von Harold Green am 12. November 2011
Als wir voller Bestürzung den militärischen Überfall der NATO auf Libyen sahen unter dem Vorwand einer „humanitären Intervention“, wurden wir an die frühere Periode eurpäischer „Zivilisierungs“- Missionen in Afrika erinnert.
Kurz nach der Berliner „Kongo“-Konferenz von 1884-85 ist ein Schwarm von Ländern aus West-Europa, bewaffnet mit Kugeln und Bibeln – England, Frankreich, Deutschland, Belgien und Portugal – losgezogen mit der Aufgabe, „die Afrikaner vor sich selbst zu retten“.
Mit der Behauptung von ihrer intellektuellen und moralischen Überlegenheit, wie es Rudyard Kiplings schamloses, imperialistisches Gedicht widerspiegelt, rissen diese europäischen Mächte die volle Kontrolle über das Land und das Leben ihrer neuen afrikanischen Untertanen an sich. Afrika, das sich noch nicht richtig erholt hatte von den Verheerungen des sowohl transatlantischen wie trans-Sahara-Sklavenhandels, war schlecht vorbereitet auf das, was folgen sollte.
Mit Ausnahme von Liberia und Äthiopien wurde jeder Zentimeter von Afrika unter die Kontrolle der europäischen imperialen Mächte gebracht. Das Ergebnis: beinahe 100 Jahre brutaler Besatzung, Dehumanisierung, Diebstahl der natürlichen Ressourcen und Unterwerfung der Afrikaner in interne Sklaverei.
Der folgende Verlust an Menschenleben war so hoch, dass keine ernsthafte Anstrengung gemacht wurde, um ihn zu messen. Aber wenn die Belgier, die nur 7% Afrkas kontrollierten, in dieser Zeit 10-15 Millionen Kongolesen morden konnten, kann man durch Extrapolierung eine annähernd genaue Zahl der Afrikaner gewinnen, die durch England, Frankreich, Deutschland, Portugal und später Italien vernichtet wurden. Angesichts dieser Geschichte und zusammen mit den schrecklichen Ergebnissen von NATOs Invasion von Libyen, was können wir da mit der neuen Identität der NATO als „Menschenrechts-Interventionist“ anfangen?
Ende des 19. Jahrhunderts
stand Europa mitten in der industriellen Revolution, das nicht mit
seinen beschränklte Ressourcen und Märkten bestehen konnte. Der
Wettkampf um neue Ressourcen und Märkte unter den europäischen
Mächten war hart. Mit den ökonomischen Herausforderungen, die aus
der „Langen Depression von 1873-1896“ resultierten, mit
Überbevölkerung, einer hohen Rate an Armut und Arbeitslosigkeit,
hatte Europa das verzweifelte Bedürfnis nach einer Antwort, dieser
Malaise zu entrinnen. Afrika war die tausendfach ausreichende
Antwort.
Heute sehen wir Europa
zusammen mit den USA vor ernsthaften ökonomischen Herausforderungn
nicht unähnlich jenen, denen Europa Ende des 18. Jhs. gegenüberstand.
Wie damals suchen Europa
und die USA verzeifell nach ökonomischen Lösungen, die nicht
innerhalb ihrer Grenzen gefunden werden können. Da praktisch alle
erforderlichen Ressourcen zur Aufrechterhaltung ihrer Ökonomien in
anderen Teilen der Welt zu finden sind, insbesondere in Afrika,
benutzen diese westlichen Länder erneut die geheuchelte Sorge als
Vorwand für Invasion und Diebstahl von Ressourcen. Im Wettbewerb
jetzt auch mit Russland, Indien, China um eben diese Ressourcen,
müssen neue und verzweifelte Strategien entwickelt werden beim
Versuch, diese Invasionen zu rechtfertigen. Aber wie neu sind sie?
Die NATO
(Nord-Atlantische-Bündnis-Organisation), eine milärische
Sicherheitsallianz zwischen Westeuropa-Mächten und den USA, wurde
kurz nach dem 2. Weltkrieg 1949 gegründet. Es entstand aus derselben
Charta, aus der auch die UNO erwuchs. Ihr erklärtes Ziel war, die
Bedrohung seitens der Sowjetunion zu begegnen, wie man es nannte.
Solange sie besteht, hat es nie eine direkte Konfrontation mit der SU
gegeben. Stattdessen waren Stellvertreterkriege vornehmlich in
Afrika, Lateinamerika an der Tagesordnung. Während die SU versuchte
(zuweilen zaghaft), den verschiedenen Befreiungs-Bewegungen in Afrika
und Amerika zu helfen, waren die NATO-Länder andererseits daran
interessiert, ihre Sphären ökonomischer Interessen
aufrechtzuerhalten.
Mit der Aufflösung der
SU 1991 wurde die NATO praktisch über Nacht zu einer irrelevanten
militärischen Bürokratie. Viele militärischen und
Außenpolitik-Experten begannen zu spekulieren, dass die NATO bald in
dem Mülleimer der Geschichte landen würde. Um zu vermeiden, was ein
bevorstehender Untergang zu sein schien, begann die NATO nach neuen
Rollen in der Weltpolitik zu suchen. Und das Ergebnis war „ein
Kriechen nach Aufgaben in großem Maßstab“, wie manche
Außenpolitik-Beobachter es nannten.
Ohne Angst, dass die Rote
Armee über die Grenzen stürmen könnte, haben die NATO-Länder sich
mit einer Menge von Aufgaben (Vorwänden) eingedeckt, vom „Kampf
gegen den Terrorismus“, „Rettung der Umwelt“,
„Management-Krise“ bis zu „humanitären Interventionen“
(sic). Mit einem neuen futuristischen Gebäude in Brüssel für 1.38
Mrd $ auf 40 ha und der Erweiterung von 16 auf 28 Mitglieder (die
meisten neuen Mitglieder kommen ironischerweise aus der ehemaligen
Sowjetunion) und mit einem militärischen Gesamtbudget von 70% der
totalen Verteidigungsausgaben der Welt, schwimmt die „neue“ NATO
auf einer hohen Welle erneuter Tatkraft, eifrig darauf bedacht, der
Welt zu zeigen, dass sie nach wie vor relevant ist. Afrika (und die
Welt) sollte besorgt sein.
Obwohl hauptsächlich von
den USA kontrolliert, die 75 % zum Budget beiträgt, steht an der
Spitze der NATO der arrogante und opportunistische Anders Fogh
Rasmussen, ehemaliger Premierminister von Dänemark. Mit einer sehr
aggressiven Agenda für diese Erneuerung – etwa, dass die NATO ihre
Dienste der UNO als eine „globale friedensbewahrende“ Kraft
antrug – hat er bereits in den vergangenen Jahren die Einschaltung
der NATO in mehrere Konflikte außerhalb Europas gemanagt. Vor allem
ihre Verwicklung in Afghanistan, wo sie immer noch unschuldige
Menschen tötet und ständig von verzweifelten und wütenden
Afghanen gedrängt wird abzuziehen.
Die NATO ist auch in die
Patroullierung der Gewässer vor Somalias Küste verwickelt, um
ausländische Fahrzeuge davor zu bewahren, von somalischen Piraten
gekapert zu werden. Diese Kampagne hat zu einer Menge toter Somalier,
Passagiere und Besatzungsmitglieder geführt. Man erinnere sich: als
die Somalier begannen, diese Schiffe zu kapern, die vor 17 Jahren
illegal in ihren Gewässern fischten, wurde nicht eine Geisel, die
sie genommen hatten, getötet. All das änderte sich mit Obama, als
er 2009 an die Macht kam. In dem Jahr begann die NATO mit meist
amerikanischen Schiffen die Küste von Somalia zu bewachen.
Im April jenes Jahres gab
Präsident Obama Scharfschützen die ersten Befehle, Somalier zu
töten, die die unter US-Flagge fahrende Maersk Alabama gekapert
hatten und Lösegeld verlangten. Frankreich folgte bald mit der
Ermordung von 8 Somaliern in einem anderen Fall. Jetzt, wo die
USA und Frankreich mit NATO- Unterstützung in einem offenen Krieg
mit Somalia zu stehen scheinen, können wir damit rechnen, dass die
Zahl toter Somalier weiter steigt. Der US-Krieg in Somalia wird auch
mit Truppen aus Kenya, Uganda und Burundi geführt, die
ironischerweise unter der Schirmherrschaft der Afrikanischen Union
als „friedensbewahrende“ Kraft auftreten. Für diesen Krieg wurde
eine neue Basis für Drohnen auch in Äthiopien eingerichtet. Die
imperialistischen Mächte benutzen offenbar auch wieder ihren alten
Trick, verräterische Afrikaner zu benutzen, um ihren „dreckigen
Job“ zu erledigen.
Ermutigt durch die
Ergebnisse in Libyen haben die USA kürzlich ein Kontingent von 100
Man nach Uganda geschickt, um Mitglieder der Lords Resistance Army
(LRA) zu jagen. US-Truppen sind auch in den Kongo entsandt worden, in
die Zentralfrikanische Republik und nach Südsudan.
Als Senator Coons von der
Unterstüzung des Krieges in Somalia durch Kenya, Uganda und Burundi
sprach, hatte er wohl die AFRICOM im Kopf. Diese neue
US-Militär-Struktur für Afrika, die von der 'Heritage Foundation'
unter der Bush-Verwaltung erfunden wurde, hätte zu keinem günstigeren Zeitpunkt
für das imperialistische Denken der NATO-Länder kommen können. In
der Libyen-Kampagne hat AFRICOM eng mit der NATO zusammengearbeitet
und hat sich diebisch über ihren angeblichen Erfolg gefreut, und
jetzt sieht sie sich in diesem neuen Krieg zur „Rettung der
Menschheit“ als unumgänglich an. Die Zusammenarbeit dieser beiden
militärischen Rudel stellt eine gefährliche Entwicklung für
Afrika dar. Da Obama die Libyen-Kampagne als die „erste“
Unternehmung der AFRICOM bezeichnet hat, brauchen die Afrikaner nicht
mehr zu raten, wie die nächsten Bemühungen der AFRICOM auf dem
Kontinent aussehen werden.
Wie ihre Vorgänger im
19. Jahrhundert bei ihrer Aufgabe, die „Last“ der Verbreitung der
Vorteile europäischer „Aufklärung“ zu verbreiten, steht diese
neue Generation von Marodeuren aus dem „Norden“ im Begriff,
abermals Afrika die Kälte des Todes, der Zerstörung und Vertreibung
aufzuerlegen, was die früheren Kampagnen zur menschlichen
Veredelung auf dem Kontinent so charakerisiert hat.
Da Afrika versagt hat,
effektiv auf den Überfall der NATO und AFRICOM auf Libyen zu reagieren,
muss es irgendwann zeigen, dass es die Lektion aus der Vergangenheit
gelernt hat, und sich entschließen, diese „Last des weißen
Mannes“ ein für alle Mal zu beseitigen.
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