Hier kommt die wahre irisch-amerikanische Geschichte, die nicht in den
Schulen gelehrt wird. Wales, Schottland und Irland waren die ersten Kolonien Englands. Diese drei Völker und Länder bildeten praktisch den Grundstock des Kolonialreichs, in dem "die Sonne nicht unterging". Dabei sind sie mit unerhörter Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit gegen das eigene Volk und in noch viel gröberem Maß gegen die fremden Völker vorgegangen. Am Ende konnten die Briten rund um die Erde von Irland, die USA über Indien, Afrika im Blut ihrer Untertanen waten. Zur selben Zeit gelang es ihnen - wie ihren US-Kollegen später noch viel besser - sich immer als die 'gentlemen' (die sanften, liebenswürdigen Herren) zu präsentieren. Mittel hierzu beschreibt hier unten Bill Bigelow: Unterschlagung oder Vernichtung der Geschichte, Kultur und Sprache der unterworfenen Völker oder auch gründliche Verfälschung. Ihr könnt graben, wo ihr wollt. Ihr werdet immer und überall an die liebenswürdigen Maßnahmen der Einprozenter stoßen. Dennoch lassen sich die Völker wieder und wieder und immer noch einmal von ihnen verführen und in nie enden wollende Kriege hetzen.
Die irische Hungersnot von 1850
von George Frederic Watts (Views of the Famine)
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Die Armen konnten zu hunderten an das Tor der Reichen klopfen ... vergebens. |
Bill Bigelow
17. März 2017
Aus dem Englischen: Einar Schlereth
„Tragt grün am St. Patricks-Tag oder ihr werdet gezwackt.“ So
lässt sich das irisch-amerikanische „curriculum“ zusammenfassen,
das ich in der Schule gelernt habe. Ach ja, ich erinnere noch einen
Hinweis auf die sogenannte Kartoffel-Hungersnot, aber die war wirklich nur
flüchtig.
Traurig ist, dass die heutigen Schulbücher immer noch den Hunger
ignorieren, trotz der Tatsache, dass er verantwortlich war für
unvorstellbares Leiden und den Tod von mehr als einer Million
irischer Bauern und dass er die größte Welle irischer Imigration in
der US-Geschichte in Gang setzte. Die Schulbücher machen auch keinen
Versuch, den Studenten zu helfen, eine Verbindung zwischen
vergangenen und heutigen Hungersnöten herzustellen.
Doch es gibt keinen Mangel an Material, dass diese dramatischen
Ereignisse im Klassenzimmer zu Leben erweckt werden können. In
meiner Zeit als Gymnasiallehrer beginne ich mit der ergreifenden
Wiedergabe von „Skibbereen“, wo dieser Vers auftaucht:
… Oh ich erinnere so gut, jenen blassen Dezembertag,
als der Gutsbesitzer und der Sheriff kamen,
um uns alle zu vertreiben.
Sie setzen das Dach in Brand, mit ihrem verdammten englischen
Spleen.
Und das ist noch ein Grund, warum ich das alte Skibereen
verließ.
[Skibbereen ist ein kleines Städtchen an der Südküste Irlands, die Hauptstadt
von York genannt. D. Ü.]
Als Kontrast bietet Holt McDougals US-Geschichtsbuch „Die
Amerikaner“ zwei Sätze über den „Großen Kartoffel-Hunger“.
Prentice Halls „America: Pathways to the Present“ bringt kein
Zitat über jene Zeit. Der Text nennt den Hunger eine „schreckliche
Katastrophe“, als wäre es ein Naturunglück gewesen wie ein
Erdbeben. Und in einem einzigen grässlichen Abschnitt gibt Houghton
Mifflin „The Enduring Vision: A History of the American People“
die Schuld für die „Opfer des Hungers“ einer „Kartoffelfäule“
und das einzige zeitgenössische Zitat kommt unpassenderweise von
einem Gutsbesitzer, der die überlebenden Pachtleute als
„ausgehungert und Geister-Skelette“ beschreibt. Und Lehrbücher
zu sozialen Studien erlauben es regelmäßig den Iren nicht, für
sich selbst zu sprechen und ihren Horror zu erzählen.
Diese kläglichen Wissens-Splitter berauben die Studenten nicht
nur der reichen Lektionen in irisch-amerikanischer Geschichte,
sondern sie sind auch ein Beispiel dafür, was falsch ist an der
heutigen Lehrbuch-Zuverlässigkeit, die von Mammut-Unternehmen
produziert werden.
Erstens, glaubt wirklich irgendjemand, dass Studenten irgendetwas
aus den dumpfen und leblosen Texten der Schulbücher behalten? Die
heutigen Schulbücher enthalten keine Geschichten von wirklichen
Leuten. Wir treffen niemanden, lernen nichts über das Leben von
irgendjemandem, begegnen keiner Ungerechtigkeit, keinem Widerstand. Das
sind Lehrbücher der Langeweile. Als jemand, der beinahe 30 Jahre am
Gymnasium Unterricht in sozialen Studien gegeben hat, kann ich
bezeugen, dass Studenten ganz bestimmt nicht mehr wissen wollen über
Ereignisse, die so ohne Drama, Emotionen und Menschlichkeit sind.
Diese Texte werfen auch keine kritischen Fragen für Studenten
auf. Zum Beispiel ist es für Studenten wichtig zu lernen, dass der
Ernte-Ausfall in Irland nur die Kartoffel betraf in den schlimmsten
Hungerjahren, während andere Nahrungsprodukte gar nicht litten.
Michael Pollan merkt in „The Botany of Desire“ an: „Irland war
mit Sicherheit das größte Experiment für Monokulturen, das je
unternommen wurde, und gewiss der überzeugendste Beweis für ihren
Irrsinn.“ Aber wenn nur eine Kartoffelsorte, der Lumper, versagte,
und die anderen Ernten gut waren, warum haben die Menschen dann
gehungert?
Thomas Gallagher hebt in „Paddy‘s Lament“ hervor, dass im
ersten Hungerwinter 1846-47, als vielleicht 400 000 irische Bauern
starben, die Gutsbesitzer Getreide, Vieh, Schweine, Mehl, Eier und
Geflügel im Wert von 17 Millionen £ exportierten, die diese Toten
vor dem Tod hätten retten können. Während der ganzen Hungerzeit
gab es reichlich in Irland produzierte Nahrungsmittel, doch die
Gutsherren exportierten sie auf Märkte im Ausland.
Die Schulbücher könnten und sollten die Studenten bitten, über
den Widerspruch von Hunger mitten im Überfluss nachzudenken. Und sie
sollten fragen, warum dieses Muster auch in unserer Zeit noch gilt.
Mehr als eineinhalb Jahrhunderte nach dem „Großen Hunger“
leben wir mit ähnlichen, vielleicht noch grelleren Widersprüchen.
Raj Patel eröffnet sein Buch „Stuffed and Starved: Markets, Power
and the Hidden Battle for the World‘s Food System“:
„Heute, wo wir mehr Nahrung produzieren denn je zuvor, sind mehr
als ein Mensch unter zehn hungrig. Der Hunger von 800 000 000
Menschen stößt gleichzeitig auf ein historisches Novum: dass ihre
Zahl auf unserem Planeten übertroffen wird von einer Milliarde Menschen mit Übergewicht.“
Patels Buch berichtet über die „Fäule im Kern unseres modernen
Nahrungs-Systems“. Es ist eine lehrplanmäßige Reise, den unsere
Studenten unternehmen sollten – Nachdenken über die Muster der
Armut, Macht und Ungleichheit, die vom Irland des 19. Jhd. bis zum
21. Jhd. in Afrika, Indien, Appalachen und Oakland reichen; die
untersucht, was geschieht, wenn Nahrung und Land als bloße Waren in
einem globalen System von Profit angesehen werden.
Aber in den heutigen Lehrbüchern der Mammut-Unternehmen ist man
in keinerWeise daran interessiert, die Neugier der Studenten über diese
Ungleichheit zu wecken wie die britischen Großgrundbesitzer an der
Ernährung ihrer Pächter. Nehmt Pearson, den globalen
Verlags-Giganten. Auf seiner Webseite verkündet das Unternehmen
(mehrfach) dass „wir Fortschritt messen mit drei Maßstäben:
Einkünfte, flüssige Mittel und Ertrag des investierten Kapitals“.
Das Pearson Imperium hat weltweit Umsätze von 9 Mrd. Dollar – das
sind neun tausend Millionen Dollar, wie ich meinen Studenten
erläutern muss. Multis wie Pearson haben kein
Interesse, kritisches Denken zu fördern über ein ökonomisches
System, in dem Profit an erster Stelle steht.
Wie schon erwähnt, gibt es keinen Mangel an Lehrmaterial über
die irische Hungersnot, das Kopf und Herz anrühren kann. In einem
Rollenspiel „Hunger on Trial“ (Hunger auf dem Prüfstand), das
ich schrieb und meine Studenten in Portland, Oregan lehrte –
gleichzeitig auch auf der Zinn Education Project website –
untersuchen Studenten, wer oder was für Hunger verantwortlich ist.
Die britischen Grundbesitzer, die Pacht von den sterbenden Armen
verlangten und andere Nahrungsmittel exportierten? Die britische
Regierung, die diese Exporte zuließ und den irischen Bauern kaum
Hilfe bot? Die Anglikanische Kirche, die nicht die eigensüchtigen
Grundbesitzer anklagte oder selbst den Armen half? Ein
Verteilersystem, das irische Bauern der Logik des Kolonialismus und
des kapitalistischen Marktes opferte?
Dies sind reichhaltige und beunruhigende ethische Fragen. Es sind
genau die Art von Problemen, die Studenten zum Leben erwecken und
ihnen erlauben einzusehen, dass Geschichte nicht einfach eine
Chronologie von toten Fakten ist.
Also vorwärts: Greift meinetwegen zu einem Guinness, legt etwas Grün an und
legt die „Chieftains“ auf. Aber lasst uns die Iren mit unserer
Neugierde beehren. Lasst uns sicherstellen, dass unsere Schulen mehr
Respekt zeigen, indem sie die sozialen Kräfte untersuchen, die Iren
verhungern ließen und eine Million von ihrem Land verjagten und
heute ebenfalls Menschen verhungern lassen oder entwurzeln.
Bill Bigelow unterrichtete am Gymnasien in Portland und war
Co-Direktor des online Zinn Erziehungs-Projekts, inspiriert von dem
Historiker Howard Zinn, das kostenlos Material für eine Geschichte
des Volkes zur Verfügung stellt, das in den normalen Schulbüchern
nicht zu finden ist.