Ich finde, dass dies eine sehr ehrliche "Rechenschaft" ist mit einer souveränen Behandlung der üblen Vorwürfe gegen seine Person.
Mo Yans Nobel-Vorlesung
Übertragen aus dem Chinesischen von Karin Betz
7. Dezember 2012
Die Geschichtenerzähler
Sehr geehrte Mitglieder der Schwedischen Akademie, sehr geehrte Damen und Herren:Ich nehme an, daβ die Anwesenden über das Fernsehen oder das Internet bereits mehr oder weniger mit der Gemeinde Gaomi im Kreis Dongbei vertraut geworden sind. Vielleicht haben Sie auch Bilder meines neunzigjährigen Vaters gesehen, meines älteren Bruders, meiner älteren Schwester, meiner Frau, meiner Tochter und meiner ein Jahr und vier Monate zählenden Enkeltochter. Doch den Menschen, den ich am meisten vermisse, können Sie leider nicht mehr zu Gesicht bekommen: meine Mutter. Viele haben sich, nachdem mir der Preis zugesprochen wurde, mit mir freuen können, nur meine Mutter nicht.
Meine Mutter wurde 1922 geboren und starb 1994. Wir haben ihre sterblichen Überreste in einem Pfirsichgarten im Osten des Dorfes begraben.
Im vergangenen Jahr plante man die Verlegung einer Bahnlinie durch den Garten und uns blieb nichts anderes übrig, als ihr Grab an einen anderen Ort außerhalb des Dorfes zu verlegen. Als wir das Grab öffneten, stellten wir fest, daβ der Sarg längst zerfallen und die Asche meiner Mutter bereits eins mit der Erde geworden war. Wir muβten uns damit begnügen, symbolisch etwas Erde auszugraben, die wir in das neue Grab legten. Ich begriff damals, daβ meine Mutter ein Teil der Erde ist. Alles, was ich auf dieser Erde stehend erzähle, erzähle ich meiner Mutter.