Dienstag, 24. Januar 2012

Der Weltkrieg gegen die Demokratie


John Pilger ist ja ein viel bewunderter und tüchtiger Journalist, der auch viele preisgekrönte Filme gemacht hat. Gleichzeitig gehört er zu den wenigen Spitzenjournalisten, die immer noch die Washingtoner Konspirationstheorie zum Anschlag von 9/11 glauben. Ansonsten ist es ein sehr lesenswerter Text.

Lisette Talate
von John Pilger

am 19.Januar 2012

Lisette Talate starb vorgestern. Ich erinnere mich an eine drahtige, enorm intelligente Frau, die ihren Schmerz mit einer Entschlossenheit verbarg, die große Ausstrahlung hatte. Sie war die Verkörperung des Widerstands des Volkes gegen den Krieg gegen die Demokratie.

Erstmals sah ich sie in einem Film der Kolonial-Behörde aus den 50-er Jahren über Chagos Inselbewohner, ein winziges kreolisches Volk, das mitten zwischen Afrika und Asien im Indischen Ozean lebte. Die Kamera schwenkte über blühende Dörfer, eine Kirche, eine Schule, ein Hospital, mitten in phänomenaler natürlicher Schönheit und Frieden. Lisette erinnert sich, dass der Produzent zu ihr und ihren Teenager Freundinnen sagte: „Lächelt, Mädchen!“


In ihrer Küche viele Jahre später sagte sie: „Man musste mir nicht sagen zu lächeln. Ich war ein glückliches Kind, denn ich war tief auf der Insel verwurzelt, meinem Paradies. Meine Großmutter war dort geboren und ich hatte 5 Kinder dort geboren. Deshalb konnten sie uns nicht auf legale Weise aus unseren eigenen Häusern werfen; sie mussten uns einschüchtern, um abzuhauen oder uns hinauszwingen. Zuerst versuchten sie, uns auszuhungern. Das Schiff mit Nahrungsmitteln kam nicht mehr. Man verbreitete das Gerücht, dass wir gebombt würden, dann gingen sie gegen die Hunde vor.“

Anfang der 60-er Jahre stimmte die Labour Regierung von Harold Wilson insgeheim einer Forderung von Washington zu, dass der Chagos Archipel, eine britische Kolonie, von ihren 2500 Bewohnern frei 'gefegt' und 'gesäubert' werden soll, damit auf der Hauptinsel Diego Garcia eine Militärbasis gebaut werden konnte. „Sie wussten dass wir unzertrennlich von unseren Hunden waren“, sagte Lisette. „Als die amerikanischen Soldaten ankamen, um die Basis zu bauen, fuhren sie rückwärts mit ihren riesigen LKWs an die Ziegelschuppen, wo wir unsere Kokosnüsse zubereiteten; hunderte Hunde hatten sie zusammengetrieben und dort eingesperrt. Mit ihren Auspuffrohren haben sie sie vergast. Wir hörten sie jaulen.“

Chagos Archipel vorher

Chagos Archipel nachher
Lisette und ihre Familie und hunderte andere wurden mit Gewalt auf einen rostigen Dampfer nach Mauritius gebracht, fast 5000 km entfernt. Wir mussten auf einer Ladung Düngemittel schlafen: Vogelscheiße.

Das Wetter was rauh; alle wurden krank; zwei Frauen hatten eine Fehlgeburt. Sie wurden auf die Landepier von Port Louis geworfen. Die zwei jüngsten Kinder von Lisette, Jollice und Regis, starben innerhalb zweier Wochen. „Sie starben vor Trauer“, sagte sie. „Sie hatten all das Gerede gehört und das Schreckliche, was mit den Hunden passierte. Sie wussten, dass wir die Heimat für immer  verließen. Der Arzt in Mauritius sagte, dass er Traurigkeit nicht heilen könne.“

Das Massenkidnapping wurde streng geheim durchgeführt. In einem offiziellen Dokument mit dem Titel „Die Illusion bewahren“, ermahnt der juristische Berater des Außenministeriums seine Kollegen, die Aktion zu vertuschen, indem man die Bevölkerung als „unbeständig“ bezeichnet, und beim Fortgang der Arbeit „stellen wir Regeln auf". In Artikel 7 des Internationalen Strafgerichts heisst es, dass „Deportation oder Zwangsumsiedlung“ ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist. Dass England solch ein Verbrechen begeht – im Tausch gegen 14 Millionen $ Rabatt beim Kauf eines US-Polaris Atomubootes – stand nicht auf der Tagesordnung britischer Korrespondenten, die nach Chagos geflogen wurden, als die US-Basis fertig war. „Es gibt nichts in unseren Dokumenten über Einwohner oder Exakuierung“, sagte ein Ministeriumsbeamter.

Heute ist Diego Garcia entscheidend für Amerikas und Englands Krieg gegen die Demokratie. Die schwersten Bombenangriffe auf Irak und Afghanistan wurden von seinen breiten Startbahnen geflogen, jenseits derer der verlassene Friefhof und die Kirche der Inselbewohner als archäologische Ruinen liegen. Die terrassierten Gärten, wo Lisette in die Kamera lachte, sind jetzt eine Festung, in denen die „Bunker-brechenden“ Bomben lagern, die von den Fledermausähnlichen B-2 Bombern zu Zielen in zwei Kontinenten getragen werden; ein Angriff auf den Iran wird hier beginnen. Wie um das Sinnbild der zügellosen, kriminellen Macht zu vervollständigen, hat die CIA ein Guantanamo-ähnliches Gefängnis für ihre „Auslieferungs“-Opfer gebaut, Camp Justice (Camp Gerechtigkeit) genannt.

Was aus Lisettes Paradies gemacht wurde, hat eine dringende, universale Bedeutung, denn es repräsentiert die gewalttätige, skrupellose Natur eines ganzen Systems hinter seiner demokratischen Fassade und das Ausmaß unserer eigenen Indoktrinierung für seine messianischen Vorraussetzungen, die von Harold Pinter als ein „brillianter, sogar witziger, höchst erfolgreicher Hypnoseakt“ beschrieben wurde. Länger und blutiger als irgendein Krieg seit 1945, geführt mit dämonischen Waffen und einem Gangstertum, verhüllt als Wirtschaftspolitik und manchmal als Globalisierung, kann der Krieg gegen die Demokratie in Elitekreisen nicht erwähnt werden. Wie Pinter schrieb, „es ist nichts passiert, selbst während es passiert“. Im vergangenen Juli hat der amerikanische Historiker William Blum seine „aktualisierte Aufstellung der US-Außenpolitik“ veröffentlicht. Seit dem 2. Weltkrieg hat die USA:

1. Versucht, mehr als 50 Regierungen zu stürzen, die meisten demokratisch gewählt.
2. Versucht, populistische oder nationalistische Bewegungen in 20 Ländern zu unterdrücken.

3. Gröbstens sich in mindestens 30 Ländern in demokratische Wahlen eingemischt.
4. Bomben geworfen auf Leute in mehr als 30 Ländern. 5
5.  Versucht, mehr als 50 ausländische Staatschefs zu ermorden.

Insgesamt haben die USA eine oder mehrere dieser Aktionen in 69 Ländern unternommen. In beinahe allen Fällen hat England teilgenommen. Der „Feind“ ändert den Namen – von Kommunismus bis Islamismus – aber meistens geht es um das Entstehen von demokratischen von westlichen Ländern unabhängigen Gesellschaften oder solche, die in einem strategisch nützlichen Gebiet sitzen, die als ausbaufähig erachtet wird, wie der Chagos Archipel.

Das schiere Ausmaß des Leidens, ganz zu schweigen von der Kriminalität, ist im Westen kaum bekannt, trotz der Anwesenheit der fortgeschrittensten Mittel der Kommunikation, der nominell freiesten und bestens ausgebildeten Journalisten. Dass die meisten Opfer des Terrorismus – des westlichen Terrorismus – Moslems sind, darf man nicht sagen, das weiss man. Dass eine halbe Million irakischer Kinder 1990 als Ergebnis des von England und den USA auferlegten Embargos starben, ist nicht von Interesse. Dass extremer Jihadismus, der zu 9/11 führte, als Waffe der westlichen Politik herangezüchtet wurde („Operation Zyklon“) ist unter Spezialisten bekannt, ansonsten unterdrückt.

Während die Populärkultur in England und den USA den 2. Weltkrieg in ein ethisches Bad für die Sieger taucht, werden die durch die Anglo-Amerikanische Dominanz entstehenden Holocausts in ressourcenreichen Regionen dem Vergessen anheimgegeben. Unter dem indonesischen Tyrannen Suharto, von Thatcher als „unser Mann“ gesalbt, wurden mehr als eine Million Menschen hingeschlachtet. Von der CIA als „der schlimmste Massenmord der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet, enthält diese Schätzung nicht das Drittel der Bevölkerung Ost-Timors, das mit westlicher Billigung, britischen Kampfbombern und Maschinengewehren ermordet oder zu Tode gehungert wurde.

Diese wahren Geschichten stehen in freigegebenen Dokumenten im Public Record Office, präsentieren aber eine ganze Dimension der Politik und Machtausübung, die der Öffentlichkeit verborgen bleibt. Dies wurde durch eine Form von Informations-Kontrolle ohne Zwang, durch das religiöse Mantra von Konsumentenreklame bis hin zu Klangfetzen in den BBC-Nachrichten und nun den kurzlebigen sozialen Medien ermöglicht.

Es ist als ob Schriftsteller als Wachhunde ausgelöscht sind oder hörig einem soziopahtischen Zeitgeist, überzeugt, dass sie zu schlau sind, als dass man sie betrügen könnte. Man sehe sich an, wie sich die Kriecher drängeln, um einen Christopher Hitchens in den Himmel zu heben, einen Kriegsbegeisterten, der sich danach sehnte, Verbrechen der raubgierigen Mächte zu rechtfertigen. „Fast zum ersten Mal in zwei Jahrhunderten“, schrieb Terry Eagleton, „gibt es keinen britichen Dichter, Stückeschreiber oder Romancier von Rang, der die Grundlagen des westlichen way of live in Frage stellt“. Kein Orwell warnt davor, dass wir nicht in einer totalitären Gesellschaft leben müssen, um vom Totalitarismus korrumpiert zu werden. Kein Shelley spricht für die Armen, kein Blake bietet eine Vision, kein Wilde erinnert uns, dass „Ungehorsam in den Augen von allen, die ihre Geschichte kennen, die ursprüngliche Tugend des Menschen ist“. Und traurigerweise wütet kein Pinter gegen die Kriegsmaschine wie in American Football:

Hallelujah.

Gelobt sei der Herr für alle guten Dinge …

Wir haben ihnen die Eier zu Staub zermahlen,

zermahlen zu verdammtem Staub …

Zu Staub zermahlen sind auch all die Leben von Barack Obama, dem Hopey Changey der westlichen Gewalt. Wann immer eine der Drohnen von Obama eine ganze Familie in einer weit enfernten Stammesregion von Pakistan oder Somalia oder Jemen auslöscht, geben die US-Kontrolleure an ihren Komputer-Spiel-Schirmen „Bugsplat“ (Käfermatsch) ein. Obama liebt Drohnen und scherzt mit Journalisten darüber. Eine seiner ersten Handlungen als Präsident war, eine Welle von Predator-Drohnen gegen Pakistan zu schicken, die 74 Menschen töteten. Seither hat er Tausende getötet, meist Zivilisten; Drohnen feuern Hellfire-Raketen ab, die den Kindern die Luft aus den Lungen saugen und die umgebenden Büsche mit Leichenteilen schmücken.

Man erinnere sich an die tränentriefenden Schlagzeilen, als die Marke Obama gewählt wurde: „Ein schwindeliger Moment“: der Guardian. „Die Amerikanische Zukunft“, schrieb Simon Schama, „ist reine Vision, religiös, ungeformt, lichterfüllt ...“ Der San Francisco Chronicle Kolumnist sah einen spirituellen „Lichtarbeiter, der uns in neuer Weise auf dem Planeten führen [kann]“. Jenseits des Geschwafels fand, wie der große Whistleblower Daniel Ellsberg vorhersagte, ein Militärcoup in Washington statt, und Obama war ihr Mann. Nachdem er die anti-Kriegsbewegung zum Schweigen verführt hatte, gab er der amerikanischen korrupten Offizierskaste nie dagewesene Macht und Aufgaben. Diese umfassen künftige Kriege in Afrika und Gelegenheiten für Provokationen gegen China, Amerikas größter Gläubiger und neuer „Feind“ in Asien. Unter Obama ist Russland, die alte Quelle offizieller Paranoia, mit ballistischen Raketen umzingelt worden und die russische Opposition infiltriert worden. Militärische und CIA Mordkommandos sind in 120 Ländern unterwegs; lang geplante Angriffe auf Syrien und Iran verlocken zum Weltkrieg. Israel, das Beispiel von stellvertretender US-Gewalt und Gesetzlosigkeit, hat gerade sein jährliches Taschengeld von 3 Mrd. $ erhalten und Obamas Erlaubnis, noch mehr Land den Palästinensern zu klauen.

Die größte „historische“ Leistung von Obama ist, dass er den Krieg gegen die Demokratie heim nach Amerika gebracht hat. Am Neujahrsabend hat er die National Defense Authorization Act (Nationaler Verteidigungs- Authorisierungsgesetz = NDAA) unterzeichnet, ein Gesetz, das dem Pentagon das Recht gibt, sowohl Ausländer als auch US-Bürger zu kidnappen, unbegrenzt einzukerkern, zu verhören, zu foltern und sogar zu töten. Sie brauchen bloss irgendwie „verbunden“ sein mit „Gegnern“ der USA. Es wird keinen Gesetzesschutz geben, keinen Prozess, keinen Rechtsbeistand. Dies ist das erste explizite Gesetz zur Abschaffung des habeas corpus (das Recht auf einen ordentlichen Prozess) und wird effektiv das Grundgesetz von 1789 beseitigen.

Am 5. Januar hat Obama in einer außergewöhnlichen Rede im Pentagon gesagt, dass die Armee nicht nur bereit sei, „die Territorien und Bevölkerungen“ in Übersee zu schützen, sondern auch in der „Heimat“ zu kämpfen und „Unterstützung den zivilen Behörden“ zu geben. Mit anderen Worten, US-Truppen können auch in den amerikanischen Städten eingesetzt werden, wenn die unvermeidlichen Unruhen eintreten.

Amerika ist jetzt ein Land von epidemischer Armut und barbarischen Gefängnissen: die Konsequenz eines „Markt“-Extremismus, der unter Obama zur Überführung von 14 Billionen $ an die kriminellen Unternehmen in Wall Street geführt hat. Die Opfer sind meist junge Arbeitslose, Obdachlose, engekerkerte Afro-Amerikaner, betrogen vom ersten schwarzen Präsidenten. Die historische Begleiterscheinung eines permanenten Kriegszustandes ist noch nicht Faschismus, aber auch keine Demokratie in irgendeiner erkennbaren Form, trotz der Plazebo-Politik, von denen die Nachrichten bis November beherrscht sein werden. Die Präsidenten-Kapagne wird, sagt die Washington Post, „einen Zusammenstoß der Philosophien bringen, die in den unterschiedlichen Auffassungen von Ökonomie gründen“. Das ist grundfalsch. Die fest umschriebene Aufgabe des Journalismus auf beiden Seiten des Atlantik ist es, den Schein einer politischen Wahl zu erwecken, wo es keine gibt.

Derselbe Schatten hängt über England und dem größten Teil Europas, wo die Sozialdemokratie, vor zwei Jahrzehnten ein Glaubensartikel, unter die Stiefel der Zentralbank- Diktatoren geraten ist. In David Camerons „großer Gesellschaft“ übertrifft der Diebstahl von 84 Mrd. £ an Jobs und Diensleistungen noch die Summe an „legalen“ Steuerhinterziehungen der Piraten-Unternehmen. Gebt nicht der ultra-Rechten die Schuld, sondern der feigen liberalen politischen Kultur, die wir zugelassen haben, und die, so schrieb Hywel Williams nach den 9/11 Angriffen „selbst eine Form von selbstgerechtem Fanatismus sein kann“. Tony Blair ist so ein Fanatiker. In seiner Manager-Gleichgültigkeit gegenüber Freiheiten, die man behauptet hochzuhalten, hat das bürgerliche Blair-Britannien einen Überwachungsstaat geschaffen mit 3000 neuen Straftatbeständen und Gesetzen: mehr als im gesamten vorigen Jahrhundert. Die Polizei glaubt nun ganz klar, dass sie das Recht zu töten hat. Auf Verlangen der CIA werden Fälle wie der von Binyam Mohamed, ein unschuldiger britischer Bürger, gefoltert und fünf Jahre in Guantanamo festgehalten, vor geheimen Gerichten in England verhandelt,  "um die Geheimdienste zu schützen“ - die Folterer.

Dieser unsichtbare Staat erlaubte der Blair-Regierung, gegen die Chagos Inselbewohner vorzugehen, als sie sich aus ihrer Verzweiflung im Exil erhoben und in den Straßen von Port Louis und London Gerechtigkeit forderten. „Nur, wenn man zur direkten Handlung greift, von Angesicht zu Angesicht, und Gesetze bricht, wird man von anderen wahrgenommen“, sagte Lisette. Das ist die richtige Antwort für jene, die immer fragen: „Was kann ich tun?“

Ich sah Lisettes zarte Gestalt zuletzt in strömendem Regen stehen neben ihren Kameraden vor dem Parlamentsgebäude. Der ausdauernde Mut ihres Widerstandes erstaunte mich. Es ist diese Weigerung aufzugeben, die von der verfaulten Macht gefürchtet wird, und vor allem die Gewissheit, dass unter dem Schnee die Saat liegt.

Quelle

3 Kommentare:

  1. wenn das noch kein faschismus ist, was erwartet der gute mann dann noch?

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