Dienstag, 25. Januar 2011

Der Zustand der US-Nation

Heute hat ein Freund aus den USA mir einen Brief zugeschickt, in dem es um eine Diskussion geht, die wir anlässlich eines Artikels im http://www.alternet.org/story/149659/ führten, bei dem es um die neuen "Austerity"-Pläne (Schnall den Gürtel enger"-Pläne) der Regierung geht. Der Autor Mark Ames beweist, dass eine derartige Politik noch nie zum Ziel geführt hat, nämlich die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, ganz im Gegenteil. Denn die Gier der Superreichen wird nie gesättigt, das Elend und die wachsende Armut um sie herum stacheln sie nur zu erneuten Raubzügen in der ganzen Welt, Schachzügen zur Senkung ihrer minimalen Einkommenssteuern an, wobei sie Sprüche ähnlich jenem von Marie-Antoinette von sich geben, die kurz vor der Französischen Revolution auf den Bericht, dass die Menschen kein Brot hätten, antwortete: "Dann sollen sie doch Kuchen fressen."
Hier folgt ein Auszug von Davids (der seit 1 1/2 Jahren als 2-sprachiger Sozialarbeiter für Wohlfahrt tätig ist) Brief als Ergänzung zum oben genannten Artikel:
"Massenweise kommen Menschen und suchen um Hilfe und Unterstützung nach, die ständig weiter gesenkt wird (eine Mutter  mit einem Kind und ohne Einkünfte erhält jetzt monatlich 385 $ in bar statt zuvor 453 $). Es kommen Leute, die in ihrem ganzen Leben nicht daran gedacht haben, Stütze zu beantragen. Manche sind mitsamt allen ihren Kollegen gefeuert worden, damit die Bosse neue Arbeiter mit niedrigeren Löhnen und ohne Sonderleistungen einstellen können. Manche haben ihre Häuser verloren, weil sie nicht mehr die Hypotheken bezahlen können. Immer mehr junge Leute machen "Couch-surfen", leben hier und dort bei Freunden und schlafen auf der Couch, weil sie keine Arbeit und keinen Platz zum Leben haben. Menschen weinen vor dem Besuchsfenster, weil sie nicht zum Arzt gehen können und "nicht wussten, dass sie nach lebenslanger Arbeit und Bezahlung von Steuern" nicht für die Krankenkasse qualifiziert sind,  weil es die nicht gibt, es sei denn, man ist "uralt, blind und behindert" oder man ist Elternteil eines Haushalts mit Kindern und keinerlei Einkommen.
Ich versuche mit den Leuten in Begriffen zu reden, die sie nicht von anderen hören. Eine Sache ist, dass ich mich als "Sozialist" bezeichne. Das ist ein Wort, das man hier nicht hört, es sei denn, man will jemanden wie Obama angreifen, was natürlich völlig absurd ist. Ich benutze auch andere verbotene Wörter wie "herrschende Klasse" (was ich in Zusammenhang mit dem "Zwei-Parteien-Konsens der herrschenden Klasse" verwende). Ich erkläre den Leuten, dass wir niemals, wenn wir nicht das Instrument und die Waffe der Sprache benutzen, die durch den Schweiß, das Blut und den Geist von Jahrhunderten des Kampfes geschaffen wurde, die kapitalistischen, imperialistischen, faschistischen Ratten beschreiben, verstehen und bekämpfen können. Aber du glaubst nicht, wie schwer eine solche Diskussion ist, selbst mit sogenannten "Liberalen", "Progressiven", "Linken", Bezeichnungen, die heute keine Bedeutung mehr haben.
Aber was ist denn ein Linker ohne eine Klassenanalyse"? Wenn man einen sozialen Konsens akzeptiert, dass man Wörter wie "herrschende Klasse" oder "sozialistisch" nicht benutzen kann, dann ist man besiegt, bevor man begonnen hat."
Es ist tröstlich zu hören, dass es sogar in den USA noch Leute gibt, die selber denken und an andere denken. Deshalb schickte ich an David ein warmes Dankeschön.


Montag, 24. Januar 2011

Über Nackte, Islam, christliche Fundis und 'Es gab mal eine bessere Zeit ...' von Kerstin Steinbach

Einar Schlereth

Mit 'Es gab mal eine bessere Zeit' meint die Autorin Kerstin Steinbach die Jahre von 1965 - 1975 und darin wird ihr jeder, der die Zeit miterlebte, Recht geben. Der Untertitel lautet im übrigen 'Die verhassten Bilder und ihre verdrängte Botschaft', eingerahmt von Fotos schöner nackter Frauen.
Die Autorin ist Ärztin und schreibt, aus verständlichen Gründen, unter Pseudonym. Ich habe ihr Buch mit großem Vergnügen gelesen, empfand sie an vielen Stellen als mein alter Ego. Es macht Spaß, sie über die 'braune und die schwarze Diktatur', Duckmäusertum, feige Politiker und Medienfiguren, Pfaffengesindel und die feministischen Schandmäuler herziehen zu hören.
Einhergehend mit der politischen Befreiung kam es zu einer sexuellen Befreiung, die sich nur teilweise berührten und überschnitten, aber beide gleichermaßen von der Reaktion zutiefst verabscheut und gehasst wurden. Die sexuelle Befreiung, begünstigt von besseren Lebensverhältnissen, gestärkter Stellung der Frau und - der Pille manifestierte sich vor allem in der Realität: "Die Bilder schöner, junger, selbstbewusster nackter Menschen, die da auf einmal die Öffentlichkeit erreichten, waren, weil sie öffentlich waren, das Verbotenste vom Verbotenen, und wer auch nur wenige Jahre vorher gelebt hatte, wusste, dass nur eine ganz massive, außergewöhnlich starke gesellschaftliche Kraft ihnen diesen Platz hatte verschaffen können; wenige Jahre zuvor hätte schon die kleinste weibliche Brustwarze Heere von Polizisten und ihren Aasgeiern aus dem Justizapparat danach mobilisert wie heute von Schmierern und Pogromisten." Eines dieser schönen Bilder will ich niemandem vorenthalten.
Kerstin Steinbach führt die Genesis des Menschen, Geschichte und Psychologie ins Feld, um die Gründe aufzuzeigen, warum Nacktheit seit eh und je - mit seltenen historischen Ausnahmen, so verpönt, verhetzt, begeifert wird. Man darf sich keine Blöße geben - in dem Satz steckt alles drin.
KS setzt die Bewegung um 1966 an (geht gewiss auch auf die verquaste, verhunzte FKK-Bewegung kurz ein), aber da möchte ich doch aus eigener Erfahrung ein paar Anmerkungen machen. Meine Familie landete nach der Flucht aus dem Osten in einem fränkischen Städtchen, das fest in der Hand erzkatholischer Fundis war. Mein bester Freund und ich begannen während unserer Zeit auf dem Gymnasium (um 1952 herum), in der fränkischen Saale sommers wie winters nackt zu baden. Das Flussufer war von der 800 m oberhalb verlaufenden Straße gut einsehbar. Und bald tauchten im Gymnasium wiederholt Anschläge auf, die das "hüllenlose" Baden strengstens untersagten. Sie erwischten uns aber nie.
Wer dazumal küssend hinter der Stadtmauer erwischt wurde, flog gnadenlos von der Schule. Ein Lehrer zitierte die Mutter unserer Klassenschönen zu sich, um ihr zu verbieten, dass ihre Tochter einige Zentimeter zu viel von ihren schönen Brüsten zeigte.
Später (ab 1956) an den Unis von Hamburg und Freiburg/Bg. hatten wir immer Gruppen, Jungen und Mädchen, die jede Gelegenheit zum Nacktbaden nutzten. Tagsüber an Seen oder der Ostsee, nachts in Freibädern. Diese Tradition setzte ich auch mit meinen Freundinnen fort. Jahrzehntelang besaßen wir überhaupt keine Badeanzüge.
Dann in den 60-er Jahren waren wir natürlich auch von Anfang an in der Baggersee-Bewegung (wie KS es nennt) dabei - als Pioniere. Einige Baggerseen haben wir als Nacktbäder quasi von Anfang an in Beschlag genommen.
Aber richtige Pioniere waren wir doch nicht, denn ich hatte schon in den 50-er Jahren ältere Freunde - u. a. sogar aus der Schweiz - die das ungehemmte Nacktsein schon lange praktizierten.
Ein ganzes Kapitel ist diesem Thema gewidmet: 'Risse im Bekleidungszwang - die Baggerseebewegung'. Anhand von Anzeigen, Fotos, Karikaturen zeigt sie, dass "Menschen ... glücklich und unbeschwert sein können", wenn der kontinuierliche Druck des Bekleidungszwangs nachlässt oder ganz verschwindet.
Dann aber kommt ein Kapitel 'Werbung der besseren Zeiten', wo ich der Autorin  absolut nicht folgen kann. Sie schreibt: "Unter einer sehr dünnen Rationalisierungsschicht schleppt auch die Linke das christliche Gerümpel mit, und so stößt eine Polemik gegen die Werbung bei allem Publikum, das sich von der Religion offen oder heimlich nicht lösen konnte, stets und leicht auf Widerhall und Mitmacher."
Nun, ich war nicht der einzige waschechte Heide in unseren Kreisen - aber in dieser Gruppe von Malern, Bildhauern, Schriftstellern, Dichtern, Architekten - die politisch von linksliberal bis ultralinks einzustufen waren, und die zum größeren Teil auch Nackheit und freie Liebe praktizierten, war Werbung absolut verpönt als etwas, was überflüssiger als ein Kropf war. Ich bin ja in einer Zeit (geb. 1937) aufgewachsen, wo Werbung nur eine sehr geringe Rolle spielte, habe sie aber dennoch von der ersten bewussten Wahrnehmung an bis heute, wo sie kiloweise den Briefkasten verstopft, gehasst mitsamt den pseudointellektuellen, affigen  Reklamefritzen. Nicht nur, dass ganze Wälder und knappe Ressorcen daran glauben müssen, so ist auch mindestens 90% dessen, für das die Werbetrommel gerührt wird, einfach Schrott, der Müllberge ins Unendliche wachsen lässt, unter denen das Leben, die Mühen, der Schweiss, das Leiden und verschwendete Zeit von Millionen Menschen begraben liegt. Wir wussten auch ohne Werbung, wo man am preisgünstigsten einkauft und wo die besten Kneipen zu finden waren. Dafür gab es die Buschtrommel und die Mund-zu Mund-Propaganda. Und nicht zuletzt hat die Werbung erheblich dazu beigetragen, die letzten Reste von Pressefreiheit zu beseitigen.
Und dann stieß ich auf noch eine Bemerkung, die mich sehr erstaunt hat. Auf S. 55 ist von : "... der menschenfeindlichsten und zugleich frauenfeindlichsten Religion, die die unwissende Menschheit bisher hervorgebracht hat, dem erzfinsteren Islam ..." die Rede. Merkwürdig. Vergleiche ich die heiligen Schriften der Christen und Juden mit dem Koran, würde ich diesen geradezu als humanistische Schrift ansehen. Haben die Moslems sich drei Kontinente unter den Nagel gerissen (in dem dritten - Lateinamerika - versuchen die Indios heute unter großen Mühen, ihn den Weissen wieder zu entreissen)? Haben die Moslems - wie die christlichen Spanier und Portugiesen in Lateinamerika gleich in den ersten Jahrzehnten - 60 Millionen massakriert und hunderte Genozide vollbracht? Haben die Moslems in Spanien die Christen ausgerottet? Aber nach der christlichen Rückeroberung wurde Spanien schnell zum ersten Juden- und Moslemfreien Land Europas. Haben nicht die Moslems den ungewaschenen Christen so etwas wie Körperhygiene durch tausende öffentliche Bäder beigebracht (von wegen stinkende Moslems! Wie viel von dieser moslemischen Kultur noch übrig geblieben ist, zeigen Statistiken, aber auch Aussagen von befreundeten Ärzten und Gynäkologen, dass Frauen aus südlichen katholischen Ländern und Moslem-Frauen es mit der Genitalhygiene sehr genau nehmen, weit besser als "unsere" Frauen)? Haben Moslems nicht schon vor 1000 Jahren den ersten Staat ohne Religionszwang 180 Jahre lang ('Die Karmaten' von Peter Priskill siehe hier) genossen? Haben sie nicht in Spanien die erste aufgeklärte, tolerante Gesellschaft in Europa geschaffen, in der Moslems, Christen und Juden friedlich miteinander lebten? Im Unterschied zu Christen haben die Moslems auch keinerlei Bekehrungseifer gezeigt. Das ist eine neue, von Proselyten gelernte Errungenschaft.
Nebenbei bemerkt habe ich in islamischen Gesellschaften gelebt und niemals wollte mich ein Moslem in die Moschee schleifen (hingegen oft mit großem Eifer christliche Sektenheinis). Da ich nie ein Hehl aus meinem Heidentum (Religionslosigkeit) machte, gab es öfters Diskussionen, die offen und ohne jede Aggression verliefen.
Aber, wie gesagt,  für mich ist jede Religion ein Gräuel, ist mir unbegreiflich, wie jemand all den Schmonzes glauben kann. Aber ich habe auch gelernt, dass das, was uns in der Schule über den Islam und heute in den Zeiten der Islamophobie erzählt wurde bzw. wird, nichts als Nonsense ist.
Es versteht sich wohl aber von selbst, dass ich die Unterdrückung der Frauen in den islamischen Ländern und vor allem die Verstümmelungspraktiken (die es auch in nichtislamischen Ländern gibt) aufs Schärfste missbillige und verurteile. Nur meine ich auch hier, dass sich die Christen - die vor allem  - sowie Hindus usw. nicht auf ein allzu hohes Ross setzen müssen, denn von wirklicher Gleichberechtigung sind ja auch wir noch himmelweit entfernt.
Aber das Buch ist auf jeden Fall lesenswert, vor allem auch der umfangreiche Anhang über die 2002 bundesweit veranstalteten "NACKT"- Ausstellungen und der Bericht eines Betroffenen über die systematische, planvolle Zerstörung aller Baggerseen und Teiche um Freiburg/Bg. herum, die von hunderten Menschen zum Nacktbaden benutzt wurden. Ein Dokument über den permanenten Terror, die unentwegte Gewalt, die vom Staat und seinen Knechten - Polizei, Justiz, Kirche, Medien - gegen Menschen mit Freiheitsgeist geübt wird.


Das Buch ist im übrigen im Ahriman Verlag in Freiburg/Bg. zu haben.

Freitag, 14. Januar 2011

Der Fall Rwanda und Burundi


Der Fall Rwanda und Burundi

Heute habe ich mich den ganzen Tag mit dem Fall Rwanda, Burundi, Hutu, Tutsi und der Genozid-Anklage beschäftigt. Ich versuche zusammenzufassen, muss aber ein paar Schritte zurückgehen.
Das nilotische Volk der Tutsi (auch Watussi genannt) scheint etwa im 14. Jahrhundert in das Land der Seen eingewandert zu sein und hat die dort unsässigen Hutus (ein Bantu-Volk) unterworfen. In Rwanda errichteten sie eine autokratische Gewaltherrschaft, die laut Basil Davidson religiös verbrämt wurde, d. h. in eine Art von Gott gewolltes Kastensystem. Die Hutus hatten keinerlei Rechte, waren eine Art Sklaven oder besser vielleicht Leibeigene. Übrigens zeigen neuere Forschungen (http://en.wikipedia.org/wiki/Tutsi) , dass die Tutsis am nächsten mit den Bantu verwandt sind.
Als Anfang des 20. Jhrh. der deutsche Herzog von Mecklenburg seine Expediton in die neu gewonnene deutsche Kolonie Tanganyika unternahm, traf er auch mit dem noch unabhängigen Sultan von Rwanda zusammen. Er war von den Tutsis sehr eingenommen, machte sich aber schon eingehend Gedanken darüber, was man aus diesem Land für deutsche Kolonisten machen könnte, sobald der Sultan unterworfen sein würde. Was auch nicht sehr lange dauerte, und da man gerade dabei war, wurde auch das unabhängige Burundi unterworfen. Wie die deutschen Kolonialisten im ehemaligen Deutsch-Südostafrika gehaust haben, legte ich ausführlich an anderer Stelle dar ('Null Uhr, wenn die Sonne aufgeht ... Reisen in Tanganyika und Zanzibar', Hamburg 1981). In Tanganyika waren jedenfalls 2/3 der Bevölkerung tot und die riesigen Viehherden hatten sich die Deutschen unter den Nagel gerissen. Die Tutsis samt deren Privilegien behielten sie aber als Zwischenhand bei der Ausübung ihrer Herrschaft bei.
Nach Ende des 1. Weltkrieges ging Tanganyika an die Engländer, Rwanda und Burundi an die UN-Treuhand, die wiederum 1946 die Länder den Belgiern zu treuen Händen übergab. Diese hatten ja gezeigt, wie gut sie mit Afrikanern umgehen können: Fazit ihrer Herrschaft im Kongo waren neun Millionen Tote.
1962 wurde das Land nach einem Referendum unabhängig, woraufhin der Bahutu-Aufstand („ermuntert“ von Belgiern und der katholischen Kirche s. http://sv.wikipedia.org/wiki/Rwanda) ausbrach, der die jahrhundertelange Vorherrschaft der Tutsis brach. 150 000 Tutsis wurden vertrieben. Sie bildeten allmähliche die RPF, die Rebellenarmee. 1964 wurde die Wirtschafts- und Währungsunion mit Burundi aufgelöst, weil das von Tutsis beherrschte Burundi immer wieder Invasionsversuche machte. 1973 fand in Burundi ein Massaker an den Hutus statt, dem die gesamte Hutu-Elite zum Opfer fiel. Im selben Jahr putschte sich der Verteidigungsminister Habyarimana in Rwanda an die Macht. 1990 gab es eine Tutsi-Invasion, die mit Hilfe der Franzosen zurückgeschlagen wurde. 1993 nahm er Verhandlungen mit den Tutsis auf, um sie an der Macht zu beteiligen. Bei der Rückkehr von den Verhandlungen wurde sein Flugzeug über dem Flughafen von Kigali abgeschossen. Das war der Startschuß für den Volksmord.
1994 nahm die Rebellenarmee (RPF) unter Kagame die Hauptstadt Kigali ein und 2 Millionen Hutus flüchteten in die Nachbarländer. Das Ziel war die Ausschaltung der Tutsi-Führung und der Hutu-Opposition. Die RPF beendete allmählich das Morden, dem 500 000 Menschen zum Opfer gefallen waren. Die meisten Hutus kehrten zurück, aber nicht die Hutu-Milizen, die im Ost-Kongo blieben und später von Tutsi-Armeen aufgerieben wurden, die in den Ost-Kongo eindrangen – und dort bis heute blieben. In Rwanda waren unter dem 1. Tutsi-Präsidenten Bizimungu „autoritäre Tendenzen und zahlreichen Menschenrechtsverletzungen“ zu bemerken ('Lexikon der 3. Welt', rororo Hamburg 2002, Hgg. Dieter Nohlen). 2003 schob sich der seit 1994 starke Mann Kagame auf den Präsidentensessel.

Burundi wurde ebenfalls 1962 unabhängig. Aber auch dort drängten die Hutus auf gleiche Rechte. Die große Mehrheit der Hutus lebte unter der Armutsgrenze, während die Oberschicht fast ausschließlich aus Tutsis bestand. Nach einem gescheiterten Militärputsch (die Hutus hatten die Wahlen gewonnen, aber der König setzte einen Tutsi ein) wurde die gesamte Hutu-Elite eliminiert. 1993 kam nach 30 Jahren Tutsi-Herrschaft endlich ein Hutu durch Wahlen an die Macht. Er wurde nach 4 Monaten von Tutsis ermordet, was der Anlass zu einem Bürgerkrieg wurde, der zum „Verschwinden“, wie Wikipedia es euphemistisch nennt, von 200 000 Burundiern führte. Pardon: in der englischen Wikipedia ist von 250 000 Toten bis 1993 die Rede (es lohnt sich die verschiedenen Wikipedias anzuschauen). Die Ermordung von Präsident Ndadaye führte zu weiteren 300 000 Toten. Der nächste Hutu-Präsident wurde zur Abwechslung mit seinem Flugzeug abgeschossen. Als wieder ein Hutu zum Präsidenten ernannt wurde, „gab es eine Welle von Massakern an den Hutu-Flüchtlingen in Bujumbura, der Hauptstadt“. Und 1996 putschte sich der Tutsi Pierre Buyoya an die Macht. 2000 wurde in Arusha/Tansania ein Friedensabkommen zwischen Tutsi- und Hutuparteien geschlossen, aber erst 2003 wurde das Feuer zwischen der Tutsi- und der Hutu-Armee eingestellt. 2005 wurde der Hutu Nkurunziza zum Präsidenten gewählt. Nun herrscht ein prekärer Friede.

Anzufügen bleibt erstens, dass (ïn etwa übereinstimmend mit 'Lexikon der Völker', Komet-Verlag Köln 2002; Meyers Großes Taschenlexikon, 1989 und dem rororo 'Lexikon der 3. Welt') in Rwanda 1989 ca. 6.2 Mill. E. lebten, davon 9% Tutsis (550 000) und in Burundi ca. 4.92 Mill. E., davon 13% Tutsis (640 000). Wenn also die Zahl 1 Million ermordete Tutsis ins Spiel gebracht wird, dürfte es heute kaum noch Tutsis geben.

Und zweitens: Wer diese kurze Zusammenstellung verwirrend findet, dem kann ich nur Recht geben. Aber in Wirklichkeit ist sie tausendmal verwirrender. Man muss sich nur vorstellen, wie viele einheimische Akteure damals anwesend waren. Als ob das nicht genug wäre, so muss man auch an die ungezählten ausländischen Akteure denken aus Dutzenden von Ländern, die alle ihre Leute, ihre Agenten, ihre Milizen, ihre Soldaten, ihre Ingenieure, Spezialisten, käuflichen NGOs, Priester, Vertreter der Industrie und der Monopole im Schlepptau hatten, und die immer noch dort unten anwesend sind. Vielleicht kann man dann besser begreifen, nein, nicht begreifen – dann braucht man sich nicht zu wundern, dass in diesen armen und so unermesslich reichen Ländern kein Friede einkehrt.

Und drittens: Seit ich mit 14 Jahren 'Spartacus' las, stand ich auf der Seite der Sklaven und später auf Seiten aller Unterdrückten. Genau wie Mark Twain, der von den Leuten schrieb, die sich über ein paar tausend Tote der Französischen Revolution aufregten, und sagte, dass sie weder Verständnis noch Empathie für das Volk, die Bauern hätten, die 1000 Jahre unter dem Joch der Feudalherren gestanden, gelitten haben und oft elend krepiert sind. Und auch nicht für die 100 000 Opfer, die die Rache der Konterrevolution gekostet hat. Nach deren Logik ist ja auch Spartacus ein Terrorist, ein Verbrecher. Und derselben Logik folgen auch jene, die den Hutus, die Jahrhunderte lang ausgebeutet wurden, entrechtet wurden, deren Frauen vergewaltigt wurden, ihre Raserei vorwerfen. ABER dazu muss gesagt werden, dass das Volk normalerweise nicht derart grausam ist (man denke an die deutschen Bauernkriege), sondern dass in diesem Falle Agenten der Großmächte, vor allem der allergrößten, am Werk waren, die gehetzt, angestachelt und das Feuer geschürt haben, denn es steht ungeheuer viel auf dem Spiel – und das erzählt u. a. Charles Onana.

Nun komme ich also auf Charles Onana zu sprechen, der der eigentliche Anlass für diesen Artikel ist.
Es gab Bedenken, ein Video von ihm auf unsere Webseite zu legen, weil er von gewissen Leuten als Genozid-Verneiner angesehen wird. Anlass waren seine Bücher „Les secrets du génocide rwandais“ und Ces tueurs tutsi au cœur de la tragedie congolaise (préface de Cynthia McKinney), Duboiris, 2009. Wikipedia schreibt: „ … il met en doute la qualification de génocide et accuse Kagame … d'avoir 1994 organisé le massacre des Tutsi et des Hutu ...“ ( … er bezweifelt die Bezeichnung Genozid und beschuldigt Kagame … 1994 das Massaker gegen Tutsi und Hutu organisiert zu haben …). Wofür es ja auch in dem oben zitierten 'Lexikon der 3. Welt' einen Hinweis gibt.
Dazu ist zu sagen, dass Kagame einen Prozess gegen Onana angestrengt und verloren hat. Einen weiteren Prozess haben Onana und der kanadische Schriftsteller Robin Philpot gegen die Zeitung Libération angestrengt, in der sie von einem gewissen Ayad als Genozid-Verneiner präsentiert wurden, der noch nicht entschieden ist. Nun, und wenn ich mir die Liste seiner Werke ansehe (http://fr.wikipedia.org/wiki/Charles_Onana), dann frage ich mich, wie man auf so eine hirnrissige Idee kommen kann.

Abschließend bin ich der Meinung, so lange wie

  • keines der Kolonialländer angefangen hat, für den Diebstahl und die Plünderung gigantischen Ausmasses in der 3. Welt zu bezahlen (von den millionenfachen Morden ganz zu schweigen – das könnten nur Zionisten in Zahlen ausdrücken);
  • kein deutscher Soldat jemals wegen Genozid an den Russen, Polen etc. angeklagt wurde;
  • kein Soldat der USA und all ihrer allzeit bereiten willigen Alliierten der monströsen Verbrechen in den dutzenden Kriegen seit Ende des 2. Weltkrieges (von Korea angefangen bis Irak, Pakistan, Afghanistan, Palästina, Somalia etc.) angeklagt worden ist;
  • kein Politiker, Waffenfabrikant, Waffenschieber, Kriegsgewinnler, Schreibtischtäter, Medienkriegshetzer, Pfaffe angeklagt ist -

so lange ist es ein Skandal, ein rassistischer Skandal, dass Gerichtshöfe wie der in Den Haag oder Arusha installiert werden.
Wer nun meint, sagen zu müssen, dass ich riesige Massaker wie jene in Rwanda und Burundi wohl gutheisse, der sollte schnurstracks zum Psychiater gehen.


Einar Schlereth

Klavreström, der 13. Januar 2011

Samstag, 8. Januar 2011

Buchrezension "Die Karmaten" von Peter Priskil

Ich weiß, ich weiß, es ist lange her. Hauptsächlich hängt es damit zusammen, dass sich die Einstellungen selbsttätig verändert hatten - womit viele Blogger zu kämpfen hatten - und natürlich damit, dass ich mit HTML nicht zurechtkomme.
Gerade las ich nun, dass das Problem behoben ist. Stimmt - und danke an die Freunde, die daran gearbeitet haben.
Hier folgt nun eine Rezension von einem Buch, das ich außerordentlich spannend finde. Vor 1000 Jahren - ja TAUSEND Jahren - gab es einen gottlosen Staat. Und ur-kommunistische Züge hatte er außerdem. Und wo - zum Teufel - gab es denn so etwas? Im Süden Iraks und mit dem Zentrum Bahrein. Und die Männer, die den Staat gründeten und 180 Jahre lang halten konnten gegen den Ansturm aller religiösen Dunkelmänner nannten sich nach dem Begründer der Bewegung Quarmaten. Die Dunkelmänner waren natürlich von derselben Sorte wie jene im christlichen Abendland, die ja auch jede abweichende Bewegung - die hier allerdings meist im christlichen Gewand auftraten und als Sekten galten - meist mit Stumpf und Stil ausrotteten. Man denke nur an die riesige Arianer-Sekte oder die Katharer im Süden Frankreichs. Die Katharer wurden besonders grausam verfolgt, weil sie nicht nur im Glauben abwichen, sondern auch soziale Maßnahmen einführten.
Nun, und so mußten die Europäer fast noch 800 Jahre warten, bis sie auch den ersten gottlosen Staat durch die Große Französische Revolution geschenkt bekamen. Diese wiederum war die Frucht der Aufklärung, die wiederum - man höre und staune - eine 'unterirdische' Verbindung zu den Quarmaten hatte in Form eines ganz teuflischen Buches 'Drei Betrüger der Welt: Moses, Christus und Mohammed'.
Wem das Ganze zu teuflisch vorkommt, macht am besten Schluss mit dem Lesen. Alle übrigen sind eingeladen, dieses weltgeschichtliche Abenteuer etwas näher kennenzulernen. Wessen Neugierde dann immer noch nicht gestillt ist, kann das Buch ja selbst lesen. Ganz unten findet sich dazu ein Hinweis.




DIE KARMATEN
PETER PRISKIL

Von diesem Buch lässt sich zu Recht sagen, dass es eine gewaltige Lücke füllt, nicht nur historischer Art, sondern auch beim Publikum, wie die in kurzer Frist erfolgte 2. Auflage beweist. Der ägyptische, in Deutschland lehrende Prof. Karam Khella spricht gar von einer Renaissance der Karmaten, indem er auf ein weiteres Werk verweist, das nach der Jahrtausendwende erschienen ist: Ramahi, Kamal / Quintern, Detlev (2006): Qarmaen und Ihwān a-afā’. Gerechtigkeitsbewegungen unter den Abbasiden und die universalistische Geschichtstheorie; Hamburg.
Außerdem ist das Buch ein Schlag gegen jene 'gelehrten' Diskussionen, die von der dem Islam inhärent innewohnenden Unmöglichkeit sprechen, sich reformieren zu können oder gar demokratische Lösungen zu finden.
Ich war verblüfft, wie ähnlich es auch mir mit den Karmaten ergangen war. Hie und da dunkle Andeutungen über einen Aufstand der Schwarzen, eine Republik der Gleichen, die sich Karmaten nannten im Gebiet des heutigen Irak. Wollte man mehr wissen, stieß man nur auf weitere dunkle Andeutungen. Peter Priskil gebührt das Verdienst, diesen gordischen Knoten aus Lügenmärchen und Hirngespinsten zerschlagen zu haben und zum Kern der Geschichte vorgedrungen zu sein, eine Arbeit, für die er viele Jahre brauchte.

Warum? Nun, die Geschichte ist so ungeheuerlich, so undenkbar, so empörend (über Empörer empört man sich immer), dass die Sieger – die bekanntlich immer die Geschichte schreiben – sehr gründliche Arbeit leisteten, indem sie alle Spuren und Quellen verwischten und zerstörten. Mit einer solchen Gründlichkeit, dass es detektivischen Scharfsinns bedurfte, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Nur, es trat kein Weizen zutage oder kaum ein paar Körner, die Peter Priskil mit psycho-historischem und sozialpsychologischem Werkzeug freilegen konnte. Den Rest musste er mit Hilfe der Assoziation – wobei ihm die gründliche Kenntnis vergleichbarer Bewegungen nützlich war – und die ebenso gründliche Kenntnis des reaktionären Geschwafels leisten, das immer dann eingesetzt wird, wenn es um die Vernebelung und Unsichtbarmachung brisanter und für die Herrschenden gefährlicher Tatsachen geht.
Peter Priskil greift weit zurück in die Vorgeschichte der Karmaten-Bewegung. Er schildet kurz den rasanten Aufstieg des Islam zur Weltreligion, die relativ kurze Blütezeit und die im 9. Jahrhundert bereits beginnende Degenerierung und den Zerfall des Riesenreiches auf Grund dynastischer aber auch religiöser Querelen. Es begann mit der großen Teilung des Islam in Sunna und Shia und setzte sich fort mit dem Emporschießen zahlloser Häresien und Sekten – genau wie im Christentum auch. Die meisten der kleinen häretischen Bewegungen konnten schnell und mit brutaler Gewalt unterdrückt werden. Doch in dem Maße, wie die Zentralgewalt in Bagdad, d. h. der Kalif, schwächer wurde, konnten sich manche häretische Bewegungen stark wachsen. Dazu gehörte die Ismailiya, eine Art „protestantische“ Bewegung, die sich wiederum auf die Gnosis und die Mutazila, eine weitere oppositionelle Bewegung im Islam, die schon im 8. Jahrhundert entstand, stützte. Die Islailiya richtete sich vor allem gegen die Dogmatik und viele Glaubensvorschriften des Islam. Allerdings hat sie lange im Geheimen wirken müssen, bevor sie öffentlich auftreten konnte und zwar „mit einem praktischen Aufstandsprogramm“. Sie war „die Häresie der Unterdrückten und Ausgebeuteten“, der Sklaven und Bauern, der entrechteten Handwerker, aber auch Teilen der kritischen Intelligenz.
Doch die Antwort der Zentrale lässt nicht lange auf sich warten. Das Mittel ist wie immer und überall Feuer und Schwert. Und wie immer unter starkem äußeren Druck gedeihen Spaltpilz, Verrat und Kompromißlertum. Die größte Abspaltung war eine Gruppe, der die Religionskritik nicht weit genug ging, die konsequent den nächsten Schritt in die Regligionslosigkeit tat. Diese Gruppe, die sich in der Folge nach ihrem ersten großen Agitator Hamdun Qarmat die Qarmaten, resp. Die Karmaten nennen, wurden nicht nur von der Orthodoxie, die fast immer mit dem Kalifen zusammenfiel, sondern auch verbliebenen Ismailiya, die in der Folge sogar zwei bedeutende Agitatoren der Karmaten im Irak ermordete.
Beide Gruppen wurden jedoch nach schweren Kämpfen aus dem Kernland des Kalifen, das heutige Irak und Syrien, verdrängt. Die Ismailiya flüchtete am Ende nach Nordafrika und gründete schließlich in Ägypten die Fatimidendynastie. Die Karmaten zogen sich mehr oder weniger geordnet nach Bahrein zurück, wo Qarmats fähigster Agitator, Abu Said, im Jahre 899 schon den ersten Karamatenstaat gegründet hatte, und damit den ersten religionslosen Staat der Weltgeschichte. Religion und Staat wurden voneinander getrennt. Die Führer und viele Anhänger waren ohne Religion, aber man verbot nicht die Religion (es lebten Perser, Juden, Christen und Moslem in Bahrein), sondern konnte glauben, was er wollte. Chacun à son goût.
So etwas sollte es erst gut 1000 Jahre später wieder geben, mit dem Erfolg der Oktoberrevolution in Russland, wenn man das kurze Intermezzo der großen französischen Revolution beiseitelässt. Das war damals – und auch noch die folgenden 1000 Jahre – geradezu unerhört. Und in der Verteufelung dieser „Sekte“, wie man die Karmaten vorszugsweise nannte, waren sich Islam und Christentum rührend einig.
Aber das war noch nicht alles. Als Reaktion auf Bagdads ständige Angriffe und Provokationen schickte man 930 ein Heer nach Mekka, das die Stadt einnahm, den schwarzen Stein aus der Kaaba brauch und zahllose Pilger niedermachte, „ein Ereignis, das den Zeitgenossen wie ein apokalyptischer Donnerschlag in den Ohren hallte und sie in einen Zustand der Betäubung und Fassungslosigkeit, des Abscheus und Entsetzens stürzte“, wie Peter Priskil schreibt, und das er mit dem Sacco di Roma durch Karl V vergleicht, der damit das Primat der Staatsmacht über die Kirche herstellte.
Aber der Staat der Karmaten ging noch weiter. Es war ein Staat der Gleichen unter einer kollektiven Führung, mit gemeinsamem Besitz an Grund und Boden, einer einzigen Steuer – dem Zehnten, staatlichen Mühlen, wo das Korn kostenlos gemahlen wurde, zinsfreien Darlehen für fremde Handwerker zur Gründung von Unternehmen und der Herrschaft des Rechtes. Dies sind einige Details, die sich bei Peter Priskils Forschung herauskristalisierten. Wie der Staat und die Wirtschaft im einzelnen geführt wurden, bleibt auf Grund der Quellenlage immer noch im Dunklen.
Ein dunkler Fleck ist allerdings, dass die Karmaten allerdings für die Plantagenwirtschaft schwarze Sklaven einsetzten. Nun hatten die schwarzen Sklaven kurz vor der Karmaten-Staatsgründung sich erhoben und 15 Jahre lang gegen den Kalifen gekämpft, eine Heldengeschichte, die durchaus vergleichbar mit der des Spartacus vergleichbar ist, diese sogar noch übertrifft. Ihr Untergang war jedoch ebenso tragisch.
Vielleicht haben die Karmaten sie deshalb weiterhin als Sklaven eingesetzt, weil sie unter ihnen gelitten haben, aber das ist nur eine Hypothese meinerseits.
Schon Hamdun Qarmat hatte Agitatoren weit herum geschickt – nach Syrien, Persien, Daiman am Kaspischen Meer, Nordafrika, Oman und in den Jemen. Im Jemen konnten die Karmaten kurz die Macht an sich reissen, verloren sie aber schnell wieder. Qarmat war noch vor der Staatsgründung einer Razzia des Kalifen zum Opfer gefallen. Die Nachfolge übernahm der überaus fähige Abu Said in Bahrein, der das Staatswesen nach innen und außen festigen konnte. Er fiel einem Meuchelmörder des Kalifen zum Opfer. Abu Tahir, sein jüngster Sohn übernahm die Zügel und entwickelte als Feldherr außerordentliche Fähigkeiten. „Seine zwei Dekaden wähende Regierungszeit , die von 924-944 währte, ist vielmehr durch die Festigung und kraftvolle Entfaltung des revolutionären Karmatenstaates gekennzeichnet, der nun in die Offensive ging und das Kalifat an den Rand des Abgrunds drängte“, wie Peter Priskil festhält. Er gliederte den Süden des Irak mit Basra, einer alten Karmatenhochburg, und den Oman dem Karmatenstaat an. Und er zwang den Kalifen zur Bezahlung von Abgaben für die Pilgerzüge nach Mekka. Doch schon mit 38 Jahren erlag Tahir den Pocken. Damit ging die Blütezeit des Karmatenstaats nach nur 45 Jahren zu Ende. Auch wenn der Staat noch weitere 130 Jahre Bestand hatte, so ist dies eher ein Trauerspiel.
Unter den konzentrischen Angriffen des Kalifen, der sich am Ende sogar mit dem verhaßten Fatimidenherrscher verbündete, der ständigen Wühlarbeit, Einschleusung von Saboteuren und durch Verrat zerfiel dieses grandiose Experiment mehr und mehr, bis es 1070 endgültig unterging. Doch sie hinterließen noch ein Vermächtnis, das 800 Jahre lang für Irritation und Unruhe sorgte. Das war eine Schrift mit dem Titel die „Drei Betrüger der Welt: Mose, Christus und Mahumet“, von dem Peter Priskil am Ende des Buches ein kurzes Kompendium angelegt hat. Es ist eine gründliche Abrechnung mit der Religion, das gesucht, verfolgt, verbrannt wurde, und imme wieder auf verschlungenen Wegen durch Abschriften, Kompilation, Zitate auftauchte, bis in die Neuzeit überlebte und am Ende gar für die Aufklärung von Bedeutung war.
Peter Priskil ist es gelungen, auf fast 400 Seiten uns ein eindringliches Gemälde vor Augen zu führen und zwar in einer wohltuend lebendigen, anschaulichen Sprache, die ihn aber zuweilen zu überflüssigen Redundanzen verleitet.
Doch ich will zwei Punkte erwähnen, die meiner Meinung nach in so einem gründlich recherchierten Werk fehl am Platze sind, auch wenn es nur zwei Nebensätze sind.
Da heisst es zum einen auf Seite 8: „Von wegen 'Hindufaschismus'!“ Das sei eine US-imperialistische Propagandaformel. Was immer die Moslem früher für Verbrechen begangen haben mögen, so ist es ein Faktum, dass seit Bestehen der 'größten Demokratie der Welt“ Indien niemals eine Demokratie gewesen, so wenig wie die USA oder Israel. Dass die Moslems von Anfang an Bürger 2. Klasse gewesen sind, dass dort ein furchtbarer Genozidkrieg gegen die Adivasi und Dalit im Gange ist, dass die Kaschmiri brutal unterdrückt werden. Ich empfehle nur zwei Schriften, die von Arundhati Roy 'Der aufhaltsame Aufstieg des Hindufaschismus' und 'Indias War on People' von Gautam Navlakha und Arundhati Roy. Und merkwürdig in diesem Zusammenhang ist ja auch, dass der US-Imperialismus engste Beziehungen sowohl zur BJP- als der jetzigen Congress-Regierung geknüpft hat.
Der zweite Punkt betrifft den Satz auf S. 11, „dass Mesopotamien und später der Iran zum Schauplatz der ersten großen Spaltung des Islam wurden (ist kein Zuffall). Beide waren … die Wiege der Zivilisation.“ Da ist Peter Priskil einer üblen christlich-klerikale-eurozentristischen Kampagne aufgesessen, die seit ca. 150 Jahren mit immer größerem Eifer geführt wird.
Von Herodot bis Champollion-Figeac (1839) wurde von aller Welt als Selbstverständlichkeit angesehen, dass in Ägypten die Zivilisation, die Wissenschaft, die Kultur begann und dort in einem Wort die Wiege der Menschheit stand, und dass die Ägypter Schwarze waren.
Dann begann zuerst der Bruder von Champollion, sodann der Sohn zuerst in den Schriften des Bruders und Vaters (später auch anderweitig) zu ändern, wegzulassen, zu streichen, zu fälschen, im Gleichschritt mit der vollen Entwicklung des Kolonialismus „denn es kann nicht sein, was nicht sein darf“, das die Schwarzen die Fundamente unserer Kultur geschaffen haben. Und so wurde peu à peu die Wiege immer weiter nach Nordosten hin, näher an die Wiege des Jesukindlein, wo ja wenigsten Semiten wohnten und keine Schwarzen.
Erst das Standardwerk des senegalesischen Historikers und Anthropologen Cheikh Anta Diop „The African Origin of Civilization' hat die Dinge wieder ins rechte Licht gerückt, wofür er 1974 auf der in Kairo von der UNESCO organisierten Archäologen-Konferenz Anerkennung und Beifall von der großen Mehrheit erhielt. Und Basil Davidson – The Great Old Man of African History – hat dem allzu früh Verstorbenen in seiner 10-teiligen Serie 'Africa' ein Denkmal gesetzt.
Natürlich mindern diese Gedanken in keiner Weise den Wert dieser hervorragenden Arbeit.
Aber ist es nicht ein hübscher Gedanke, dass unsere Kultur aus Afrika kommt, unsere Demokratie von den Indianern (genauer der Irokesenkonföderatin, mit deren Führern Washington geheime Unterredungen führte, um herauszufinden, wie man das so macht, mit der Demokratie. Und dann ist den  Deutschen ja ihre Verfassung von der amerikanischen durch die Besatzer abgekupfert worden.) und unsere Aufklärung von den Arabern? Aber wir, die weißen Christen, sind natürlich die Krone der Schöpfung.

Das Buch ist im Ahriman Verlag erschienen, hat 410 S. und kostet € 24.80. Mehr Informationen findet man hier http://www.ahriman.com/buecher/karmaten.htm


Einar Schlereth
Klavreström, den 12. Dezember 2010
http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=2957