Freitag, 21. Dezember 2012

Arundhati Roy Wir nennen es Fortschritt - Dritter Teil


Heute findet einer der größten Kämpfe in Indien um die Ausbeutung von Bauxit, das Erz für die Gewinnung von Aluminium, statt, das eine zentrale Bedeutung für den militär-industriellen Komplex hat. In den Bergen von Orissa und Chhattisgarh liegt etwa Bauxit für vier Billionen Dollar. Die Bauxitberge sind wunderschön; es sind Berge mit flachen Rücken. Bauxit ist poröses Felsgestein, und wenn es regnet, dann saugen die Berge das Wasser auf; sie sind wie Wasser-Tanks. Sie entlassen das Wasser durch ihre Füße und bewässern damit die Ebenen. Die Bergwerkgesellschaften, die das Bauxit für eine kleine Royalty von der indischen Regierung gekauft haben, haben es bereits auf dem 'Future's Market' [Terminbörse, wo Futures and Optionen gehandelt werden. D. Ü.] verkauft. Für die einheimische Bevölkerung ist das Bauxit in den Bergen die Quelle ihres Lebens und ihrer Zukunft, ihrer Religion, ihr Alles. Für die Aluminium-Fabriken ist der Berg nur ein billiger Lagerplatz. Sie haben es bereits verkauft, also muss das Bauxit heraus, entweder friedlich oder mit Gewalt.
Als ein Schriftsteller, etwas zu wissen und es für sich zu behalten, ist wie sterben.
Jetzt plant die indische Regierung – die größte Demokratie in der Welt – die Armee nach Zentralindien zu schicken, um die ärmsten Menschen in der Welt zu bekämpfen.

Eine Menge der Gewalt und Unterdrückung hat die indische Regierung dem Mob übertragen; sie agiert nicht immer als Staat. Oft setzen Akademiker oder Journalisten oder diese schwachsinnigen Moderatoren in den TV-Studios eine Debatte in Gang über die Frage, ob Gewalt moralisch oder unmoralisch sei. (Schickt eure Antwort als SMS jetzt an das Studio.)
Natürlich funktionieren die Leute nicht unbedingt so. Man kann ein Maoist im Dschungel sein oder ein Gandhianer auf der Straße. Man kann die Identität verändern, je nachdem was taktisch besser ist; es ist nicht so, dass man auf die eine oder die andere Sache schwören muss. Manche Leute tun es, andere nicht. Ich denke, was jetzt in Indien geschieht, ist, dass etwas an der Debatte völlig verkehrt ist, weil sie mit einer Art falscher Moral getränkt ist. Letztlich, wenn Leute der Mittelklasse den Kampf unterstützten – was ein Widerspruch in sich ist, sie tun es nicht – dann könnte ich verstehen, dass wir sagen, wir schließen uns zusammen und gehen in den Hungerstreik. Aber wenn man sich distanziert von dem Dorf, das von einer Hunderschaft Polizisten umgeben ist und niedergebrannt wird, dann ist es unmoralisch, den Leuten zu sagen versuchen, wie sie sich schützen sollen.
Ziemlich oft, wenn man sieht, was den Menschen angetan wird, entsteht Wut in einem und Erniedrigung, wenn man schweigt. Die Leute fragen, warum ich schreibe, und ich antworte, es sei, um nicht erniedrigt zu werden. Immer wenn   ich schreibe, sage ich mir, dass ich es nie wieder tun werde, aber es ist, als könnte ich es nicht in meinem Körper belassen; ich schreibe und es ist eine Erleichterung.
Als ein Schriftsteller, etwas zu wissen und es für sich zu behalten, ist wie sterben. Zwischen den verschiedenen Sorten der Angst, ziehe ich immer noch vor zu schreiben als nicht zu schreiben.

*      *      *
Ich schreibe seit vielen Jahren und folge den Widerstands-Bewegungen und der neuen ökonomischen Politik. Ich habe immer gefunden, die Chance, der Verzweiflung zu verfallen, ist größer in den Häusern der Mittelklasse als dort, wo die Leute tatsächlich kämpfen. Leute der Mittelklasse haben die Wahl zwischen Hoffnung und Verzweiflung; genau wie sie die Wahl haben zwischen Shampoo für trockenes Haar oder fettiges Haar; wie die Wahl, sich der Politik zu widmen oder dem inneren Design. Leute, die kämpfen, haben keine Wahl; sie kämpfen und sie konzentrieren sich und sie wissen, was sie tun. Sie diskutieren miteinander sehr viel natürlich, aber das ist in Ordnung.
Als ich in New York landete, war das Erste, was ich tat, zu den Wallstreet-Besetzern zu gehen, weil ich wissen wollte, wer sie waren und worum es ging, und wie es verknüpft war mit dem, was wir bekämpfen und schreiben. Unabhängig davon, was die verschiedenen Trends sind und dass sie keine erkennbare Führung haben, gibt es dennoch deutlich eine Verbindung zwischen dem, was in der Occupy Bewegung vorgeht und dem, was in Indien vorgeht. Die Verbindung ist der Ausschluss. Diese Leute sind ausgeschlossen. Sie sind ganz klar nicht die vierhundert Familien, die mehr Reichtum als die Hälfte der Amerikaner haben. Sie sind nicht die hundert Leute in Indien, die 25 Prozent des BN Produkts besitzen.
Während viele von uns an die Revolution glauben und glauben, dass das System niedergerissen werden muss, jetzt sofort, ist das Wenigste, womit wir anfangen könnten, die Forderung wäre, dass man all dem eine Grenze setzt. Ich bin für Grenzen, für Beschränkung. Wir müssen ein paar Dinge deutlich sagen. Eins wäre, dass kein Individuum eine unbegrenzte Menge an Reichtum besitzt. Dass kein Unternehmen eine unbegrenzte Menge an Reichtum besitzt. Dass diese Art von kreuzweisem Besitz an Unternehmen definitiv enden muss.
In Indien ist Tata das größte Unternehmen. Tata besitzt Eisenerzgruben, Stahlfabriken, iodiertes Speisesalz und Fernsehstationen. Tata stellt Lastwagen her, sie bezahlt Aktivisten, sie macht alles. Dann gibt es ein Eisenerzbergwerk und Stahlfabrik, die Jindal heißt. Der Firmenboss ist Mitglied des Parlaments. Er hat auch die National Flag Foundation gegründet, weil er das Recht erhielt, die Nationalflagge auf sein Haus zu setzen. Jindal hat eine Schule für globales Recht direkt bei Delhi, die dem Stanford Campus gleicht inmitten des größten nur denkbaren Elends. Sie hat Lehrpersonal, das aus der ganzen Welt eingeflogen wird und riesige Gehälter erhält. Sie bezahlen und fördern topaktuelle Künstler, die in nichtrostendem Stahl arbeiten.
Sie organisierte vor kurzem einen Protest-Workshop, zu dem Aktivisten auf diesen unglaublichen Luxus-Campus eingeflogen wurden, die dann ihre Protest-Gedichte und Slogans vortrugen. Diese Multis besitzen alles: sie besitzen den Widerstand, die Bergwerke, das Parlament, die Fahne, die Zeitungen. Sie lassen nichts außer Acht. Dies sind ein paar einfache Dinge, die aufhören müssen. Berlusconi kontrolliert indirekt 90 Prozent der Medien in Italien; was macht es da schon aus, dass er nicht Premierminister ist?
Es ist diese Art von Wahnsinn, für die es ein paar einfache Lösungen gäbe. Zum Beispiel sollten vielleicht Kinder nicht den Reichtum erben, den ihren Eltern zusammengerafft haben. Wir alle können einfache Lösungen wie diese finden, die uns in die richtige Richtung weisen würden.

1 Kommentar: