angesichts eines Wachstums-Modells, das implodiert wegen des Zwangs, den Kapitalprofit hochzuhalten, hat Bolivien ein Entwicklungs-Modell entwickelt, das nicht Wachstum auf Kosten der Völker, der Menschen oder der Natur impliziert. Es ist wichtig, auf die Annahme des Rahmengesetzes zur Mutter Erde und die integrale Entwicklung für eine gute Lebensqualität hinzuweisen, das zum Modell für eine Menschheit werden muss, die auf der Suche nach einem anderen Entwicklungsmodell ist.

Doch werden alle Fortschritte wie der bolivianische Beitrag zum Bau einer neuen multipolaren Welt bedroht von einer Rechten, die im Einverständnis mit den Imperialisten den Konservatismus restaurieren will, die in Argentinien die Macht ergriffen hat und einen Teilsieg in Venezuela erzielt hat. Ohne die Notwendigkeit der politischen Ausbildung und Formung neuer Kader, um die Vertiefung der demokratischen und kulturellen Revolution voranzubringen, ist es wesentlich, die Umgestaltung des Staates zu vollenden, die am 21. Januar 2006 begonnen wurde.

Diese Umgestaltung muss ihren Gipfel 2025 erreichen, wenn die Patriotische Agenda fertig sein wird und Bolivien eine zweite Unabhängigkeit gewinnen wird, und dann definitiv. Dann wird die extreme Armut beseitigt sein und die vollständige Souveränität wird auf der ökonomischen, wissenschaftlichen, technologischen und kulturellen Ebene erreicht sein.

Aus sowohl endogenen als auch exogenen Gründen ist der bolivianische Prozess der Veränderung gegenwärtig der solideste und stabilste der Region. Aber damit diese Stabilität nicht gefährdet wird, ist der Sieg des JA beim Referendum am 21. Februar notwendig. Der Sieg wird Evo und Álvaro nicht nur erlauben, sich erneut 2019 aufzustellen, sondern wird auch ein frischer Wind sein für den Prozess der Veränderung auf kontinentaler Ebene, der einen neuen Elan bekommen muss nach den Wahlniederlagen in Argentinien und Venezuela.

Katu Arkonada ist Politikwissenschaftler, ex-Berater des Vizeministers für strategische Planung beim bolivianischen Kanzleramt und er ist Mitglied des Netzwerks der 'Intellektuelle für die Verteidigung der Menschheit'.


1) http://www.hispantv.com/newsdetail/...

2) Conférence du ministre de l’Économie de l’État 
 
 
Quelle - källa - source

1 Kommentar:

  1. Gemeinde und Städtereaktivierung bei BewusstTV

    https://www.youtube.com/watch?v=u9T97IZyYBU

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