Donnerstag, 19. Februar 2015

Poetischer Widerstand: Ein Interview mit Dominique Christina

Diese Video-Performances von Dominique Christina haben mich umgehauen. Selten habe ich solch gute Texte gehört. Natürlich suchte ich gleich, ob es von ihr ein Buch auf deutsch gibt. Meine Zweifel wurden bestätigt: Nichts. Und das ist der deutliche Beweis, dass es haargenau stimmt, was sie sagt.  Aber hier ist ein Link, wo man direkt bei ihr ein Buch bestellen kann.

Vincent Emanuele

17. Februar 2015
Aus dem Englischen: Einar Schlereth

Dominique Christina ist eine preisgekrönte Schriftstellerin, Darstellerin, Erzieherin und Aktivistin. Sie hat fünf Poetry Slam-Titel (Dichter-Wettstreit) in vier Jahren gewonnen, war außerdem 2011 Meisterin im Nationalen Dichter-Wettstreit, 2012 und 2014 gewann sie die Frauen der Welt Dichter-Meisterschaft. Ihre Arbeit ist stark beeinflusst durch das Erbe ihrer Familie in der Bürgerrechtsbewegung und von der Idee, dass Welten Welten schaffen. Ihr erster richtiger Gedichtband 'The Bones, The Breaking, The Balm: A Colored Girl's Hymnal' von Penmanship Books veröffentlicht ist im Handel. Ihr zweites Buch 'This is Woman's Work' soll im Oktober 2015 erscheinen.


Im November 2014 traf ich Dominique auf der Konferenz 'Earth at Risk Environmental and Social Justice', die im Palace of Fine Arts Theatre in San Francisco stattfand. Ohne Zweifel führte sie zwei der denkwürdigsten Stücke gesprochener Lyrik auf, die ich jemals gehört habe, engagiert und das Publikum konfrontierend mit lebendigen Beobachtungen in Bezug auf Rasse, Liebe, Tod, Mutterschaft und Gewalt. Kürzlich hatte ich das Vergnügen, Dominique zu interviewen.


* * * 

VE: In einem kürzlichen Interview sagte der politische Aktivist und Philosoph Cornet West, "du siehst, jeder in Amerika, der die Wahrheit über die Barbarei der weißen Vorherrschaft und ihr Erbe spricht, muss den Wunsch haben zu sterben". Während Aktivisten von Ferguson bis Oakland auf die Straße gehen und radikales Handeln fordern, wie verarbeitest du den Prozess des historischen und zeitgenössischen Erbes weißer Vorherrschaft in den USA?

DC: Weiße Vorherrschaft ist so alt wie Moses. Sie ist ein Rückfall der Zivilisation und zerfrisst das Bewusstsein aller überall, scheint es mir. Es ist ein schreckliches Erbe. Sie ist das Monster, das immer hungrig ist; das den Körper auffrisst. Cornet hat Recht. Die Namen der Agenten der Macht zu nennen, ist immer gefährlich gewesen. Woran ich interessiert bin, ist, anders zu kämpfen. Märsche, Boykotts, Sit-ins, Proteste sind alle historisches Erbe. Sie haben niemals wirklich dazu geführt, dass jene, die auf die Straße gehen, in Machtpositionen gekommen sind. Es hat den Staat nie daran gehindert, uns zu töten. Ich bin nicht daran interessiert, dieselben alten Themen auf die alte Weise wiederzukäuen. Ich bin daran interessiert, die Macht zu gewinnen. Ich bin daran interessiert, sie zu demontieren. Und ich habe keinerlei Beweise, dass das erreicht werden kann, indem man höflich ist ... oder nur störend. Es fordert eine Umformung der Dinge und gewiss auch die Ent-Kolonisierung unserer Köpfe.




VE: Was denkst du, wie Bewegungen gegen Militarismus, Polizei-Unwesen und Rassismus effektiver sein könnten?

DC: Sie können effektiver sein, indem sie sich weigern, aus unterlegener Position zu kämpfen. Wir können den Staat nicht bitten, Masseninhaftierungen zu unterlassen, was wirkliche Neo-Sklaverei ist, die legale Barbarei (Polizei-Brutalität) zu beenden. Die Sklaven auf den Plantagen waren zahlenmäßig ihren Herren überlegen. Die Gefangenen  sind mehr als ihre Wächter. Freie Menschen wissen, dass sie nicht zu fragen brauchen. Freie Menschen wissen zu nehmen, was ihnen gehört. Ich bin in keiner Weise ein Pazifist. Gewaltlosigkeit ist eine Strategie und sie kann eine effektive Strategie sein, aber ich bin traumatisiert von dem Vermächtnis der Körper, die auf der Hauptstraße hinuntergespült werden und mit Pfeffer und Tränengas besprüht werden. Das historische Muster, das immer die Unterdrückten auffordert, höflich zu sein und nett zu bitten und zu warten, traumatisiert mich. Ich bin bewusst rebellisch und entschuldige mich nicht. Ich erwarte nicht, dass der Herr mir irgendetwas gibt. Ich frage ihn nicht. Ich weiß, wie man mit Kraft auftritt und wie man auf etwas besteht. Ich bin nicht von der Art "lasst uns zur Wahlurne gehen und die Dinge verändern". Nicht, dass es notwendigerweise eine vergebliche Übung ist, aber die Gesetze legitimieren alle Arten von illegitimem Scheiß. Ich kann nicht darauf aufbauen.

VE: 1939 führte die Sängerin Billie Holiday in einem segregierten New Yorker Café eine Interpretation des Gedichtes von Abel Meeropol über Rassismus und Lynchen auf mit dem Titel "Strange Fruit". Beinahe 75 Jahre später nennt der Autor Bell Hooks den amerikanischen Pop-Star und kulturelle Ikone Beyonce eine "kulturelle Terroristin". Kannst du die moderne kulturelle Landschaft für schwarze weibliche Künstlerinnen diskutieren?  Wie siehst du dich selbst in dieser langen Reihe von einflussreichen schöpferischen Frauen? Hat Bell Hooks Recht mit seiner Einschätzung von Beyonce?

DC: Schwarze Frauen sind die Maultiere der Welt. Uns ist der Zugang verwehrt, bevor wir nicht für weiße Leute angenehm sind, und das können wir nicht, bevor wir nicht die Teile in uns verändern und zum Schweigen bringen, die am drängendsten sind. Ich stimme Bell zu und ich weiß, dass das keine beliebte Haltung ist. Beyonce ist der neue Jesus für die jüngere Generation geworden. Ihr Autoaufkleber-Feminismus ist so verführerisch für Mädchen, die ebenso sichtbar sein wollen. Schwarze, weibliche Künstler haben ständig um Autorenschaft und mit Agenturen zu kämpfen. Sehr wenige von uns kommen durch. Das ist Absicht. Ich bin töricht genug zu hoffen, dass wir aufhören, einen jig zu tanzen und die Dinge sagen, auf die es ankommt, und dass wir für unsere Integrität kämpfen werden und uns weigern, 'puppeteers' zu sein [da gibt es mehrere sexuelle Möglichkeiten - weiß nicht, welche sie meint D.Ü.]

VE: Unglücklicherweise sind verschiedene Teile schwarzer Kultur und Geschichte  von der herrschenden weißen Kultur in den USA kommerzialisiert und angepasst worden. Welche Rolle spielt die kulturelle Aneignung bei der Verstärkung der Stereotypen?

DC: Wir werden immer kommerzialisiert und angepasst. Es impliziert, dass wir bloße Ornamente sind, aufgehängt, um die weiße Kulur zu amüsieren. Miley Cyrus verkleidet sich als schwarze Frau auf der Bühne; das sind Requisiten, nichts anderes. Es gibt nichts Neues unter der Sonne, nichtwahr? Das ist ein alter, alter Mechanismus. Wir sind nicht genug, um als Unser Selbst aufzutreten. Aber unser Stil kann kooptiert und bestätigt werden, wenn er auf weißen Körpern fungiert. Scheiß drauf.

VE: Die Washington Post hatte kürzlich einen Artikel, dass nur 70 % aller weißen Amerikaner einen schwarzen Freund haben, mit dem sie regelmäßig verkehren. Wie soll man anfangen, die Intersektionalität zwischen Klassen, Rassen und Geschlechtern zu untersuchen im Kontext des ökologischen Kollaps und einer hyper-entfremdeten und segregierten Gesellschaft?

DC: Wir haben unsere Naturressourcen missbraucht und sie reagieren, indem sie uns unbekannt werden oder? Wir sind eine Nation von Clowns, die jede alte Lüge schlucken und sie an unsere Kinder weitergeben. Wir agieren in Silos. Wir sind nicht bereit, herausgefordert zu werden, nicht bereit, mit der Ausbeutung aufzuhören, nicht bereit die Art und Weise, in der wir verbunden sind, in Frage zu stellen. Sozial Medien sind das, wie wir mit der Welt interagieren. Wir sind Profilbilder und Tweets. Wir haben vergessen, miteinander verwandt zu sein. Es ist leichter, ein Volk zu unterjochen, das keine verlässliche Grundlage hat.

VE: In welcher Funktion siehst du, wie Kunst in der Zukunft im politischen Widerstand funktionieren kann? Machst du Druck auf deine Kollegen, Politik in ihre Arbeit einzubeziehen? Gibt es eine klare, saubere Trennung zwischen einigen Kunstformen und dem sozialen Kampf?

DC: Kunst hat immer eine Beziehung zum Widerstand gehabt. Es ist die Art, wie ein Individuum anklagt, verurteilt und ein Licht wirft auf die unbeleuchteten, unglücklichen Stories. Kunst sollte radikal sein. Gefährlich sein. Ich zwing niemanden, irgendetwas zu tun.

Jeder hat die Verpflichtung gegenüber seinem eigenen Herzschlag. Für mich ist, überhaupt etwas zu sagen, ein Akt des Widerstands. Ich soll eigentlich nicht hier sein. Ich soll eigentlich nicht wissen, was ich weiß. Ich soll am Rande existieren. Ich stelle mich deshalb mit Absicht ins Zentrum; nenne Namen und fordere und sage der Macht die Wahrheit. Ich weiß nicht, ob es eine klare Trennung zwischen manchen Kunstformen und dem sozialen Kampf gibt oder nicht. Ich weiß nur, dass es für mich keinerlei Trennung gibt. Ich weiß, dass ich schreibe, weil ich sterben würde, täte ich es nicht. Ich glaube, ich bin verpflichtet, die Knochen der Menschen, die vor mir waren, mit Fleisch zu versehen ... unmöglich mögliche Menschen, die hätten aufgeben können ... es aber nicht taten.

VE: Wie haben Entwicklungen im Internet und Kommunikations-Technologien deiner Arbeit als radikale Künstlerin und Aktivistin geholfen oder behindert?

DC: Hmmm ... ich nehme an, dass Technologie mir in meiner Arbeit in dem Sinn hilft, dass sie größeren Zugang und Sichtbarkeit bietet. Es gibt Frauen in Südafrika, Asien, Australien und England, die schreiben und mir für ein bestimmtes Gedicht danken; ein Gedicht, von dem sie nie gehört hätten ohne den Vorteil des Internets. Dafür bin ich dankbar. Ich denke, dass unsere Sinne als Ergebnis der Technologie auch getäuscht werden können, weshalb es manchmal ein schlüpfriger Weg für mich ist.

VE: Niemand würde behaupten, dass die Filme von David Lynch politische Fragen erhellen, aber seine Arbeit sagt eine Menge über die moderne Gesellschaft und Menschen. Findest du, dass verschiedene Kunstformen außerhalb des Rahmens politischen Wiederstands deine politische Sicht erweitern? Wenn ja, welche Künstler, Filme, Lieder oder Literatur haben deine Arbeit beeinflusst, was ein gewöhnlicher Beobachter nicht merken würde?

DC: Ich meine ... ich liebe eine Menge anerkannter Schriftsteller. Schriftsteller, die ausgeprägt weiß und männlich waren und natürlich bin ich nichts von dem, aber ich ziehe viel aus den Werken von Edgar Allen Poe und Walt Whitman und T. S. Eliot und E. E. Cummings.

Ich lese auch viel Nietzsche. Ich denke, dass ich eine Art von ärgerlicher Angst [im Original deutsch] in ihren Arbeiten höre, die ich auch habe, wenngleich aus anderen Gründen in manchen Fällen. Ich bin ein großer Fan des Stückeschreibers August Wilson und der Autorin Toni Morrison. Sie schreiben über die Vorfahren und daran bin ich interessiert. 

VE: Ohne Zweifel wird die lebende Welt unaufhörlich zerstört. Just jetzt steht der Planet am Rande des totalen biologischen Kollapses. Manchmal ist es schwer, motiviert und vernünftig zu sein. Viele meiner Freunde fragen "Was soll's?" Aber Defätismus und Zynismus sind keine akzeptablen Antworten auf Ungerechtigkeit, besondes von Seiten der Künstler. Welchen Rat würdest du jungen schöpferischen Menschen geben, die unsere ökologischen Realitäten verstehen, aber dennoch weiterhin malen, kämpfen, wachsen, singen, gestalten und widerstehen?

DC: Revolution ist der Klang, dass dein Herz noch schlägt. Und so lang es das tut, hast du Arbeit zu tun. TuE es. Ohne Rechtfertigung. Tue es. Tapfer und großmütig. Tue es. Widerstehen, bestehen und mit allen Mitteln widerstehen.


Vince Emanuele  schreibt für TeleSUR/engl. Version. Er lebt, organisiert und schreibt im Rust Belt ["RostGürtel" = die ehemalige größte Industrieregion der Welt mit Zentrum Detroit. D. Ü.] Er ist erreichbar unter  vince.emanuele@ivaw.org

Quelle - källa - source






5 Kommentare:



  1. Zivilisation ist kultivierte Barbarei.


    "Wir können den Staat nicht bitten, Masseninhaftierungen zu unterlassen, was wirkliche Neo-Sklaverei ist, die legale Barbarei (Polizei-Brutalität) zu beenden. "
    "Das historische Muster, das immer die Unterdrückten auffordert, höflich zu sein und nett zu bitten und zu warten, traumatisiert mich."

    Als Selbstversorger brauchst du nicht höflich und nett zu sein.Man muss nur warten.

    Verwechseln wir bitte nicht unseren vom Kapital erlaubten Freiaum nicht mit Freiheit,denn der erlaubte Freiraum ist nur ein Knast ohne Gitter der mit Freiheit nichts zu tun hat, aber die Kunst zu beherrschen sich Unabhängig zu versorgen ist die wahre Freiheit.Wir, das sind über 90% der Weltbevölkerung, dürfen nicht von Freiheit reden, da über 90% der Weltbevölkerung Lohnabhängig sind,was gleichbedeutend ist mit Versklavung durch Lohnabhängigkeit.


    Die beste Demo gegen Kernkraft ist,wenn man sich den Strom mit Solar oder/und Wind oder Bachlauf,wenn möglich selbst macht.Der beste Widerstand gegen eine Diktatur ist es, wenn man sich so viel wie möglich das nötige zum Leben selbst macht.

    Wo wir auch immer die Infrastruktur gebrauchen müssen oder glauben sie gebrauchen zu müssen,sind wir in Ohnmacht der Macht der Politiker und ihrer Drahtzieher ausgeliefert.Die Infrastruktur die heute bis ins Private durch Überwachung von Smarten Geräten hinein reicht, ist die Macht die alles durchdringt


    Do it your self.

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    1. Wo wir auch immer alles selbst machen können, sollten wir es tun,denn braucht man keine Rote Pille.

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  2. OT @Einar
    Die dt. Seite vom Saker ist wieder nicht mehr erreichbar. Was ist passiert?

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  3. Da musst du mal deinen PC befragen oder deinen Server. Gerade probiert und in knapp 2 Sek stand die Seite. Tagsüber warich auch mehrfach drauf und habe obendrein einen Artikel drauf gelegt.

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  4. Danke, nach ner halben Stunde gings wieder, k.A. was da los war.

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