Samstag, 8. Januar 2011

Buchrezension "Die Karmaten" von Peter Priskil

Ich weiß, ich weiß, es ist lange her. Hauptsächlich hängt es damit zusammen, dass sich die Einstellungen selbsttätig verändert hatten - womit viele Blogger zu kämpfen hatten - und natürlich damit, dass ich mit HTML nicht zurechtkomme.
Gerade las ich nun, dass das Problem behoben ist. Stimmt - und danke an die Freunde, die daran gearbeitet haben.
Hier folgt nun eine Rezension von einem Buch, das ich außerordentlich spannend finde. Vor 1000 Jahren - ja TAUSEND Jahren - gab es einen gottlosen Staat. Und ur-kommunistische Züge hatte er außerdem. Und wo - zum Teufel - gab es denn so etwas? Im Süden Iraks und mit dem Zentrum Bahrein. Und die Männer, die den Staat gründeten und 180 Jahre lang halten konnten gegen den Ansturm aller religiösen Dunkelmänner nannten sich nach dem Begründer der Bewegung Quarmaten. Die Dunkelmänner waren natürlich von derselben Sorte wie jene im christlichen Abendland, die ja auch jede abweichende Bewegung - die hier allerdings meist im christlichen Gewand auftraten und als Sekten galten - meist mit Stumpf und Stil ausrotteten. Man denke nur an die riesige Arianer-Sekte oder die Katharer im Süden Frankreichs. Die Katharer wurden besonders grausam verfolgt, weil sie nicht nur im Glauben abwichen, sondern auch soziale Maßnahmen einführten.
Nun, und so mußten die Europäer fast noch 800 Jahre warten, bis sie auch den ersten gottlosen Staat durch die Große Französische Revolution geschenkt bekamen. Diese wiederum war die Frucht der Aufklärung, die wiederum - man höre und staune - eine 'unterirdische' Verbindung zu den Quarmaten hatte in Form eines ganz teuflischen Buches 'Drei Betrüger der Welt: Moses, Christus und Mohammed'.
Wem das Ganze zu teuflisch vorkommt, macht am besten Schluss mit dem Lesen. Alle übrigen sind eingeladen, dieses weltgeschichtliche Abenteuer etwas näher kennenzulernen. Wessen Neugierde dann immer noch nicht gestillt ist, kann das Buch ja selbst lesen. Ganz unten findet sich dazu ein Hinweis.




DIE KARMATEN
PETER PRISKIL

Von diesem Buch lässt sich zu Recht sagen, dass es eine gewaltige Lücke füllt, nicht nur historischer Art, sondern auch beim Publikum, wie die in kurzer Frist erfolgte 2. Auflage beweist. Der ägyptische, in Deutschland lehrende Prof. Karam Khella spricht gar von einer Renaissance der Karmaten, indem er auf ein weiteres Werk verweist, das nach der Jahrtausendwende erschienen ist: Ramahi, Kamal / Quintern, Detlev (2006): Qarmaen und Ihwān a-afā’. Gerechtigkeitsbewegungen unter den Abbasiden und die universalistische Geschichtstheorie; Hamburg.
Außerdem ist das Buch ein Schlag gegen jene 'gelehrten' Diskussionen, die von der dem Islam inhärent innewohnenden Unmöglichkeit sprechen, sich reformieren zu können oder gar demokratische Lösungen zu finden.
Ich war verblüfft, wie ähnlich es auch mir mit den Karmaten ergangen war. Hie und da dunkle Andeutungen über einen Aufstand der Schwarzen, eine Republik der Gleichen, die sich Karmaten nannten im Gebiet des heutigen Irak. Wollte man mehr wissen, stieß man nur auf weitere dunkle Andeutungen. Peter Priskil gebührt das Verdienst, diesen gordischen Knoten aus Lügenmärchen und Hirngespinsten zerschlagen zu haben und zum Kern der Geschichte vorgedrungen zu sein, eine Arbeit, für die er viele Jahre brauchte.

Warum? Nun, die Geschichte ist so ungeheuerlich, so undenkbar, so empörend (über Empörer empört man sich immer), dass die Sieger – die bekanntlich immer die Geschichte schreiben – sehr gründliche Arbeit leisteten, indem sie alle Spuren und Quellen verwischten und zerstörten. Mit einer solchen Gründlichkeit, dass es detektivischen Scharfsinns bedurfte, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Nur, es trat kein Weizen zutage oder kaum ein paar Körner, die Peter Priskil mit psycho-historischem und sozialpsychologischem Werkzeug freilegen konnte. Den Rest musste er mit Hilfe der Assoziation – wobei ihm die gründliche Kenntnis vergleichbarer Bewegungen nützlich war – und die ebenso gründliche Kenntnis des reaktionären Geschwafels leisten, das immer dann eingesetzt wird, wenn es um die Vernebelung und Unsichtbarmachung brisanter und für die Herrschenden gefährlicher Tatsachen geht.
Peter Priskil greift weit zurück in die Vorgeschichte der Karmaten-Bewegung. Er schildet kurz den rasanten Aufstieg des Islam zur Weltreligion, die relativ kurze Blütezeit und die im 9. Jahrhundert bereits beginnende Degenerierung und den Zerfall des Riesenreiches auf Grund dynastischer aber auch religiöser Querelen. Es begann mit der großen Teilung des Islam in Sunna und Shia und setzte sich fort mit dem Emporschießen zahlloser Häresien und Sekten – genau wie im Christentum auch. Die meisten der kleinen häretischen Bewegungen konnten schnell und mit brutaler Gewalt unterdrückt werden. Doch in dem Maße, wie die Zentralgewalt in Bagdad, d. h. der Kalif, schwächer wurde, konnten sich manche häretische Bewegungen stark wachsen. Dazu gehörte die Ismailiya, eine Art „protestantische“ Bewegung, die sich wiederum auf die Gnosis und die Mutazila, eine weitere oppositionelle Bewegung im Islam, die schon im 8. Jahrhundert entstand, stützte. Die Islailiya richtete sich vor allem gegen die Dogmatik und viele Glaubensvorschriften des Islam. Allerdings hat sie lange im Geheimen wirken müssen, bevor sie öffentlich auftreten konnte und zwar „mit einem praktischen Aufstandsprogramm“. Sie war „die Häresie der Unterdrückten und Ausgebeuteten“, der Sklaven und Bauern, der entrechteten Handwerker, aber auch Teilen der kritischen Intelligenz.
Doch die Antwort der Zentrale lässt nicht lange auf sich warten. Das Mittel ist wie immer und überall Feuer und Schwert. Und wie immer unter starkem äußeren Druck gedeihen Spaltpilz, Verrat und Kompromißlertum. Die größte Abspaltung war eine Gruppe, der die Religionskritik nicht weit genug ging, die konsequent den nächsten Schritt in die Regligionslosigkeit tat. Diese Gruppe, die sich in der Folge nach ihrem ersten großen Agitator Hamdun Qarmat die Qarmaten, resp. Die Karmaten nennen, wurden nicht nur von der Orthodoxie, die fast immer mit dem Kalifen zusammenfiel, sondern auch verbliebenen Ismailiya, die in der Folge sogar zwei bedeutende Agitatoren der Karmaten im Irak ermordete.
Beide Gruppen wurden jedoch nach schweren Kämpfen aus dem Kernland des Kalifen, das heutige Irak und Syrien, verdrängt. Die Ismailiya flüchtete am Ende nach Nordafrika und gründete schließlich in Ägypten die Fatimidendynastie. Die Karmaten zogen sich mehr oder weniger geordnet nach Bahrein zurück, wo Qarmats fähigster Agitator, Abu Said, im Jahre 899 schon den ersten Karamatenstaat gegründet hatte, und damit den ersten religionslosen Staat der Weltgeschichte. Religion und Staat wurden voneinander getrennt. Die Führer und viele Anhänger waren ohne Religion, aber man verbot nicht die Religion (es lebten Perser, Juden, Christen und Moslem in Bahrein), sondern konnte glauben, was er wollte. Chacun à son goût.
So etwas sollte es erst gut 1000 Jahre später wieder geben, mit dem Erfolg der Oktoberrevolution in Russland, wenn man das kurze Intermezzo der großen französischen Revolution beiseitelässt. Das war damals – und auch noch die folgenden 1000 Jahre – geradezu unerhört. Und in der Verteufelung dieser „Sekte“, wie man die Karmaten vorszugsweise nannte, waren sich Islam und Christentum rührend einig.
Aber das war noch nicht alles. Als Reaktion auf Bagdads ständige Angriffe und Provokationen schickte man 930 ein Heer nach Mekka, das die Stadt einnahm, den schwarzen Stein aus der Kaaba brauch und zahllose Pilger niedermachte, „ein Ereignis, das den Zeitgenossen wie ein apokalyptischer Donnerschlag in den Ohren hallte und sie in einen Zustand der Betäubung und Fassungslosigkeit, des Abscheus und Entsetzens stürzte“, wie Peter Priskil schreibt, und das er mit dem Sacco di Roma durch Karl V vergleicht, der damit das Primat der Staatsmacht über die Kirche herstellte.
Aber der Staat der Karmaten ging noch weiter. Es war ein Staat der Gleichen unter einer kollektiven Führung, mit gemeinsamem Besitz an Grund und Boden, einer einzigen Steuer – dem Zehnten, staatlichen Mühlen, wo das Korn kostenlos gemahlen wurde, zinsfreien Darlehen für fremde Handwerker zur Gründung von Unternehmen und der Herrschaft des Rechtes. Dies sind einige Details, die sich bei Peter Priskils Forschung herauskristalisierten. Wie der Staat und die Wirtschaft im einzelnen geführt wurden, bleibt auf Grund der Quellenlage immer noch im Dunklen.
Ein dunkler Fleck ist allerdings, dass die Karmaten allerdings für die Plantagenwirtschaft schwarze Sklaven einsetzten. Nun hatten die schwarzen Sklaven kurz vor der Karmaten-Staatsgründung sich erhoben und 15 Jahre lang gegen den Kalifen gekämpft, eine Heldengeschichte, die durchaus vergleichbar mit der des Spartacus vergleichbar ist, diese sogar noch übertrifft. Ihr Untergang war jedoch ebenso tragisch.
Vielleicht haben die Karmaten sie deshalb weiterhin als Sklaven eingesetzt, weil sie unter ihnen gelitten haben, aber das ist nur eine Hypothese meinerseits.
Schon Hamdun Qarmat hatte Agitatoren weit herum geschickt – nach Syrien, Persien, Daiman am Kaspischen Meer, Nordafrika, Oman und in den Jemen. Im Jemen konnten die Karmaten kurz die Macht an sich reissen, verloren sie aber schnell wieder. Qarmat war noch vor der Staatsgründung einer Razzia des Kalifen zum Opfer gefallen. Die Nachfolge übernahm der überaus fähige Abu Said in Bahrein, der das Staatswesen nach innen und außen festigen konnte. Er fiel einem Meuchelmörder des Kalifen zum Opfer. Abu Tahir, sein jüngster Sohn übernahm die Zügel und entwickelte als Feldherr außerordentliche Fähigkeiten. „Seine zwei Dekaden wähende Regierungszeit , die von 924-944 währte, ist vielmehr durch die Festigung und kraftvolle Entfaltung des revolutionären Karmatenstaates gekennzeichnet, der nun in die Offensive ging und das Kalifat an den Rand des Abgrunds drängte“, wie Peter Priskil festhält. Er gliederte den Süden des Irak mit Basra, einer alten Karmatenhochburg, und den Oman dem Karmatenstaat an. Und er zwang den Kalifen zur Bezahlung von Abgaben für die Pilgerzüge nach Mekka. Doch schon mit 38 Jahren erlag Tahir den Pocken. Damit ging die Blütezeit des Karmatenstaats nach nur 45 Jahren zu Ende. Auch wenn der Staat noch weitere 130 Jahre Bestand hatte, so ist dies eher ein Trauerspiel.
Unter den konzentrischen Angriffen des Kalifen, der sich am Ende sogar mit dem verhaßten Fatimidenherrscher verbündete, der ständigen Wühlarbeit, Einschleusung von Saboteuren und durch Verrat zerfiel dieses grandiose Experiment mehr und mehr, bis es 1070 endgültig unterging. Doch sie hinterließen noch ein Vermächtnis, das 800 Jahre lang für Irritation und Unruhe sorgte. Das war eine Schrift mit dem Titel die „Drei Betrüger der Welt: Mose, Christus und Mahumet“, von dem Peter Priskil am Ende des Buches ein kurzes Kompendium angelegt hat. Es ist eine gründliche Abrechnung mit der Religion, das gesucht, verfolgt, verbrannt wurde, und imme wieder auf verschlungenen Wegen durch Abschriften, Kompilation, Zitate auftauchte, bis in die Neuzeit überlebte und am Ende gar für die Aufklärung von Bedeutung war.
Peter Priskil ist es gelungen, auf fast 400 Seiten uns ein eindringliches Gemälde vor Augen zu führen und zwar in einer wohltuend lebendigen, anschaulichen Sprache, die ihn aber zuweilen zu überflüssigen Redundanzen verleitet.
Doch ich will zwei Punkte erwähnen, die meiner Meinung nach in so einem gründlich recherchierten Werk fehl am Platze sind, auch wenn es nur zwei Nebensätze sind.
Da heisst es zum einen auf Seite 8: „Von wegen 'Hindufaschismus'!“ Das sei eine US-imperialistische Propagandaformel. Was immer die Moslem früher für Verbrechen begangen haben mögen, so ist es ein Faktum, dass seit Bestehen der 'größten Demokratie der Welt“ Indien niemals eine Demokratie gewesen, so wenig wie die USA oder Israel. Dass die Moslems von Anfang an Bürger 2. Klasse gewesen sind, dass dort ein furchtbarer Genozidkrieg gegen die Adivasi und Dalit im Gange ist, dass die Kaschmiri brutal unterdrückt werden. Ich empfehle nur zwei Schriften, die von Arundhati Roy 'Der aufhaltsame Aufstieg des Hindufaschismus' und 'Indias War on People' von Gautam Navlakha und Arundhati Roy. Und merkwürdig in diesem Zusammenhang ist ja auch, dass der US-Imperialismus engste Beziehungen sowohl zur BJP- als der jetzigen Congress-Regierung geknüpft hat.
Der zweite Punkt betrifft den Satz auf S. 11, „dass Mesopotamien und später der Iran zum Schauplatz der ersten großen Spaltung des Islam wurden (ist kein Zuffall). Beide waren … die Wiege der Zivilisation.“ Da ist Peter Priskil einer üblen christlich-klerikale-eurozentristischen Kampagne aufgesessen, die seit ca. 150 Jahren mit immer größerem Eifer geführt wird.
Von Herodot bis Champollion-Figeac (1839) wurde von aller Welt als Selbstverständlichkeit angesehen, dass in Ägypten die Zivilisation, die Wissenschaft, die Kultur begann und dort in einem Wort die Wiege der Menschheit stand, und dass die Ägypter Schwarze waren.
Dann begann zuerst der Bruder von Champollion, sodann der Sohn zuerst in den Schriften des Bruders und Vaters (später auch anderweitig) zu ändern, wegzulassen, zu streichen, zu fälschen, im Gleichschritt mit der vollen Entwicklung des Kolonialismus „denn es kann nicht sein, was nicht sein darf“, das die Schwarzen die Fundamente unserer Kultur geschaffen haben. Und so wurde peu à peu die Wiege immer weiter nach Nordosten hin, näher an die Wiege des Jesukindlein, wo ja wenigsten Semiten wohnten und keine Schwarzen.
Erst das Standardwerk des senegalesischen Historikers und Anthropologen Cheikh Anta Diop „The African Origin of Civilization' hat die Dinge wieder ins rechte Licht gerückt, wofür er 1974 auf der in Kairo von der UNESCO organisierten Archäologen-Konferenz Anerkennung und Beifall von der großen Mehrheit erhielt. Und Basil Davidson – The Great Old Man of African History – hat dem allzu früh Verstorbenen in seiner 10-teiligen Serie 'Africa' ein Denkmal gesetzt.
Natürlich mindern diese Gedanken in keiner Weise den Wert dieser hervorragenden Arbeit.
Aber ist es nicht ein hübscher Gedanke, dass unsere Kultur aus Afrika kommt, unsere Demokratie von den Indianern (genauer der Irokesenkonföderatin, mit deren Führern Washington geheime Unterredungen führte, um herauszufinden, wie man das so macht, mit der Demokratie. Und dann ist den  Deutschen ja ihre Verfassung von der amerikanischen durch die Besatzer abgekupfert worden.) und unsere Aufklärung von den Arabern? Aber wir, die weißen Christen, sind natürlich die Krone der Schöpfung.

Das Buch ist im Ahriman Verlag erschienen, hat 410 S. und kostet € 24.80. Mehr Informationen findet man hier http://www.ahriman.com/buecher/karmaten.htm


Einar Schlereth
Klavreström, den 12. Dezember 2010
http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=2957

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