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Freitag, 14. Januar 2011

Der Fall Rwanda und Burundi


Der Fall Rwanda und Burundi

Heute habe ich mich den ganzen Tag mit dem Fall Rwanda, Burundi, Hutu, Tutsi und der Genozid-Anklage beschäftigt. Ich versuche zusammenzufassen, muss aber ein paar Schritte zurückgehen.
Das nilotische Volk der Tutsi (auch Watussi genannt) scheint etwa im 14. Jahrhundert in das Land der Seen eingewandert zu sein und hat die dort unsässigen Hutus (ein Bantu-Volk) unterworfen. In Rwanda errichteten sie eine autokratische Gewaltherrschaft, die laut Basil Davidson religiös verbrämt wurde, d. h. in eine Art von Gott gewolltes Kastensystem. Die Hutus hatten keinerlei Rechte, waren eine Art Sklaven oder besser vielleicht Leibeigene. Übrigens zeigen neuere Forschungen (http://en.wikipedia.org/wiki/Tutsi) , dass die Tutsis am nächsten mit den Bantu verwandt sind.
Als Anfang des 20. Jhrh. der deutsche Herzog von Mecklenburg seine Expediton in die neu gewonnene deutsche Kolonie Tanganyika unternahm, traf er auch mit dem noch unabhängigen Sultan von Rwanda zusammen. Er war von den Tutsis sehr eingenommen, machte sich aber schon eingehend Gedanken darüber, was man aus diesem Land für deutsche Kolonisten machen könnte, sobald der Sultan unterworfen sein würde. Was auch nicht sehr lange dauerte, und da man gerade dabei war, wurde auch das unabhängige Burundi unterworfen. Wie die deutschen Kolonialisten im ehemaligen Deutsch-Südostafrika gehaust haben, legte ich ausführlich an anderer Stelle dar ('Null Uhr, wenn die Sonne aufgeht ... Reisen in Tanganyika und Zanzibar', Hamburg 1981). In Tanganyika waren jedenfalls 2/3 der Bevölkerung tot und die riesigen Viehherden hatten sich die Deutschen unter den Nagel gerissen. Die Tutsis samt deren Privilegien behielten sie aber als Zwischenhand bei der Ausübung ihrer Herrschaft bei.
Nach Ende des 1. Weltkrieges ging Tanganyika an die Engländer, Rwanda und Burundi an die UN-Treuhand, die wiederum 1946 die Länder den Belgiern zu treuen Händen übergab. Diese hatten ja gezeigt, wie gut sie mit Afrikanern umgehen können: Fazit ihrer Herrschaft im Kongo waren neun Millionen Tote.
1962 wurde das Land nach einem Referendum unabhängig, woraufhin der Bahutu-Aufstand („ermuntert“ von Belgiern und der katholischen Kirche s. http://sv.wikipedia.org/wiki/Rwanda) ausbrach, der die jahrhundertelange Vorherrschaft der Tutsis brach. 150 000 Tutsis wurden vertrieben. Sie bildeten allmähliche die RPF, die Rebellenarmee. 1964 wurde die Wirtschafts- und Währungsunion mit Burundi aufgelöst, weil das von Tutsis beherrschte Burundi immer wieder Invasionsversuche machte. 1973 fand in Burundi ein Massaker an den Hutus statt, dem die gesamte Hutu-Elite zum Opfer fiel. Im selben Jahr putschte sich der Verteidigungsminister Habyarimana in Rwanda an die Macht. 1990 gab es eine Tutsi-Invasion, die mit Hilfe der Franzosen zurückgeschlagen wurde. 1993 nahm er Verhandlungen mit den Tutsis auf, um sie an der Macht zu beteiligen. Bei der Rückkehr von den Verhandlungen wurde sein Flugzeug über dem Flughafen von Kigali abgeschossen. Das war der Startschuß für den Volksmord.
1994 nahm die Rebellenarmee (RPF) unter Kagame die Hauptstadt Kigali ein und 2 Millionen Hutus flüchteten in die Nachbarländer. Das Ziel war die Ausschaltung der Tutsi-Führung und der Hutu-Opposition. Die RPF beendete allmählich das Morden, dem 500 000 Menschen zum Opfer gefallen waren. Die meisten Hutus kehrten zurück, aber nicht die Hutu-Milizen, die im Ost-Kongo blieben und später von Tutsi-Armeen aufgerieben wurden, die in den Ost-Kongo eindrangen – und dort bis heute blieben. In Rwanda waren unter dem 1. Tutsi-Präsidenten Bizimungu „autoritäre Tendenzen und zahlreichen Menschenrechtsverletzungen“ zu bemerken ('Lexikon der 3. Welt', rororo Hamburg 2002, Hgg. Dieter Nohlen). 2003 schob sich der seit 1994 starke Mann Kagame auf den Präsidentensessel.

Burundi wurde ebenfalls 1962 unabhängig. Aber auch dort drängten die Hutus auf gleiche Rechte. Die große Mehrheit der Hutus lebte unter der Armutsgrenze, während die Oberschicht fast ausschließlich aus Tutsis bestand. Nach einem gescheiterten Militärputsch (die Hutus hatten die Wahlen gewonnen, aber der König setzte einen Tutsi ein) wurde die gesamte Hutu-Elite eliminiert. 1993 kam nach 30 Jahren Tutsi-Herrschaft endlich ein Hutu durch Wahlen an die Macht. Er wurde nach 4 Monaten von Tutsis ermordet, was der Anlass zu einem Bürgerkrieg wurde, der zum „Verschwinden“, wie Wikipedia es euphemistisch nennt, von 200 000 Burundiern führte. Pardon: in der englischen Wikipedia ist von 250 000 Toten bis 1993 die Rede (es lohnt sich die verschiedenen Wikipedias anzuschauen). Die Ermordung von Präsident Ndadaye führte zu weiteren 300 000 Toten. Der nächste Hutu-Präsident wurde zur Abwechslung mit seinem Flugzeug abgeschossen. Als wieder ein Hutu zum Präsidenten ernannt wurde, „gab es eine Welle von Massakern an den Hutu-Flüchtlingen in Bujumbura, der Hauptstadt“. Und 1996 putschte sich der Tutsi Pierre Buyoya an die Macht. 2000 wurde in Arusha/Tansania ein Friedensabkommen zwischen Tutsi- und Hutuparteien geschlossen, aber erst 2003 wurde das Feuer zwischen der Tutsi- und der Hutu-Armee eingestellt. 2005 wurde der Hutu Nkurunziza zum Präsidenten gewählt. Nun herrscht ein prekärer Friede.

Anzufügen bleibt erstens, dass (ïn etwa übereinstimmend mit 'Lexikon der Völker', Komet-Verlag Köln 2002; Meyers Großes Taschenlexikon, 1989 und dem rororo 'Lexikon der 3. Welt') in Rwanda 1989 ca. 6.2 Mill. E. lebten, davon 9% Tutsis (550 000) und in Burundi ca. 4.92 Mill. E., davon 13% Tutsis (640 000). Wenn also die Zahl 1 Million ermordete Tutsis ins Spiel gebracht wird, dürfte es heute kaum noch Tutsis geben.

Und zweitens: Wer diese kurze Zusammenstellung verwirrend findet, dem kann ich nur Recht geben. Aber in Wirklichkeit ist sie tausendmal verwirrender. Man muss sich nur vorstellen, wie viele einheimische Akteure damals anwesend waren. Als ob das nicht genug wäre, so muss man auch an die ungezählten ausländischen Akteure denken aus Dutzenden von Ländern, die alle ihre Leute, ihre Agenten, ihre Milizen, ihre Soldaten, ihre Ingenieure, Spezialisten, käuflichen NGOs, Priester, Vertreter der Industrie und der Monopole im Schlepptau hatten, und die immer noch dort unten anwesend sind. Vielleicht kann man dann besser begreifen, nein, nicht begreifen – dann braucht man sich nicht zu wundern, dass in diesen armen und so unermesslich reichen Ländern kein Friede einkehrt.

Und drittens: Seit ich mit 14 Jahren 'Spartacus' las, stand ich auf der Seite der Sklaven und später auf Seiten aller Unterdrückten. Genau wie Mark Twain, der von den Leuten schrieb, die sich über ein paar tausend Tote der Französischen Revolution aufregten, und sagte, dass sie weder Verständnis noch Empathie für das Volk, die Bauern hätten, die 1000 Jahre unter dem Joch der Feudalherren gestanden, gelitten haben und oft elend krepiert sind. Und auch nicht für die 100 000 Opfer, die die Rache der Konterrevolution gekostet hat. Nach deren Logik ist ja auch Spartacus ein Terrorist, ein Verbrecher. Und derselben Logik folgen auch jene, die den Hutus, die Jahrhunderte lang ausgebeutet wurden, entrechtet wurden, deren Frauen vergewaltigt wurden, ihre Raserei vorwerfen. ABER dazu muss gesagt werden, dass das Volk normalerweise nicht derart grausam ist (man denke an die deutschen Bauernkriege), sondern dass in diesem Falle Agenten der Großmächte, vor allem der allergrößten, am Werk waren, die gehetzt, angestachelt und das Feuer geschürt haben, denn es steht ungeheuer viel auf dem Spiel – und das erzählt u. a. Charles Onana.

Nun komme ich also auf Charles Onana zu sprechen, der der eigentliche Anlass für diesen Artikel ist.
Es gab Bedenken, ein Video von ihm auf unsere Webseite zu legen, weil er von gewissen Leuten als Genozid-Verneiner angesehen wird. Anlass waren seine Bücher „Les secrets du génocide rwandais“ und Ces tueurs tutsi au cœur de la tragedie congolaise (préface de Cynthia McKinney), Duboiris, 2009. Wikipedia schreibt: „ … il met en doute la qualification de génocide et accuse Kagame … d'avoir 1994 organisé le massacre des Tutsi et des Hutu ...“ ( … er bezweifelt die Bezeichnung Genozid und beschuldigt Kagame … 1994 das Massaker gegen Tutsi und Hutu organisiert zu haben …). Wofür es ja auch in dem oben zitierten 'Lexikon der 3. Welt' einen Hinweis gibt.
Dazu ist zu sagen, dass Kagame einen Prozess gegen Onana angestrengt und verloren hat. Einen weiteren Prozess haben Onana und der kanadische Schriftsteller Robin Philpot gegen die Zeitung Libération angestrengt, in der sie von einem gewissen Ayad als Genozid-Verneiner präsentiert wurden, der noch nicht entschieden ist. Nun, und wenn ich mir die Liste seiner Werke ansehe (http://fr.wikipedia.org/wiki/Charles_Onana), dann frage ich mich, wie man auf so eine hirnrissige Idee kommen kann.

Abschließend bin ich der Meinung, so lange wie

  • keines der Kolonialländer angefangen hat, für den Diebstahl und die Plünderung gigantischen Ausmasses in der 3. Welt zu bezahlen (von den millionenfachen Morden ganz zu schweigen – das könnten nur Zionisten in Zahlen ausdrücken);
  • kein deutscher Soldat jemals wegen Genozid an den Russen, Polen etc. angeklagt wurde;
  • kein Soldat der USA und all ihrer allzeit bereiten willigen Alliierten der monströsen Verbrechen in den dutzenden Kriegen seit Ende des 2. Weltkrieges (von Korea angefangen bis Irak, Pakistan, Afghanistan, Palästina, Somalia etc.) angeklagt worden ist;
  • kein Politiker, Waffenfabrikant, Waffenschieber, Kriegsgewinnler, Schreibtischtäter, Medienkriegshetzer, Pfaffe angeklagt ist -

so lange ist es ein Skandal, ein rassistischer Skandal, dass Gerichtshöfe wie der in Den Haag oder Arusha installiert werden.
Wer nun meint, sagen zu müssen, dass ich riesige Massaker wie jene in Rwanda und Burundi wohl gutheisse, der sollte schnurstracks zum Psychiater gehen.


Einar Schlereth

Klavreström, der 13. Januar 2011

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