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Mittwoch, 14. Dezember 2016

Italiens Referendum und politische Krise: Demokratie gegen Neoliberalismus


Prof. Cinzia Arruzza
5. Dezember 2016
Aus dem Englischen: Einar Schlereth
Frauen gegen Gewalt in Rom
Hört man die Medien, könnte man meinen, dass das Ergebnis des gestrigen Referendums ein weiterer Sieg des rechten Populismus gegen die Demokratie wäre. Die Situation ist jedoch viel komplexer als so, und der Nicht-Sieg ist ein Sieg für die Demokratie und zur Verteidigung der sozialen Rechte, den zu feiern, es wert ist.

Die von Matteo Renzis Regierung vorgeschlagene Verfassungsreform war politisch illegitim in ihrer Methode und antidemokratisch in ihrem Inhalt. Das gegenwärtige Parlament wurde mit einem Wahlgesetz auserkoren, das vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig beurteilt wurde. Darüberhinaus wurde Renzis Regierung geschaffen, nachdem es ihm gelungen war, die Demokratische Partei als Geisel zu nehmen, ihre Linke zu marginalisieren und die vormalige Mehrheit insgeheim zu einer „Nein“-Abstimmung im Parlament gegen den Präsidentenkandidaten – Romano Prodi – zu organisieren, der von der PD-Führung aufgestellt wurde.

Am Ende übernahm Renzi den Stil des ehemaligen Premier Silvio Berlusconi, eine Verfassungsreform vorzuschlagen, nicht, indem er versuchte, einen breiten Konsens im Parlament zu erreichen, sondern indem er institutionelle Tricks anwandte, eine parlamentarische Diskussion zu blockieren bis zu dem Punkt, dass die Opposition beschloss, aus Protest nicht an der Abstimmung über die Reform teilzunehmen. Was den Inhalt betrifft, so war diese Verfassungsreform der letzte einer ganzen Serie von Versuchen, die Verfassung zu ändern in Richtung einer stärkeren Exekutive auf Kosten demokratischer Vertretung.

Das italienische Volk wies den vorigen Versuch 2006 von Berlusconi zurück, als die Mitte-rechts-Regierung versuchte, eine Präsidial-Reform der Verfassung durchzudrücken. Aber das ist eine viel ältere Geschichte, die bereits in der Nachkriegs-Ära begann. Die Verfassung von 1948 war das Ergebnis eines Kompromisses zwischen den drei stärksten Kräften des anti-faschistischen Widerstands: die Christdemokraten, die Italienische Kommunistische Partei und die liberal-sozialistische Aktions-Partei.

Doch ein Sektor der italienischen politischen Klasse hat niemals die demokratischen Freiheiten und die egalitären Prinzipien jener Verfassung akzeptiert. Die Story der Angriffe auf die Verfassung ging ständig in den vergangenen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts weiter mit verschiedenen Versuchen, die Verfassung zu ändern und mit immer anti-demokratischeren Reformen des Wahlrechts, die mit Hilfe der Mitte-links-Regierung das Parlament durchliefen.

Um das Ergebnis dieses Referendums zu erklären, bei dem es eine massive Wahlbeteiligung von 67% gab und das 'Nein' 60 % der Stimmen bekam, muss man sich das Zusammenlaufen verschiedener Faktoren anschauen. Kräfte quer durch das politische Spektrum waren aus unterschiedlichen Gründen dagegen. Auf der Linken wurde die Maßnahme von der CGIL, der größten Gewerkschaft des Landes abgelehnt; auch von der Linken in der Demokratischen Partei, auch von ihrem vormaligen Sekretär; von der Nationalen Vereinigung Italienischer Partisanen (ANPI); von der ganzen radikalen Linken, einschließlich der linken Gewerkschaften, der sozialen Koalitionen, der Studentenorganisationen und den verschiedenen Netzwerken von Co-Working-Spaces sowie von einer Anzahl prominenter links angehauchter Rechts-Experten wie Gustavo Zagrebelsky. Die Argumente reichten von der Verteidigung der demokratischen Vertretung und Volks-Souveränität gegen das Prinzip der Regierbarkeit bis zur Opposition von Renzis aggressivem neoliberalem politischen Projekt, von dem die Verfassungsreform nur ein Teil war.

Auf der Rechten wurde die Reform opportunistisch abgelehnt durch die xenophobische Nordliga, von der rechten nationalistischen Partei Fratelli d'Italia, von den neo-faschistischen Kräften wie Casa Pound und Forza Nuova und – widerstrebend – von Berlusconi. Der Grund für die Opposition der Mainstream-Rechten ist ziemlich klar: da Renzi die Wahl zur Verfassungsreform extrem personalisierte und das Schicksal seiner Regierung an das Ergebnis des Referendums knüpfte, sah die gegenwärtige desorganisierte und fragmentierte Rechte es als Gelegenheit, die Regierung loszuwerden und einen Prozess zu beginnen, der es ihnen erlaubt hätte, sich neu zu gruppieren und wieder wettbewerbsfähig zu werden.

Schließlich ist die Fünf-Sterne-Bewegung, eine alles umfassende populistische Bewegung mit höchst widersprüchlichen Positionen, der Verfassungsreform von Anfang an in der parlamentarischen Debatte dagegen gewesen und hat bei jeder Gelegenheit gegen die Verletzung der elementarsten parlamentarischen Regeln der Regierung protestiert. Die Gründe für ihre Position war die Kombination der Verteidigung der parlamentarischen demokratischen Regeln und der Ambition, die PD als Italiens größte Partei zu überflügeln.

Die eindrucksvolle Niederlage von Renzis Projekt wird wahrscheinlich eine Periode der Verwirrung und der Instabilität einleiten. Die liberalen Ängste deswegen sind jedoch völlig daneben. Im Verlauf von fünf Jahren haben die politischen Kräfte, die am stärksten an die Interessen und Projekte der EU gebunden waren, einen wuchtigen Angriff gegen die sozialen Rechte geführt: die technokratische Mario Monti-Regierung unterstützt von Mitte-links führte die Verpflichtung für ein ausgeglichenes Budget in die Verfassung ein, gehorsam gegenüber den Europäischen Verträgen, was sogar moderate Keynes-Politik für öffentliche Ausgaben verfassungswidrig machte. Dieselbe Regierung setzte auch die verheerende Pensions-Reform durch, von der Teile durch das Verfassungsgericht als verfassungswidrig bezeichnet wurden.

Aber es war Renzis Regierung, der gelang, woran Berlusconi scheiterte. Die schlimmsten Reformen seiner Regierung waren die Maßnahmen wie das Job-Gesetz, das Artikel 18 der Arbeiterstatute beseitigte, das den Arbeitgebern nicht erlaubte, Arbeiter grundlos zu feuern, und weitere Formen der Prekarisierung der Arbeit einführte; und die Reform des öffentlichen Schulsystems, das signifikant das Management nach Art von Großunternehmen in den Schulen stärkte, die Arbeitsbedingungen der Lehrer und die Natur der Curricula der Studenten entschieden verschlechterte.

Und am Ende hoffte Renzi, eine anti-demokratische Verfassungsreform durchzubringen in Verbindung mit einem neuen Wahlgesetz, das ein Mehrheits-Bonus-System in der Abgeordneten-Kammer eingeführt hätte: dessen Ergebnis die totale Kontrolle der Regierung über das Parlament gewesen wäre, einschließlich der Kontrolle der parlamentarischen Diskussion über Gesetze, die als Teil des Regierungsprogramms angesehen werden.

Es lohnt sich, in Betracht zu ziehen, was geschehen wäre, wenn JA gewonnen hätte. Wahrscheinlich hätten wir das weitere Ansteigen der Populisten und äußersten Rechten in Italien erlebt, angefeuert von einer Mitte-links-Regierung, die unaufhörlich Sparsamkeit und neoliberale Politik predigte, was die Lebensbedingungen der italienischen Bevölkerung entschieden verschlechterte, besonders der jungen Leute, deren Chancen, einen Job zu finden, bei Null liegen. (Nicht umsonst haben 81 Prozent der Wähler zwischen 18 und 34 Jahren Nein gestimmt und JA gewann bei den Wählern über 53.)

Hätte JA gewonnen, hätten wir eine Fünf Sterne Regierung riskiert oder eine Rechte mit größerer Exekutiv-Vollmachten als die gegenwärtig von der Verfassung gebilligt werden. Von den Bonus-Effekten des Mehrheits-Systems gar nicht zu reden. Und selbst im Fall, Renzi wäre es gelungen, eine Mehrheit für Mitte-links bei den nächsten Wahlen zu erzielen, hätten wir noch mehr Neoliberalismus bekommen mit einer noch stärkeren Regierung ohne Spielraum für effektive Opposition.

Die Haupt-Motivation hinter dem NEIN-Votum war die Opposition gegen die Regierung. Aber unabhängig von den unterschiedlichen Motivationen hinter dem Nein-Votum hat der Ausgang des Referendums die Demokratie und Volks-Souveränität verteidigt, hat das politische System destabilisiert in einer Phase, wo Stabilität nur weitere Angriffe auf die demokratischen Freiheiten und sozialen Rechte bedeutet, und öffnete politischen Spielraum für die mögliche Wiedergeburt von sozialen Bewegungen. Am 26. November sind 150 000 Frauen in Rom gegen die männliche Gewalt und mit einer radikalen Plattform auf die Straße gegangen, und am folgenden Tag trafen sich tausende zu Versammlungen und in Workshops und forderten einen Frauenstreik am 8. März, der den Kampf gegen die Gewalt mit der Opposition gegen die Sparpolitik, die Kürzungen der sozialen und Gesundheits-Leistungen und die Unsicherheit der Jobs miteinander verbindet.

Frauen-Vesammlungen sind schon im ganzen Land entstanden, als Vorbereitung für die März-Aktionen. Der Kampf, der uns bevorsteht, wird natürlich hart sein, da die Rechte bereits versucht, aus dem Referendum-Ergebnis Kapital zu schlagen unter Verheimlichung der Tatsache, dass selbst ein großer Teil der PD-Wähler gegen die Reform stimmte. Aber die Antwort kann nicht Angst sein, denn das stärkt nur die Rechte. Die Antwort muss ein Rückgriff auf die Politik der Konfrontation sein, die mit einer Teilnahme am Frauenstreik am 8. März anfängt, der den Weg für den sozialen Widerstand freimacht.

Quelle - källa - source

2 Kommentare:

  1. Die verrückten Schweden bereiten sich auf Krieg mit Russland vor, meldet heute Kopp online.

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  2. PS. es müsste heißen : Der Bericht kam auf Gegenfrag "Bürgender".

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