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Mittwoch, 25. April 2012

Moldawien bekam nach 917 Tagen einen neuen Staatspräsidenten. Wer denkt denn da an Politikerkauf?


Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen/Brigitte Queck

Nach dem Rücktritt des kommunistischen Präsidenten von Moldawien, Wladimir Woronin, im September 2009 war diese Funktion vakant, weil sich für eine Neuwahl nicht mehr die verfassungsmäßig vorgeschriebene Dreifünftelmehrheit (mindestens 61 Stimmen) im 101-köpfigen moldawischen Parlament fand. Die Parlamentsvorsitzenden, zuletzt Marian Lupu fungierten als Interimspräsidenten. Marian Lupu war für das Präsidentenamt lange Zeit der Favorit der „Allianz für Europäische Integration“. So nennt sich das Regierungsbündnis von Liberaldemokraten, Liberalen und Demokraten.
Dies erlangte bei den vergangenen Parlamentswahlen am 28. November 2010 59 Abgeordnete, die Liberaldemokratische Partei von Moldawien (PLDM) 32 Abgeordnete unter Führung von Vlad Filat, derzeit auch moldawischer Ministerpräsident, Liberale Partei (PL) 12 Abgeordnete unter Führung von Mihai Ghimpu, die Demokratische Partei (PDM) 15 Abgeordnete unter Führung von Marian Lupu. Die übrigen 42 Sitze behielt die Kommunistische Partei (PCRM). Sie hatte schon bei den Parlamentswahlen vom 29. Juli 2009 die  absolute Mehrheit verloren, wodurch dann zunächst ein Parteienquartett von Liberaldemokratischer Partei von Moldawien (PLDM) mit 17 Abgeordneten, Liberaler Partei (PL) mit 15 Abgeordneten, Demokratischer Partei (PDM) mit 13 Abgeordneten und damals noch der „Allianz für Rumänien“ mit 8 Abgeordneten, insgesamt 53 Sitze, mit einfacher Parlamentsmehrheit eine Regierungskoalition bildete, die sich auch schon „Allianz für Europäische Integration“ nannte. Die Kommunisten unter Führung von Wladimir Woronin waren damals noch mit 48 Abgeordneten im Parlament vertreten).
Laut Koalitionsabsprache sollte ab Juli 2009 Marian Lupu Staatspräsident werden, aber dazu verweigerte ihm die Kommunistische Partei bei mehreren Wahlversuchen für die fehlenden Reststimmen die Unterstützung, auch weil Marian Lupu ihr als prominentes Führungsmitglied, u.a. als der von der Kommunistischen Partei ab 2003 gestellte Wirtschaftsminister und ab 2005 bis April 2009 gestellte Parlamentsvorsitzende angehörte. Wladimir Woronin wollte nicht einen Renegaten unterstützen, obwohl das, gemessen, was später kam, keine schlechte Lösung gewesen wäre. Lupu genoss auch die Rückendeckung von Moskau, Kiew und Minsk. Es gibt Anzeichen, dass sich Moskauer Diplomaten bis zuletzt bemühten, doch noch die Wahl von Marian Lupu zum neuen moldawischen Präsidenten (ab 30. Dezember 2010 fungierte er als frisch gewählter Parlamentsvorsitzender auch als moldawischer Interimspräsident) zu erreichen. Der Vorsitzende der Kommunistischen Partei, Wladimir Woronin, wollte aber Neuwahlen und die waren unausweichlich fällig, wenn im März 2012 die Wahl des Staatspräsidenten nicht durchkommen würde. Nach den miserablen Umfragewerten und dem Grad der Verhasstheit (schrumpfender ungenügender Beliebtheitsgrad ist hier zu gelinde ausgedrückt) der liberalen Regierung wären die Kommunisten sogar mit absoluter Mehrheit wieder an die Regierung gekommen.
Nun wollten aber die meisten Führer der „Allianz für Europäische Integration“ einen absolut hundertprozentigen prowestlichen Politiker zum Staatspräsidenten küren. Das war aber mit Marian Lupu nur bedingt gewährleist. Gegen ihn besteht trotz seines Renegatentums, der Abkehr von den Kommunisten, das Misstrauen fort, auch weil er in Moskau studiert und promoviert hatte und ursprünglich den Kommunisten in führender Funktion angehörte. Trotz aller seiner neoliberalen prowestlichen Bekenntnisse blieb gegen ihn das Misstrauen erhalten. Er habe doch noch ein bedenkliches sozialistisches und russenfreundliches Restdenken, der Sozialismus und die Affinität zu Russland schwirren noch rudimentär durch seinen Kopf, so dass er auch wegen seiner Wankelmütigkeit rückfallgefährdet sei, und wenn er Staatsoberhaupt sei, könne in ihm das sozialistische Gedankengut auch wegen seiner Neigung zum Populismus leicht wiederaufleben, so lauteten die Bedenken und Vorwürfe gegen ihn. Der Fakt, dass Marian Lupu ein guter Gewährsmann für einen Brückenbau zwischen den GUS-Staaten und der EU hätte werden können, wurde als unerwünscht angesehen, da derzeit offensichtlich wieder der Ost- West-Konfrontationskurs anvisiert wird.
Also entschieden sich die gestandenen liberalen Pro-Westler Vlad Filat und Mihai Ghimpu im Bunde mit den USA und der EU für einen Politiker, der absolut neoliberale und prowestliche Zuverlässigkeit garantierte. Und der Coup gelang wieder einmal. Man guckte sich erstmal einen Abkömmling unter den früher unter kommunistischer Herrschaft unterdrückten Familien („Sibiriendeportierten“) aus und stieß auf einen Juristen und Richter, der zwar auch zu Sowjetzeiten eine gute Karriere gemacht hatte, aber unter dem Trauma seines politisch verfolgten Großvaters gelitten haben soll.
Er hieß Nicolae Timofti, ein bis dahin parteiloser Richter, er studierte zu Sowjetzeiten bis 1972 mit Staatlichem Stipendium Jura an der Universität Chisinau, leistete zwei Jahre Militärdienst in der Sowjetarmee und arbeitete danach als Berater im Justizministerium der Moldawischen Sozialistischen Sowjetrepublik, ab 1976 war er als Bezirksrichter und ab 1990 als Richter des Obersten Rates tätig., insofern eine aalglatte Kariere im Dienste de Sowjetmacht, wenn da eben nicht das „Sibiriendeportiertentrauma“ seines Großvaters gewesen wäre (genau genommen büßte dieser ein gerichtlich verhängte Freiheitsstrafe im Amurgebiet ab). Die Eltern sollen ihren Sohn Nicolae im Geiste eines strammen Antikommunisten erzogen haben. Das eröffnete ihm nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch im neuen Staat, der Republik Moldawien, weitere Aufstiegsperspektiven. Er befreundete sich mit Mihai Ghimpu, dem bekannten Führer der Liberalen Partei, und wurde dessen Intimus. Er war ab 1990 Vizevorsitzender des Obersten Gerichtshofs der Republik Moldawien, in den Jahren 1996-2001 Vorsitzender der Berufungskammer in Chisinau.
Dann gab es für Nicolae Timofti einen Karriereknick, er wurde von den Kommunisten, die ab 2001 auf Grund eines überwältigenden Wahlsieges die Regierung bildeten und auch den Staatspräsidenten stellten, seiner führenden Richterämter enthoben, was wohl seinen Kommunistenhass erneut schürte, obwohl er auch dann wieder schnell aufstieg, denn er leitete u.a. eine Überprüfungskammer für Justizpersonal. Er unterstützte aber politisch die parlamentarische Opposition, die ihn auch schon frühzeitig für Spitzenfunktionen im Staat ins Auge gefasst hatte. Besonders dem Westen wurde er gefällig. Er gilt als europäisch eingestellt, wie man Pro-Westler gerne bezeichnet, soll der Garant für Zugehörigkeit zum Westen und auch für einen schnellen EU-Beitritt Moldawiens sein, und er tendiert offenkundig auch zu einer Politik des Wiederanschlusses Moldawiens an Rumänien. Für einen NATO-Beitritt müsste allerdings noch eine entsprechende Klausel der Verfassung aufgehoben werden, die Moldawien zu einem Neutralitätsstatus verpflichtet. Aber auch das ist mit Nicolae Timofti machbar. Der Austritt Moldawiens aus der GUS wäre die Konsequenz eines EU-Beitritts.
Zur Wahl von Nicolae Timofti in das Amt des moldawischen Präsidenten brauchte die „Allianz für Europäische Integration“ noch zwei Stimmen, da sie, wie gesagt, nur über 59 Abgeordnete verfügte. Doch die konnte man nur von der Kommunistischen Partei bekommen, die 42 Abgeordnetenmandate halten. Um die zu kaufen, ließ die EU einige Millionen Euros springen, sagt man in Moldawien. Man kaufte schließlich drei Abgeordnete der Kommunisten, die sich fortan Sozialisten nannten, und mit Hilfe dieser drei Abgeordneten wurde dann am 16. März 2012 in der Tat Nicolae Timofti, geboren am 22. Dezember 1948 in Cuitulesti (SSR Moldawien), ins höchste Staatsamt gewählt. Nicolae Timofti erhielt bei seiner Wahl am 16. März 62 Stimmen, eine Stimme mehr als verfassungsrechtlich notwendig. 
Der Parlamentscoup war gelungen. Der dupierte Marian Lupu wurde zum Verzicht gezwungen,  indem man ihm auch beibrachte, dass die Allianz nicht mehr voll hinter ihm stehe. Dazu musste aber noch ein weiteres Korruptions- und Intrigenspiel inszeniert werden. Die Demokratische Partei mit 15 Abgeordneten als Teil der „Allianz für Europäische Integration“ war ursprünglich auf die Wahl ihres Vorsitzenden Marian Lupu zum Staatspräsidenten eingeschworen, und es sah lange danach aus, dass das gelänge, wenn da noch zwei bis drei Kommunisten für Lupu stimmen würden. Das wollten der Westen und die Allianzbrüder aber eben verhindern. Deswegen musste man die Abgeordneten der Demokratischen Partei (PDM) auch auf den neuen Präsidentschaftskandidaten Timofti umpolen, auch sicherlich durch massive Bestechung, sprich Politikerkauf. Der Gewährsmann dafür, dass dieses so klappt, wurde der frühere Vorsitzende der Demokratischen Partei, dann ihr Ehrenvorsitzender und seit der Übernahme des Amtes des Parlamentsvorsitzenden und Interimspräsidenten durch Lupu auch der amtierende Parteivorsitzende- und Fraktionsvorsitzende der PDM im Parlament, Dumitru Diacow. 
Damit waren die Kommunisten ausgetrickst, die vergeblich darauf spekuliert hatten, bei Neuwahlen wieder überlegener Wahlgewinner zu werden. Am Boden zerstört wurde letztlich auch Marian Lupu, den seine Achterbahnfahrten durch die Politik zum Absturz brachten, denn er wird auch als Noch-Parlamentsvorsitzender mit seiner Demokratischen Partei, die ihm schmählich in Stich gelassen hat, kaum noch eine politische Perspektive haben.
Als Gegenspieler von Marian Lupu profilierte sich in seiner Demokratischen Partei wieder Dumitru Diacow, der früher Vorsitzender dieser Partei gewesen war und offensichtlich Lupu wieder den Posten des Parteivorsitzenden aus der Hand genommen hat.
Alle Probleme mit List und Tücke in den Griff gekriegt, die „Demokratie“ hat mit den bekannten Tricks wieder einmal „gesiegt“. Allerdings ein Problem konnte auch mit dem Coup der Wahl von Nicolae Timofti nicht gelöst werden, das ist das Problem mit der abtrünnigen Transnistrien-Republik. Der anvisierte Wiederanschluss dieser derzeit unabhängigen Republik an Moldawien wird schwieriger denn je werden, denn die dort mehrheitlich lebenden Russen und Ukrainer verspüren kaum den Wunsch, sich nicht nur vom neoliberalen Westen mit seiner immer antisozialeren Politik, sondern auch noch direkt von Rumänien vereinnahmen zu lassen, das sich mit seinen massiven Lohn-, Renten- und Sozialeistungskürzungen schon im sozialen Abgrund befindet (s. u.a. „Sozialproteste in Rumänien“ in „Arbeiterstimme“, Nr. 175, 41 Jahrgang, Nürnberg, Seiten 30-32).

Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen/Brigitte Queck.

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