Dies erinnert geradezu an das Thema der Doktorarbeit von Karl Marx
über die griechischen materialistischen Philosophen Demokrit und
Epikur. Allerdings wird hier der Materialismus nicht von einem
Gelehrten wie Marx hoch gehalten sondern direkt aus dem Volk heraus
und über Jahrhunderte hinweg. Marx hätte jedenfalls seine Freude an diesen Dichtern und Sängern gehabt.
LENIN und die Mythen – eine tadschikische
Geschichte
Atindriyo Chakraborty
18. Juli 2018
Aus dem Englischen: Einar Schlereth
Lenin, Krupskaja und Mortimer. |
Wer ist der Stärkste von allen?
Wer ist der Glücklichste von allen?
Wer ist der Traurigste von allen?
Die Antworten lauteten:
Der Weise, den alle lieben;
der Gerechtest, den auch alle lieben;
und der Ungeliebte.
Die Zusammenstellung von Piatovskii war bei weitem nicht vollständig. In den Jahrzehnten nach der Revolution sind weitere Geschichten entstanden. In «Eine kurze Geschichte der Kultur» (Lindsay 1963) fand eine andere Volks-Story Platz, die bei den Bauern und Hirten in Tadschikistan erzählt wurde, zum Teil in Musikform:
Lenin machte sich auf den Weg in «eine große Stadt im Norden». Der Weg verlief durch tiefe Wälder. Die Reichen haben einen Schamanen angeheuert, um Lenin zu töten. Der Schamane versuchte es mit bösen Verwünschungen. Aber sie wurden von der Natur vereitelt. Die Vögel und Tiefe beschütztgen Lenin. Die Hügel gaben ihm Schatten. Die Sonne brannte weniger heiß, damit sich die Felsen nicht zu sehr erhitzten und seine Füße verbrannten. Als Lenin Durst hatte, begann der Himmel zu regnen. Als er hungrig war, brachten ihm Dachse Nahrung, eine Hirschkuh gab ihm ihre eigene Milch. Dornige Büsche wichen ihm aus dem Weg. Leuchtkäfer zeigten ihm die ganze Nacht den Weg. Abseits hatte der Schamane ein Feuer gemacht und hoffte, dass Lenin den Weg verliert. Aber die Waldschnepfe zeigte ihm den Weg. Sie flog vor ihm und wies ihm den rechten Weg. Auf diese Weise erreichte Lenin jene «Große Stadt im Norden». Dort erhoben sich bald die arbeitenden Leute, denn
Aus der Dunkelheit machte Lenin einen Blumengarten
vom Leben zum Tod -
Denn er ist stärker
als die gesamten Kräfte all der Krieger.
Denn alles, was sie zerstört hatten
seit über tausend Jahren,
wurde von Lenin wieder aufgebaut.
Viele Gelehrte haben die meisten dieser Geschichten als Lug und Trug bezeichnet – als Produkte von kommunistischen Propagandisten. Den Kommunismus und alles, was mit ihm zu tun hat, schlecht zu machen, ist eine der lukrativsten Einkommens-Quellen für Akademiker und Kompradoren-Intellektuelle. Diese Tradition ist so alt wie der Kommunismus. Aber trotz abwertender Adjektive wie «fabriziert» etc. Ist es den Gelehrten nicht gelungen, ihre Existenz zu leugnen oder zu widerlegen, trotz verzweifelter Versuche ihrer Geldgeber. Denn die Glaubwürdigkeit dieser Mythen und Legenden um Lenin, die im Volk um Lenin entstanden sind, hieße auch die Glaubwürdigkeit aller Wunder-Erzählungen und Charisma-Geschichten, die um Jesus Christ, den Propheten Mohammed, Gautam Buddha, Guru Nanak, Sri Chaitanya und alle anderen Kult-Figunren, entstanden sind, zu leugnen, die bedeutende politische Kraft mobilisieren konnten gegen die herrschend Ordnung zu ihrer Zeit.
Lenin war nicht der einzige Massenführer des 20. Jhd, um den sich Mythen und Legenden spannen, die im Volk verbreitet wurden. Der 2. Teil des ikonischen Bangla-Romans «Dhorai Chorit Manosh» (Satinath Bhaduri, 1951) berichtet, wie in den 1930-ern und 1940-ern Gunda Dhur sich eine Legende in Chhotanagpur und darüber hinaus verbreitet hat, dass ein Abdruck von Gandhis Gesicht irgendwo auf einem reifen Flaschenkürbis gebildet hat! Und in einem Gondi Lied aus Bastar erzählte, wie 1910 Gunda Dhur – der die Adivasi-Leute in mehreren tapferen Guerilla -Kämpfen gegen die Engländer geleitet hat, um sich dann in einen Vogel zuverwandeln, der davonflog – und kein Mensch weiß wohin. (Nandini Sundar 2007)
Unter all den Dingen, die Marx schrieb, gibt es ein viel zitiertes Zitat: «Die Religion ist das Opium für die Massen». Dies führte zum Erkennungszeichen des Atheismus, das alle annehmen müssen, um Kommunisten zu werden. Darüber diskutiere ich nicht. Aber gleichzeitig ist es wichtig, nicht zu vergessen, was Engels nieder geschrieben hatte:
«Revolutionäre Opposition zum Feudalismus dauerte das ganze Mittelalter hindurch. Sie nahm die Form des Mysthizismus an, der offenen Häresie oder der bewaffneten Erhebung, die alle von den Bedingungen der Zeit abhingen.» (Engels «Der Bauernkrieg in Deutschland, 1850)
Wenn wir uns die Geschichten vom indischen Subkontinent anschauen, finden wir, dass all dies auch im gesamten Mittelalter und darüberhinaus in den alten und modernen Zeiten stattfand.
Zwischen dem 9. Jahrhundert n. Chr. und dem 12. Jahrhundert, als die Pala-Kaiser ihre Macht über den östlichen Subkontinent konsolidierten und erweiterten, entstand in diesen Gegenden eine heterodoxe Ordnung - die Siddhacharyas. Hauptsächlich aus den indigenen Kasten und Stämmen des Subkontinents stammend, predigten sie den Einfachen Weg. Ihre Mystik stand in direktem Widerspruch zu den dominanten und verzwickten Mahayana-Erzählungen des Staates.
Als sodann einer der letzten Pala-Kaiser im Namen des Buddhismus das Fischen und Jagen verbot, erhoben sich die Fischer und die Jäger zur Rebellion (11. Jh. n. Chr.). Durch Guerillakrieg töteten die Rebellen den König und befreiten einen Großteil des Imperiums für ein paar sehr kurze Zeiträume indigener Selbstverwaltung. Es war wie ein Traum, der eine Weile flackerte, bevor er von der wiederauferstandenen Kastenordnung des Hinduismus ausgelöscht wurde. Die kulturellen, ideologischen und philosophischen Bestandteile, die den Grundstein für diese Rebellion der Fischer und Jäger legten, stammten weitgehend aus den Siddhacharyas (Debiprasad Chattopadhyaya, 1960). Die Siddhacharyas, wie viele ihrer Namen und Geschichten zeigen, waren selbst indigenen Ursprungs. Im Gegensatz zu den Brahmanen hielten sie an ihren Auffassungen fest, statt dem spirituellem Blödsinn nachzujagen. Alles, was ihre Philosophien lehrten, handelte darum, in ihrem Tun immer besser zu werden, um ein materiell erfülltes Familienleben zu führen. Das war der 'Einfache Weg'. Im Laufe der Zeit entstanden viele Mythen und Legenden um die Siddhacharya Minnesänger und Barden.
Als dann an der Wende zur «Moderne" 1770 eine große Hungersnot eintrat wegen der Missherrschaft der britischen Company, wodurch ein Drittel der Bevölkerung Bengals ausgelöscht wurde, waren es die mystischen Minnesänger, die die erste Linie des Widerstands gebildet hatten. Die Fakir-Rebellion wurde von Majnu Shah, einem Derwisch, angeführt. Die kulturelle Front wurde von Bauls [Wandersänger in Bengalen. D. Ü.] wie Lalan Fakir geschaffen. Viele der indigenen Aufstände, die sich im 19. Jahrhundert gegen die britische Herrschaft formierten, nahmen mystische Formen und Lieder an. Als dann in den 1820er Jahren die Bauern von Mymensingh, Ostbengalen, sich gegen die Briten und ihre Lakaien zu den Waffen griffen, bezeichneten sich jene Rebellen und Revolutionäre auch als "Bauls" oder "Pagal-Panthi's" – wörtlich als Anhänger des Wegs der Verrückten.
Die Bauls von heute singen vom ‘Einfachen Weg’. So wie die Siddhacharyas aus dem 9. Jahrhundert nach Christus. Von den Fischern des 11. Jahrhundert bis hin zu den Bauern des 19. Jahrhunderts - alle, die in Bengalen rebelliert hatten, hatten bei ihrer Gründung von Haus aus materialistische Vorstellungen ähnlichen und wahrhaft einheimischen Ursprungs. Das gleiche gilt auch für die Siddha-Dichter in Tamil Nadu (10.-15. Jahrhundert n. Chr.). Sie alle lehnen Rituale und Zeremonien ab. All diese Mystiker haben über die Jahrhunderte hinweg Bräuche und Rituale der machtvollkommenenn Elite abgelehnt. Sie lehnen Religion & Glauben ab (Zvelebil, 1973). Vor allem, wie unzählige bekannte und verlorene Lieder bezeugen, hatten alle das Kastensystem abgelehnt. Und überall wurden um solche rebellischen Dichter und Anführer von den Menschen im Laufe der Zeit Girlanden aus Mythen und Legenden gewoben. Warum dann an Lenin zweifeln?
Vielleicht ist es an der Zeit, die Rolle zu überdenken, die solche Folklore, Mythen & mystischer Flair, die immer wieder von den Menschen und ihren Kulturen hervorgebracht werden - von der primitiven Urzeit bis in die Moderne. Vielleicht ist es an der Zeit, diese nicht als Opium der Massen zu betrachten, oder zumindest zu versuchen, aus diesem metaphorischen Opium zu lernen – zum Wohl immer stärkerer Revolution willen, die aus den glühenden Eingeweiden, stählernen Augen und geballten Fäusten der Menschheit erwachsen.
Atindriyo Chakrabarty ist Dichter und Schriftsteller
http://atindriyo.blogspot.in/
Mit Hilfe von Deepl übersetzt.
Quelle - källa - source
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