Freitag, 6. Oktober 2017

Vor MARIA war es hassenswert, Puerto Rico zur Bezahlung seiner Schulden zu zwingen. Jetzt ist es reine Grausamkeit.

Stan und Paul Cox
5. Oktober 2017

Aus dem Englischen: Einar Schlereth
Am Dienstag setzte Donald Trump seine sadistischen Angriffe auf die Bevölkerung von Puerto Rico mit einem Kommentar aus heiterem Himmel über die $73 Milliardenschuld des Territoriums fort:"... wir werden das ausradieren müssen". Ob Trump noch ernster genommen werden kann oder nicht, in dieser oder in irgendeiner anderen Frage, so hat Hurrikan Maria auf die schärfste mögliche Weise gezeigt, dass der Schuldenerlass eine moralische Notwendigkeit ist.

Die wirtschaftliche Verwundbarkeit, die die Insel zu einer in der Geschichte der USA beispiellosen, unnatürlichen Katastrophe prädestinierte, war eine Mischung aus der Gier der Hedge-Fund-Manager auf dem Festland und der politischen Ohnmacht der Inselkolonie. Mehr als ein Jahr vor Maria, argumentierte die Juristin Natasha Lycia Ora Bannan:

Der Kolonialstatus von Puerto Rico trägt sowohl direkt zur Wirtschaftskrise bei und verhindert auch umfassende Lösungen, die kurzfristige Probleme und langfristige wirtschaftspolitische Veränderungen berücksichtigen. Der Sonderausschuss der Vereinten Nationen für Dekolonialisierung hat Anfang 2015 seine jährliche Resolution über den Kolonialstatus von Puerto Rico verabschiedet und darauf hingewiesen, dass die Insel in der Lage sein muss, auf souveräne Weise Entscheidungen zu treffen, um ihre dringenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu beheben, einschließlich der Arbeitslosenquote von zwölf Prozent, der Marginalisierung und der weit verbreiteten Armut ihrer Bewohner.
Der Ausschuß erkannte, daß die ökonomische Verwundbarkeit von Puerto Rico eine direkte Konsequenz seines Kolonialstatus ist und daß Puerto Rico's Mangel an politischer Macht auf die Beschlußfassung in den Vereinigten Staaten sich in der Politik wiederspiegelt, die die Wirtschaft der Insel formen und schließlich verkrüppeln."
Ora Bannan und andere Rechtsexperten haben auf der Grundlage der Doktrin der "verabscheuungswürdigen Schulden" entschieden dargelegt, dass es rechtlich und moralisch unvertretbar ist, weiterhin die Menschen in Puerto Rico zu zwingen, die Aktionäre zu bezahlen. Denn nationale Regierungen haben eine Verpflichtung gegenüber ihren Bürgern, um ihre Grundbedürfnisse nach sauberem Wasser, Gesundheit und Bildung zu decken und zumindest nicht die eigenen Versuche ihrer Bürger, ihren Bedarf an Nahrungsmitteln, Kleidung und Unterkunft zu regeln, zu vereiteln. Die Freiheit der Bevölkerung, diese Bedürfnisse zu befriedigen, ist ein grundlegendes Menschenrecht."
In Puerto Rico im letzten Jahrzehnt hatte der Kampf um Schuldenzahlungen und der damit verbundene wirtschaftliche Niedergang bereits zu zunehmender Armut, zu massiven Zwangsräumungen von Eigenheimen, unfreiwilliger Auswanderung und unerbittlicher Reduzierung der öffentlichen Dienste geführt, lange bevor der Sturm einschlug.

Laut Ora Bannan hat schon vor Maria Puerto Rico mehr Geld für den Schuldendienst ausgegeben als für Bildung, Gesundheit oder Sicherheit. Das Ergebnis war unter anderem die Schließung von 150 Schulen, die Reduzierung der Gesundheitsversorgung, Steuererhöhungen, die Spaltung von Familien zwischen der Insel und dem Festland sowie eine erhöhte Ernährungsunsicherheit.

Als daher Maria über den Atlantik heranstürmte, war Puerto Rico ein Lehrbuchbeispiel für Katastrophen-Verwundbarkeit. Der Schuldendienst hat die Insel bereits erdrosselt. Wenn unsere Nation noch einen Funken Menschlichkeit übrig hat, müssen wir die Opfer des Sturms von ihrer Schuldenlast befreien. Von Puerto Rico zu erwarten, dass es sich von dieser unnatürlichen Katastrophe erholt und gleichzeitig Finanziers an der Wall Street unterstützt, bedeutet, seine Bewohner zu einem permanenten Zustand der Verarmung und des Eleds zu verurteilen.

Ironischerweise ist es unser eigenes Land, das den Begriff der verabscheuungswürdigen Verschuldung schon zu Beginn unserer Geschichte als Kolonialmacht eingeführt hat. Ora Bannan stellt fest, dass die ekelhaften Schulden

"... zum ersten Mal in der Praxis erschienen, als die Vereinigten Staaten sich weigerten, die Schulden zu übernehmen, die Spanien gemacht hatte, als es die Souveränität über Kuba, Puerto Rico, die Philippinen und andere Territorien Ende des 19. Jahrhunderts nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg abtrat. Die Vereinigten Staaten behaupteten, dass die Schulden, die Spanien nach der Kolonialherrschaft versuchte weiterzugeben, nicht zugunsten des kubanischen Volkes abgeschlossen worden waren, dass sie dessen Interessen sogar entgegengesetzt waren."
Washington fuhr sofort perverserweise mit einer Finanzpolitik fort, die für die Puerto Ricaner schädlich und nicht in ihrem Interesse war. Die Verfassung des Territoriums verlangte, dass Schulden zuerst bedient werden müssen, bevor Geld ausgegeben wurde, um die Gesellschaft funktionsfähig zu machen. Das Jones-Gesetz (das harmlos benannte Gesetz, von dem wir fast alle auf dem Festland bis zum vergangenen Monat keine Ahnung hatten) half, die Preise für alltägliche Güter auf ein unerschwingliches Niveau zu treiben. Die auf der Insel operierenden Unternehmen erhielten saftige Steuervergünstigungen, während die Arbeiter unter der unsichtbaren Steifel des Marktes gestampft wurden.

In den 2000er Jahren waren Anleihen, die von einer verzweifelten puerto-ricanischen Regierung ausgegeben wurden, so risikoreich, dass Hedge-Fonds-Vampire erpresserische Erträge von ihnen erpressen konnten. Als die nationale und die globale Wirtschaft nach 2007 absackten, konnte sich Puerto Rico nirgendwohin um einen Schuldenerlass wenden, denn es war keine Nation, sondern eine Kolonie. Kleine, ausgeraubte Nationalstaaten auf der ganzen Welt hatten hatten nur die Möglichkeit, mit internationalen Agenturen zusammenzuarbeiten, um die streunden Horden wilder Investoren abzuwehren, aber Puerto Rico war amerikanischer Boden und musste sich auf den Beistand eines anlegerfreundlichen Washingtons verlassen.

Das Durchschnittseinkommen von Puerto Rico liegt unter einem Drittel des Einkommens unseres Landes insgesamt und seine Pro-Kopf-Schadstoff-Emissionen sind nur halb so hoch wie der US-Durchschnitt. Die Diskussionen über Klimagerechtigkeit drehen sich in der Regel um die gravierenden Disparitäten zwischen reichen und armen Nationen in Bezug auf die Klimaverwundbarkeit und die Treibhausgas-emissionen, aber vor Ort ist das Thema nicht so klar. Die Hurrikane Harvey und Irma, wie Katrina und andere zuvor, hätten Amerikas Bevölkerung und Machtzentren bewusst machen sollen, dass der globale Norden und Süden klimatisch gesehen in unserem eigenen Land Seite an Seite existieren. Und während Harvey und Irma diesbezüglich rote Fahnen waren, ist Maria eine leuchtende rot-gelbe Reklametafel.

Aber erwartet nicht zu viel. Die allerersten Kommentare zur Maria-Katastrophe, die von diesem rassistischen Twitter-Account unter dem Namen @realdonaldtrump kamen, konzentrierten sich mehr auf die Schulden von Puerto Rico als auf die Menschen, die dort leben und implizierten, dass jede Genesungshilfe, die es gibt, mehr Strafe als Wiedergutmachung bedeuten würde. Der Kongress wird sicherlich in seinem eigenen gemächlichen Tempo nachfolgen.

In einem charakteristisch knappen Zweizeiler erklärte @realdonaldtrump: "Ein großer Teil der Insel wurde zerstört, zusammen mit Milliarden von Dollars, die der Wall Street geschuldet waren, und womit die Banken sich leider befassen müssen".

Das liest sich wie zu viele Gedanken in einem Satz; es war wohl nicht als Kausalaussage gedacht. Aus dem Zusammenhang gerissen, ist es eine wahre Aussage, die schon wahr war, bevor Maria im Atlantik Gestalt annahm. Schulden hatten Puerto Rico bereits zerstört. Was vor dem Sturm rechtlich und moralisch verhasst war, ist nun reine Grausamkeit. Den Menschen in Puerto Rico zu helfen, einen Schuldenerlass zu fordern, ist eine Frage der Menschenrechte.


Quelle - källa - source

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