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Montag, 31. März 2014

"Friedliche Proteste" in Venezuela - welch ein Betrug - schaut selbst


Steve Ellner 29. März 2014


Die venezolanische Opposition und die meisten Medien benutzen den Ausdruck "friedliche Proteste", um die Versammlungen protestierender Studenten und anderer junger Leute von den gewaltsamen Aktionen wie Vandalismus und Schießereien außerhalb des Uni-Geländes zu unterscheiden.
Barrikaden werden von den Bewohnern von Las Vegas de Táriba beiseitegeräumt
"Friedliche Proteste" ist jedoch ein vorbelasteter Begriff, der dazu dient, die Absichten der Regierung in Zweifel zu ziehen. Erstens werden die Aktionen der Polizei und der Nationalgarde als eine Verletzung des verfassungsmäßigen Rechts, friedlich zu demonstrieren, dargestellt und zur gleichen Zeit wird die Regierung beschuldigt, die "brutalen" Proteste nicht unter Kontrolle bringen zu können.
In dem Zusammenhang stellt man Venezuela auch als einen gescheiterte Staat dar, wie es der Oppositionsführer Leopoldo López  in der New York Times in einem Leitartikel am 25. März tat. Eine weitere ausländische Unterstellung, die von den Medien benutzt wird, ist die Behauptung, dass die "brutalen" Demonstranten eigentlich chavistische Infiltratoren sind mit der Absicht, die Opposition zu verunglimpfen. Folglich hat die Gewalt absolut nichts zu tun mit den friedlichen Protesten und mit der Opposition im allgemeinen.

Die Argumentation der Chavistas spielt manchmal der betrügerischen Wortwahl der Opposition in die Hände, wenn sie den radikalen Flügel isolieren will. Indem sie an den Kern der Opposition der 'Mesa de la Unidad Democratica' (MUD) appelliert, sich an dem von der Regierung vorgeschlagenen "Friedensdialog" zu beteiligen, verstärkt sie die Unterscheidung zwischen "friedlichen" und "gewalttätigen" Demonstranten.


Proteste reichen von Störungen bis zu Todesfällen

Doch der Begriff "friedliche Proteste" ist irreführend, wenn nicht betrügerisch. Erstens sind so gut wie alle der tausende Proteste, die in den vergangenen sechs Wochen im ganzen Land stattgefunden haben, illegal gewesen und wären in keinem demokratischen Land in der Welt erlaubt worden. Im besten Fall bestehen "friedliche Proteste" aus Verkehrs-Blockaden auf großen Avenuen, die zu kilometerlangen Fahrzeugstaus führen, was tausende Menschen zwingt, eine Stunde oder mehr ihrer Zeit zu verlieren. Außerdem bestehen manche "friedliche Proteste" aus Barrikaden, Feuer und Ausgießen von Öl auf Fahrbahnen, die von Motorradfahrern benutzt werden. In diesem Sinn ist die Unterscheidung in "friedliche Proteste" und gewalttätige unscharf.

Eine weitere Verwischung der Unterschiede ist der Slogan der Opposition "Nicht mehr Tote", der den Eindruck erweckt, dass die friedlichen Demonstranten das Hauptopfer der Gewalt sind, wobei die Tatsache übergangen wird, dass von 36 Toten sechs Mann Sicherheitskräfte sind, dann etliche Chavistas und andere unschuldige Passanten, einige unschuldige und auch gewalttätige Protestler. Natürlich sind alle 36 Toten gleichermaßen tragisch, aber die Opposition verharmlost die Tatsache, dass viele der Verwundeten und Toten an Gewalt beteiligt waren.

Ein Bericht von Radio Alba Ciudad 96.3 FM erklärte: "Wir können beobachten, dass die meisten internationalen Medien in ihrem Eifer, die Regierung Venezuelas zu verleumden, versichern, dass alle Toten Studenten oder Mitglieder der Opposition sind, die von den Regierungskräften ermordet wurden, eine Behauptung, die bewiesenermaßen völlig falsch ist." Der Bericht erklärte, dass nur fünf der Toten auf das Konto der Sicherheitskräfte gehen. (Seht: 'Conozca los 35 fallecidos por las protestas violentas opositoras en Venezuela' - Lernt die 35 Toten der gewaltsamen Proteste kennen)

Sergeant Antonio Parra
Adriana Urquiola, 23

Gisella Rubilar


 Einige Gesichter der 35 Toten: Sergeant Antonio Parra von Demonstranten erschossen; Adriana, 23, im 5. Monat schwanger wurde auf dem Nachhauseweg von der Arbeit von "friedlichen Demonstranten" erschossen; Gisella wurde erschossen, als sie den Dreck der Demonstranten auf der Straße wegräumte.
Die Verteidigung der "Rechte" friedlicher Proteste benutzt Erklärungen von Menschenrechtsvertretern, dass in einer Demokratie ziviler Ungehorsam völlig legitim ist und die Demonstanten das Recht haben, auf die Straße zu gehen.

Doch erstens muss ein Unterschied gemacht werden zwischen Verkehrsbehinderungen um der Unterbrechung willen und Protestmärsche, die
wegen der großen Teilnehmerzahl statt auf dem Gehweg auf der Straße laufen. Zweitens ist das Ziel verantwortlichen zivilen Ungehorsams, eine Erklärung abzugeben und nicht Unterbrechungen zu verursachen. Ich habe Akte zivilen Ungehorsams in den Vereinigten Staaten gesehen, einen an der Uni Yale in New Haven, bei dem Hochwürden Jesse Jackson anwesend war, wo die Demonstranten blitzartig umringt wurden und ins Gefängnis transportiert wurden. 

Bei einer anderen Demo in Yale, die ich erlebte, gegen die Apartheid in den 80-er Jahren, hatte man zuvor mit der Behörde ausgemacht, dass man akzeptierte, ins Gefängnis gebracht und bestraft zu werden. Es gab keine "feindlichen Gefühle" zwischen Behörde und Demonstanten und die Details wurden vorher geplant, um öffentliche Störungen zu minimieren. Das ist weit von dem entfernt, was in Venezuela passiert. In vielen, wenn nicht allen Fällen, übersteigt die Zahl der Protestler nicht 50 Personen. Da kann man die Frage stellen: Warum benutzen sie nicht die Gehwege?
Die bewährten Heckenschützen

Es gibt noch eine Übereinstimmung zwischen friedlichen und gewaltsamen Demonstanten, was eine weitere Rechtfertigung zur Verfolgung beider führt. Obwohl die Opposition es manchmal leugnet oder es herunterzuspielen versucht, fordern beide Gruppen einen Regimewechsel, der in ihrem Hauptslogan "la salida" (Abgang) enthalten ist. Manche Oppositionsführer behaupten fälschlicherweise, dass sie bloß den "Rücktritt" von Präsident Maduro fordern und dass ein Regierungswechsel im Rahmen der Verfassung erreicht werden kann. Der einsitzende Führer Leopoldo López erklärte in seinem jüngsten Artikel in der New York Times "Ein Wechsel der Führung kann absolut in einem verfassungsmäßigen und legalen Rahmen erreicht werden". Diese Erklärung ist betrügerisch. Wenn Maduro zurückträte, würde die Präsidentschaft von dem Präsidenten der Nationalversammlung übernommen werden, was der Opposition absolut nicht gefallen würde.

Diese Legalitätsbehauptung ist eine Wiederholung des Coups vom 11. April 2002, als die Opposition versicherte, dass Präsident Chávez resigniert habe und Pedro Carmona bloß "ein Vakuum fülle" und folglich demokratisch handle. Nicht nur war die Behauptung vom Rücktritt von Chávez eine freche Lüge, sondern die nachfolgende Prozedur war eine vollständige Verletzung der Verfassung. Und Carmona hat am Ende überhaupt per Dekret die ganze Verfassung abgeschafft.

Die Opposition und der große Teil der nationalen und internationalen Medien behaupten, dass die "friedlichen Demonstranten" gegen konkrete Probleme demonstrieren wie Unsicherheit, Mangel und Inflation. Aber sie haben bisher keine spezifischen Vorschläge zur Lösung der Probleme vorgebracht. Ihr einziges Ziel ist Regimewechsel, wie die Führer Maria Corina Machado und López selbst bei Gelegenheit äußerten. Es lässt sich nicht leugnen, dass die Opposition eine versteckte Agenda für spezifische Änderungen hat, die sie umsetzen will, sobald sie an der Macht ist.


Regimewechsel mit allen Mitteln, außer Wahlen

Die Forderung nach Regimewechsel seitens sowohl der "friedlichen" als auch der gewalttätigen Demonstanten würde in keinem demokratischen Land der Welt erlaubt werden, angefangen bei den Vereinigten Staaten. Zum Beispiel war die Anklage, dass die Kommunistische Partei der USA "den Sturz der Regierung" vertrat, die Rechtfertigung zur Inhaftierung hunderter Parteimitglieder in der McCarthy Ära der 50-er Jahre. Diese Behauptung war jedoch irreführend, da die Kommunisten nicht den Sturz der Regierung forderten oder Vorbereitungen dafür trafen, sondern nur das Gefühl hatten, dass der Fall der Regierung eines Tages unausweichlich geschehen werde. Trotzdem bekamen die kommunistischen Führer damals die volle Wucht des Gesetzes zu spüren. Jüngstens wurde die "Occupy Houston" Bewegung überwacht aus dem Grund, weil einige Demonstranten angeblich "den Sturz der Regierung" vertraten, wie der Anwalt für Transparenz Ryan Shapiro enthüllte. Forderung nach Regimewechsel in nicht-demokratischen Ländern ist noch gefährlicher, wie die jüngsten Todesurteile für 529 Mitglieder der Moslem-Bruderschaft seitens der stark von den USA unterstützten ägyptischen Regierung zeigen.

Kurz gesagt, dient die rhetorische Unterscheidung in friedliche und gewalttätige Demonstranten nur den Interessen der Opposition. Folglich machen sich Oppositions-Gouverneure und Bürgermeister diese Unterscheidung zunutze, um ihr Versagen zu verbergen, die Unterbrechungs-Taktik in ihrem Bereich zu kontrollieren. Die Medien ihrerseits nutzen dieses doppeldeutige Konstrukt in Artikeln über die angeblichen Exzesse der Sicherheitskräfte wie vor kurzem unter dem Titel in '
El Tiempo of Puerto La Cruz' vom 25. März "Nationalgarde unterdrückt friedliche Proteste" und ein ähnlicher Artikel in Ultimas Noticias vom 5. März. Nicht einmal haben die kommerziellen Medien in den 40 Jahren, bevor Chávez an die Macht kam, eine solche Phraseologie benutzt.

Steve Ellner lehrt an der Universität von Oriente in Venezuela seit 1977 und ist Herausgeber des kürzlich erschienenen Buches "Die Lateinamerikanische Linke: Herausforderungen und Komplexität der politischen Macht im 21. Jahrhundert.

1 Kommentar:

  1. reblogged
    Danke. Du bist Klasse Einar.
    Grüße von der anderen Seite der Ostsee.

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