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Samstag, 26. Januar 2013

Der 'Ägyptische Frühling' – doppelter und dreifacher Verrat – Morsi ist die andere Seite der Mubarak-Münze

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Einar Schlereth
26. Januar 2013


Wieder Hunderttausende auf dem Tahrir-Platz


Die ägyptische Revolution hat kein gesundes, wohlgeformtes Kind geboren. Wie alle 'Revolutionen' des arabischen Frühlings ist sie mit von US-gesponsorten und trainierten sozialen Medien in Gang geschoben worden. Aber es gab natürlich Voraussetzungen. Die Unzufriedenheit im Volke war groß und allgemein. Die wirtschaftliche Lage des Landes und der großen Mehrheit der Bevölkerung war verheerend. Es hatte vorher schon große Streiks, vor allem in der Textil-Industrie im Delta, aber auch der Landarbeiter an verschiedenen Orten im Lande gegeben. Es bedurfte also nur eines Funkens, um eine Explosion auszulösen.

Nun, wir haben alle life verfolgen können, wie die Demos von Tag zu Tag größer wurden, ebenso wie die Gewalt von Mubaraks Sicherheitsdienst, Schlägertrupps und am Ende auch der Armee, die sich anfangs zurückgehalten hatte - ja manche Einheiten fraternisierten gar mit den Demonstranen. Abwesend war die Moslem-Bruderschaft.

Die Amerikaner merkten, dass es an der Zeit war, Mubarak aus dem Verkehr zu ziehen. An seine Stelle trat der Chef des Obersten Rates der Streitkräfte Tantawi, ein altbewährter Kumpel des Pentagon. Mubarak wurde weit weg in ein Eholungsheim gebracht und die Armee ging noch härter gegen die Demonstranten vor.
Dann wurde die Frage der Neuwahlen diskutiert. Es war eine Hauptforderung des Volkes und ließ sich nicht umgehen. Da machte Tantawi einen geschickten Schachzug und setzte sie sehr kurzfristig an, wohl wissend, dass die einzigen gesellschaftlichen Kräfte, die über eine ordentliche Organisation verfügten, die Armee war und die Moslem-Bruderschaft, die aber nicht teilnehmen wollte. Für alle anderen Gruppen blieb kaum Zeit, Parteien zu gründen, geschweige denn schlagkräftige Parteiapparate aufzubauen.

Somit meldete die Moslem-Bruderschaft plötzlich doch ihr Interesse an, da sie schließlich jahrzehntelang unter der Armee besonders zu leiden gehabt hat. Ihr Kandidat Morsi war der einzige ernst zu nehmende Gegenkandidat der Armee Suleiman. Erwartungsgemäß gewann Morsi.


Man sah in ihm anfänglich eine Schachfigur der Armee, doch das war eine Täuschung. Er bootete recht schnell Tantawi aus und gab sich selbst diktatorische Vollmachten. Daraufhin gab es so große Proteste, dass er gezwungen war, sie zurückzunehmen. Doch es dauerte nicht lange, bis er eine neue Verfassung zusammenbastelte, die ihm ebenfalls erhebliche Machtbefugnisse verschaffen würde. Diese wurde per Referendum dem Volk zur Abstimmung vorgelegt, stieß aber schon im Vorfeld auf große Ablehung. Es gab riesige Demonstrationen und friedliche Sit-ins, aber Morsi rief die Armee zu Hilfe, die in gewohnter Weise brutal vorging. Wieder gab es zahlreiche Tote und viele Verletzte. Aber dies sind jetzt demokratische Tote, während unter Mubarak es diktatorische Tote waren.

Brutale Gewalt! Wo ist der Unterschied?
Lauthals wurde Morsis Sieg verkündet. Referendum mit 63.8 % Ja-Stimmen angenommen. Aber nun hat Mahdi Darius Nazemroaya die Zahlen etwas genauer unter die Lupe genommen. Nur 32.9 % der Wahlberechtigten haben ihre Stimme abgegeben oder 17.1 Mill. von 52 Millionen registrierten Wählern. Von diesen 17 Mill. haben 10.9 Mill. mit JA gestimmt (oder insgesamt 20.9% aller Wähler, resp. jeder 5. Ägypter).
„Das bedeutet“, so schreibte Nazemroaya, „dass 35 Mill. Wähler sich entweder 1) nicht um die Wahl kümmerten oder 2) das Referendum boykottierten oder 3) nicht zu einem Wahllokal gelangen konnten. In manchen Ländern würde eine solche Wahl für ungültig erklärt werden wegen zu geringer Wahlbeteiligung.“

Noch anders ausgedrückt, haben von 82 Mill. * Ägyptern nur 10.9 Mill. oder 13.3 % die neue Verfassung gebilligt. Dies ist ein katastrophales Ergebnis. Es bedeutet auch, dass auf jeden Fall jene, die das Machwerk ablehnen, in der Mehrheit sind.

Obendrein hat die Moslem-Bruderschaft bislang keine Pluspunkte sammeln können. Die wirtschaftliche Lage der Menschen hat sich um keinen Deut verbessert – viele bezeichnen sie sogar als noch schlechter. Morsi hat den gesamten Beamten- und Polizeiapparat von Mubarak unbesehen übernommen.

Auch außenpolitisch hat er bisher kein Versprechen eingehalten. Er hatte gelobt, die Grenzen zu Gaza zu öffnen, um den Palästinensern zu helfen. Stattdessen hat er an Netanyahu eine Ergebensaddresse geschickt, von vielen als Liebesbrief bezeichnet. Er hat den „Friedensvertrag“ von Camp David mit Israel nicht widerrufen und liefert auch weiterhin Gas zu Spottpreisen an die Israelis. Morsi hat sich auch dem IWF unterworfen und die Armee bekommt nach wie vor ein paar Milliarden Dollar von den USA. Und nun noch das mörderische Dreinschlagen auf alle Demonstranten! Das hat endgültig alle Unterschiede zum vorherigen Diktator-Regime Mubaraks verwischt.

Fur den 13. Februar sind neue parlamentarische Wahlen angesetzt. Spätestens dann wird es zu weiteren schweren Auseinandersetzungen kommen. Das könnte natürlich die Folge haben, dass Morsi und die Armee übereinkommen, die Wahlen überhaupt fallenzulassen und auf den Sankt- Nimmerleinstag zu verschieben oder bis das eingekehrt, was alle Regierungen so gerne mit „Ruhe und Ordnung“ bezeichnen.

Angesichts des Ergebnisses beim Referendum fragt sich Nazemroaya, ob der Prozess als demokratisch angesehen werden kann. Er stellt fest, dass die Demokratie wieder und wieder per Wahlhurne gekapert wird. Das gelte nicht nur für die 3. Welt sondern auch für Länder wie die USA und Kanada, meint er. Demokratie kann nicht nur aus dem Wahlvorgang an sich bestehen, sondern müsste die aktive Beteiligung und kollektive Entscheidung aller Mitglieder der Gesellschaft erfordern – was man „direkte Demokratie“ nennt. Was wir haben, seien indirekte Demokratien, die mit Vorliebe „repräsentative Demokratien“ genannt werden.

So weit so gut. Da kann man außerdem sagen, das es in unseren „Demokratien“ wohl noch nie eine Wahl mit einer echten Mehrheit gegeben hat. Wir werden immer von Minderheiten an die Wand gedrückt. Echte Mehrheiten gibt es seit einigen Jahren nur in den „Diktaturen“ Venezuela, Bolivien und Ecuador.

Wie man eine direkte Demokratie herstellt, ist eine Frage, die immer wieder mal auftaucht. In Deutschland zuletzt bei den Grünen, die wieder das „imperative Mandat" herstellen wollten und damit kläglich gescheitert sind. Die m. E. einzig vernünftige Lösung hat es in der der Großen Französischen Revolution gegeben. Direktes, imperatives Mandat und nicht nur Wählbarkeit, sondern eben auch Abwählbarkeit. Und das ist der Knackpunkt, den man in der Sowjetunion „übersehen“ hat und lange Zeit auch in China. Erst Mao hat diesen Punkt in der Großen Kulturrevolution eingeführt. Na und das hat den Apparatschiks natürlich gar nicht gepasst. Mao hat also nicht gesponnen, als er vom „Zwei-Linien-Kampf“ sprach. Und dann ist er halt zu früh gestorben und Deng Xiaping hat mit dem Sozialismus kurzen Prozess gemacht – gegen erheblichen Widerstand. Mao war aber nicht nur ein guter Politiker, sondern er kannte auch seine Pappenheimer. Er hat ja genau gesehen, was der Deng für eine Figur war und stellte ihn kalt (ohne Genickschuss!).

Die Krux in Ägypten ist halt – genau wie im gesamten Westen auch - dass es keine wahre linke Alternative gibt. Es gibt Liberale, Demokraten, eine Art Sozialdemokraten und alles Mögliche – nur keine Linke. Deshalb wird es in absehbarer Zeit auch keinen wirklichen Fortschritt geben, sondern im besten Fall einen Abklatsch unserer „Demokratien“ und im schlechtesten Fall irgendeine andere Variante der Morsi-Kompradoren-Regimes. Das arme ägyptische Volk!



* Laut ägyptischem Statistikbüro vom 18. Januar 2013 beträgt Agyptens Bevölkerung sogar 83.774. 037 Millionen. Damit sieht Morsis „Mehrheit“ noch kümmerlicher aus.

Wer Lust hat, kann mal den Artikel lesen, den ich vor fast exakt 2 Jahren auf Tlaxcala veröffentlicht habe. Meine schlimmen Ahnungen trafen ziemlich genau ein Leider.

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