Dienstag, 15. November 2011

AFRIKA: NATO, AFRICOM und die Neue Last des weißen Mannes




von Harold Green am 12. November 2011


Als wir voller Bestürzung den militärischen Überfall der NATO auf Libyen sahen unter dem Vorwand einer „humanitären Intervention“, wurden wir an die frühere Periode eurpäischer „Zivilisierungs“- Missionen in Afrika erinnert.
Kurz nach der Berliner „Kongo“-Konferenz von 1884-85 ist ein Schwarm von Ländern aus West-Europa, bewaffnet mit Kugeln und Bibeln  – England, Frankreich, Deutschland, Belgien und Portugal – losgezogen mit der Aufgabe, „die Afrikaner vor sich selbst zu retten“.
Mit der Behauptung von ihrer intellektuellen und moralischen Überlegenheit, wie es Rudyard Kiplings schamloses, imperialistisches Gedicht widerspiegelt, rissen diese europäischen Mächte die volle Kontrolle über das Land und das Leben ihrer neuen afrikanischen Untertanen an sich. Afrika, das sich noch nicht richtig erholt hatte von den Verheerungen des sowohl transatlantischen wie trans-Sahara-Sklavenhandels, war schlecht vorbereitet auf das, was folgen sollte.
Mit Ausnahme von Liberia und Äthiopien wurde jeder Zentimeter von Afrika unter die Kontrolle der europäischen imperialen Mächte gebracht. Das Ergebnis: beinahe 100 Jahre brutaler Besatzung, Dehumanisierung, Diebstahl der natürlichen Ressourcen und Unterwerfung der Afrikaner in interne Sklaverei.
Der folgende Verlust an Menschenleben war so hoch, dass keine ernsthafte Anstrengung gemacht wurde, um ihn zu messen. Aber wenn die Belgier, die nur 7% Afrkas kontrollierten, in dieser Zeit 10-15 Millionen Kongolesen morden konnten, kann man durch Extrapolierung eine annähernd genaue Zahl der Afrikaner gewinnen, die durch England, Frankreich, Deutschland, Portugal und später Italien vernichtet wurden. Angesichts dieser Geschichte und zusammen mit den schrecklichen Ergebnissen von NATOs Invasion von Libyen, was können wir da mit der neuen Identität der NATO als „Menschenrechts-Interventionist“ anfangen?
Ende des 19. Jahrhunderts stand Europa mitten in der industriellen Revolution, das nicht mit seinen beschränklte Ressourcen und Märkten bestehen konnte. Der Wettkampf um neue Ressourcen und Märkte unter den europäischen Mächten war hart. Mit den ökonomischen Herausforderungen, die aus der „Langen Depression von 1873-1896“ resultierten, mit Überbevölkerung, einer hohen Rate an Armut und Arbeitslosigkeit, hatte Europa das verzweifelte Bedürfnis nach einer Antwort, dieser Malaise zu entrinnen. Afrika war die tausendfach ausreichende Antwort.
Heute sehen wir Europa zusammen mit den USA vor ernsthaften ökonomischen Herausforderungn nicht unähnlich jenen, denen Europa Ende des 18. Jhs. gegenüberstand.
Wie damals suchen Europa und die USA verzeifell nach ökonomischen Lösungen, die nicht innerhalb ihrer Grenzen gefunden werden können. Da praktisch alle erforderlichen Ressourcen zur Aufrechterhaltung ihrer Ökonomien in anderen Teilen der Welt zu finden sind, insbesondere in Afrika, benutzen diese westlichen Länder erneut die geheuchelte Sorge als Vorwand für Invasion und Diebstahl von Ressourcen. Im Wettbewerb jetzt auch mit Russland, Indien, China um eben diese Ressourcen, müssen neue und verzweifelte Strategien entwickelt werden beim Versuch, diese Invasionen zu rechtfertigen. Aber wie neu sind sie?
Die NATO (Nord-Atlantische-Bündnis-Organisation), eine milärische Sicherheitsallianz zwischen Westeuropa-Mächten und den USA, wurde kurz nach dem 2. Weltkrieg 1949 gegründet. Es entstand aus derselben Charta, aus der auch die UNO erwuchs. Ihr erklärtes Ziel war, die Bedrohung seitens der Sowjetunion zu begegnen, wie man es nannte. Solange sie besteht, hat es nie eine direkte Konfrontation mit der SU gegeben. Stattdessen waren Stellvertreterkriege vornehmlich in Afrika, Lateinamerika an der Tagesordnung. Während die SU versuchte (zuweilen zaghaft), den verschiedenen Befreiungs-Bewegungen in Afrika und Amerika zu helfen, waren die NATO-Länder andererseits daran interessiert, ihre Sphären ökonomischer Interessen aufrechtzuerhalten.
Mit der Aufflösung der SU 1991 wurde die NATO praktisch über Nacht zu einer irrelevanten militärischen Bürokratie. Viele militärischen und Außenpolitik-Experten begannen zu spekulieren, dass die NATO bald in dem Mülleimer der Geschichte landen würde. Um zu vermeiden, was ein bevorstehender Untergang zu sein schien, begann die NATO nach neuen Rollen in der Weltpolitik zu suchen. Und das Ergebnis war „ein Kriechen nach Aufgaben in großem Maßstab“, wie manche Außenpolitik-Beobachter es nannten.
Ohne Angst, dass die Rote Armee über die Grenzen stürmen könnte, haben die NATO-Länder sich mit einer Menge von Aufgaben (Vorwänden) eingedeckt, vom „Kampf gegen den Terrorismus“, „Rettung der Umwelt“, „Management-Krise“ bis zu „humanitären Interventionen“ (sic). Mit einem neuen futuristischen Gebäude in Brüssel für 1.38 Mrd $ auf 40 ha und der Erweiterung von 16 auf 28 Mitglieder (die meisten neuen Mitglieder kommen ironischerweise aus der ehemaligen Sowjetunion) und mit einem militärischen Gesamtbudget von 70% der totalen Verteidigungsausgaben der Welt, schwimmt die „neue“ NATO auf einer hohen Welle erneuter Tatkraft, eifrig darauf bedacht, der Welt zu zeigen, dass sie nach wie vor relevant ist. Afrika (und die Welt) sollte besorgt sein.
Obwohl hauptsächlich von den USA kontrolliert, die 75 % zum Budget beiträgt, steht an der Spitze der NATO der arrogante und opportunistische Anders Fogh Rasmussen, ehemaliger Premierminister von Dänemark. Mit einer sehr aggressiven Agenda für diese Erneuerung – etwa, dass die NATO ihre Dienste der UNO als eine „globale friedensbewahrende“ Kraft antrug – hat er bereits in den vergangenen Jahren die Einschaltung der NATO in mehrere Konflikte außerhalb Europas gemanagt. Vor allem ihre Verwicklung in Afghanistan, wo sie immer noch unschuldige Menschen tötet und ständig von verzweifelten und wütenden Afghanen gedrängt wird abzuziehen.
Die NATO ist auch in die Patroullierung der Gewässer vor Somalias Küste verwickelt, um ausländische Fahrzeuge davor zu bewahren, von somalischen Piraten gekapert zu werden. Diese Kampagne hat zu einer Menge toter Somalier, Passagiere und Besatzungsmitglieder geführt. Man erinnere sich: als die Somalier begannen, diese Schiffe zu kapern, die vor 17 Jahren illegal in ihren Gewässern fischten, wurde nicht eine Geisel, die sie genommen hatten, getötet. All das änderte sich mit Obama, als er 2009 an die Macht kam. In dem Jahr begann die NATO mit meist amerikanischen Schiffen die Küste von Somalia zu bewachen.
Im April jenes Jahres gab Präsident Obama Scharfschützen die ersten Befehle, Somalier zu töten, die die unter US-Flagge fahrende Maersk Alabama gekapert hatten und Lösegeld verlangten. Frankreich folgte bald mit der Ermordung von 8 Somaliern in einem anderen Fall. Jetzt, wo die USA und Frankreich mit NATO- Unterstützung in einem offenen Krieg mit Somalia zu stehen scheinen, können wir damit rechnen, dass die Zahl toter Somalier weiter steigt. Der US-Krieg in Somalia wird auch mit Truppen aus Kenya, Uganda und Burundi geführt, die ironischerweise unter der Schirmherrschaft der Afrikanischen Union als „friedensbewahrende“ Kraft auftreten. Für diesen Krieg wurde eine neue Basis für Drohnen auch in Äthiopien eingerichtet. Die imperialistischen Mächte benutzen offenbar auch wieder ihren alten Trick, verräterische Afrikaner zu benutzen, um ihren „dreckigen Job“ zu erledigen.
Ermutigt durch die Ergebnisse in Libyen haben die USA kürzlich ein Kontingent von 100 Man nach Uganda geschickt, um Mitglieder der Lords Resistance Army (LRA) zu jagen. US-Truppen sind auch in den Kongo entsandt worden, in die Zentralfrikanische Republik und nach Südsudan.
Als Senator Coons von der Unterstüzung des Krieges in Somalia durch Kenya, Uganda und Burundi sprach, hatte er wohl die AFRICOM im Kopf. Diese neue US-Militär-Struktur für Afrika, die von der 'Heritage Foundation' unter der Bush-Verwaltung erfunden wurde, hätte zu keinem günstigeren Zeitpunkt für das imperialistische Denken der NATO-Länder kommen können. In der Libyen-Kampagne hat AFRICOM eng mit der NATO zusammengearbeitet und hat sich diebisch über ihren angeblichen Erfolg gefreut, und jetzt sieht sie sich in diesem neuen Krieg zur „Rettung der Menschheit“ als unumgänglich an. Die Zusammenarbeit dieser beiden militärischen Rudel stellt eine gefährliche Entwicklung für Afrika dar. Da Obama die Libyen-Kampagne als die „erste“ Unternehmung der AFRICOM bezeichnet hat, brauchen die Afrikaner nicht mehr zu raten, wie die nächsten Bemühungen der AFRICOM auf dem Kontinent aussehen werden.
Wie ihre Vorgänger im 19. Jahrhundert bei ihrer Aufgabe, die „Last“ der Verbreitung der Vorteile europäischer „Aufklärung“ zu verbreiten, steht diese neue Generation von Marodeuren aus dem „Norden“ im Begriff, abermals Afrika die Kälte des Todes, der Zerstörung und Vertreibung aufzuerlegen, was die früheren Kampagnen zur menschlichen Veredelung auf dem Kontinent so charakerisiert hat.
Da Afrika versagt hat, effektiv auf den Überfall der NATO und AFRICOM auf Libyen zu reagieren, muss es irgendwann zeigen, dass es die Lektion aus der Vergangenheit gelernt hat, und sich entschließen, diese „Last des weißen Mannes“ ein für alle Mal zu beseitigen.

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