Samstag, 10. Oktober 2020

ELFENBEINKÜSTE: »Wir akzeptieren das auf keinen Fall«

Es lohnt sich, bei mir nach Laurent & Simone Ngagbo und Elfenbeinküste zu suchen, da ich das vor 10 Jahren intensievt verfolgt habe - auch mit Interviews der tapferen Simone Ngagbo. Es ist unfassbar, welche Verbrechen Frankreich laufend in seinen alten Kolonien durchführt und wieviele Schätze aus Afrika gestohlen werden. Würde dieser permanente Raubzug eingestellt werden, wäre Frankreich auf der Stelle bankrott. Mit Chinas Hilfe können sich jetzt viele Länder von Frankreichs  Bevormundung und Terror frei machen. Vielen Dank an die JW.

»Wir akzeptieren das auf keinen Fall«

Martin Dolzer
9. Oktober 2020
 
Verfassungswidrige Kandidatur bei Präsidentschaftswahl in Côte d’Ivoire. Proteste werden gewaltsam unterdrückt. Ein Gespräch mit Simone Gbagbo
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Von der Wahl ausgeschlossen: Anhänger von Expräsident Laurent Gbagbo protestieren gegen Justizentscheidung (31.8.2020)

Simone Gbagbo gehört zu den Gründungsmitgliedern der sozialistischen Partei Front populaire ivoirien (FPI) und ist derzeit deren zweite Vizepräsidentin

In Côte d’Ivoire wird Ende Oktober ein neuer Präsident gewählt. Seit Wochen gibt es Proteste gegen eine dritte und verfassungswidrige Kandidatur Alassane Ouattaras. Wie reagiert die Regierung darauf?

Das Regime respektiert die Proteste in keiner Weise. Es geht vielmehr ausschließlich mit Repression und purer Gewalt dagegen vor. Die Lage ist sehr schwierig und gefährlich. Menschen wurden getötet, Menschen wurden verhaftet, die Protestierenden werden immer wieder auseinandergetrieben, oft regelrecht gejagt. Regierungstruppen und Milizen gehen mit Schusswaffen und Macheten mit äußerster Brutalität gegen die Demonstrationen vor. Wir können von einer Aushebelung des Versammlungsrechts sprechen. 30 Menschen wurden erschossen, unzählige weitere verletzt. Genaue Zahlen über Festnahmen haben wir nicht. Es sind sehr viele. Immer wieder werden Menschen auch vorübergehend festgenommen, andere müssen dagegen in Haft bleiben.

Finden die Proteste landesweit statt?

Ja, seit Wochen gibt es kontinuierlich an rund 300 Orten im gesamten Land Demonstrationen. Ein Großteil der Bevölkerung wehrt sich gegen eine mögliche dritte Amtszeit Ouattaras und anhaltende Unterdrückung und Unrecht.

Gegen die Protestierenden werden Berichten zufolge auch Kindersoldaten eingesetzt. Findet das vereinzelt oder systematisch statt?

Es handelt sich dabei um die sogenannten Microbes. Das sind Kindersoldaten wie jene, die bereits 2002 im Bürgerkrieg gegen die damalige sozialistische Regierung von Laurent Gbagbo als Milizionäre eingesetzt wurden, und jene, die dann in den Auseinandersetzungen nach den Wahlen 2010 weiter aktiv waren. Das (seit 2011 amtierende, jW) Regime bewaffnete diese weiterhin, rekrutierte neue Kindersoldaten und unterhält sie bis heute als einsetzbare Milizen. Sie werden überall dorthin gebracht, wo demonstriert wird. Die Microbes gehen mit Macheten und Schusswaffen vollkommen rücksichtslos und aggressiv gegen die Menschen vor. Das ist ein großes Problem, mit dem wir konfrontiert sind.

Sie und Ihr Mann Laurent wurden nach dem Wahlputsch Ouattaras Ende 2010 von der Regierung und mit Hilfe des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag verfolgt und kriminalisiert. Was wurde Ihnen vorgeworfen?

Mein Mann stand in Den Haag vor Gericht und war dort inhaftiert. Er wurde nach seiner Verhaftung auf illegale Weise dorthin deportiert. Ich selbst war in Côte d’Ivoire angeklagt und inhaftiert. Uns wurden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit vorgeworfen. Mittlerweile sind wir allerdings jeweils aus der Haft entlassen und von den Vorwürfen freigesprochen worden. Es war der Versuch, uns alleinig für die Auseinandersetzungen nach dem Wahlputsch verantwortlich zu machen. Um uns politisch zu diskreditieren, wurde uns, ohne dass es dafür eine Grundlage gab, die Verantwortung für mehrere Ereignisse zugeschrieben. Die Regierung beschuldigte uns, Menschen in Abidjan umgebracht und einen Supermarkt bombardiert zu haben. All diese und weitere konstruierte Vorwürfe mussten fallengelassen werden. Unsere Beteiligung daran war frei erfunden.

Regierungschef Ouattara bedient als ehemaliger Funktionär des Internationalen Währungsfonds, IWF, die Interessen der neokolonialen Kräfte in Europa. Um zu verstehen, warum Sie als leitende Politiker der sozialistischen Partei Front populaire ivoirien, FPI, kriminalisiert wurden, ist es vielleicht gut, einen Einblick in die Projekte der FPI während ihrer Regierungszeit bis 2010 zu bekommen.

Wir hatten 2000 ein ambitioniertes Programm der Modernisierung, Dezentralisierung und Demokratisierung begonnen. Ich will hier nur einige Beispiele nennen. Die FPI hat versucht, Côte d’Ivoire wirtschaftlich unabhängiger zu machen und die Industrie aufzubauen. Die Ungleichheit der sozialen Voraussetzungen in den großen Städten und auf dem Land sollte überwunden werden. Dazu haben wir die Stromversorgung in ländlichen Regionen ausgebaut. Unsere Sozialministerin Clotilde Ohouochi begann ein Gesundheitssystem aufzubauen, in dem alle Menschen versichert sind, und auch auf dem Land wurden Polikliniken errichtet. Vorher waren Einkommensschwache und die Landbevölkerung weitgehend von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen.

Zudem haben wir die Schulpflicht von der ersten bis zur zehnten Klasse eingeführt, um den Menschen unabhängig von ihrer Herkunft Bildung zu ermöglichen und eine Perspektive zu geben. Die Unabhängigkeit des Landes und der Bauern sollte mit dem Aufbau einer eigenen Kakao- und Kaffeeverarbeitung gestärkt werden. Es ist ein großes Problem, dass die ressourcenreichen Länder Afrikas lediglich Rohstoffe zu günstigen Preisen exportieren, jedoch kaum selbst produzieren. Wegen des Militärputsches 2002 und des darauf folgenden Bürgerkriegs konnten wir nicht alle Projekte vollständig umsetzen.

Dieses Programm hat sicher denjenigen, die eine neokoloniale Politik betreiben, Sorgen bereitet. Besteht für die Wahl am 31. Oktober die Gefahr eines Betrugs seitens der jetzigen Regierung?

Ouattaras Führung ist nicht bereit, auf die berechtigte Kritik der Opposition und die Proteste in irgendeiner konstruktiven Weise einzugehen. Wir haben deshalb einen Forderungskatalog entwickelt. Wird dieser nicht erfüllt, werden die Wahlen kaum wie geplant stattfinden können.

Um welche Forderungen handelt es sich?

Zunächst wird festgestellt, dass die dritte Kandidatur Ouattaras gegen die Verfassung verstößt. Wir akzeptieren das auf keinen Fall. Zudem muss die Wahlkommission demokratisiert werden. Momentan sind lediglich Parteigänger der Regierung in dieser Behörde, das muss sich ändern. Auch oppositionelle und weitere gesellschaftliche Kräfte müssen eingebunden werden. Des weiteren müssen die Wahllisten überprüft werden. Es darf nicht sein, dass Menschen dort doppelt aufgeführt sind oder Personen, die es nicht gibt oder die schon gestorben sind, plötzlich wählen dürfen. Wir fordern Einsicht in diese Wahllisten, um Manipulationen zu verhindern.

Das ivorische Verfassungsgericht hat im September entschieden, dass die Kandidatur Ouattaras zulässig ist und die von Gbagbo und weiteren Oppositionellen nicht. Ist das eine Entscheidung auf rechtsstaatlicher Grundlage?

Nein, auf keinen Fall. Diese Entscheidung hat die ivorische Bevölkerung schockiert. Sie steht jenseits rechtsstaatlicher und verfassungsgemäßer Vorgaben. Das ist vollkommen inakzeptabel. Wir fordern die juristische Einhaltung und Verteidigung der Verfassung. Die Oppositionspolitiker müssen als Kandidaten zugelassen werden. Zudem muss auch in Côte d’Ivoire die Gewaltenteilung umgesetzt werden, wie das international Standard ist. Freie und faire Wahlen sind sonst nicht möglich. Ivorer müssen aus dem Exil zurückkehren können, um an den Wahlen teilzunehmen. Die Verhinderung der Rückkehr betrifft neben meinem Mann unter anderem auch einen Politiker der Demokratischen Partei der Elfenbeinküste, PDCI, Noël Akossi Bendjo.

Die Opposition hat sich aufgrund des offensichtlichen Unrechts zusammengeschlossen und spricht mit einer Stimme. Werden unsere Forderungen nicht berücksichtigt, dann können keine Wahlen stattfinden. Wir befinden uns in einem Kampf um die Demokratie in unserem Land. Wir kämpfen schon seit Jahren dafür. Und das ist eine harte Auseinandersetzung.


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