Alexander Lukaschenko ist für den Werte-Westen „der letzte
Diktator“. Zwar gibt es viele Diktaturen und -toren auf dieser Welt,
doch es gibt da Unterschiede. Wenn Washington sagt: „Er ist zwar ein
Schurke, aber er ist unser Schurke“, wird kein Aufhebens gemacht. Jedoch
über Lukaschenko hält Putin seine Hand.
Berlin will, dass wir nicht mehr Weißrussland sagen, sondern nur noch
„Belarus“. Wir sollen gegen Russland jetzt auch etymologisch klare
Kante zeigen. Im Folgenden werden beide Bezeichnungen nach Belieben
verwendet.
Die slavischen Völker sagen schon immer Belarus (Bjelorusija,
Białoruś, Bielorusko), weil das in ihren Sprachen Weißrussland heißt.
Und noch ein Paradox: In zwangsregulierten Corona-Zeiten ist eine
Reise nach Weißrussland/Belarus in gewisser Weise eine Fahrt in die
Freiheit.
Flug nach Minsk
April 2021: Für Österreicher im westlichen Teil des Alpenlandes wäre
der Flughafen München viel näher, aber das bayrische Regime hat die
Grenzen dicht gemacht. Ich fliege daher von Wien nach Minsk. Das Ticket
hin und zurück bekommt man für rund 230 Euro. Der Zug von Mattighofen
zum Flughafen Wien/Schwechat kostet 19,90 Euro. Von dem ebenso weit
entfernten Salzburg kostet die Fahrt mit der ÖBB 61,80 Euro.
Preispolitik, verstehe sie einer!
Der Wiener Flughafen ist gespenstisch leer. Beim Check-In hat ein
japanisches Pärchen Schwierigkeiten, weil die beiden als Touristen nach
Belarus einreisen wollen. Ich kann die Einladung einer weißrussischen
Firma vorlegen, somit bin ich „geschäftlich“ unterwegs. Das öffnet mir
Tür und Tor. Ich muss weder ein Corona-Testergebnis noch eine
Impfbestätigung vorweisen. Wer mit der weißrussischen Belavia fliegt und
nicht länger als 30 Tage bleiben möchte, braucht zudem kein Visum.
Nach einer Stunde und vierzig Minuten landen wir in Minsk. Auch hier
bewahrt mich meine Einladung als „business-men“ vor einer 10-tägigen
Quarantäne. Die Kontrollen sind korrekt und freundlich. Ich gönne mir
ein Taxi in die Stadt. Insider wissen, dass das 40 Rubel (entspricht 13
Euro) kostet. Spontan nennen mir die umstehenden Taxichauffeure deutlich
höhere Preise. Es ist 17 Uhr, daher nimmt der Taxifahrer den äußeren
Ring. Nach 77 Kilometern sind wir am Ziel.
Minsk ist mit rund 2 Millionen Einwohnern eine großzügig angelegte
Stadt mit breiten Hauptstraßen und vielen Parks und Grünflächen. Von
Nord nach Süd und von Ost nach West sind es gut 20 Kilometer Luftlinie.
Das alte Minsk wurde von der Wehrmacht dem Erdboden gleich gemacht.
Nach dem Krieg zimmerten sich hunderttausende Obdachlose bescheidene
Holzhäuschen. Der Staat stellte hierfür kleine Grundstücke zur
Verfügung, auf denen auch Kartoffeln angebaut und ein paar Obstbäume
gepflanzt werden konnten, — in kostenfreier Pacht auf Lebenszeit.
Elektrizität, Gas zum Heizen und Wasser wurden geliefert. Und ein
Plumpsklo außerhalb gehörte auch dazu.
Aus der Luft ähneln diese Behausungen riesigen
Schrebergartensiedlungen. Sie schrumpfen schon seit Jahren, weil an
ihrer Stelle Wohnblocks errichtet werden, oft 12 oder 20 Stockwerke
hoch. In Sowjetzeiten wurden größere Abstände zwischen den Blocks
eingehalten. Aber der Kapitalismus kennt kein Menschenrecht auf Sonne.
Daher fällt der Schatten der benachbarten Gebäude in der flachen
nordischen Sonne oft schon früh auf die unteren Stockwerke. Dennoch sind
die Abstände immer noch großzügiger bemessen als in mitteleuropäischen
Neubaugebieten. Die Bautätigkeit ist, trotz Wirtschaftskrise, enorm und
man fragt sich, wie lange der Boom noch anhalten kann und wo die Mieter
oder Käufer der Wohnungen herkommen sollen.
Besuch im Restaurant
Es ist Mittwoch, der 7. April, ein ganz normaler Werktag. Die
Verwandten wollen unser Wiedersehen mit einem Besuch in einem Restaurant
feiern. Dazu fahren wir mit der Metro ein paar Stationen stadteinwärts.
An der gläsernen Eingangstür zur Station klebt ein eher unauffälliger
Hinweis, dass Masken zu tragen sind.
Viele setzen nun eine Maske auf, oder das, was sie dafür halten.
FFP2-Masken sieht man so gut wie nicht, stattdessen diese hellblauen
Fetzchen, von denen es bei uns hieß, sie würden kaum etwas nützen.
Besonders junge Burschen scheinen Masken „uncool“ zu finden und fahren
oft ohne.
Von den Maskierten gönnen viele ihrer Nase frische Luft. Manchmal
fordern die Kontrolleure an der Sperre jemanden auf, die Maske
aufzusetzen, nicht immer mit Erfolg.
Irgendwelche Strafen oder Diskriminierungen habe ich nicht
mitbekommen. Lediglich bei Amtsgebäuden ist die Anweisung barscher:
„Eintritt ohne Maske verboten.“
Während die Bahn zur nächsten Station donnert, sausen die Fahrgäste durchs Internet.
Alles unter 30 und darüber wischt und tippt auf dem Display eines
Smartphones, im Sitzen, im Stehen und selbst beim Aussteigen wird das
Display oft noch im Auge behalten. Diese Generationen, es sind
inzwischen schon zwei, beziehen ihr Weltbild, ihre Nachrichten, ihr
Wissen und ihre Urteile und Vorurteile überwiegend aus dem Internet und
nicht aus Zeitungen und Fernsehen. Und in gewissen Zeiten bezieht ein
gewisser Teil auch seine Bewegungsimpulse aus einem polnischen
Internetportal, das regierungsfeindliche Demonstrationen steuert. Und
noch etwas fällt auf: Es gibt viele höfliche junge Leute, die Älteren
Platz machen.
Die Fahrt kostet 85 Kopeken, das sind an diesem Tag 27 Eurocent (ein
Euro entspricht 3,15 Rubel). Damit kann man in einer Richtung so weit
fahren, wie man will, inklusive umsteigen. Die beiden Metrolinien haben
derzeit eine Streckenlänge von 37 Kilometern mit 29 Bahnhöfen. An einer
dritten Linie wird gebaut. Die Einzelfahrt mit der Münchner U-Bahn
kostet 3,40 Euro. Paradiesische Preise in Minsk? Für Eurobesitzer Ja.
Die Inflationsrate lag von April 2020 bis April 2021 bei 8,6 Prozent.
Ziel des Finanzministers waren nicht mehr als 5 Prozent (1).
In der Metro lese ich eine Werbetafel. Ein gastronomisches
Unternehmen sucht Mitarbeiter: Einstiegsgehalt für einen Koch
„durchschnittlich“ 950 Rubel, „Spitzensatz“ 1.700 Rubel, Einstiegsgehalt
für eine Bedienung 500 Rubel. Die Miete für eine mittelmäßige
Zweizimmerwohnung liegt bei 250 bis 300 Dollar. Das sind wesentlich mehr
als 500 Rubel. Wegen der hohen Inflation werden Immobilien oder Autos
meist in US-Dollar angeboten. Damit ist das derzeitige Hauptproblem
Weißrusslands umrissen.
Mit solchen Löhnen und Gehältern kommt man nicht mehr über die
Runden. Und man wird niemanden finden, der das bestreitet, sondern jeder
äußert darüber offen seinen Unmut. Hier liegt der eigentliche Nährboden
für die Unruhen im vergangenen August. Wer solche Probleme hat, braucht
keinen Disput über „westliche Werte“. Die bürgerlichen Freiheiten sind
in Belarus nicht geringer als in westlichen Demokratien. Die politischen
Freiheiten haben dort ihre Grenzen, wo das System insgesamt in Frage
gestellt wird, ganz wie im Westen.
Das letzte sowjetische Wirtschaftssystem ohne Sowjets
Wer trägt die Schuld an dieser schwierigen ökonomischen Situation? Im
Nachlass der Sowjetunion ist Weißrussland ein Sonderfall. „Das letzte
sowjetische Wirtschaftssystem ohne Sowjets“ meint der
Unternehmensberater, mit Wohnsitz in Minsk, Daniel Krutzinna.
Die Vorgeschichte geht so: In jenem versteckten Jagdhaus in der
Bjelawjeschskaja Puschscha, nahe der polnischen Grenze, beschlossen am
8. Dezember 1991 drei Verschwörer, nämlich Boris Jelzin, der Ukrainer
Leonid Krawtschuk und der weißrussische Regierungschef Stanislau
Schuschkjewitsch, die „Abwicklung“ der Sowjetunion.
In einem Akt von nicht zu überbietender Illoyalität gegenüber Michail
Gorbatschow informierte Jelzin zuerst den amerikanischen Präsidenten
George Busch sr. von seinem Putsch, vermutlich um sich im Falle eines
Falles Rückendeckung zu holen. Nun war er nicht mehr König von Russland,
unter dem Zar der Sowjetunion Gorbatschow, sondern er war der Zar von
Russland. Und seine beiden Kumpane wurden zu selbständigen Königen in
ihren vormaligen Lehen.
Jelzin begann postwendend ein ökonomisches Vernichtungswerk, das den
Westen in eine Ekstase des Verzückens versetzte, die fast ein Jahrzehnt
anhielt.
Am Ende seines Wirkens, als der Alkoholismus seine zerstörerische
Schaffenskraft erlahmen ließ, waren große Teile des Volksvermögens in
den Händen von einem Dutzend Oligarchen und die Bevölkerung wusste
buchstäblich nicht, wovon sie leben sollte.
Noch niemals in der Menschheitsgeschichte waren solch gewaltige
Vermögenswerte so schnell und so leicht in die Hände einiger Weniger
gelangt. Und der Westen freute sich schon auf die Schnäppchen aus dem
großen Ausverkauf — Michail Chodorkowski, Eigentümer eines der größten
sibirischen Rohölförderunternehmen, verhandelte bereits mit
US-Investoren. Diese Gaudi hat Vladimir Putin vermasselt. Deshalb wird
er gehasst.
Weißrussland ging — einer Laune des Schicksals folgend — einen
anderen Weg. Die Laune hatte einen Namen und war der Quereinsteiger und
Überraschungskandidat der Präsidentenwahlen von 1994, Alexander
Lukaschenko, ein 40-jähriger Kolchosvorsitzender.
Lukaschenko versprach, die guten Seiten der Sowjetunion zu bewahren
und machte die begonnenen Privatisierungen rückgängig. Er brachte das
Wunder fertig, Belarus oligarchenfrei zu halten, die Kriminalität im
Zaum und die Staatsbetriebe in die Gewinnzone zu führen.
„Als Standort für Hochtechnologien in der Sowjetunion modernisierte
Belarus in den 1990er Jahren seine staatlichen Unternehmen. In den
2000ern erlebte das Land ein erstaunliches Wirtschaftswachstum von
jährlich 6 bis 8 Prozent. Neben den stabilen Staatsbetrieben gründeten
sich zudem innovative, erfolgreiche Privatbetriebe“, so Daniel Krutzinna
(2).
Die Bevölkerung dankte es ihm bei den Wahlen. Bis 2010 ging das gut,
auch deshalb, weil er den Russen die Union versprach, wobei er
allerdings nur eine wirtschaftliche Union im Sinne hatte, die Russen
aber eine echte, wirtschaftliche und politische Union erhofften. Diese
Hoffnung brachte Weißrussland russisches Rohöl zu Inlandspreisen,
während die veredelten Produkte zu Weltmarktpreisen an den Westen
verkauft wurden.
Diese indirekte Subventionierung der belarussischen Wirtschaft
kostete, Schätzungen zufolge, Russland bisher circa 50 Milliarden
Dollar. Einige Quellen sprechen von hundert Milliarden. Mit dem Verfall
des Ölpreises um 2010 kam Russland selber in Schwierigkeiten und wollte
sich die Subventionierung des kleinen Bruders nicht länger im bisherigen
Umfang leisten, zumal Lukaschenko politisch bisweilen fremdging.
„In den 2010er Jahren flachte das Wirtschaftswachstum trotz einiger
Reformbemühungen auf 1,5 bis 2 Prozent ab. Die Wirtschaft bemüht sich
bis heute um Diversifizierung und wird — teilweise durch große
chinesische Investitionen im Rahmen des Seidenstraßenprojekts —
modernisiert.
Die Proteste jetzt sind auch deshalb auf so fruchtbaren Boden
gefallen, weil die Reallöhne seit zehn Jahren nicht mehr steigen und das
Land in eine Stagnation geglitten ist.
Belarus leidet unter dem niedrigen Ölpreis. Die beiden Raffinerien
und die petrochemische Industrie machen 25 Prozent des
Bruttosozialprodukts und 50 Prozent der Exporte aus. Und dann hat
Russland seine Subventionen konsequent zurückgefahren beziehungsweise
sie von politischen oder auch wirtschaftlichen Zugeständnissen abhängig
gemacht. Die Botschaft lautet: Wir finanzieren euren Sozialismus nur
weiter, wenn ihr auf Integrationskurs geht“, so Daniel Krutzinna.
Kommen wir zurück ins gastliche Minsk. Das „Lido“, unser Ziel, liegt
im dritten Stockwerk eines Einkaufszentrums. Unten am Eingang ein
Hinweis, dass Masken zu tragen sind. Nicht wenige der zahlreichen
Passanten halten sich daran, aber viele nur halbherzig, oder richtiger
gesagt, nasenfrei. Das „Lido“ ist eine Mischung aus
Selbstbedienungstheke mit dem Interieur eines Schnellimbiss und einem
Altwiener Kaffeehaus. An der Theke kann man sich kalte und warme Speisen
aussuchen, köstliche Teigtaschen und Palatschinkenartiges oder kräftige
Suppen und so weiter.
Auch Konditoreiwaren gibt es. Wir ziehen uns in das Wienerische
Abteil mit den bequemen Sofas und Lehnstühlen zurück. Eine freundliche
Bedienung bringt uns zum Einstieg verschiedene Kreationen von Tee in
elegant hohen Gläsern. Tee mit Minze, mit Moltebeeren und anderen
schmackhaften Geheimnissen, die ich nicht entziffern kann.
Die Preise machen etwa ein Drittel dessen aus, was man bei uns zahlen
würde. Das trifft nicht nur auf die Gastronomie zu, sondern auf alles
mit einem hohen Anteil an menschlicher Arbeitskraft, also
Handwerkerdienste, Optikerarbeiten, Autoreparaturen et cetera.
Seidenstraße im Werden
In Minsk gibt es große, hochmoderne Supermärkte, die sich nur dadurch
von westlichen Unterscheiden, dass hier die Seidenstraße schon Gestalt
annimmt, indem es neben russischen Produkten beispielsweise auch
Trockenfrüchte aus dem Iran oder Usbekistan gibt und anderes aus
asiatischen Ländern. Hier beträgt der Preisunterschied zu westlichen
Supermärkten allerdings nicht eins zu drei.
Die Milchprodukte sind zwar von hervorragender Qualität, aber nicht
deutlich billiger als die massiv subventionierten im Westen. Brot von
bester Qualität kostet etwa die Hälfte. Wer seinen Gaumen mit
Suchard-Milka, Sarotti oder Lindt&Sprügli verwöhnen will, zahlt, was
er bei uns zahlt. Angesichts des Lohnniveaus müssen die Menschen also
einen erheblichen Teil des Einkommens fürs tägliche Brot ausgeben.
Interessehalber besuche ich einen großen Baumarkt — Männer machen so
was. Es ist das Materik an der Metro-Station Kamena Gorka. Die breiten
Glastüren öffnen sich und ich wähne mich vor einer Kolonie weißer
Robben. Es sind aber Badewannen. Jedes Preisschild verrät das
Erzeugerland. Wannen aus Germania machen sich ganz vorne breit, dann
folgen die Kontingente aus Polen, Spanien, Russland und Belarus. Die
beiden Letzteren sind günstiger. Warum, das entzieht sich meinem
prüfenden Auge.
Nachdem ich die etwa 50 Exemplare überflogen habe, wende ich mich den
passenden Badarmaturen zu. Ich habe die Auswahl zwischen geschätzt 200
Stück. Hier spielt Russland ganz vorne mit, gefolgt von Germania,
Spanien, Ungarn, Tschechien, Estland, Polen, Litauen und der Türkei,
wobei ich nicht garantiere, dass die Aufzählung vollständig ist. Im
anschließenden Korridor stoße ich auf Küchenarmaturen. Ich schätze es
sind mehr als 250, aber meine selektive Aufmerksamkeit lässt nach und
ich wende mich Bunterem zu.
Um die Ecke entdecke ich eine fröhliche Schar von bunt gestylten
Klodeckeln, so schön, dass man sich nie wieder von ihnen trennen möchte.
Alle aus China! Etwas weiter bietet sich mir ein halbes hundert
Klomuscheln an, schlank und geschmeidig oder vollschlank und
selbstbewusst, aus heimischer, polnischer und russischer Produktion.
Nach diesem Ausflug in modern art will ich mich proletarischen Dingen
zuwenden. Nach einem gehörigen Fußmarsch lande ich in der
Hammer-Abteilung. Die schwersten kommen aus Russland. Logisch. Aber da
sehe ich, dass den Chinesen doch schon wieder eine Weltneuheit geglückt
ist. Stiele aus Plastik. Und noch eine Überraschung in der
Hammer-Abteilung: Indien kommt auf die Bühne und spielt mit einem
ansehnlichen Ensemble ganz vorne mit.
Wenn es um Präzision geht, ist Österreich mit von der Partie. Die
österreichischen Wasserwaagen sind die teuersten, vor denen aus Israel,
Slowenien und China. Zu erwähnen wäre vielleicht noch, dass ganz große
Nägel aus Russland kommen und kleinere aus Deutschland. Der Rundgang
durch die riesige Abteilung mit den Heimwerkermaschinen ist
enttäuschend, zumindest was das multinationale Flair betrifft. Die
Chinesen haben auf weite Strecken restlos jede Konkurrenz verdrängt. Und
selbst wenn man glaubt, eine Alternative entdeckt zu haben, ist es ein
„Fake“, denn die Bosch- oder Makita-Bohrmaschine aus Ungarn stammt von
einer chinesischen Niederlassung.
Es gibt in Minsk große Konsumpaläste, Shopping Malls, wo sich auf
mehreren Etagen die Schickeria der Modebranche ein Stelldichein gibt.
Alles, was designt, stylt und weltweit Rang und Namen hat, ist hier
vertreten. Es muss also auch eine Mittelschicht geben, die sich das
leisten kann. Neben den staatseigenen, großen Betrieben hat sich eine
private, rasch wachsende IT-Branche entwickelt, die vermutlich höhere
Gehälter zahlen kann.
Im Vergleich zu früheren Jahren ist Minsk noch schöner geworden. Es
wurden neue Parks angelegt und auch zahlreiche Radwege. Sehr interessant
ist auch der Radverleih Kolobike, der sich in weißrussischen Städten
etabliert hat. Allein in Minsk gibt es über Tausend dieser gelben
stabilen Räder quer über das Stadtgebiet verteilt.
Man lädt eine App auf das Smartphone und sieht, wo das nächste Rad
steht, scannt den Q-Code, den das Rad hat, und schon kann man das
Schloss öffnen und losfahren. Natürlich muss man sich einmalig mit
Kreditkarte anmelden. Man lässt das Rad stehen, wo es einem passt. Der
Nächste findet es mittels Standortbestimmung. Für zwei Stunden kostet
der Spaß etwa 2,5 Rubel. Elektroscooter und Elektroräder gibt es auch,
aber die sind nicht so dicht gestreut.
Die Abfallentsorgung wurde in Teilen der Stadt von Remondis
übernommen. Remondis ist einer der weltweit größten Dienstleister für
Recycling, Service und Wasser. Remondis-Belarus ist ein
deutsch-weißrussisches Joint Venture.
Während ich das alles sehe, stelle ich mir die sehr naive Frage:
Warum kann der Westen dieses Land nicht einfach in Ruhe seinen Weg gehen
lassen?
Er ist doch wirtschaftlich längst in Belarus angekommen. Mehr Westen
geht nicht mehr. Der Westen beherrscht die Szene im Konsumgüterbereich,
mindestens im oberen Segment.
Die österreichische A1 hat Velcom geschluckt und ist nun größter
Telekomanbieter in Belarus. Die österreichische Raiffeisen Gruppe
besitzt 88 Prozent der Aktien der Priorbank, einer der größten Banken
des Landes. Im Stadtbild ist nicht zu übersehen, dass Baumit mitbaut. Baumit hat seinen Stammsitz in Bad Hindelang im Allgäu, und so weiter, und so fort.
Die Liste ließe sich seitenlang fortsetzen. Die Sanktionen schaden
der Wirtschaft und die Konsumenten können weniger für Westwaren
ausgeben. Die Wareneinfuhr aus der EU betrug im Jahre 2020 6,4
Milliarden Dollar, die Ausfuhr in die EU 5,4 Milliarden. EU-Politiker
könnten westliche Unternehmer fragen, die in Belarus Geschäfte machen,
wenn sie wirklich wissen wollten, was in Belarus los ist. Aber die
Antworten würden nicht ins Feinbild passen und das wissen die
Herrschaften natürlich. Also halten sie sich an Informanten, die von
US-Agenten geschult werden, siehe weiter unten.