einartysken

Sonntag, 26. Februar 2017

Miriam Gebhardt ‚Als die Soldaten kamen‘, München 2015


Rezension
 
Einar Schlereth

26. Februar 2017

Vorweg muss ich sagen, dass ich die hervorragende schwedische Übersetzung ‚När soldaterna kom‘, die kürzlich erschienen ist, vor mir habe und aus ihr auch zitieren werde. Das kann natürlich etwas anders lauten und auch die Seitenzahl stimmt möglicherweise nicht. Ob das eine oder andere geändert oder ausgelassen wurde, kann ich natürlich auch nicht beurteilen. 
Die berühmten 'Frolleins'
Zu allererst will ich hervorheben, dass dies die erste umfangreiche Arbeit über die Vergewaltigungen aller vier Siegermächte in Deutschland beim Zusammenbruch und danach ist. Es mussten also 72 Jahre nach Kriegsende vergehen, bis so ein Buch geschrieben wurde. Es gab eine Reihe anderer Bücher, die sehr bald nach Kriegsende erschienen, die sich aber ausschließlich mit den Vergewaltigungen der Russen befassten. Das wurde selbstverständlich als verdienstvoll angesehen, den „Kommis“ eins überzubraten. Da brauchte man auch keine Fakten liefern, sondern konnte frisch und fröhlich drauflos phantasieren. Eine Million, zwei Millionen, jede 3., nein jede zweite Frau in der SBZ wurde vergewaltigt usw. usf. Miriam Gebhardt (MG) legt sich am Ende auf eine halbe Million sowjetische Vergewaltigungen, auf 190 000 US-Vergewaltigungen und eine Gesamtzahl von ca. 860 000 fest.

Doch diese Zahlen gefielen vielen Leuten nicht – zu wenig Russen, zu viele Amerikaner und 170 000 für Briten, Schotten, Franzosen, Polen? MG meint, es gäbe für die englische BZ sehr wenig Quellen. Das ist wahrlich kein Grund, dann so niedrige Zahlen anzusetzen, auch wenn sie manchem zu hoch vorkommen. Wer ein wenig die englische Besatzungspolitik in den Kolonien kennt, der weiß, dass sie im Vergewaltigen, sadistischer Folter und maßloser Rachsucht kaum zu übertreffen waren, außer von den USA natürlich. Amerikaner scheuten sich nicht einmal, im alliierten Frankreich ungezählte Vergewaltigungen zu verüben, so dass es zu scharfen Protesten gekommen ist. Nichtsdestoweniger schreibt Felix Kellerhoff in seiner Rezension „Auch US-Truppen verübten brutale Vergewaltigungen“, aber MG‘s Zahlen überzeugen ihn nicht:

„Doch dieser Wert ist, anders als die Autorin vorgibt, in Wirklichkeit völlig freihändig. Weder die Ausgangszahl noch der Faktor 100 sind überzeugend belegt. Es sind Annahmen, die zutreffen können, aber nicht müssen. Das festzustellen hat nichts mit Relativierung der Verbrechen zu tun – es könnte genauso gut doppelt so viele Fälle sexueller Gewalt durch GIs gegeben haben oder halb so viele. Man kann es schlicht nicht quantifizieren.“
Das kann für alle Zahlen gesagt werden, vor allem auch für die russischen, zumal sie da immer nur von „russischen“ spricht und nicht auch von polnischen und tschechischen, die sich nachweislich besonders hervorgetan haben. Zumal außerdem, wie Miriam selbst schreibt, die Russen sehr schnell Ordnung geschaffen haben. Die Strafen waren hart, Vergewaltiger wurden oft erschossen und die Truppen wurden kaserniert, was die Chancen für Übergriffe stark verminderte.

Kasernierung gab es zwar auch im Westen bei den Amerikanern teilweise, aber sie konnten sich völlig frei in den deutschen Kreisen bewegen. Und nicht zu vergessen: die russische Besatzung wurde 1990 beendet, die amerikanische hält immer noch an, wie uns Obama erst kürzlich klar unter die Nase gerieben hat. Deutschland ist immer noch besetzt und ohne Friedensvertrag und US-Vergewaltigungen gehen somit überall, wo die USA Truppen stehen hat, weiter. Besonders auch in Japan, wo Japans Proteste ungehört verhallen. Selbst zuhause in den USA kommt es allein IN DEN Streitkräften jährlich zu tausenden dokumentierten Vergewaltigungsfällen (und 5 % Verurteilungen) mit einer geschätzten Dunkelziffer von bis zu 10 000 Frauen, die sich schämen, es zu melden – heute im 21. Jahrhundert.

Interessant ist, dass die Rezensionen sich – wie hier bei Kellerhoff – um die Zahlen drehen. Als wäre die Erbsenzählerei bei dieser ganzen Geschichte das Wichtigste. Nicht die Frauen und die Mädchen und von den Kindern ist schon gar nicht die Rede. Und die Kinder kommen auch bei Miriam Gebhardt zu kurz. Sie hat große Mühe darauf verwendet, Fälle von Vergewaltigungen zu dokumentieren und das Los der Frauen zu schildern. Diese Drohungen, oft mit gezogener Waffe, diese Gewalt und Brutalität sind von ermüdender Eintönigkeit. Die Angst der Mädchen und Frauen vor den Folgen, Krankheit oder Schwangerschaft, der Reaktion von Eltern, Verlobten, Freunden, Ehemännern ist es nicht.

Allerdings stieß ich auch da auf Ungereimtheiten. Wir waren ja 8 Monate lang – vom 1. Januar 45 bis September mitten in den Trecks, die ständig steckenblieben, weil deutsche Truppen gen Osten an die Front mussten und wir wollten nach Westen. Zwischen unserer Trecklawine und den Russen verlief die deutsche Front, weswegen wir in all den Monaten keine Vergewaltigungen mitbekamen. Nur Bombardierungen durch die Amerikaner und sogar die Attacke eines Jet-Jägers auf eine Frau mit Kinderwagen, die über einen Acker rannte. Wir konnten im Graben liegend die beiden Piloten im Flieger sehen. Beim 1. Überflug schossen sie daneben, dann drehten sie und konnten endlich den gefährlichen Feind erledigen.

Fliehende und zuhause Gebliebene darf man nicht in einen Topf werfen. Ich denke, dass viele derer, die als erste flohen, sehr gute Gründe dafür hatten, genau wie man Vater, der Chefredakteur bis zum Ende war, also zu den Einpeitschern gehörte. Die wussten ja, was sie mit den Untermenschen in Russland gemacht hatten. Hingegen hat es sicher bei jenen, die später flohen oder vor allem von Polen und Tschechen vertrieben wurden, eine Menge Vergewaltigungen gegeben. Nach Ende der Kriegshandlungen wurden die russischen Sturm- und Elitetruppen nach und nach abgezogen und mit der 2. Garnitur ersetzt. Und das beschreibt auch Lew Kopelew in „Aufbewahren für alle Zeit“, dass diese Truppen wesentlich undisziplinierter waren und sich vieler Verbrechen schuldig machten.

Besonders dankbar bin ich MG für den letzten Teil des Buches, wo sie den Kampf der Frauen um ihre Rechte schildert, die ihnen in den allermeisten Fällen verweigert worden sind. Davon hatte ich keine Ahnung. Dieser Kampf wurde ja auch nicht in der Öffentlichkeit diskutiert und geführt. Von den Dingen ‚sprach man nicht‘. Auch nicht bei uns zuhause. Dies ist ein Kapitel der Schande für die deutschen Frauen und Männer. Da wurden hunderttausende Frauen ins Abseits gedrängt und quasi, wie Miriam es nennt, zu den Sündenböcken für den verlorenen Krieg der Männer gemacht.

Da wurde minutiös der Lebenswandel und die Moral der Mädchen und Frauen geprüft und am Ende wurde ihnen doch nicht geglaubt. Ja, ihnen wurde oft genug die Schuld zugeschoben. Wenn sie nicht ganz oder halb tot waren, dann haben sie sich nicht hinreichend gewehrt. X-mal mussten sie die Vergewaltigung aufs Neue durchleben und ich liege bestimmt nicht falsch, wenn ich überzeugt davon bin, dass vielen der Moralapostel einer abging bei den Schilderungen.

Während sich Adenauer und seine Minister die Taschen füllten und sie alle zu Millionären wurden, hat man an diesen Frauen jeden Pfennig missgönnt. Oft waren sie durch Brutalität verwundet oder mit Geschlechtskrankheiten angesteckt worden, was alles keineswegs als Kriegseinwirkung und Behinderung gesehen wurde, genauso wenig wie ein Kind, für das sie alleine aufkommen mussten,
falls sie nicht verheiratet waren oder wenn der Mann sich vom Acker machte, wenn er bei seiner Heimkehr noch einen Balg zuhause vorfand. Wo war er denn, als es passierte? Hat er sie denn etwa beschützen können? Nein. ER ist mit Hurrah in den Krieg des GRÖFAZ gezogen. Das schlechte Gewissen hat er dann mit Moralpredigten übertüncht.

Und wo blieb die Solidarität der Frauen, die davon gekommen waren, die große Mehrheit immerhin? Haben sie geholfen, Trost gespendet und den Kampf für Gerechtigkeit unterstützt? Nein. All dies ist gesagt cum grano salis. Natürlich gab es auch Männer, die an der Seite ihrer Frauen blieben und Frauen, die ihren Schwestern im Unglück halfen. Aber es waren wenige, allzu wenige.

Man muss obendrein bedenken, dass im Westen selten ein Abort bewilligt wurde, was im Osten viel leichter war. Die Mädchen und Frauen wurden quasi gezwungen, das Kind auszutragen oder in den Teich zu springen, wenn sie sich selbst und dem Kind die Scham nicht zumuten wollten. Ich war allerdings verwundert, dass Miriam die Ziffer für das Verschweigen recht niedrig ansetzt, während sie in den USA HEUTE noch bei 80 % liegt (s. obiges Zitat zur Dunkelziffer).

Man kann wohl sagen, dass trotz all der hochtrabenden Worte und Reden, trotz Istanbul-Konvention (die im übrigen nur von 43 Ländern unterzeichnet und nur von 22 Ländern ratifiziert wurde! Das sagt doch schon alles!), Menschenrechts-Institutionen und dem Gesülze an Muttertagen es den Frauen im Weltmaßstab gesehen immer noch saumäßig geht. In jeder einzelnen Frage wird, wenn es um die Frauen geht, ein endloses Palaver angestellt, bei dem am Ende eine Maus geboren wird. Wir sehen es doch an der Frage der gleichen Bezahlung für gleich Arbeit. Darüber wird seit über 100 Jahren diskutiert und gestritten.

Am Ende muss ich allerdings einige Punkte kritisieren, die dem Buch m. M. n. schaden. Als Historikern hätte sie sich nicht Schnitzer erlauben dürfen, wie, dass die Deutschen vor Moskau (S. 83) stehenblieben. Die wurden zum stehenbleiben gezwungen, weil das der erste große Sieg der SU war und der zweite kam in Leningrad, der dritte in Stalingrad und der vierte in Kursk. Danach ging es Schlag auf Schlag. Die wahre Pearl Harbor Story ist ihr unbekannt (Das erste 9/11 der USA.). Und dass „die Amerikaner Europa befreiten“ soll wohl ein Witz sein? Der Holocaust ist für sie selbstverständlich ein Fakt. Anderfalls könnte sie ihren Beruf an den Nagel hängen. Denn darüber zu forschen ist verboten.

Das „Rheinwiesen-Massaker“ an 1 Million deutschen Kriegsgefangenen des großartigen Generals Eisenhower, der am liebsten alle Deutschen masssakriert hätte, erwähnt sie nicht. Sie spricht zwar von den schlimmen Dingen, die von den Deutschen in Russland begangen wurden, aber die ungeheuerliche Zahl von den 27 Millionen toten Zivilisten in Russland erwähnt sie auch nicht. Das ist der wahre Holocaust im 2. Weltkrieg gewesen und die 13 Millionen chinesischen Zivilisten und die 6 Millionen verhungerten Bengalen, die Churchill auf dem Gewissen hat. Diese Holocauste wurden einfach unter den Teppich gekehrt.

Und dass die kämpfende russische Armee auf dem Weg nach Berlin an den Leichen, den mutwillig zerstörten Dörfern und Städten vorbeiziehen musste und was das bei den Soldaten bewirkte, darüber verliert sie auch kein Wort. Die hatten wohl keine Gefühle. "Die waren nur besessen auf Sex." (S. 215) Sie wiederholt aber gerne Sätze über die „Ungeheuer“ und diese „Unmenschen“, die sich an den deutschen Frauen vergehen, weil „Gewalt ja in der SU endemisch“ war (S. 96). Aber dass diese Frauen nichts gegen die deutschen „Ungeheuer“ und „Unmenschen“ - ihre Ehemänner – einzuwenden hatten, das kommt ihr wohl nicht in den Sinn.

Das gilt auch für die Schwarzen und Nordafrikaner, die vor allem von Franzosen und Engländern gegen die Deutschen eingesetzt wurden, um die eigenen Leute zu schonen. Was sie Jahrhunderte lang von den weißen Zivilisatoren erleben mussten – was hat das wohl in ihnen bewirkt? Dass sie nun, als sie im Weltkrieg Waffen in die Hand bekamen, sich an den Weißen rächen konnten, sicher mit maßloser Wut. Die deutschen Soldaten machten sich schon in die Hose, wenn sie nur hörten, dass sie Schwarze gegenüber liegen hatten. Und sie haben prinzipiell keine Gefangenen gemacht, sondern entgegen der Genfer Konvention alle sofort erschossen. Meint MG, dass die das nicht wussten? Die kleineren Seitenhiebe gegen Russen, Kommunisten, Putin, Serben (sie kennt offenbar auch nicht das Standardwerk ihrer Kollegin Diana Johnstone "Kreuzzug der Toren" über die Serbenlüge) will ich gar nicht groß erwähnen.

Schade, weil überflüssig. Aber es fördert die Karriere.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen