Bashar -al-Assad
Interview geführt von Miri Wood
Aus dem Englischen: Einar Schlereth
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Bashar al-Assad im Gespräch mit Chinas Phoenix TV |
Im dritten der jüngsten internationalen Interviews traf sich der
syrische Präsident Bashar al Assad mit Phoenix Television, um mit
dem chinesischen Fernsehen über die Projekte zur Entwicklung von
«Gürtel ¥ Straße» zu sprechen.
Da sowohl Syrien als auch China Teil der ursprünglichen
Seidenstraße sind, die eine wunderschöne Explosion der Entwicklung
und des Handels hervorgerufen hat zum Vorteil der Menschheit, ist
dieses Interview von größerer Bedeutung als das jüngste Interview
mit France's Paris Match und das mit Rai News 24, das später in
Italien verboten wurde. Abschrift mit freundlicher Genehmigung von
SANA.
***
Journalist: Herr Präsident, im Namen des chinesischen
Fernsehsenders Phoenix möchte ich Ihnen für dieses Interview
danken.
Präsident Assad: Gern geschehen.
Frage 1: Herr Präsident, gestatten Sie mir, gleich zu beginnen...
Syrien konnte große Erfolge im Kampf gegen den Terrorismus erzielen,
und große Teile der syrischen Gebiete wurden wieder befreit. Wo
werden Sie nun mit dem Wiederaufbau Syriens beginnen?
Präsident Assad: Eigentlich warten wir nicht auf das Ende einer
bestimmten Phase des Krieges, um mit dem Wiederaufbau zu beginnen;
der Wiederaufbau beginnt unmittelbar nach der Befreiung eines
beliebigen Gebietes, sei es groß oder klein, ein Dorf oder eine
Stadt. Der Wiederaufbau hat verschiedene Phasen, die erste davon ist
der Wiederaufbau der Infrastruktur, insbesondere in den Bereichen
Wasser und Elektrizität. Später verlagert der Staat seinen
Schwerpunkt auf Schulen, Gesundheitszentren und Krankenhäuser.
Die wichtigste Etappe des Wiederaufbaus, die später kommt und für
uns die größte Herausforderung darstellt, ist jedoch die
Wiederherstellung der täglichen Aktivitäten, insbesondere der
wirtschaftlichen Existenz. Dies erfordert große Anstrengungen und
wird durch interne Faktoren und das äußere Umfeld beeinflusst -
nämlich durch das von westlichen Ländern gegen Syrien verhängte
Embargo, das sich negativ auswirkt und den Prozess verlangsamt. Der
Wiederaufbau hat also bereits begonnen, aber wir brauchen mehr
Investitionen von innerhalb und außerhalb des Landes, um ihn zu
verstärken.
Frage 2: Und hier fragen wir, Herr Präsident, was sind die
wichtigsten Bereiche, in denen Syrien die Hilfe befreundeter Länder,
darunter China, benötigt?
Präsident Assad: China leistet insbesondere im humanitären
Bereich gezielte Hilfe beim Wiederaufbau. Wie ich bereits erwähnt
habe, sind Wasser und Elektrizität lebensnotwendig, und China
unterstützt diese Bereiche durch humanitäre Zuschüsse, die wir für
die bedürftigsten Gebiete bereitstellen.
In der Vergangenheit haben wir mit unseren Freunden - und an
vorderster Front China - keine Gespräche über den Wiederaufbau
geführt, weil die Sicherheitslage es uns nicht erlaubte, diesen
Prozess in großem Umfang einzuleiten. Jetzt, da die meisten Gebiete
befreit sind, haben wir Gespräche mit einer Reihe von chinesischen
Unternehmen aufgenommen, die Erfahrung mit dem Wiederaufbau haben.
Wie ich bereits erwähnt habe, ist die wichtigste Etappe und die
größte Herausforderung die vollständige Wiederherstellung des
Wirtschaftskreislaufs. Wir hoffen, dass chinesische Unternehmen
damit beginnen, den syrischen Markt, der sich in Bezug auf die
Sicherheit schnell und stetig verbessert, zu suchen und zu
untersuchen.
Wir müssen unbedingt anfangen, über Investitionsmöglichkeiten
zu diskutieren, denn es ist bekannt, dass der Wiederaufbau von
Ländern, die teilweise oder vollständig durch den Krieg zerstört
wurden, sehr profitabel ist und eine hohe Rentabilität der
Investitionen aufweist. Der Prozess beschränkt sich nicht auf
Darlehen oder die Bereitstellung von Hilfe ohne jegliche Rendite,
sondern ist in jeder Hinsicht eine rentable Investition.
Wir haben begonnen, mit einer Reihe von chinesischen Unternehmen
zu sprechen, um Wege zu finden, wie man Sanktionen umgehen und Zugang
zum syrischen Markt erhalten kann. Sie haben Interesse gezeigt, weil
der Prozess profitabel ist, aber Investoren und
Investmentgesellschaften haben immer noch Bedenken, wie sich die
Sanktionen auf sie auswirken könnten. Wir haben bestimmte Formeln
gefunden, die natürlich nicht offengelegt werden, damit sie sicher
auf den syrischen Markt gelangen und so zum Wiederaufbau in Syrien
beitragen können.
Ich möchte betonen, dass diese Unterstützung nicht auf die
Wirtschaft beschränkt ist; Wiederaufbau bedeutet letztlich, zur
Stabilität Syriens beizutragen, und zwar aus zwei Gründen. Erstens
sind in den vergangenen zwei Jahren Millionen Syrer aus dem Ausland
zurückgekehrt, ohne ausreichende Arbeitsmöglichkeiten zu finden,
was an sich schon ein Faktor ist, der von Terroristen und externen
Mächten genutzt werden kann. Zweitens: Die Versöhnung, die wir in
Syrien erreicht haben, erfolgte zum Teil mit denen, die zu einem
bestimmten Zeitpunkt mit den Militanten oder den Terroristen
zusammengearbeitet haben. Sie haben sich bereit erklärt, ihre
Waffen niederzulegen und zu ihrem normalen Leben zurückzukehren -
diese Rückkehr erfordert Beschäftigungsmöglichkeiten. Daher ist
die Unterstützung Chinas und anderer befreundeter Länder beim
Wiederaufbau Syriens ebenso wichtig wie die militärischen
Anstrengungen zur Wiederherstellung der Stabilität in Syrien und zur
Bekämpfung des Terrorismus und der Verbrechen-gegen-den Frieden.
Frage 3: Können wir also nach den konkreten Maßnahmen fragen,
die die syrische Regierung ergreift, um Investoren aus China und
anderen befreundeten Ländern anzuziehen?
Präsident Assad: Das erste, was ein Investor braucht, ist
Sicherheit. Wenn wir über ein Land sprechen, das aus dem Krieg
herauskommt: Wir haben in dieser Hinsicht große Fortschritte
erreicht, aber wir sind noch nicht ganz fertig. Die erste Frage, die
sich ein Investor stellt, ist die nach der Sicherheit, das ist das,
was wir täglich tun - den Kampf gegen die Terroristen und die
Befreiung der Gebiete, eines nach dem anderen.
Hinsichtlich des Investitionsumfelds gibt es Anforderungen, die
jeder Investor braucht, unabhängig davon, ob es einen Krieg gibt
oder nicht. In diesem Zusammenhang konzentrieren wir uns auf zwei
Dinge: die Dringlichkeit, die darin besteht, dieses
Investitionsumfeld zu verbessern, indem wir die notwendigen Maßnahmen
wie Transparenz, Klarheit über die Rechte und Pflichten der
Investoren im Land und die rechtlichen oder gerichtlichen Aspekte
ihrer Investitionen in Angriff nehmen. Bei all diesen Fragen
erarbeiten wir derzeit klare Richtlinien für Investoren.
Der wichtigere und umfassendere Schritt ist jedoch das
Investitionsrecht. Wir haben bei der Entwicklung unseres
Investmentrechts in Anlehnung an ähnliche Gesetze in vielen anderen
Ländern der Welt deutliche Fortschritte erzielt und damit
sichergestellt, dass es auf internationalen Investmentstandards
basiert.
In diesem Gesetz sind die Garantien, die Investoren für ihre
Investitionen in Syrien gegeben werden, klar festgelegt: gesetzliche
Garantien, finanzielle Garantien, klar definierte Ausnahmen, die
steuerliche Situation für ihre Investitionen - und alle anderen
Aspekte, die eine Garantie dafür darstellen, dass diese
Investitionen vollkommen sicher und rentabel sind. Wir befinden uns
jetzt in der Endphase dieses Gesetzes, und es wird bald verabschiedet
werden.
Frage 4: Nun, Herr Präsident, gibt es spezifische Maßnahmen, die
die Existenz eines sicheren Investitionsumfelds gewährleisten, das
chinesischen Investoren die Gewähr bietet, dass sie kommen und keine
Sicherheitsprobleme haben? Die chinesischen Investoren sind darüber
sehr besorgt.
Präsident Assad: Das ist richtig, das ist eine ernsthafte
Herausforderung. Tatsächlich gibt es zwei Herausforderungen.
Erstens, ist der derzeitige Mangel an ausreichenden oder effektiven
Finanzkanälen zwischen Syrien und China für den Geldtransfer. Das
ist ein echtes Problem, das hauptsächlich durch die Sanktionen
verursacht wird. Eine Lösung muss gefunden werden, wenn wir wollen,
dass Investoren nach Syrien kommen; eine Lösung erfordert das
Engagement relevanter Finanzinstitutionen aus beiden Ländern, was
eine Diskussion auf staatlicher Ebene erfordert. Das ist ein großes
Hindernis, das es zu überwinden gilt.
Das zweite Problem ist die Angst, die viele chinesische
Unternehmen noch immer haben. Es gibt heute Unternehmen, die bereit
sind, Experten nach Syrien zu schicken. Das ist wichtig, weil viele
syrische Industrien begonnen haben, Interesse am chinesischen Markt
zu zeigen, zum Beispiel syrische Fabriken, die ihre Ausrüstung aus
China beziehen. Früher hatten chinesische Experten Bedenken, nach
Syrien zu kommen; dies hat sich in letzter Zeit verbessert, was ein
neuer Schritt ist.
Wenn wir jedoch über chinesische Investitionen mit chinesischem
Kapital sprechen, dann braucht das mehr Zusicherungen; wir müssen
als syrischer Staat größere Anstrengungen in dieser Hinsicht
unternehmen, und wir hoffen, dass der chinesische Staat mit seinen
einschlägigen Institutionen - wie der China Export and Credit
Insurance Corporation - Investoren dazu ermutigt, nach Syrien oder
zumindest in die völlig sicher gewordenen Gebiete zu kommen. In
diesem Interview bestätige ich dies, und da Sie in Syrien sind,
können Sie das wahre, unübertriebene Bild über das Ausmaß der in
letzter Zeit erreichten Sicherheit vermitteln.
Intervention: Die syrische Regierung garantiert also allen
chinesischen Unternehmen, die nach Syrien kommen könnten,
Sicherheit, und dass es kein Problem in Bezug auf die Sicherheit
gibt?
Präsident Assad: Sicherlich.
Frage 5: Herr Präsident, ich möchte Ihnen eine Frage zur Belt
and Road Initiative stellen. Wie sehen Sie diese Initiative im
Allgemeinen?
Präsident Assad: Aus strategischer Sicht stellt sie eine
weltweite Veränderung dar, eine Veränderung des Charakters der
internationalen Beziehungen. Wenn wir uns die gegenwärtige
Situation in der Welt ansehen, sehen wir, dass sie von westlichen
Herrschaftsversuchen, insbesondere seitens der Vereinigten Staaten,
beherrscht wird. In der Vergangenheit, während des Kalten Krieges,
gab es eine Periode von Konflikten zwischen Staaten. Dieser Konflikt
beruhte auf dem Grad der Dominanz jedes Pols, insbesondere des
westlichen Pols über eine Gruppe von Staaten, um seine Interessen
gegen den anderen Pol durchzusetzen.
Davor, während des Zweiten Weltkriegs und der vorangegangenen
Periode der vollständigen Kolonialisierung, besetzten die Staaten
andere Nationen und wo immer sie dies taten, definierten sie die
Interessen der Völker, die unter ihrer Herrschaft standen. In den
meisten Fällen gab es keine gemeinsamen Interessen; diese Völker
wurden von den mächtigeren Staaten versklavt.
Heute sehen wir, dass es eine Supermacht gibt - China, die
versucht, ihren Einfluss in der Welt zu stärken. Aber welche Art von
Einfluss? Es ist nicht der negative Einfluss, an den wir uns gewöhnt
haben, sondern eher ein Einfluss im Sinne des Vertrauens auf Freunde
und ein Einfluss, der auf gegenseitigen Interessen beruht. Wenn wir
in Syrien daran denken, Teil der Seidenstraße zu sein und Syrien ist
ein kleines Land – in internationaler, geographischer,
demographischer , ökonomischer und militärischer Hinsicht.
Intervention: Aber historisch über die Seidenstraße.
Präsident Assad: Es ist genau um die Seidenstraße, aber
wichtiger ist, dass dieser neue Ansatz aus der Geschichte abgeleitet
ist, aber für das 21. Jahrhundert geeignet ist; es ist ein Ansatz,
der auf Parität aufbaut. Wenn wir Teil dieser Straße sind,
behandelt uns China als Gleichberechtigte und nicht als eine
Supermacht, die mit einem kleinen Land zu tun hat. Es gibt
gemeinsame Interessen: Es ist für China, Syrien und alle Länder auf
diesem Weg von Vorteil.
Ein weiterer Aspekt ist, dass es sich nicht auf die bilateralen
Beziehungen Chinas zu diesen Ländern beschränkt, sondern dass es
sich um eine Beziehung zwischen allen Ländern auf dieser Achse
handelt. Es ist also eine Beziehung von Kultur und Zivilisation, die
letztlich zu mehr Wohlstand und Investitionen und zur Verbesserung
der sozialen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Bedingungen
in diesen Ländern führt. Das bedeutet mehr Stabilität in der
Welt, was im Gegensatz zu dem steht, was wir in unserer modernen und
jüngsten Geschichte kennen. Das ist es, was wir in der Seidenstraße
(Belt and Road Initiative) sehen: Stabilität und Wohlstand.
Frage 6: Syrien hat seinerseits den Wunsch geäußert, sich an der
Initiative "Gürtel und Straße" zu beteiligen. Gibt es
diesbezüglich Entwicklungen?
Präsident Assad: In der vorangegangenen Periode und besonders in
den ersten Jahren des Krieges aufgrund der Instabilität war das
nicht unsere Priorität. Vielleicht, weil es keinen Sinn machte,
über Infrastruktur zu sprechen, wenn man sich in einem Zustand von
Leben oder Tod befindet, nicht als Individuum, sondern als Heimat,
als Nation - Syrien.
Nachdem wir diese Phase überwunden haben und mit der erhöhten
Stabilität und der Verbesserung des Wirtschaftszyklus in Syrien,
haben wir in diesem Jahr einen ernsthaften Dialog mit der
chinesischen Regierung darüber begonnen, wie Syrien Teil der
Seidenstraße (Belt and Road Initiative) werden kann. Derzeit liegt
Syrien nicht auf der Route; es gibt verschiedene Routen, und Syrien
liegt nicht auf ihnen. Ein Teil der Initiative umfasst jedoch
kulturelle, bildungspolitische und wissenschaftliche Bereiche, und
durch die direkte Beziehung zwischen uns und China gibt es eine große
Anzahl - die in den letzten Jahren zugenommen hat - von Stipendien,
die Syrien angeboten werden und von denen wir profitieren. Die
Diskussionen über die Infrastruktur haben vor kurzem begonnen, die
eines der wichtigsten Elemente ist und Syrien in Zukunft zu einem
Teil der Seidenstraße (Belt and Road Initiative) machen könnte.
Wir haben erst vor wenigen Monaten eine Reihe von Projekten
vorgeschlagen.
Intervention: Auf bestimmten Gebieten.
Präsident Assad: Natürlich. In Bereichen, die mit der
Infrastruktur zusammenhängen, haben wir der chinesischen Regierung
etwa sechs Projekte vorgeschlagen, die der Belt and Road Methodik
entsprechen, und wir warten darauf, dass die chinesische Regierung
bestimmt, welches Projekt bzw. welche Projekte mit ihren
Vorstellungen übereinstimmen. Ich denke, wenn diese Infrastruktur
entwickelt wird, wird mit der Zeit die Seidenstraße (Belt and Road
Initiative), die durch Syrien führt, zu einer
Selbstverständlichkeit, denn es ist keine Straße, die man nur auf
einer Karte einzeichnet. Es stimmt zwar, dass die Seidenstraße
historisch gesehen durch Syrien, den Irak und diese Region verlief,
aber heute berücksichtigt diese Initiative die für diese Routen
erforderliche verfügbare Infrastruktur. Daher wird die Seidenstraße
(Belt and Road Initiative) durch Syrien in Zukunft durch den Aufbau,
die Stärkung und die Entwicklung dieser Infrastruktur führen.
Frage 7: Glauben Sie, dass Syrien jetzt bereit ist, sich aus
Sicherheitsgründen an dieser Initiative zu beteiligen?
Präsident Assad: Genau, weil wir sicherheitstechnisch bereit
sind, haben wir Gespräche mit unseren chinesischen Freunden
aufgenommen. Zuvor war es weder logisch noch praktisch möglich,
einen solchen Dialog einzuleiten.
Frage 8: Herr Präsident, ich möchte Sie zur Situation in Amerika
befragen. In den Vereinigten Staaten finden im nächsten Jahr
Präsidentschaftswahlen statt. Wenn Trump nicht für eine neue
Amtszeit des Präsidenten wiedergewählt wird, wäre dieses Scheitern
Ihrer Meinung nach für Syrien nützlich oder nicht?
Präsident Assad: In einem meiner Interviews habe ich Trump als
den Besten bezeichnet, weil er der transparenteste ist. Natürlich
bedeutet der Beste zu sein, nicht, dass er gut ist; aber Transparenz
ist eine gute Sache, vor allem wenn es um die westliche Politik geht,
denn wir haben uns an Masken gewöhnt, die echte westliche Absichten
in Bezug auf die Welt verbergen.
Gleichzeitig müssen wir aber auch erkennen, dass das
amerikanische politische System kein Staatssystem in dem Sinne ist,
wie wir es verstehen. Es ist ein System, das aus Lobbys besteht.
Die Herrscher Amerikas sind die Geld-Lobbys, ob in Form von Öl,
Waffen, Banken oder anderen. Diese Lobbys kontrollieren alle Teile
der amerikanischen Politik.
Als Trump versuchte unabhängig zu sein, wenn auch in sehr
begrenztem Maße, begann der Angriff gegen ihn. Wir sind jetzt Zeuge
eines Verfahreens zur Amtsenthebung, das darauf abzielt, den Präsidenten
wieder mit den Lobbys in Einklang zu bringen. Alle Präsidenten, mit
denen wir in Syrien zu tun hatten, von Nixon im Jahre 1974 - als die
Beziehungen zu Amerika wiederhergestellt wurden - bis zu Trump heute
werden von diesen Lobbys kontrolliert. Ganz gleich, wie viel guten
Willen ein Präsident hat, er kann nicht außerhalb der Politik
dieser Lobbys handeln. Deshalb ist es unangebracht und
unrealistisch, auf den Wechsel von Präsidenten zu wetten, und ich
glaube nicht, dass sich diese amerikanische Politik in den nächsten
Jahren ändern wird. Deshalb sagen sie während des Wahlkampfes das
eine, und wenn sie einmal gewählt sind, tun sie das genaue
Gegenteil. Aus diesen Gründen überlegen wir in Syrien nie, welcher
amerikanische Präsident kommt und welcher geht.
Intervention: In diesem Zusammenhang stelle ich die Frage:
Nachdem der amerikanische Präsident seine Absicht bekannt gegeben
hatte, die amerikanischen Truppen aus Syrien abzuziehen, änderte er
plötzlich den Kurs und sagte, dass er die amerikanischen Truppen in
Syrien zurücklassen werde, um die Ölquellen im Gebiet östlich des
Euphrats zu schützen. Also trifft er plötzlich eine Entscheidung
und macht dann wieder kehrtum.
Präsident Assad: Genau, was Sie sagen, bestätigt meinen
Standpunkt, dass die Lobbys die Verantwortlichen für die Politik
sind. Es bestätigt auch, dass dieser Staat nicht von Prinzipien
regiert wird, sondern von den Interessen dieser Unternehmen; wenn sie
ein Interesse daran haben, die Ölquellen zu besetzen, sie zu stehlen
und auf die eine oder andere Weise zu verkaufen, dann werden dieser
Staat und dieses Regime zugunsten dieser Unternehmen handeln,
unabhängig vom internationalen Recht und unabhängig vom
amerikanischen Recht. Sie verletzen amerikanische Gesetze um dieser
Firmen willen, denn wenn sie sie nicht glücklich machen, könnte der
Präsident abgesetzt werden.
Frage 9: Herr Präsident, wie viele Truppen der verbleibenden
amerikanischen Armeeinheiten gibt es noch?
Präsident Assad: Das Lustige an der amerikanischen Politik ist,
dass sie die Zahl zwischen Tausenden und Hunderten bekannt geben.
Wenn sie Tausende sagen: Es ist, um die Pro-Kriegs-Lobby -
insbesondere die Rüstungsunternehmen - glücklich zu machen, dass
sie sich im Kriegszustand befinden. Wenn sie Hunderte sagen: Dann
wenden sie sich an die Menschen, die gegen den Krieg sind, indem sie
sagen, dass es nur "ein paar Hundert" sind. Tatsächlich
sind beide Zahlen aus einem einfachen Grund falsch; selbst wenn diese
Zahlen korrekt wären, basieren sie auf der Anzahl der amerikanischen
Soldaten und nicht auf der Anzahl der Personen, die mit der
amerikanischen Armee kämpfen. Das amerikanische Regime verlässt
sich in seinen Kriegen in erheblichem Maße auf private Firmen wie
Blackwater im Irak und andere. Selbst wenn sie also einige hundert
amerikanische Soldaten in Syrien hatten, haben sie immer noch
Tausende - vielleicht Zehntausende - von Zivilisten, die für solche
Firmen arbeiten und in Syrien kämpfen. Deshalb ist es schwierig,
die wirkliche Zahl zu kennen, aber sie liegt sicherlich bei den
Tausenden.
Frage 10: Die Amerikaner sagen, dass sie die Ölquellen im
östlichen Euphratgebiet in Syrien schützen werden; aber was werden
sie letztendlich mit dem aus diesen Quellen geförderten Öl machen?
Präsident Assad: Vor den Amerikanern hat Jabhat al-Nusra in den
frühen Tagen diese Quellen genutzt; nachdem ISIS kam und al-Nusra
vertrieb - oder besser gesagt, als ISIS mit al-Nusra fusionierte und
sie alle zu ISIS wurden, stahl und verkaufte es auch Öl. Und wo?
Früher hat sie es durch die Türkei verkauft. Jetzt ist Amerika
derjenige, der Öl stiehlt und an die Türkei verkauft. Die Türkei
ist mit all diesen Gruppen ein Komplize beim Verkauf von Öl; sie hat
kein Problem - die Türkei ist bereit. Das türkische Regime spielt
eine direkte Rolle beim Verkauf des Öls, früher mit al-Nusra,
später mit ISIS und heute mit den Amerikanern.
Frage 11: Welche Auswirkungen hat das in dieser Situation auf die
syrischen Ölrenditen?
Präsident Assad: Zu einem bestimmten Zeitpunkt zu Beginn des
Krieges fielen die Ölrenditen fast auf Null. Heute - nach der
Wiederherstellung einer kleinen Anzahl von Bohrlöchern in den
letzten zwei Jahren - haben wir eine kleine Menge an Öl. Allerdings
hat das Öl immer noch begrenzte positive Auswirkungen auf die
syrische Wirtschaft, weil die meisten Bohrungen entweder unter der
Kontrolle von terroristischen Gruppen oder von Gruppen stehen, die
außerhalb des Gesetzes und unter amerikanischem Kommando handeln.
Die Situation mit dem Öl hat sich also nicht groß geändert.
Frage 12: Ja. Wie wird die syrische Regierung also die Frage der
amerikanischen Präsenz in der Ölfeldregion östlich des Euphrats
angehen?
Präsident Assad: Erstens: Die Amerikaner verlassen sich auf
Terroristen. Die Terroristen müssen angegriffen werden, das ist
eine Priorität für uns in Syrien. Die Terroristen anzugreifen,
schwächt die amerikanische Präsenz auf die eine oder andere Weise.
Zu einem späteren Zeitpunkt: Es gibt syrische Gruppen, die unter
amerikanischem Kommando agieren, und diese Gruppen müssen auf die
eine oder andere Weise und vor allem im Dialog davon überzeugt
werden, dass es in unser aller Interesse in Syrien ist, dass sie sich
für die Heimat entscheiden und sich den Bemühungen des syrischen
Staates um die Befreiung aller seiner Gebiete anschließen. Zu
diesem Zeitpunkt ist es nur natürlich, dass es keine Perspektive für
eine amerikanische Präsenz gibt. Wenn sie jedoch bleiben, müssen
sie ihre Erfahrungen im Irak berücksichtigen; es wird einen
Volkswiderstand geben, und sie werden den Preis dafür zahlen.
Letztendlich werden die Amerikaner gehen.
Frage 13: Herr Präsident, wir haben in letzter Zeit in einigen
Nachbarländern, darunter im Irak, im Libanon und sogar im Iran,
Volksproteste und Ausschreitungen erlebt. Diese Länder gelten in
der Tat bis zu einem gewissen Grad als Verbündete Syriens. Wie
sehen Sie, was in diesen Ländern geschehen ist und geschieht?
Präsident Assad: Natürlich haben die Nachbarländer einen
direkten Einfluss auf uns, weil es direkte familiäre und
wirtschaftliche Beziehungen gibt, aber auch andere Arten von
Beziehungen zwischen benachbarten Ländern.
Gleichzeitig ist der Nahe Osten als Ganzes ein Gebiet; das
soziale Gefüge ist ähnlich, die Überzeugungen sind ähnlich und
die Interessen sind miteinander verflochten, auch wenn diese Länder
keine direkten Nachbarn sind.
Wenn wir davon ausgehen, dass die stattfindenden Bewegungen darauf
abzielen, die Probleme der Bevölkerung anzugehen, und dass sie zu
einer Verbesserung der wirtschaftlichen, politischen und sonstigen
Bedingungen in diesen Ländern führen würden, dann kann ich sagen,
dass die Auswirkungen positiv sein werden.
Wenn wir jedoch logisch denken, würden die westlichen Länder und
insbesondere die Vereinigten Staaten diese Länder spontan
weitermachen lassen?! Sie würden sich definitiv einmischen und
sicherlich jede Bewegung ausnutzen, um Chaos zu schaffen, denn die
amerikanische Politik - zumindest seit dem Jahr 2000 und seit dem
Irak-Krieg - ist darauf ausgerichtet, Chaos zu schaffen. Das nannten
sie 'konstruktives Chaos'; so haben es George Bush und Condoleezza
Rice genannt. Dieses 'konstruktive Chaos', das sie suchen, ist eine
Art von Chaos, das ihre Interessen durchsetzt. Deshalb wird sich
dieses Chaos, wenn es in unserer Region oder in einer anderen Region
stattfindet, negativ auf uns auswirken. Das Chaos ist ansteckend, es
ist wie eine Krankheit, es breitet sich aus; wir können also nur
hoffen, dass diese Ereignisse im internen, spontanen, populären
Rahmen bleiben.
Frage 14: Wäre es möglich zu sagen, dass man sich überall dort,
wo Chaos herrscht, nach einer amerikanischen Rolle umsehen sollte?
Präsident Assad: Das ist eine Selbstverständlichkeit und
weltweit bekannt geworden. Was ist der Unterschied zwischen der
Politik der Supermächte: Amerika und diejenigen, die dazu stehen -
wie Frankreich und Großbritannien, glauben oder denken - was wir als
falsch ansehen, aber sie sehen es als richtig an -, dass die
Interessen dieser Länder oder dieser Achse darin liegen, Chaos zu
schaffen; während Russland, China und die meisten anderen Länder
glauben, dass Stabilität und internationales Recht im besten
Interesse der Welt und ihrer Staaten, ob groß oder klein, sind.
Journalist: Herr Präsident, vielen Dank, dass Sie uns diese
Gelegenheit gegeben haben, und wir wünschen Ihnen weiterhin viel
Erfolg und Fortschritte.
Präsident Assad: Ich danke Ihnen und ich danke auch Phoenix
Television für dieses Interview.
Journalist: Herr Präsident, herzlichen Dank.
Präsident Assad: Gern geschehen.
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