Der Fall Rwanda und
Burundi
Heute
habe ich mich den ganzen Tag mit dem Fall Rwanda, Burundi, Hutu,
Tutsi und der Genozid-Anklage beschäftigt. Ich versuche
zusammenzufassen, muss aber ein paar Schritte zurückgehen.
Das
nilotische Volk der Tutsi (auch Watussi genannt) scheint etwa im 14.
Jahrhundert in das Land der Seen eingewandert zu sein und hat die
dort unsässigen Hutus (ein Bantu-Volk) unterworfen. In Rwanda
errichteten sie eine autokratische Gewaltherrschaft, die laut Basil
Davidson religiös verbrämt wurde, d. h. in eine Art von Gott
gewolltes Kastensystem. Die Hutus hatten keinerlei Rechte, waren eine
Art Sklaven oder besser vielleicht Leibeigene. Übrigens zeigen
neuere Forschungen (http://en.wikipedia.org/wiki/Tutsi)
, dass die Tutsis am nächsten mit den Bantu verwandt sind.
Als
Anfang des 20. Jhrh. der deutsche Herzog von Mecklenburg seine
Expediton in die neu gewonnene deutsche Kolonie Tanganyika unternahm,
traf er auch mit dem noch unabhängigen Sultan von Rwanda zusammen.
Er war von den Tutsis sehr eingenommen, machte sich aber schon
eingehend Gedanken darüber, was man aus diesem Land für deutsche
Kolonisten machen könnte, sobald der Sultan unterworfen sein würde.
Was auch nicht sehr lange dauerte, und da man gerade dabei war, wurde
auch das unabhängige Burundi unterworfen. Wie die deutschen
Kolonialisten im ehemaligen Deutsch-Südostafrika gehaust haben, legte
ich ausführlich an anderer Stelle dar ('Null Uhr, wenn die Sonne aufgeht ... Reisen in Tanganyika und Zanzibar', Hamburg 1981). In Tanganyika waren
jedenfalls 2/3 der Bevölkerung tot und die riesigen Viehherden
hatten sich die Deutschen unter den Nagel gerissen. Die Tutsis samt
deren Privilegien behielten sie aber als Zwischenhand bei der
Ausübung ihrer Herrschaft bei.
Nach
Ende des 1. Weltkrieges ging Tanganyika an die Engländer, Rwanda und
Burundi an die UN-Treuhand, die wiederum 1946 die Länder den
Belgiern zu treuen Händen übergab. Diese hatten ja gezeigt, wie gut
sie mit Afrikanern umgehen können: Fazit ihrer Herrschaft im Kongo
waren neun Millionen Tote.
1962
wurde das Land nach einem Referendum unabhängig, woraufhin der
Bahutu-Aufstand („ermuntert“ von Belgiern und der katholischen
Kirche s. http://sv.wikipedia.org/wiki/Rwanda)
ausbrach, der die jahrhundertelange Vorherrschaft der Tutsis brach.
150 000 Tutsis wurden vertrieben. Sie bildeten allmähliche die RPF,
die Rebellenarmee. 1964 wurde die Wirtschafts- und Währungsunion mit
Burundi aufgelöst, weil das von Tutsis beherrschte Burundi immer
wieder Invasionsversuche machte. 1973 fand in Burundi ein Massaker an
den Hutus statt, dem die gesamte Hutu-Elite zum Opfer fiel. Im selben
Jahr putschte sich der Verteidigungsminister Habyarimana in Rwanda an
die Macht. 1990 gab es eine Tutsi-Invasion, die mit Hilfe der
Franzosen zurückgeschlagen wurde. 1993 nahm er Verhandlungen mit den
Tutsis auf, um sie an der Macht zu beteiligen. Bei der Rückkehr von
den Verhandlungen wurde sein Flugzeug über dem Flughafen von Kigali
abgeschossen. Das war der Startschuß für den Volksmord.
1994
nahm die Rebellenarmee (RPF) unter Kagame die Hauptstadt Kigali ein
und 2 Millionen Hutus flüchteten in die Nachbarländer. Das Ziel war
die Ausschaltung der Tutsi-Führung und der Hutu-Opposition. Die RPF
beendete allmählich das Morden, dem 500 000 Menschen zum Opfer
gefallen waren. Die meisten Hutus kehrten zurück, aber nicht die
Hutu-Milizen, die im Ost-Kongo blieben und später von Tutsi-Armeen
aufgerieben wurden, die in den Ost-Kongo eindrangen – und dort bis
heute blieben. In Rwanda waren unter dem 1. Tutsi-Präsidenten
Bizimungu „autoritäre Tendenzen und zahlreichen
Menschenrechtsverletzungen“ zu bemerken ('Lexikon der 3. Welt',
rororo Hamburg 2002, Hgg. Dieter Nohlen). 2003 schob sich der seit
1994 starke Mann Kagame auf den Präsidentensessel.
Burundi
wurde ebenfalls 1962 unabhängig. Aber auch dort drängten die Hutus
auf gleiche Rechte. Die große Mehrheit der Hutus lebte unter der
Armutsgrenze, während die Oberschicht fast ausschließlich aus
Tutsis bestand. Nach einem gescheiterten Militärputsch (die Hutus
hatten die Wahlen gewonnen, aber der König setzte einen Tutsi ein)
wurde die gesamte Hutu-Elite eliminiert. 1993 kam nach 30 Jahren
Tutsi-Herrschaft endlich ein Hutu durch Wahlen an die Macht. Er wurde
nach 4 Monaten von Tutsis ermordet, was der Anlass zu einem
Bürgerkrieg wurde, der zum „Verschwinden“, wie Wikipedia es
euphemistisch nennt, von 200 000 Burundiern führte. Pardon: in der
englischen Wikipedia ist von 250 000 Toten bis 1993 die Rede (es
lohnt sich die verschiedenen Wikipedias anzuschauen). Die Ermordung
von Präsident Ndadaye führte zu weiteren 300 000 Toten. Der nächste
Hutu-Präsident wurde zur Abwechslung mit seinem Flugzeug
abgeschossen. Als wieder ein Hutu zum Präsidenten ernannt wurde,
„gab es eine Welle von Massakern an den Hutu-Flüchtlingen in
Bujumbura, der Hauptstadt“. Und 1996 putschte sich der Tutsi Pierre
Buyoya an die Macht. 2000 wurde in Arusha/Tansania ein
Friedensabkommen zwischen Tutsi- und Hutuparteien geschlossen, aber
erst 2003 wurde das Feuer zwischen der Tutsi- und der Hutu-Armee
eingestellt. 2005 wurde der Hutu Nkurunziza zum Präsidenten gewählt.
Nun herrscht ein prekärer Friede.
Anzufügen
bleibt erstens, dass (ïn etwa übereinstimmend mit 'Lexikon der
Völker', Komet-Verlag Köln 2002; Meyers Großes Taschenlexikon,
1989 und dem rororo 'Lexikon der 3. Welt') in Rwanda 1989 ca. 6.2
Mill. E. lebten, davon 9% Tutsis (550 000) und in Burundi ca. 4.92
Mill. E., davon 13% Tutsis (640 000). Wenn also die Zahl 1 Million
ermordete Tutsis ins Spiel gebracht wird, dürfte es heute kaum noch
Tutsis geben.
Und
zweitens: Wer diese kurze Zusammenstellung verwirrend findet, dem
kann ich nur Recht geben. Aber in Wirklichkeit ist sie tausendmal
verwirrender. Man muss sich nur vorstellen, wie viele einheimische
Akteure damals anwesend waren. Als ob das nicht genug wäre, so muss
man auch an die ungezählten ausländischen Akteure denken aus
Dutzenden von Ländern, die alle ihre Leute, ihre Agenten, ihre
Milizen, ihre Soldaten, ihre Ingenieure, Spezialisten, käuflichen
NGOs, Priester, Vertreter der Industrie und der Monopole im
Schlepptau hatten, und die immer noch dort unten anwesend sind.
Vielleicht kann man dann besser begreifen, nein, nicht begreifen –
dann braucht man sich nicht zu wundern, dass in diesen armen und so
unermesslich reichen Ländern kein Friede einkehrt.
Und
drittens: Seit ich mit 14 Jahren 'Spartacus' las, stand ich auf der
Seite der Sklaven und später auf Seiten aller Unterdrückten. Genau
wie Mark Twain, der von den Leuten schrieb, die sich über ein paar
tausend Tote der Französischen Revolution aufregten, und sagte, dass
sie weder Verständnis noch Empathie für das Volk, die Bauern
hätten, die 1000 Jahre unter dem Joch der Feudalherren gestanden,
gelitten haben und oft elend krepiert sind. Und auch nicht für die
100 000 Opfer, die die Rache der Konterrevolution gekostet hat. Nach
deren Logik ist ja auch Spartacus ein Terrorist, ein Verbrecher. Und
derselben Logik folgen auch jene, die den Hutus, die Jahrhunderte
lang ausgebeutet wurden, entrechtet wurden, deren Frauen vergewaltigt
wurden, ihre Raserei vorwerfen. ABER dazu muss gesagt werden, dass
das Volk normalerweise nicht derart grausam ist (man denke an die
deutschen Bauernkriege), sondern dass in diesem Falle Agenten der
Großmächte, vor allem der allergrößten, am Werk waren, die
gehetzt, angestachelt und das Feuer geschürt haben, denn es steht
ungeheuer viel auf dem Spiel – und das erzählt u. a. Charles
Onana.
Nun
komme ich also auf Charles Onana zu sprechen, der der
eigentliche Anlass für diesen Artikel ist.
Es gab
Bedenken, ein Video von ihm auf unsere Webseite zu legen, weil er von
gewissen Leuten als Genozid-Verneiner angesehen wird. Anlass waren
seine Bücher „Les secrets du génocide rwandais“ und Ces
tueurs tutsi au cœur de la tragedie congolaise (préface de
Cynthia
McKinney), Duboiris, 2009. Wikipedia schreibt: „ … il met en
doute la qualification de génocide et accuse Kagame … d'avoir 1994
organisé le massacre des Tutsi et des Hutu ...“ ( … er
bezweifelt die Bezeichnung Genozid und beschuldigt Kagame … 1994
das Massaker gegen Tutsi und Hutu organisiert zu haben …). Wofür
es ja auch in dem oben zitierten 'Lexikon der 3. Welt' einen Hinweis
gibt.
Dazu
ist zu sagen, dass Kagame einen Prozess gegen Onana
angestrengt und verloren hat. Einen weiteren Prozess haben Onana und
der kanadische Schriftsteller Robin Philpot gegen die
Zeitung Libération
angestrengt, in der sie von einem gewissen Ayad als Genozid-Verneiner
präsentiert wurden, der noch nicht entschieden ist. Nun, und wenn
ich mir die Liste seiner Werke ansehe
(http://fr.wikipedia.org/wiki/Charles_Onana),
dann frage ich mich, wie man auf so eine hirnrissige Idee kommen
kann.
Abschließend bin ich der Meinung, so lange wie
- keines der Kolonialländer angefangen hat, für den Diebstahl und die Plünderung gigantischen Ausmasses in der 3. Welt zu bezahlen (von den millionenfachen Morden ganz zu schweigen – das könnten nur Zionisten in Zahlen ausdrücken);
- kein deutscher Soldat jemals wegen Genozid an den Russen, Polen etc. angeklagt wurde;
- kein Soldat der USA und all ihrer allzeit bereiten willigen Alliierten der monströsen Verbrechen in den dutzenden Kriegen seit Ende des 2. Weltkrieges (von Korea angefangen bis Irak, Pakistan, Afghanistan, Palästina, Somalia etc.) angeklagt worden ist;
- kein Politiker, Waffenfabrikant, Waffenschieber, Kriegsgewinnler, Schreibtischtäter, Medienkriegshetzer, Pfaffe angeklagt ist -
so lange ist es ein Skandal, ein rassistischer Skandal, dass
Gerichtshöfe wie der in Den Haag oder Arusha installiert werden.
Wer nun meint, sagen zu müssen, dass ich riesige Massaker wie jene
in Rwanda und Burundi wohl gutheisse, der sollte schnurstracks zum
Psychiater gehen.
Einar Schlereth
Klavreström, der 13. Januar 2011
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