von Richard Gott
16. Mai 2012
Als ich vor ein paar Jahren im Präsidentenflugzeug von Hugo Chávez mit einem französischen Freund von Le Monde Diplomatique reiste, fragte er uns, was unserer Meinung nach in Europa passieren würde. Gäbe es dort die Chance für einen Linksruck? Wir antworteten in dem deprimierten und pessimistischen Ton, der für die ersten Jahre des 21. Jh. so typisch war. Weder in England noch Frankreich noch sonstwo in der Eurozone sahen wir große Chancen eines politischen Durchbruchs.
Dann, sagte Chávez mit einem Augenzwinkern, müssen wir vielleicht euch zu Hilfe kommen, und er erinnerte an 1830, als die revolutionäre Menge in Paris auf den Straßen die Mütze von Simón Bolívar, dem südarmerikanischen Befreier Venezuelas, der am Ende jenes Jahres sterben sollte, schwenkten. Für die Freiheit kämpfen nach Art Lateinamerikas wurde als Weg angesehen, dem Europa folgen sollte.
Damals war ich ermutigt, aber vom Optimismus von Hugo Chávez nicht überzeugt. Doch jetzt denke ich, dass er Recht hatte; es war gut, daran erinnert worden zu sein, dass Alexis Tsipras, der Führer der radikalen Linkspartei Griechenlands, Syriza, 2007 in Caracas war und sich über die künftige Möglichkeit, billiges Öl aus Venezuela zu erhalten, erkundigte, wie es Kuba und andere karibischen Länder machen. Es gab einen kurzen Augenblick, als Ken Livingstone und Chávez einen Öldeal zwischen London und Caracas aushandelten, der vielversprechend aussah, bis er von Boris Johnson zurückgewiesen wurde.
Wichtiger als die Aussicht auf billiges Öl ist die Macht des Beispiels. Chávez ist seit der Wende des Jahrtausends und schon davor in ein Projekt verwickelt, das die neoliberale Wirtschaftspolitik ablehnt, die Europa und den größten Teil der westlichen Welt beeinträchtigt. Er ist ein Gegner der Rezepte der Weltbank und des IWF und hat hart gegen die Politik der Privatisierung gekämpft, die das soziale und wirtschaftliche Gefüge Lateinamerikas schädigte und mit dem die EU jetzt droht, die Wirtschaft Griechenlands zu zerstören. Chávez hat viele Industrien erneut nationalisiert, wie Erdöl und Gas, die 1990 privatisiert worden waren.
Die Worte und Inspiration von Chávez hatten einen Effekt, der weit über Venezuela hinausreichte. Sie haben Argentinien ermutigt, Konkurs anzumelden; die Wirtschaft neu zu organisiereen und dann seine Ölindustrie wieder zu nationalisieren. Chávez hat Evo Morales in Bolivien geholfen, seine Öl- und Gasindustrie zum Wohle des Landes statt für das Wohl ausländischer Aktienbesitzer zu betreiben, und vor kurzem erst, der Profit-Räuberei Spaniens mit der Elektrischen Gesellschaft Einhalt zu gebieten. Vor allem hat er den Ländern Lateinamerikas gezeigt, dass es eine Alternative gibt zu der neoliberalen Botschaft, die seit Jahrzehnten von Regierungen und den Medien endlos hinausposaunt wurde, dank einer überholten Ideologie.
Jetzt ist es an der Zeit, dass diese Botschaft noch weiter entfernt gehört wird, auch von den Wählern in Europa. In Lateinamerika sind die Regierungen, die der alternativen Strategie folgen, immer wieder gewählt worden, was bedeutet, dass sie effektiv und beliebt ist. In Europa scheinen Regierungen, egal welcher Couleur, die dem neoliberalen Muster folgen, beim ersten Hindernis zu stürzen, was bedeutet, dass der Wille des Volkes nicht beachtet wird.
Chávez und seine Anhänger in der neuen „Bolivarianischen Revolution“ haben den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ gefordert, nicht eine Rückkehr zu einer sowjetischen Wirtschaftspolitik oder der Fortführung der banalen sozialdemokratischen Anpassung an den Kapitalismus, sondern, wie es der ekuadorianische Präsident Rafael Correa formulierte, die Wiederherstellung nationaler Planung durch den Staat „für die Entwicklung der Mehrheit des Volkes“.
Griechenland hat eine wunderbare Chance, die Geschichte Europas zu verändern und seine Bolívar-Mütze in die Luft zu werfen, wie es einst die italienischen Carbonari [die "Köhler" - revolutionärer, in Neapel gegründeter Bund] in Paris vor so langer Zeit taten. Lord Byron, der plante, sich in Bolívars Venezuela niederzulassen, bevor er loszog, um Griechenland zu helfen, nannte seine Yacht Bolívar; ihm hätten die gegenwärtigen Entwicklungen sicher gefallen.
Quelle - källa - source
Trotz Krebserkrankung kandidiert der jetzige Regierungschef "Hugo Chavez" für eine weitere Amtszeit, welche demzufolge seine Dritte wäre. Für die Opposition gibt es wenig Aussichten auf einen Sieg, aber mit Sicherheit kann man so etwas nie sagen.
AntwortenLöschenQuelle: Newsplay