von Dr. Thorsten Pattberg
am 29. Januar 2012
Und zwar, weil dies chinesiche Konzepte sind. Sie werden oft bündig mit „Philosophen“, „Demokratie“ und „Zivilisation“ übersetzt. In Wirklichkeit sind sie nichts von alledem. Sie sind etwas anderes. Etwas, was dem Westen seinerseits fehlt. Aber das irritiert die meisten Westler, weshalb in der Vergangenheit fremde Konzepte schnell aus den Büchern und Aufzeichnungen entfernt wurden, wenn möglich auch aus der Geschichte der Welt, die eine vom Westen beherrschte Welt ist. Wie der Philosoph Georg Friedrich Hegel einst bemerkte, spielt der Osten keine Rolle bei der Bildung der Geschichte des Denkens.
Aber lasst uns einen Schritt zurückgehen. Wer erinnert sich, was wir in der Schule über die Geisteswissenschaften lernten? Das seien keine Wissenschaften! Wenn sie Wissenschaft wären, dann würden die Vokabulare der Welt sich summieren und nicht überlappen. Überrascht Sie das?
Ich schätze, dass es über 35 000 chinesische Wörter oder Sätze gibt, die nicht korrekt in die englische Sprache übersetzt werden können. Wörter wie yin und yang, kung fu und fengshui. Dazu kann man weitere 35 000 Sanskrit-Wörter rechnen, hauptsächlich aus Indien und dem Buddhismus. Wörter wie Buddha, bodhisattva und guru.
In einer kürzlichen Vorlesung an der Uni Beijing hat der bekannte Linguist Gu Zhengkum erklärt, dass wenming ein hohes Niveau an Ethik und Sanftmut bei einem Volke bezeichne, während das englische Wort „Zivilisation“ sich ableitet von der Beherrschung der Materialien und Technologie durch eine Stadtkultur.
Die korrekte chinesische Übersetzung von Zivilisation müsste sein chengshijishu-zhuyi. Wenming ist besser, aber unübersetzbar. Es gibt es seit ein paar tausend Jahren, während Europas Begriff „Zivilisation“ eine „Erfindung“ des 18. Jh. ist.
Touristen und Imperialisten kommen nicht, um belehrt zu werden. Sie nennen die Dinge so, wie sie die Dinge zuhause nennen. Dann merken sie, dass die Namen nicht korrekt sind.
In vielen Ländern ist es tabu, die chinesische Terminologie zu benutzen. Selbst ein so edler Denker wie der Nobelpreisträger Hermann Hesse warnte die Deutschen, dass „wir dürfen nicht Chinesen werden […] sonst werden wir einem Fetisch anhängen.“
Das nächste ist „Demokratie“, ein Konzept griechischen Ursprungs. Die hellenistische „Zivilisation“ ist natürlich längst zu Grunde gegangen. Sie ist weg, während Chinas wenming immer noch da ist, ununterbrochen seit 5000 Jahren. „Demokratie“ hatte ursprünglich wenig damit zu tun, den Mob wählen zu lassen und noch weniger, den Mob das Land regieren zu lassen; im Gegenteil, sie bedeutete, dass verschiedene, mächtige Interessen-Gruppen sich um die Ressourcen schlagen sollten, wobei jede ihre Anhänger einflussreicher Bewohner der Stadt mobilisierte.
Während wir in China immer noch eine Sozialordnung basierend auf Familien-Werten haben, haben wir im Westen eine Sozialordnung, die auf Interessen-Gruppen basiert. In der Familie wendet man nicht strikte Gesetze an oder schließt Verträge; stattdessen wird ein Moralkodex angewendet. Doch unter Fremden, die gegen andere Interessengruppen kämpfen, kann man niemandem trauen wie der eigenen Familie, deshalb braucht man Gesetze.
Bis in das 20. Jh. hinein glaubten die Europäer, dass China keine richtige „Zivilisation“ sei, weil es keine Polizeikräfte hatte, während China Europa anklagte, ohne „wenming“ zu sein, weil es ihm an der Pietät der Söhne, der Toleranz, menschlicher Sanftheit usw. fehle.
Letztlich ist shengren die ideale Persönlichkeit und das höchste Mitglied in dieser Familien-basierten chinesischen Werte-Tradition, ein Weiser, der den höchsten Moralstandard hat, de genannt, der die Prinzipien ren, li, yi, zhi und xin anwendet (und weitere zehn), und vertrauten Umgang mit allen Menschen pflegt, als ob sie, metaphorisch gesprochen, seine Familie wären.
Das moderne chinesische Wort für Philosoph, zhexuejia, findet man nirgends in den Klassikern. In der Tat kam zhexuejia nach China über Japan, wo es tetsugakusha ausgesprochen wird, nachdem Nishi Amane das Wort 1874 erstmals prägte. Doch lernt das westliche Publikum ständig von unseren hoch bezahlten China-Experten, dass Konfuzius ein „Philosoph“ sei und das konfuzianische Denken eine „Philosophie“ sei.
Wie der slowenische Philosoph und kritische Theoretiker Slavoj Zizek einst sagte: „Der wahre Sieg (die wahre 'Negation der Negation') tritt dann ein, wenn der Feind deine Sprache spricht.“ Der Westen wäre irrational, wenn asiatische Konzepte adoptierte. Das würde heissen, gleichrangig zu sein. Außerdem ist das Mittlere Reich berüchtigt, alle eindringenden Kulturen assimiliert zu haben. Weshalb also Schlange stehen?
Die „Barbaren“ hatten immer überlegene Waffen und Technologie, aber, wie Gu Hongming 1920 anmerkte fehlte es ihnen an menschlicher Intelligenz. Wie das? Nun es ist ein bisschen wie Star Trek Weisheit: Wenn die prähistorische Menschheit vom Tier abstamme, dann würden die fortgeschrittensten menschlichen Gesellschaften die am wenigsten aggressiven sein oder?
1697 tat der deutsche Philosoph Gottfried Leibniz den berühmten Ausspruch, dass die Chinesen in den Geisteswissenschaften viel weiter wären „als wir“. Er hat es nie erläutert, aber ich denke, es wird klar, als er alle Deutschen drängte, keine fremden Wörter zu benutzen, sondern stattdessen die eigene Sprache (das Deutsche ist eine Kompositum-Sprache, also eine unerschöpfliche Quelle), um die Deutsch-sprechende Welt aufzubauen und zu vergrößern.
Und das taten sie. Und so gelangten die Deutschen an die Spitze. Wie erwartet, nannten die Deutschen, die Nachfahren des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Konfuzius einen 'Heiligen'. Nun, das passt. Aber ist es korrekt?
Da die europäischen Sprachen ihre eigene Geschichte und Traditionen haben, können sie nicht ausreichend chinesische Konzepte wiedergeben. Die Lösung wäre, meine ich, nicht zu übersetzen, sondern die wichtigsten ausländischen Konzepte zu adoptieren.
Dann könnten wir nächstens in internationalen Beziehungen diskutieren, wie wir minzhu in Europa verbessern könnten und wie wir Amerika beim Übergang in eine anständige wenming helfen können
Vielleicht fehlt dem Westen einfach shengren.
Quelle
Thorsten Pattberg ist ein deutscher Wissenschaftler am Institut für Weltliteratur der Uni Beijing und Autor von „The East-West Dichotomy“(2009) und „Shengren“ (2011).
Dieser Artikel erschien zuerst am 17. November 2011 in der Japan Times und in China Daily am 25. November 2011.
Dr. Thorsten Pattberg kann hier erreicht werden
pattberg (at)pku.edu.cn
Das hier könnte für Sie von interesse sein, betreffend Konfrontationskurs China vs. USA
AntwortenLöschenhttp://www.wsws.org/de/2012/feb2012/chin-f01.shtml
Danke, kenne ich schon.
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