Donnerstag, 20. Dezember 2012

Arundhati Roy Wir nennen es Fortschritt - Zweiter Teil


Natürlich hat Indien auch Medien – ich kenne kein anderes Land mit so vielen Nachrichtenkanälen, die alle gesponsert oder im Besitz von Multis sind, einschließlich Bergwerks-und Infrastruktur-Unternehmen. Die große Mehrheit aller Nachrichten wird durch Reklame bezahlt, also kann man sich vorstellen, was damit einhergeht. Der Premierminister des größten Demokratie der Welt, Manmohan Singh, der mehr oder weniger von dem IWF installiert wurde, hat nie in seinem Leben eine Wahl gewonnen. Er hat sich für eine Wahl aufgestellt und verloren, aber danach saß er plötzlich da. Er ist die Person, die, als er Finanzminister war, wirklich alle Gesetze augehoben hat und das globale Kapital nach Indien hereinließ.

Wir sollten nicht sagen, besteuert die Reichen, wir sollten sagen, nehmt ihr Geld und verteilt es, nehmt ihren Besitz und verteilt ihn.
Einmal war ich bei einer Versammlung der Arbeiter einer Eisenerzmine und Manmohan Singh war Führer der Opposition. Ein Hindi-Poet las ein Gedicht 'Was macht Manmohan Singh in diesen Tagen?'. Die ersten Zeilen lauteten: 'Was macht Manmohan Singh in diesen Tagen? Was macht das Gift, nachdem es im Blutkreislauf ist?' Sie wußten, dass, was immer er zu tun hatte, getan war, und dass es nur noch den geplanten Verlauf nahm.

2005, die erste Amtszeit der gegenwärtigen Regierung, hat sie hunderte von Memoranden of Understanding (MOU's = Absichtserklärungen) unterschrieben mit Bergwerk- und Infrastruktur-Unternehmen usw. , um die riesigen Waldgebiete in Zentralindien zu entwickeln. Indien hat bis zu 100 Millionen indigene Menschen, und wenn Sie sich eine Karte von Indien anschauen, liegen all die Erze, die Wälder und diese Menschen auf derselben Stelle. Viele der MoUs waren mit Bergwerkunternehmen 2005 geschlossen worden. Damals gründete die Regierung mit dem Geld dieser Unternehmen in Chhattisgarh, wo jetzt der große Bürgerkrieg im Gang ist, eine Miliz aus Indigenen, die den Urwald durchforsten und ihn von den Leuten säubern sollte, damit die MOUs verwirklicht werden konnten. Die Medien nannten das große Waldgebiet den ”Maoisten-Korridor”. Manche von uns nannten es den ”MOUisten-Korridor”. Zu der Zeit verkündete man auch, dass der Krieg ”Operation Green Hunt” (Grüne Jagd) genannt wurde. 200 000 paramilitärische Truppen drangen in die Wälder ein zusammen mit der Miliz, um sie von den von der Regierung 'Maoisten' genannten Menschen zu säubern.

Die Maoisten-Bewegung hat in verschiedenen Formen in Indien seit 1967 bestanden, als der erste Aufstand begann. Das war in dem Ort Naxalbari in Westbengalen, weswegen die Maoisten manchmal Naxaliten genannt werden. Natürlich ist es eine verbotene Untergrund-Partei. Sie hat jetzt eine Volksbefreiungsarmee. Tausende Mensche sind in diesem Konflikt gestorben. Heute sitzen tausende Menschen im Gefängnis und alle werden sie Maoisten genannt, obwohl nicht alle wirkliche Maoisten sind, weil, wie ich sagte, jeder, der Widerstand leistet, heute als Terrorist bezeichnet wird. Armut und Terrorismus haben sehr zugenommen. In den nordöstlichen Staaten haben wir Gesetze wie das Armed Forces Special Powers Act (Spezialvollmachten der Armee), das den Soldaten erlaubt, auf Verdacht zu töten. In ganz Indien haben wir das 'Unlawful Activities Prevention Act' (Gesetz zur Verhütung von ungesetzlichen Aktivitäten), was im Grunde schon das Denken eines anti-Regierungs-Gedankens strafbar macht, wofür man bis zu 8 Jahren eingesperrt werden kann.
Die indische Regierung – die größte Demokratie der Welt – plant, die Armee in Zentralindien einzusetzen, um gegen die ärmsten Menschen der Welt zu kämpfen.
Dies ist die Atmosphäre, die geschaffen wurde, und für die Medien waren die 'Maoisten-Terroristen' eine Orgie. Sie verschmolzen sie mit der Lashkar-e-Taiba [islamistische Terroristengruppe in Pakistan. D. Ü.], die man im Fernsehen mit ihren Ski-Masken und AKWs sehen konnte, und die Mittelklasse geiferte nach ihrem Blut. Damals hatte ich ein paar Artikel über das Ganze geschrieben und die Fernsehleute und ihre Moderatoren schauten mich an, als sei ich verrückt, wenn ich die Bergwerke erwähnte. Welchen Zusammenhang gab es zwischen den rein bösen Guerillas und den guten Bergwerksunternehmen? In meinem Buch 'Field Notes on Democracy' [auf deutsch unter dem Titel 'Aus der Werkstatt der Demokratie' erschienen. D. Ü.] gibt es einen Absatz darüber, wie der höchste Gerichtshof Indiens ein Urteil erließ, in dem es hieß, dass man unmöglich ein Unternehmen des gewissenlosen Handelns anklagen könne. Genau so hat es geurteilt.

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Wenn man sich die Geschichte der Kämpfe um Land in Indien anschaut, dann ist das wirklich Traurige, dass Indien, nachdem es unabhängig geworden war, als wichtigsten Punkt die Landreform auf der Tagesordnung der neuen Regierung hatte. Das wurde natürlich hintertrieben von den Politikern, die zur höchsten Klasse der Landbesitzer gehörten. Sie bauten so viele Schlupflöcher in das Gesetzeswerk, dass es absolut zu keiner Landverteilung kam. Dann, um 1970, kurz nachdem die Naxaliten-Bewegung entstanden war, als die ersten Leute sich erhoben hatten, da ging es um die Neuverteilung des Landes. Die Bewegung forderte ”Das Land in Bauernhand”. Die Bewegung wurde von der Armee zerschlagen. Die indische Regierung, die sich selbst demokratisch nennt, zögert nie, die Armee herbeizurufen. Heute haben die Menschen die Idee von der Land-Neuverteilung völlig vergessen. Jetzt kämpfen sie, um das bisschen Land festzuhalten, das sie haben. Wir nennen das ”Fortschritt”. Der Innenminister sagte angeblich, dass er möchte, dass 70 % der Menschen in Städten leben, was bedeutet, dass fünf bis sechshundert Millionen Menschen umziehen sollen. Wie will man das bewerkstelligen, ohne ein Polizeistaat zu werden? Wie soll man das verwirklichen, wenn man nicht riesige Staudämme und riesige Kraftwerke und AKWs baut?
Auf vielerlei Art sind wir rückwärts gegangen. Selbst die radikalste Politik wird von Leuten vertreten, die so privilegiert sind, dass sie genug Land haben. Es gibt Millionen und aber Millionen Menschen die keinerlei Land haben, die nur als Reserve von unterbezahlter Arbeitskraft an den Rändern dieser riesigen Superstädte existieren, die es nun in Indien gibt. Einerseits ist die Landpolitik radikal, aber andererseits werden die ärmsten Leute übersehen, denn sie sind nicht Teil der Gleichung. Wir reden nicht mehr über Gerechtigkeit. Keiner von uns tut es; wir reden nur über Menschenrechte oder vom Überleben. Wir reden nicht über Umverteilung. In Amerika besitzen 400 Leute mehr Reichtum als die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung. Wir sollten nicht sagen, besteuert die Reichen, sondern sollten sagen, nehmt ihr Geld und verteilt es, nehmt ihren Besitz und verteilt ihn.

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 Quelle - källa - source

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