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Sonntag, 23. Oktober 2016

Das analphabetische Amerika

Gleich zu Anfang macht Chris Hedges einen grundlegenden Fehler. Nicht das Volk hat sich von der Kultur getrennt, sondern es ist bewusst durch die Herrschenden von der Kultur getrennt worden. Und können etwa unsere Gebildeten „zwischen Lügen und Wahrheit unterscheiden“? Das ist ja gerade die Crux, dass die Intelligenz heute in den USA und gestern in Deutschland sich zu mehr als 90 Prozent dem Faschismus anpasste. Auch wenn einfache Leute gern auf Intellektuelle schimpfen, sind sie doch auch Vorbild. Wenn der "Herr Professor" es sagt, dann muss es doch stimmen. Das Elend der Denkunfähigkeit liegt an dem gesamten Erziehungssystem (wozu Eltern, Schule, Sonntagsschule, Armee, Lehre, Universität mit allen ihren Medien und ihren Gesetzen gehören). Alle zusammen geben sich die größte Mühe, das Denken nicht zu erlernen. Denn denkende Menschen sind die größte Gefahr für die Eliten. 
"Wir das Volk - können nicht lesen."


Das analphabetische Amerika

Chris Hedges
4. September 2016

Aus dem Englischen: Einar Schlereth

Wir leben in zwei Amerikas. Ein Amerika, jetzt eine Minorität, funktioniert in einer gebildeten, auf Gedrucktem basierenden Welt. Es kann mit Komplexität umgehen und hat die intellektuellen Instrumente, um Illusion von Wahrheit zu trennen. Das andere Amerika, das die Mehrheit darstellt, existiert in einem Glaubenssystem, das nicht auf Realität basiert.  Dies Amerika, abhängig von geschickt manipulierten Bildern als Information, hat sich getrennt von der gebildeten, von Gedrucktem abhängigen Kultur. Es kann nicht unterscheiden zwischen Lügen und Wahrheit. Es wird durch simple, kindische Erzählungen und Klischees informiert. Es wird verwirrt durch Zweideutigkeit, Nuancen und Selbstbesinnung. Diese Trennung hat mehr als Rasse, Klasse oder Geschlecht, als Stadt oder Land, Gläubige oder Ungläubige, rote oder blaue Staaten das Land in radikal unterschiedliche und nicht zu überbrückende, antagonistische Einheiten gespalten.

Es gibt mehr als 42 Millionen amerikanische Erwachsene, von denen 20% Abitur haben, aber nicht lesen können oder die genau wie 50 Millionen weitere Bürger auf dem Niveau von 4. oder 5.- Klässlern lesen. Beinahe ein Drittel der Nation ist analphabetisch oder kaum lesekundig. Und ihre Zahl steigt mit geschätzten zwei  Millionen pro Jahr. Aber selbst jene, die angeblich les- und schreibkundig sind, sinken in großer Zahl ab in eine Existenz, die auf Bildern basiert. Ein Drittel der Abiturienten und 42 % der Hochschulabsolventen liest nach dem Schulende nie mehr ein Buch. 80 % der Familien in den USA haben im vergangenen Jahr kein Buch gekauft.
Die Analphabeten wählen selten und wenn sie wählen, dann tun sie es ohne die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, die auf Text-Informationen basieren. Politische Kampagnen, die gelernt haben, in der tröstlichen Epistomologie von Bildern zu reden, meiden wirkliche Ideen und Politik und ziehen billige Schlagworte und beruhigende persönliche Stories vor.

Politische Propaganda kommt nun in der Maske der Ideologie einher. Politische Kampagnen sind zu einer Erfahrung geworden. Sie erfordern nicht geistige oder selbst-kritische Fähigkeiten. Die sind angelegt, um pseudo-religiöse Gefühle der Euphorie zu wecken, Stärkung und kollektive Rettung. Erfolgreiche Kampagnen sind sorgfältig konstruierte psychologische Instrumente, die unbeständigen öffentlichen Launen, Gefühle und Impulse zu manipulieren, von denen viele unterbewusst sind. Sie schaffen eine öffentliche Ekstase, die Individualität auslöscht und einen Zustand der Unbekümmertheit hervorruft. Sie stoßen uns in eine ewige Gegenwart. Sie sorgen für ein Land, das jetzt in einem Zustand permanenter Amnesie lebt. Es ist Stil und Story, statt Inhalt oder Geschichte oder Realität, die unsere politische Auffassung und unser Leben informieren. Wir ziehen glückliche Illusionen vor. Und es funktioniert, weil so viele der amerikanischen Wählerschaft, auch jene, die es besser wissen sollten, blind ihre Wahlzettel für Schlagworte, Lächeln, fröhliche lebende Bilder, Geschichtchen und vermeintliche Aufrichtigkeit und die Attraktivität der Kandidaten abgeben. Wir verwechseln unsere Gefühle mit Wissen.

Die Analphabeten und die halb-Gebildeten bleiben machtlos nach den Wahlen. Sie können immer noch nicht ihre Kinder vor zerrütteten öffentlichen Schulen retten. Sie können immer noch nicht räuberische Lohnabschlüsse verstehen, die Feinheiten von Hypotheken-Unterlagen, Kreditkarten-Bedingungen und Lombardkrediten, was sie dann in die Zwangsvollstreckung und den Bankrott treibt. Sie kämpfen immer noch mit den grundlegenden Aufgaben des täglichen Lebens vom Lesen der Gebrauchsanweisung auf Medizin-Flaschen bis zum Ausfüllen der Bankformulare, oder Dokumente für Leihautos, Arbeitslosengeld und Versicherungspapiere.

   Sie sehen hilflos und verständnislos zu, wie hunderttausen Jobs verschwinden. Sie sind Geiseln von Markennamen. Die treten mit Bildern und Schlagwörtern auf. Schlagwörter und Bilder sind alles, was sie verstehen. Viele essen in Schnell-Imbissläden nicht nur, weil es billig ist, sondern weil sie nach den Bildern statt nach Menus bestellen können. Und die, die sie bedienen sind ebenfalls Analphabeten oder halb-Alphabeten, die ihre Bestellungen mit Tasten eingeben, auf denen Symbole und Bilder stehen. Dies ist unsere Schöne Neue Welt.

Politische Führer in unserer post-literarischen Gesellschaft müssen nicht mehr kompetent, ehrlich oder anständig sein. Sie müssen so aussehen, als hätten sie diese Qualitäten. [Na, ich weiß nicht. Sieht denn das Merkel danach aus? Doch eher wie eine hirnamputierte Kuhmagd. D. Ü.] Und vor allem brauchen sie eine Story, eine Erzählung. Die Realität der Erzählung ist irrelevant. Sie braucht mit Fakten absolut nichts zu tun haben. Die Dichtigkeit und der emotionale Appeal der Story ist das Wichtigste. Die wichtigste Fähigkeit  im politischen Theater und der Konsumkultur ist die List. Die Geschicktesten haben Erfolg. Wer nicht die Kunst der List gelernt hat, versagt. In einer Zeit der Bilder und der Unterhaltung, in einer Zeit der ständigen emotionalen Befriedigung suchen wir keine Anständigkeit und wollen sie auch nicht. Wir verlangen Nachsicht und Unterhaltung mit Klischees, Stereotypen und mythische Erzählungen, die uns erzählen, dass wir sein können, was immer wir wollen, dass wir im größten Land der Welt wohnen, dass wir mit überlegener Moral und physischen Qualitäten ausgestattet sind und dass unsere glorreiche Zuknft vorherbestimmt ist, entweder durch unsere Attribute als Amerikaner oder weil wir durch Gott gesegnet sind oder beides.

Die Fähigkeit, diese simplen und kindischen Lügen zu vergrößern, sie zu wiederholen und Ersatzmittel zu haben, sie endlos in immer neuen Wendungen und Zyklen zu wiederholen, gibt diesen Lügen die Aura einer unwidersprochenen Wahrheit. Wir werden immer wieder mit Phrasen oder Worten gefüttert, wie 'Ja, wir können', Veränderung,  pro-life, Hoffnung oder Krieg gegen Terror. Es fühlt sich gut an, nicht zu denken. Wir müssen nur visualisieren, was wir wünchen, an uns selber glauben und das, was wir an versteckten, inneren Reserven haben, ob göttlich oder national, um die Welt nach unseren Wünschen auszurichten. Wirklichkeit ist niemals ein Hindernis für unser Vorwärtskommen.

Die Princeton Review analysierte die Transkripte der Gore -Bush Debatten, der Clinton-Bush-Perot Debatten von 1992, die Kennedy-Nixon Debatten von 1960 und die Lincoln-Douglas Debatten von 1858. Sie untesuchten sie unter Benutzung von Standard Wortschatz-Tests, die den minimalsten Erziehungsstandard angeben, der für einen Leser nötig ist, um den Text zu begreifen. Bei den Debatten im Jahr 2000 sprachen George W. Bush mit einem 6-Klässler Niveau (6.7) und Al Gore mit einem 7-Klässler Niveau (7.6). Bei den Debatten 1992 sprachen Bill Clinton mit 7.Klässler Niveau (7.6) und George H.W: Bush mit 6-Klässler-Niveau (6.8) und auch H. Ross Perot (6.3). Bei den Debatten zwischen John F. Kennedy und Richard Nixon wurde die Sprache von 10-Klässlern gesprochen und zwischen Abraham Lincoln und Stephen A. Douglas 11.2 und 12.0. Kurz gesagt ist die heutige politische Rhetorik dem Niveau eines 10-jährigen Kindes angepasst oder einem Erwachsenen mit dem Lese-Niveau eines 6-Klässlers. Er ist auf dieses Verständnis-Niveau gesenkt worden, weil die meisten Amerikaner auf dieser Ebene sprechen, denken und unterhalten werden.  Deswegen werden ernste Filme und Theater und andere ernste künstlerische Ausdrucksweisen und auch Zeitungen und Bücher an den Rand der amerikanischen Gesellschaft gedrängt. Voltaire war der berühmteste Mann des 18. Jahrhunderts. Heute ist die berühmteste „Person“ die Mickey Mouse.

In unserer post-schriftkundigen Welt gibt es das Bedürfnis nach ständigen Anreizen, da keine Ideen zugänglich sind. Nachrichten, politische Debatten, Theaer, Kunst und Bücher werden beurteilt nicht nach der Kraft ihrer Ideen sondern nach ihrer Fähigkeit zu unterhalten. Kulturprodukte, die uns zwingen, uns selbst und unsere Gesellschaft zu erforschen, werden als elitistisch und unzugänglich verurteilt. Hannah Arendt warnte, dass die Vermarktung der Kultur zu ihrer Degradierung führt, dass diese Vermarktung eine neue Klasse von intellektuellen Berühmtheiten   schaffe, die, obwohl selbst sehr belesen und informiert, ihre Rolle in der Gesellschaft darin sehen, die Massen zu überzeugen, dass „Hamlet“ ebenso unterhaltsam sein kann wie „The Lion King“ und vielleicht ebenso lehrreich. „Kultur,“ schrieb sie, „wird zerstört, um Unterhaltung zu erzeugen.“

„Es gibt viele große Autoren der Vergangenheit, die Jahrhunderte der Vergessenheit und Vernachlässigung überlebt haben,“ schrieb Arendt, „aber es ist noch eine offene Frage, ob sie die Unterhaltungs-Version dessen, was sie zu sagen haben, überleben werden.“

Der Wechsel von einer Druck-basierten zu einer Bild-basierten Gesellschaft hat unser Land verändert. Riesige Segmente unserer Gesellschaft, besonders jene, die im Griff der christlichen Rechten und Konsum-Kultur leben, sind vollständig abgehängt von der Realität. Ihnen fehlt die Fähigkeit, die Wahrheit zu suchen und rational mit unseren wachsenden sozialen und ökonomischen Übeln umzugehen. Sie suchen Klarheit, Unterhaltung und Ordnung. Sie sind bereit, Gewalt zu benutzen, um diese Klarheit anderen aufzuzwingen, besonders jenen, die nicht sprechen wie sie sprechen und denken, wie sie denken. Alle die traditionellen Werkzeuge der Demokratien, auch die objektive wissenschaftliche und historische Wahrheit, Fakten, Nachrichten und rationalen Debatten sind nutzlose Werkzeuge in einer Welt, der die Fähigkeit fehlt, sie zu nutzen.

Da wir absteigen in eine verheerende ökonomische Krise, die Barack Obama nicht aufhalten kann, wird es dutzende Millionen Amerikaner geben, die brutal beiseitgestoßen werden. Wenn ihre Häuser zwangsvollstreckt werden, ihre Jobs verschwinden, wenn sie gezwungen werden, Bankrott zu erklären und zusehen müssen, wie ihre Gemeinden kollabieren, werden sie sich noch mehr irrationalen Phantasien hingeben. Sie werden zu glitzernden und selbst-zerstörerischen Illusionen gelenkt werden von unseren modernen Rattenfängern von Hameln – unseren Reklame-Fritzen, unseren Scharlatan-Predigern, unseren Selbsthilfe-Gurus, unserer Unterhaltungsindustrie und unseren politischen Demagogen – die immer absurdere Formen des Eskapismus anbieten werden.

Die Kern-Werte unserer offenen Gesellschaft, die Fähigkeit selbst zu denken, unabhängige Schlussfolgerungen zu ziehen, abweichende Meinungen zu äußern, wenn Urteil und gesunder Menschenverstand andeuten, dass etwas falsch ist, selbstkritisch zu sein, Behörden herauszufordern, historische Fakten zu verstehen, Wahrheit von Lügen zu unterscheiden, für Veränderung einzutreten und anzuerkennen, dass es andere Ansichten gibt, verschiedene Arten des Seins, die moralisch und sozial akzeptabel sind, sterben aus. Obama hat hunderte Millionen Dollar an Wahlkampfgeldern ausgegeben, an dieses Analphabetentum zu appellieren und diese sowie Irrationalismus zu seinem Vorteil auszunutzen, aber diese Kräfte werden zeigen, dass sie die tödlichste Nemesis sind, wenn sie mit der furchtbaren Realität kollidieren, die vor uns liegt.

Chris Hedges war fast 2 Jahrzehnte Auslandskorrespondent in Zentralamerika, dem Nahen Osten, Afrika und dem Balkan. Er hat aus 50 Ländern berichtet für zahlreiche bekannte Blätter.

Quelle - källa - source

5 Kommentare:

  1. Nicht zu vergessen, das Handy mit der Spracheingabe und der Sprachausgabe.

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    1. Du musst dich schon etwas genauer ausdrücken. Das verstehe ich nicht.

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  2. Das Bedrückendste ist leider, dass es in Deutschland genauso ist bzw. wird. Oder noch schlimmer, mit der aktuellen Umvolkung. Man fragt sich, in wessen Interesse das ist, wer oder was dieses antreibt und wie es oder er mit der Konsequenz dieses Verhaltens umzugehen gedenkt. Zurück in die Steinzeit kann doch nicht die Lösung sein, oder doch?

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  3. Hätten die Europäer Putins Angebot angenommen und sich gegen Osten orientiert, wäre es zum rapiden Untergang der USA gekommen, möglicherweise auch zu Tobsuchtsanfällen. Das hat man verhindert. Und jetzt will man EU so schwächen, dass die USA wieder fette Profite einfahren
    können. Und möglichst auch noch einen Krieg EU gegen Russland, um sich gegenseitig zu schwächen und die USA auf der Zuschauerbank.

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  4. Zum selbstständigen und rationalen Denken und das daraus resultierende Ergebnis auch zu äußern, dem müßte zu allererst die Erlaubnis dazu vorliegen. Wenn aber eine Gesellschaft verstummt, weil sie Mundtot gemacht wurde und an seinen Gedanken wie an einem Frosch ersticken muß, kann sie nur noch lollen und hadeellen (hdl). Worte werden immer weniger, man fährt oder geht nicht mehr zu einem Laden, nein "bin Laden". Zwei Worte reichen aus, um einem anderen zu verdeutlichen, daß man vorhat, eine Einkauf zu tätigen. Aber trotzdem versteht die Gesellschaft, was gemeint ist.
    Wenn mir jemand ein "hdl" entgegenbringen würde, wäre meine Reaktion darauf: "das habe ich". Und dann kann man mal schauen, wie einem die Blödheit entgegenguckt. Wenn man dann korrigiert (nicht kritisiert) kommt ein: "ja, aber .........ja keine Ahnung, aber das ist doch heute so". Und genau dieses "keine Ahnung" greift immer mehr um sich. Aber was soll es? Nicht die Sprache wird in Zukunft entscheiden, wichtig ist, daß die Nackenwirbel intakt und geschmeidig bleiben, um immer schön zu nicken. Für die Verneinung per Kopfbewegung hat sich leider links und rechts neben diesen Nackenwirbeln schon eine Sperre durch verkrampfte Muskeln gebildet. Aber einen Vorteil hat diese Halssperre: es besteht keine Gefahr, ein Wendehals zu werden.

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