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Sonntag, 4. Dezember 2016

Das Jahr, in dem der Globalismus platzte


Pål Steigan
29. November 2016


Aus dem Norwegischen: Einar Schlereth


Historische Wendepunkte sind oft schwer zu bemerken, wenn sie passieren. Am besten sieht man sie im nachhinein. Gleichwohl traue ich mir zu zu behaupten, dass 2016 das Jahr ist, in dem der Globalismus platzte. Bis jetzt haben sowohl die Anhänger als auch die Gegner das Globalismus-Projekt als etwas gesehen, das unvermeidlich seinem festgelegten Kurs folgt und jeden Widerstand beiseiteschiebt. Und so ist es ja auch gewesen. Der Globalismus ist ja nicht nur eine politische Richtung. Er ist in erster Linie der heutige Kapitalismus. Der ist global. Die multinationalen Unternehmen unterwerfen sich die Welt und zerbrechen die Nationen und Völker unter ihren gewaltigen Rädern wie unwiderstehliche Monster.
Roms Fall
Kein Spaziergang

Aber wie immer in der Vergangenheit, stellen wir fest, dass die Geschichte nicht gemütlich verläuft. Der Versuch des Kapitalismus, sich die ganze Welt zu unterwerfen, ist eine objektive Tendenz. Er folgt dem innewohnenden Drang des Kapitalismus zur ewigen Kapital-Akkumulation. Es ist, wie Karl Marx und Friedrich Engels im Kommunistischen Manifest schreiben: „Die billigen Preise sind die schwere Artillerie, die jede chinesische Mauer zum Einsturz bringen.“

So gesehen ist er unwiderstehlich. Wie Marx und Engels ebenfalls schreiben, so gleicht das Bürgertum „dem Zauberer der nicht mehr die unterirdischen Mächte bezwingen kann, die er gerufen hat. Schon seit Jahrzehnten ist die Geschichte der Industrie und des Handels nur die Geschichte des Aufruhrs der modernen Prouktivkräfte gegen die modernen Produktionsverhältnisse“.

Die Globalisierungen stoßen also auf Konflikte, die vom Kapitalismus selbst geschaffen werden, die er nicht lösen kann und die Zusammenbruch und Chaos hervorbringen. Dass Klassenunterdrückung den Klassenkampf stärkt, ist eine Wahrheit. Aber der Kapitalismus entwickelt sich nicht gleichmäßig. Die einen kapitalistischen Länder steigen auf und andere sinken nieder und die Konflikte zwischen ihnen haben schon zu zwei Weltkriegen geführt und einer Reihe von anderen Kriegen und Konflikten.


Besonders jetzt, wo der Kapitalismus in vielen der führende Länder sich in einer ständigen Rezession befindet und sogar in einer Depression, können gewaltsame Konflikte entstehen. In harten Zeiten, können selbst gute Freunde zu Feinden werden. Dann gibt es Konflikte auf Leben und Tod.

Es ist erst im Jahr 2014 gewesen, dass Barack Obama eine Rede gehalten hat, in der er über die neue Weltordnung sprach, die kommen sollte:
„Aber wenn die Leute sehen, was in der Ukraine passiert und Russlands Aggression gegen seine Nachbarn und die Art, wie es Separatisten finanziert und bewaffnet; und was in Syrien geschieht – die Verwüstung, die Assad über sein eigenes Volk gebracht hat; das Versagen in Irak der Sunni und Shia und Kurden, überein zu kommen – obwohl wir versuchen, eine Regierung aufzustellen, die wirklich funktioniert gegenüber der terroristischen Bedrohung und dem, was in Israel und Gaza passiert – so ist ein Teil der Sorgen der Völker gerade das Gefühl, dass die alte Ordnung rundum in der Welt nicht mehr funktioniert und wir noch nicht dort sind, wo wir sein müssen, um eine neue Ordnung zu schaffen, die auf anderen Prinzipien basiert, die auf einem Sinn für die gemeinsame Menschheit basiert, die auf einer Wirtschaft basiert, die für alle Völker da ist.“

Den USA ist es beinahe geglückt

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist die USA die einzige Supermacht gewesen und diese Position hat sie genutzt zu versuchen, sich den Rest der Welt zu unterwerfen. Dies wurde durch ungleiche Handelsabkommen getan, die für amerikanische Kapital-Gruppen zum Vorteil waren. Und nicht zuletzt durch Kriege, Staatsstreiche, Meuchelmord, Drohungen und Bestechungen. Und sie benutzten ihren überbewerteten Dollar als Dampfhammer gegen alle andern. Die leichte Artillerie in dieser Schlacht sind die US-beherrschten Medien und deren erfolgreicher Kampf zur Kontrolle des Denkens der Menschen und der Handlungsweise der Politiker.

Die USA haben Kriege in Afghanistan, Jugoslawien, Somalia, Irak, Jemen, Libyen und Syrien geführt, haben in der Ukraine einen Staatscoup ausgelöst und für Regime-Wechsel in anderen Ländern gesorgt. In Afrika führten sie in diesem Jahr Dutzende militärische Operationen durch, um für ihre und die Kontrolle ihrer Kapitalgruppen zu sorgen. Den USA glückte es großartig, Russland unter Boris Jeltsin zu verwüsten und zu plündern. Und die USA haben Europa fast vollständig unterworfen und die alten Kolonialmächte wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien in Vasallen  verwandelt.

Aber das Projekt raste am Ende gegen die Wand.

Ohne es an die große Glocke zu hängen, hat China alle Vorteile der Globalisierung ergriffen und eine Industrie aufgebaut, die zur Fabrik der Welt wurde. Es hat außerdem systematisch die Infrastruktur, die Forschung, Wissenschaft und Hochtechnologie ausgebaut, damit das Land nicht zu einer zweitklassigen Exportnation wird. Dies geschah zum Teil durch große Investitionen von amerikanischen Unternehmen. Das ungleiche Austauschverhältnis zwischen USA und China ist entstanden auf Grund des Bedarfs des US-Kapitals an billigen Waren, was aber ein ökonomisches System schuf, das unausweichlich China auf Kosten der USA stärkte.

Die USA mussten schmerzlich erfahren, dass die globale Konkurrenz kein Spiel ist, das man alleine spielt. Donald Trumps „Ich mache Amerika wieder groß“ ist ein desparates Eingeständnis, dass die USA ihr eigenes Spiel verloren hat.

Und den USA sind außerdem alle ihre Kriege missglückt. Der Afghanistan-Krieg, in dem wir immer noch kein Ende sehen, ist der längste Krieg in der Geschichte der USA. Und der Preis ist enorm. Linda Bilmes, die früher einen hohen Posten im US-Handelsministerium innehatte, hat die direkten und indirekten Kosten der Kriege im Irak und Afghanistan berechnet und kam auf 4000 bis 6000 Mrd. $. Die Berechnungen wurden von der Harvard-Uni veröffentlicht. (Hier ist die Rede von vier oder fünf norwegischen Öl-Fonds.)

Zugegebenermaßen hat die USA ihre gewaltige Kriegsmaschine durch den Verkauf an Staatsobligationen an China bezahlt. Aber diese Quelle trocknet jetzt schnell aus, da China sich jetzt als stark genug ansieht, die Ent-Dollarisierung der Weltökonomie zu schaffen.

Der Irak-Krieg wurde eine Katastrophe, die immer noch Elend produziert. Mit Norwegen an der Spitze hat die USA Libyen verwüstet, aber die dortige Katastrophe wird zumindest weiterhin Europa beeinträchtigen. Im Spätsommer sah es so aus, als würden die US-Terroristen-Heere den Krieg in Syrien gewinnen, aber da schritt Russlan ein und jetzt sehen die smartesten US-Strategen ein, dass der Krieg verloren ist.

Der Sturm auf die Bastille 1789. Die europäische Elite träumt sich in die Zeit davor zurück.


Annus horribilis

2015 legten die fünf EU-Präsidenten einen Plan vor, der die nationalen Demokratien in den EU-Ländern bis 2015 abschaffen sollte. Wenn es liefe, wie sie wollten, würden die nationalen Parlamente in der EU ab 2025 nicht mehr über die Budgets ihrer Länder bestimmen können. Die fünf Präsidenten sind Jean-Claude Juncker, Chef der EU-Kommission, Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rates, Jeroen Dijsselbloem, Präsident der Euro-Gruppe, Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank und Martin Schulz, Präsident des EU-Parlamentes. Keiner dieser Herren hat ein demokratisches Mandat hinter sich, aber sie sind gewohnt, Direktiven und Verordnungen zu erlassen, nach denen sich die 500 Millionen Menschen in der EU richten.

Ein halbes Jahr später können wir ganz unpolemisch festhalten, dass es so nicht mehr läuft. Die EU, die wir kennen, gibt es nicht mehr. Die EU ist nicht mehr eine „ever closer union“, wie es so optimistisch in den Traktaten hieß. Sie ist eher so etwas, wie The Economist säuerlich bemerkte eine „ever farther union“.

Und so kommt ein Ereignis nach dem anderen. Einge Länder widersetzten sich der EU-Migrationspolitik. Das ist eine Politik, die keine Unterstützung einer Mehrheit in irgendeinem Land findet, weshalb sie früher oder später platzen wird.

Der entscheidende Wechsel kam mit dem Brexit, der britische Entschluss, sich aus der EU abzumelden. Dazu kommt die Niederlage für TPP und TTIP und dann sieht man das Ausmaß der Probleme der Globalisten.

Weitere Belastungen des Unions-Zusammenhalts sind die Kriegspolitik und die Sanktionen gegen Russland. Das ist eine Politik, die in hohem Grad gegen die objektiven Interessen der europäischen Staaten gerichtet ist, die aber durchgeführt wird gegen starken inneren Widerstand auf Grund des US-Diktats.

Italiens Staatsminister Matteo Renzi ist von niemandem gewählt worden. Er hat sich in den Führungsjob seiner eigenen Partei geputscht und sitzt da als Staatsminister, weil er ein Abkommen mit Berlusconi hat, dass 'ich deinen Rücken kratze, wenn du meinen kratzt'. Er beschloss, es à la Cameron zu versuchen: ein Vertrauensvotum von seinem Volk zu verlangen, um eine Mehrheit für Grundgesetz-Änderungen. Aber er riskiert, Cameron mehr zu gleichen, als er sich wünscht. Das Volk Italiens will nicht dieser Veränderungen und Renzi riskiert, einen Reinfall erster Ordnung zu erleben – da Beppe Grillo und seine Fünfsterne-Bewegung in den Kulissen bereit steht.

Und dann sieht es so aus, dass die französische Präsidenten-Wahl zwischen zwei Kandidaten entschieden wird, die beide Anhänger einer Detente mit Russland sind und für Zusammenarbeit. Diametral entgegen der NATO-Doktrin.

Azow-Brigaden in der Ukraine unter der SS Rune Wolfsangel

Niederlage im Krieg in Syrien – und der Ukraine

Die USA, der Westen, die Türkei und die Öl-Diktaturen haben einen Krieg mit Dschihadisten-Söldnern geführt, um Syrien zu vernichten. (Norwegens Rolle ist es gewesen, mehr oder weniger den zivilen Teil des Krieges zu finanzieren und eine ökonomische Kriegführung gegen Syrien zu führen.) 2015 schien der Krieg zu glücken, aber jetzt sieht es so aus, als ob die Dschihadisten und der Westen verlieren werden. Das ist ein sehr harter Rückschlag für die neocon-Imperialisten und markiert einen dramatischen Kreuzweg in der internationalen Politik.

Es ist noch nicht so lange her seit dem Sommer 2014, als die neocons in den USA versuchten, Russland zu einem Krieg in der Ukraine zu provozieren. Im Februar 2014 standen sie hinter dem Maidan-Coup in Kiew und versprachen dem Volk das Blaue vom Himmel. Es bekam Krieg, Armut, Faschismus und Staatskonkurs. Selbst wenn es noch keiner von NATOs Größen sagen will, so wissen sie, dass der Krieg auch verloren ist. Die Konkursmasse bekommen die Steuerbezahler der EU (und Norwegens).

Die Niederlage der Clintons und der Kriegspartei

Donald Trump war der Gegenkandidat, den die Clinton-Kampagne sich wünschte, um einigermaßen sicher zu gehen, ihren unpopulären Kandidaten gewählt zu bekommen. Alle Banken waren dabei, Wall Street, die Waffenindustrie, alle wichtigen Medien. Und allen war klar, dass Hillary den Krieg in Syrien verstärken würde und vielleicht auch russische Streitkräfte angreifen würde. Und dann verloren sie. Donald Trump ist ein Reaktionär, kapitalistischer Demagoge, aber er hat offensichtlich eingesehen, dass die Zeiten der USA als „unverzichtbare Nation“ vorbei sind.

Das zerrt auch an der Loyalität in der NATO. Die europäischen NATO-Führer fürchten, was passieren wird, wenn sie den Schutz der USA verlieren. Sie waren persönlich beteiligt an den Kriegsvorbereitungen, in der sicheren Erwartung, dass die USA ihnen immer Rückendeckung geben wird und sie von den internationalen Gerichten fernhalten wird. Nun können sie nicht mehr so sicher sein. Falls nicht mehr aus der Wahl in den USA herausspringt, so haben wir jedenfalls gesehen, was für pathetische Vasallen die europäischen Führer sind.

Und die Türkei, die das zweitgrößte Heer der NATO an ihrer verwundbaren Südflanke hat, flirtet mit der Idee, sich der euroasischen Allianz in der Shanghai Cooperation Organisation in enger Anknüpfung an China und Russland anzuschließen.
USAs Defizit in der Handelsbilanz mit China wächst und wächst.


Und die chinesische Maschine mahlt unermüdlich weiter.

Deng Xiaping riet den Führern seines Landes, in der internationalen Politik nicht sichtbar zu sein, um nicht die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Diesen Rat haben sie auch befolgt. Aber Chinas Ökonomie ist jetzt die wichtigste Quelle des Wachstums in der Welt und das Land hat eine Entwicklungsbank eingerichtet, setzt auf den Bau der neuen Seidenstraße – ein Weg, ein Gürtel – und investiert hunderte Milliarden Dollar in das Projekt. Wenn es keinen großen Krieg gibt, wird Chinas Industrie in absoluten Zahlen um 2020 größer als die der USA sein. Da wird China auch schon lange die USA als Forschungs- und Entwicklungsland überholt haben. Und China ist der größte Handelspartner und größte Investor in einer Reihe von Ländern, die traditionell die engsten Alliierten der USA waren.

Noch vor den abschließenden Glanzlichtern des Jahres können wir sagen, dass 2016 ein folgenscheres Jahr war. Für die Globalisten ist es bereits ein annus horribilis (schreckliches Jahr). Wir wissen jetzt schon, dass es von welthistorsicher Bedeutung sein wird. Aber in welchem Maß, ist unmöglich zu sagen. Die USA hat lange einen indirekten Krieg gegen seine „Alliierten“ geführt und jetzt kann dieser Konflikt offener zu Tage treten. Es kann eine Situation von „allen gegen alle“ werden. Alte Allianzen werden sich auflösen, neue werden entstehen. So etwas passiert selten friedlich. Aber Perioden von Chaos sind auch Perioden der Möglichkeiten. Es ist leichter für unterdrückte Völker, Feinde zu bekämpfen, die gespalten sind, als Feinde, die zusammenstehen.


Quelle - källa - source

2 Kommentare:

  1. Ich danke ihnen fuer diesen wunderschoenen Artikel. Sie schreiben mir aus dem Herzen.
    Der Kapitalismus hat nur Leiden hervorgebracht. Unsere Zukunft sollte von Freigiebigkeit gepraegt sein.
    So entsteht Reichtum und das Verstaendnis von Miteinander.
    Moegen alle Wesen gluecklich sein. Vielen Dank.

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  2. Eine sehr interessante norwegische Sicht auf die Dinge dieser Welt in 2016. Viel ist nicht daran auszusetzen, im Gegenteil.
    Das Jahr 2017, mit einem VSA Präsidenten Trump, Wahlen in den großen Ländern Europas und einer Auferstehung der RF nach den Sanktionen, die zwar noch existieren aber zum Katalysator der russischen Industrie und Landwirtschaft geworden sind. Die OPEC hat die Förderung reguliert, Sauarabien wird vom Süden militärisch unter Druck gesetzt durch einen Krieg den es vom Zaun gebrochen hat und die VSA müssen ihr eigenes Land wieder in den Griff bekommen. Bis 2020 werden wohl neue Realitäten in der Welt geschaffen wurden sein.

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