TFFR Nr. 1-2/1998
Jan Myrdal
Aus dem Schwedischen: Einar Schlereth
Jan Myrdal bei einer kürzlichen Diskussion |
Ich fange ganz allgemein an: Gewiss gehört die Presse-Freiheit, wie auch die übrigen Freiheiten zu unserem offiziellen gesellschaftlichen Katalog von Freiheiten, den formellen Freiheiten. Dass wir alle das Recht haben, eine Zeitung zu gründen und herauszugeben, wenn wir wollen, aber das gibt uns nicht das reale Recht, es zu tun.
Letztlich geht es um die großen politischen Widerssprüche zwischen Süden und Norden in der Welt und zwischen den Klassen in den Nationen und gerade die Sicht vom Charakter der Freiheiten und dem Kampf darum, die formalen Freiheiten in reelle zu verwandeln.
Diese formellen Freiheiten sind historisch, sie sind nicht ursprünglich, naturgegeben. Sie sind zeitbestimmt. Die aufrührerischen Freiheiten des bürgerlichen Dritten Standes. Sie wurden nicht von denen da oben denen da unten gegeben. Die formellen Freiheiten waren das Resultat eines langen Volkskampfes.
Dass sie formell sind, bedeutet nicht, dass es Formalitäten sind. Das Gesetz für Rede- und Pressefreiheit ist kein Fetzen Papier. Jetzt gibt es viele, die die Politik der Koalitionsregierung im 2. Weltkrieg als eine Politik von Kollaborateuren bezeichnen; Schweden wird als Marionetten-Staat bezeichnet, Per Albin als ein Pétain. Aber wir waren ja dabei und kritisierten die nachgiebige Politik (Per Albin bat meinen Vater, dafür zu sorgen, dass ich darüber schweigen solle) und wir wissen, dass das nicht stimmt. Die Eingriffe, die grauen Zettel, das Transport-Verbot, ja. Aber Berlin konnte bei weitem nicht alles durchsetzen, was die deutsche Legation forderte. Die Koalitionsregierung konnte mit starker Unterstützung des Volkes auf die formalisierten formellen Rede- Pressefreiheit – Gesetze verweisen.
Jetzt ist es wichtig festzuhalten gerade an den formalisierten formellen Freiheiten, denn es geht in unserem Land und im ganzen unsrigen Teil der Welt – wo der Dritte Stand einst siegte – eine große ideologische Umstellung vor sich.
Nehmen wir einige Beispiele: Pastor Stanley Sjöberg veranstaltete in seiner Kirche eine informative Diskussion mit iranischen Theologen. Was hielten sie davon, wenn jemand abtrünnig wird? Das waren allgemein wichtige Fragen.
Aber iranische Emigranten, Aktivisten „vom PEN“, schlugen Krawall. Sie wollten die Diskussion verhindern. Das ist rechtswidrig. Der Staatsanwalt leitete eine Untersuchung ein. Aber da schrieb eine lange Reihe von Kulturarbeitern einen Aufruf, dem zufolge nicht der Krawall, sondern die Untersuchung ein Übergriff wäre. Die iranischen Theologen dürften sich in Schweden nicht über ihre Religion äußern.
Es hat mehrere ähnliche Fälle gegeben. Der französische Revisionist Faurisson sollte auf einer Veranstaltung reden. Es war eine rechtliche Veranstaltung. Es gab eine Erlaubnis. Er wurde misshandelt und die Veranstaltung gesprengt. Sogar den Sverigedemokraten (eine rechte Partei) und anderen wurden iher Versammlungen gesprengt und/oder sie wurden niedergeschrien. Wenn es um Personen mit Ansichten geht, die als unpassend angesehen werden, gab es bei uns nur wenige, die die Ansicht vertraten, dass Rede- und Pressefreiheit auch für Gegner gelten muss.
Früher war jedoch diese Auffassung die offizielle Ideologie der Gesellschaft. Die ist jetzt intellektuell von sowohl Liberalen und Sozialisten wie auch mehr unabhängigen linken Gruppen aufgegeben worden.
Man kann nur konstatieren, dass zum Unterschied seit der Zeit, als der Nazismus eine wirkliche Gefahr war, sich diese jetzigen offiziellen Gegner unter Intellektuellen und in politischen Jugendorganisationen der Meinung angeschlossen haben, dass zuerst ein Verbot und dann die Kampfmethoden der Nazis der 20-er Jahre mit Saalschlacht, Versammlungs-Sprengung und den Gegnern eins richtig auf die Schnauze zu geben, die richtigen politischen Argumente sind.