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Donnerstag, 17. August 2017

Der Rückschlag der Globalisierung

Dieser Artikel ist nur scheinbar auf dem neuesten Stand. Was die wirtschaftliche, soziale und Umweltsituation angeht, ist der Autor keineswegs up-to-date (siehe den Artikel  vom 13. 8. 17 auf diesem Blog "Chinas Wirtschaft zeigt starke Widerstandskraft").



Alex Jensen

10. August 2017

Aus dem Englischen: Einar Schlereth

Smog aus China flüchtet in die USA
Alex Jensen stellt die Annahme in Frage, dass Länder wie China und Indien wirklich die „schlimmsten Übeltäter“ sind, was den Beitrag zur globalen Luftverschmutzung und andere Umwelt-Übel angeht. Er kommt zum Schluss, dass der Tadel stattdessen dort hingelegt werden muss, wo er hingehört – vor die Tür der multinationalen Unternehmen und ihre enorm profitablen globalen Handelsnetzwerke.

Eine neue Studie über Luftverschmutzung im Westen der USA brachte erschreckende Funde: trotz 50 % Senkung der US-Emissionen von Smog-produzierenden Chemikalien wie Stickstoffoxyde (NOx), ist der Smog in dieser Periode im ländlichen Westen der USA gestiegen – sogar in solch unberührten Gegenden wie dem Yellowstone Nationalpark. Der größte Teil der Zunahme wurde im „Zustrom aus asiatischen Ländern wie China, Nord- und Südkorea, Japan, Indien und anderen südasiatischen Ländern entdeckt“. [1] Das liegt daran, dass in derselben Periode, in der die NOc Emissionen in den USA sanken, sie sich in Asien insgesamt verdreifachten. [2] In den Medienberichten über die Studie werden China und Indien als die „größten Übeltäter“ dieser flüchtigen „asiatischen Verschmutzung“ beschrieben.[3]

Stützt man sich allein auf diese Studie, kommt man zu der vernünftigen Schlussfolgerung, dass die USA in den jüngsten Jahrzehnten umweltfreundlicher geworden ist, während Asien – besonders das ‚sich entwickelnde‘ Asien – ein wahrer ‚Öko-Schurke‘ ist, der nicht nur seine eigenen sondern auch globale Luftschichten mit Verschmutzung erstickt. Der neue anti-Umwelt EPA Direktor Scott Pruitt erklärte jüngst diese Ansicht als Grund, weshalb die USA das Pariser Klima-Abkommen verlassen sollte: „[China und Indien] verschmutzen viel mehr als wir.“[4]

Was fehlt?

Eine ähnliche Studie über  die globale Luftverschmutzing von 2014 mit Fokus auf China und die USA machte vergleichende Untersuchungen, aber umfasste einen wichtig Faktor, der in der jüngsten Studie fehlt: die Produktion für den Export. Unter anderem fragten die Wissenschaftler der älteren Studie, wieviel der chinesischen Luftverschmutzung die in die USA driftete speziell erzeugt wurde bei der Produktion von Exporten für die westlichen Märkte (einschließlich der Spitzenempfänger chinesischer Produkte die USA).

Die Antwort? 2006 wurden 24 % der Schwefel-Konzentrationen über der westlichen USA in Chinas Produktion von Exporten in die USA erzeugt. [5] Wendet man diese Befunde auf die neuere Studie an, dann ist es wahrscheinlich, dass ein bedeutender Prozentsatz des asiatischen Stickstoffs bei der Produktion von Gütern für die USA ausgestoßen wird.

Mit anderen Worten ist es sinnlos von einer „asiatischen Verschmutzung“ in diesem Kontext zu sprechen. Obwohl die Emission in Asien stattfand, gehört sie eigentlich in das Land/Länder, für die die Produkte erzeugt werden. Noch genauer gehört die Verschmutzung zu den Multis, die die wahren Betreiber  und Nutznießer nicht allein beim Offshoring sind, son


dern auch vom unersättlichen Konsumdenken durch das Marketing und Produktveralterung.

Die ökonomische Globalisierung hat die manische Suche der Multis  in der Welt ermöglicht nach den ‚liberalsten‘ (d. h. Am wenigsten regulierten) Ländern, wo Produktionsanlagen aufgestellt werden können – die Orte, wo die Ausgaben minimiert und die Profite maximiert werden können. Da die größten Abzüge bei Profiten durch Steuern, Umweltregulierungen, anständigem Arbeitsschutz und Löhnen anfallen, sind die Anlagen der Multis in den Ländern gemacht worden, wo die Kosten am niedrigsten oder gar nicht vorhanden sind.

Durch Stärkung  ihrer ökonomischen Macht hat die Globalisierung den Multis auch die Fähigkeit verschafft, Regierungen zu kaufen, die dann mithelfen, die Welt umzugestalten durch ‚freie‘ Handelsverträge, supra-nationale Institutionen wie den IWF, die WTO und die Weltbank sowie Subsidien und Erleichterungen, um Großunternhmen anzulocken.

Dieses ganze System der Globalisierung, Produktions-  und Verschmutzungs-Offshoring wird von der Logik der Profit-Maximierung angetrieben, die die Multis beherrscht. Es wird zudem geschmiert durch immer mehr bilaterale und globale Freihandelsabkommen. Wie der Ökonom Martin Hart-Landsberg schreibt:

„Mit Beginn am Ende der 1980-er Jahre begannen große multinationale Unternehmen, einschließlich solcher mit Hauptquartier in den USA, in einer gemeinsamen Anstrengung, die sinkenden Profite zu stoppen, indem sie grenzüberschreitende Netzwerke (oder globale Wert-Ketten) errichteten. Dieser Prozess verknüpfte stark unterteilte ökonomische Prozesse über nationale Grenzen hinweg auf eine Weise, die es diesen Unternehmen erlaubte, die Arbeiterkosten zu senken und auch ihre Steuern und Umwelt-Verpflichtungen. Ihre Globalisierungs-Strategie war erfolgreich; die Unternehmensprofite schossen in die Höhe. Es hilft auch nicht mehr, über internationalen Handel in einfachen Nationalstaats-Begriffen zu denken.“[6]

China – das zusammenarbeitete mit dem globalen Kapital, um sich selbst in die ‚Fabrik der Welt‘ zu verwandeln [7 – was längst überholt ist. Diese Rolle spielen jetzt vor allem Vietnam, Thailand etc. D. Ü.] - trägt den Löwenanteil des Globalisierungs-Last. Aber wenigstens ist China im Ergebnis reich geworden oder? Gewiss, es gibt eine entstehende wohlhabende (und super-wohlhabende) Klasse in China, die von der Globalisierung profitiert, aber sie ist ein winziger Teil der Gesamtbevölkerung.[8] Die Masse der Arbeiter und Arbeiter für ‚schlechte Arbeit‘ [9] profitieren nicht von der Umwandlung Chinas in eine Fabrik der Multis: der Anteil der Arbeiterlöhne am BNP ist seit Ende 1990 stetig gefallen [10]. Für ein modernes elektronisches Produkt wie ein iPhone gehen weniger als 2% (etwa 10 US $) des Verkaufspreises an chinesische Arbeiter.[11]

Wer also treibt Chinas export-orientierten Boom an? Nochmal ein Zitat von Hart-Landsberg: „Es sind nicht die chinesischen Staatsbetriebe und auch nicht die privaten Betriebe, die den Export in die USA ankurbeln. Vielmehr sind es ausländische Multis, viele mit Hauptquartier in den USA wie Apple, Dell, Walmart.“ [12] 2013 trugen ausländische Multis mit 47 % zu allen China-Exporten bei  (und über 80 % von high-tech-Produkten) verglichen mit 11 % chinesischer staatseigener Unternehmen. [13] US – Multis beherrschen und kontrollieren die Exporte Made in China.
   
Die Aufteilung der Profite von chinesischen Waren ist auch stark verzerrt zugunsten ausländischer Unternehmen. Für Telekommunikations-Ausrüstung produzierte China 2013 38 € der Weltexporte, aber ihr Anteil am Profit betrug gerad mal 6%, während die US-Firmen 59 % einsackten. Ähnliche Ungleichgewichte gibt es im Fall Textilien, wo US-Firmen 46 % des Profits für sich verbuchten. [14]

Von der Produktion, dem Verkauf und Transport der global gehandelten Güter bis zur Verschiffung des anstehenden Abfalls zurück nach China [15] nun zur profitablen ‚Anpassung‘ an die grässliche Luftverschmutzung [16], sind die Multis die Haupttriebkräfte und Nutznießer dieses Systems. Mit anderen Worten werden die chinesische Produktion und Exporte von den USA und anderen fremden Unternehmen beherrscht und – genau wie die Verschmutzung, die um den Globus driftet – keineswegs wirklich ‚chinesisch‘. [17]

Diese „asiatische Verschmutzung“ kann sogar eine noch tiefere Verbindung zum amerikanischen Westen haben, wohin sie jetzt driftet. Die weltgrößten Über-Tage-Bergwerke sind die Black Thunder Bergwerke im Powder River Bassin an der Wyoming/Montana Grenze. Der Besitzer und Betreiber der Mine ist Arch Coal und er exportiert erhebliche Mengen dieser regierungseigenen Kohle an Orte wie China, wo sie verbrannt werden, um die Fabriken mit Energie zu versehen, die amerikanische Konsumgüter herstellen. [18]

Es wurde weithin festgestellt, dass die US-Konsumenten den größten ökologischen Fußabdruck in der Welt haben. Während man die Individuen nicht vollständig freisprechen kann – besonders nicht die auf den oberen Stufen der sozio-ökonomischen Stufen – dieses verschwenderische System am Leben zu erhalten, kann doch argumentiert werden, dass diese großen ökologischen Fußabtritte nicht völlig ihre eigenen sind. Die kombinierten Effekte der aggressiven Vermarktung, Anzeigen und die geplante Produkt-Veralterung [19] bedeuten, dass der übergroße Fußabdruck des amerikanischen Konsumenten großenteils eine Konsequenz und Reflektion der globalen Macht der Multis ist. In diesem Sinn ist es vielleicht genauer, vom korporativen ökologischen Fußabdrücken zu reden als Fußabdrücken von Ländern oder Individuen.

Globalisierung hat auch  die Distanzierung von Ursache und Wirkung bedeutet, von Quelle und Spüle, sodass die Verschmutzung und die menschliche Ausbeutung, die durch Produktion und Transport der Güter anfällt, unsichtbar und undurchsichtig wird. Wie Wendell Berry sagt, „Die globale Ökonomie institutionalisiert eine globale Ignoranz, bei der Produzenten und Konsumenten einander nicht kennen und sich nicht kümmern und bei der die Geschichte aller Produkte verloren geht.“[20]

Bis jetzt, so scheint es, dass die Verschmutzungs-Offshoring der Multis für die nördlichen Politiker leicht und bequem zu ignorieren ist – sie verschwand schließlich offshore.  Natürlich hat die globale Erwärmung bereits gezeigt, dass der Export von Verscmutzungs-Produktion in den globalen Süden sinnlos ist, was die Atmosphäre und das Klima der Erde betrifft. Aber die örtliche Luftqualität wurde als etwas anderes gesehen, so dass die Smog-Schrecken bei der Industralisierung Chinas oder Indiens für Nordamerika in sicherer Entlfernung lagen. Jetzt nicht mehr. Jetzt, außer dass die Produkte magischerweise in den westlichen Verkaufsregalen auftauchen, ohne Geschichte und Ursprung, taucht auch die bislang entfernte Verschmutzung bei ihrer Produktion hier auf. Sie kommt nachhause zum Rösten.  Der Blowback der Globalisierung.


Fußnoten:

[1] Lin, M., Horowitz, L., Payton, R., Fiore, A., and Tonnesesn, G. (2017) ‘US surface ozone trends and extremes from 1980 to 2014: quantifying the roles of rising Asian emissions, domestic controls, wildfires, and climate’, Atmospheric Chemistry and Physics 17(4).

[2] Lin et al. 2017.

[3] e.g., Rice, D. (2017) ‘Air pollution in Asia is wafting into the USA, increasing smog in West’, USA Today, 2 March. https://www.usatoday.com/story/weather/2017/03/02/air-pollution-asia-wafting-into-usa-increasing-smog-west/98647354/#.

[4] Kessler 2017 ‘EPA Administrator Scott Pruitt’s claim that China and India have ‘no obligations’ until 2030 under the Paris Accord’, The Washington Post, 14 April. https://www.washingtonpost.com/news/fact-checker/wp/2017/04/14/epa-administrator-scott-pruitts-claim-that-china-and-india-have-no-obligations-until-2030-under-the-paris-accord/.

[5] Lin, J., Pan, D., Davis, S., Zhang, Q., He, K., Wang, C., Streets, D., Wuebbles, D., and Guan, D. (2014) ‘China’s international trade and air pollution in the United States’, PNAS 111(5), 4 February. http://www.pnas.org/content/111/5/1736.abstract.

[6] Hart-Landsberg, M. (2017a) ‘Trump’s Economic Policies Are No Answer To Our Problems’, Reports from the Economic Front, 13 February. https://economicfront.wordpress.com/2017/02/13/trumps-economic-policies-are-no-answer-to-our-problems/.

[7] David Harvey, among others, tells the complicated tale of how this transformation occurred: Harvey, D. (2005) A Brief History of Neoliberalism, Oxford and New York: Oxford University Press. ‘Neoliberalism ‘with Chinese Characteristics’’ (ch. 5).

[8] By 2015 China was expected to have the world’s fourth-largest concentration (4.4 million) of wealthy people (Atsmon, Y. and Dixit, V. (2009) ‘Understanding China’s wealthy’, McKinsey Quarterly. http://www.mckinsey.com/business-functions/marketing-and-sales/our-insights/understanding-chinas-wealthy), and where 80 of the 113 Asian billionaires (and over half the world’s total) reside (71% of Asia’s new billionaires in 2015, up from 35% in 2009) ( (Butt, R. (2016) ‘China gets a new billionaire every 5 days’, Business Insider, 13 October. http://www.businessinsider.com/the-number-of-billionaires-growing-fastest-in-china-asia-2016-10).

[9] ‘Bad labor’ refers to vulnerable, health-damaging, gender unequal, child and forced labor. Simas and colleagues have looked at the relationship between globalization of production chains and ‘bad labor footprints’, and estimate that more than half of such footprints behind “wealthy lifestyles of affluent regions” occur in the production of exported goods in un-affluent regions/countries, with the majority of these being in Asia. Up to 30% of bad labor conditions in poor countries are related to the production of exports (Simas et al. 2014 ‘The “Bad Labor” Footprint: Quantifying the Social Impacts of Globalization’, Sustainability 6.).

[10] Hart-Landsberg 2017a, op cit.

[11] Ibid.

[12] ibid.

[13] ibid.

[14] Hart-Landsberg, M. (2017b) ‘US Corporations Continue Their Global Dominance’, Reports from the Economic Front, 21 April. https://economicfront.wordpress.com/2017/04/21/us-corporations-continue-their-global-dominance/.

[15] US exports of waste to China ballooned by 916 percent from 2004-2008, with most of that expansion occurring after 2004 (Allen, J. (2010) ‘America’s Biggest Trade Export to China? Trash’, US News & World Report, 3 March. https://www.usnews.com/opinion/blogs/jodie-allen/2010/03/03/americas-biggest-trade-export-to-china-trash) and over half of US plastic waste – and 40% of the world’s – goes to China (Guilford, G. (2013) ‘US states banned from exporting their trash to China are drowning in plastic’, Quartz, 21 August. https://qz.com/117151/us-states-banned-from-exporting-their-trash-to-china-are-drowning-in-plastic/). In 2012, the US exported nearly 90% of its annual 10 million tons of toxic electronic-waste to Asia, expected to increase 33% by this year (Lewis, T. (2013) ‘World’s E-Waste to Grow 33% by 2017, Says Global Report’, LiveScience, 15 December. http://www.livescience.com/41967-world-e-waste-to-grow-33-percent-2017.html).

[16] E.g. Rivera, G. (2013) ‘Pollution in China: The Business of Bad Air’, World Affairs Journal, May/June. http://www.worldaffairsjournal.org/article/pollution-china-business-bad-air; Ferris, R. (2014) ‘Pollution has boosted 3M sales in China’, CNBC, 18 December. http://www.cnbc.com/2014/12/18/china-makes-pollution-3m-makes-products-to-help-them-with-it.html; Luedi, J.

(2016) ‘Meet the companies cashing in on China’s pollution crisis’, Global Risk Insights, 14 January. http://globalriskinsights.com/2016/01/meet-the-companies-cashing-in-on-chinas-pollution-crisis/.

[17] Hart-Landsberg, M. (2017b) ‘US Corporations Continue Their Global Dominance’, Reports from the Economic Front, 21 April. https://economicfront.wordpress.com/2017/04/21/us-corporations-continue-their-global-dominance/.

[18] Warrick, J. (2015) ‘U.S. exports its greenhouse-gas emissions — as coal. Profitable coal’, The Washington Post, 15 October. https://www.washingtonpost.com/world/us-exports-its-greenhouse-gas-emissions—as-coal-profitable-coal/2015/10/08/05711c92-65fc-11e5-bdb6-6861f4521205_story.html.

[19] See Gorelick, S. (2017) ‘Our Obsolescent Economy’, Local Futures blog, http://www.localfutures.org/our-obsolescent-economy/

[20] Berry, W. (2003) ‘The Whole Horse’, in Citizenship Papers, Shoemaker and Hoard.

Alex Jensen is Project Coordinator at Local Futures. He has worked in the US and India, where he co-ordinated Local Futures’ Ladakh Project from 2004-2015. He has also been an associate of the Sambhaavnaa Institute of Public Policy and Politics in Himachal Pradesh, India. He has worked with cultural affirmation and agro-biodiversity projects in campesino communities in a number of countries, and is active in environmental health/anti-toxics work.

Originally published on the Economics of Happiness Blog at http://www.localfutures.org/globalizations-blowback/.


Quelle - källa - source

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