Einar Schlereth
unter Benutzung des schwedischen Textes auf
Iraksolidaritet
17. Januar 2012
Die Demos, die schon 2012 begannen, haben in diesem Jahr an Umfang stark zugenommen und breiten sich immer weiter aus – nach Falluja, Ramadi, Tikrit, Samarra, Bakuba, Mosul, Kirkuk und weitere Orte.
Schon im vergangenen Jahr war unsere „freie“ Presse reichlich zurückhaltend in puncto dieser Demos. Ist ja auch klar. Es sind ja keine echten amerikanisch organisierten „arabische Frühlings“-Demonstrationen. Nicht einmal, als am „Tag des Zorns“ Ende Februar mindestens 29 Menschen von Militär und Polizei ermordet und viele mehr verwundet wurden, sagte unsere Presse einen Piep. Auch oppositionelle Journalisten wurden ergriffen und ermordet, wie der populäre Hadi al-Mahdi.
Gemeinsam mit den Demos des vorigen Jahres gegen Korruption, Elend, Mangel an allem, von Strom und Wasser, Nahrungsmitteln und Arbeit ist die große Unzufriedenheit gegen das korrupte, repressive und völlig dysfunktionale al-Malikiregime.
Die erschütternden Berichte, die im Herbst 2012 veröffentlicht wurden über die systematische Folterung und Vergewaltigung von irakischen Frauen haben die Bevölkerung stark empört. Statt Männern werden weibliche Angehörige verhaftet und werden nicht einmal dann freigelassen, wenn sich die Männer der Polizei stellen. Die Demonstranten fordern, dass alle unschuldig Verhafteten freigelassen, dass alle geheimen Gefängnisse geschlossen und die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden. Sie verlangen ein gerechtes Amnestie-Gesetz und Stop für alle Hinrichtungen. Das anti-Terrorgesetz soll eingefroren und im Parlament diskutiert werden. Es werden Maßnahmen gegen Sektierertum und Diskriminierung gefordert. Die Politisierung des Rechtssystems und die „Ent-Baathisierung“ sollen aufhören. Ebenso die nächtlichen Überfälle auf die Wohnungen von gewöhnlichen Bürgern. Außerdem werden die Wiederherstellung der grundlegenden Dienstleistungs- Einrichtungen verlangt.
Es erfordert eine sehr gute Organisation, um Tag für Tag den friedlichen Charakter dieser riesigen Demos aufrechtzuerhalten trotz der unzähligen Provokationen seitens der Sicherheitskräfte und der Polizei von al-Maliki. So wurden am 7. Januar in Mosul Demonstranten absichtlich von Militärfahrzeugen verletzt. Busse mit Demonstranten werden festgehalten und zurückgeschickt und Journalisten werden in ihrer Arbeit behindert. Am 11. Januar, dem Tag der Einheit, kamen zahlreiche Berichte herein, wie die Menschen daran gehindert wurden, an den Demonstrationen teilzunehmen, meist vor Moscheen nach dem Freitags-Gebet.
Die Massen kommen aus allen Gesellschaftsschichten: Busse aus Basra und den Klans im Süden; in Kirkuk sind es nicht nur Kurden, sondern auch Araber und Turkmenen; viele Kurden sind nach Anbar gefahren ebenso wie shiitische Pilger aus Karbala. In Basra und Najaf sind auch Studenten und Uni-Personal auf die Straße gegangen. Die Demonstranten führen das Portrait des Imam Hussein mit sich und Uday al-Zaidy und sein Bruder, der Volksheld und „Schuhewerfer“ Munthadar al-Zaidy sind auch dabei.
Ein hervorstechendes Merkmal der Demonstrationen ist, dass man das Sektierertum zu überwinden versucht. „Wir sind alle Irakier“ lautet eine Hauptparole. Die Anwesenheit von Shiiten bei den Demos erschreckt das al-Malikiregime, das die Demonstranten beschimpft und sie mit Terroristen in Verbindung bringt. Obendrein besitzt dieser USA-Knecht al-Maliki die Frechheit zu behaupten, dass sie in ausländischem Sold stehen und mit Dollar bezahlt werden.
Das al-Malikiregime verfolgt mit sektiererischem Eifer nach wie vor die Sunniten. Ein auslösender Faktor für die jetzigen Demos war die Verhaftung von einem Dutzend sunnitischer Leibwächter des Finanzministers, die auch als „Terroristen“ angeklagt wurden. Dieselbe Anklage wurde im vergangenen Jahr gegen den stellvertretenden Sunni-Ministerpräsidenten Tariq al-Hashemi gerichtet, der sich daraufhin schleunigst in die Türkei abgesetzt hat. In seiner Abwesenheit hat er eine 5-fache Todesstrafe erhalten. Darüber schrieben sogar Amnesty International und andere Menschenrechts- Organisationen.
Zum 'Tag der Einheit' hatten mehrere shiitische Führer ihre Unterstützung zugesagt, u. a. auch der shiitische Führer al Sadr. Auch al-Sadr hat gefordert, dass die „Entbaathisierung“ und Verfolgung der Sunniten aufhören muss. Und immer häufiger wird auch der Abgang von al-Maliki gefordert. Im Parlament gibt es Versuche, die Vertrauensfrage zu stellen.
Um die Proteste zu beruhigen versprach al-Maliki, einige Frauen freizulassen und andere in Gefängnisse in der Nähe ihrer Wohnung zu verlegen. Aber nicht einmal das hat er gehalten. Stattdessen hat er die Grenzen zu Syrien und Jordanien geschlossen und auf allen Hauptverkehrsstraßen Checkpoints errichtet. Die Schließung der Grenze zu Jordanien richtet sich vor allem gegen die Provinz Anbar, wo die Proteste ihren Ausgang nahmen, weil sie einen umfangreichen Handel mit Jordanien betreibt. Außerdem schickte al-Maliki große Truppenverbände in die Anbar-Provinz und die Bevölkerung fürchtet nun, dass sie völlig isoliert werden soll.
Andererseits ist al-Malikis Regime so schwach, dass es nicht einmal an Minimum an Sicherheit für die Bevölkerung aufrechterhalten kann. Morde und Entführungen sind an der Tagesordnung. Im übrigen herrscht für seine „unabhängige, demokratische Regierung“ genau wie für Saddam Hussein Flugverbot für die nördlichen und südlichen Provinzen des Landes.
Aber letzten tragen die USA mit ihrer größten Botschaft der Welt in Bagdhad die Verantwortung für dieses totale Chaos, das – vergessen wir das nicht – bewusst herbeigeführt wurde. Genau nach diesem Muster ist man ja auch in Libyen vorgegangen. Damit wurden zwei unabhängige, säkulare und blühende Länder in Schutt und Asche gelegt, die gesamte Infrastruktur komplett zerschlagen zusammen mit der Gesellschafts-Struktur. Man erreichte, dass jeder gegen jeden kämpft und somit die menschlichen Verluste immer größer werden. Verluste, die durch Hunger, Krankheiten, Seuchen und radioaktive Verstrahlung durch all die verbotenen Waffen noch gewaltig erhöht werden. Das genau wollte man erreichen und der Westen wird den Teufel tun, dies zu ändern.
Es sei denn, das irakische Volk schafft es, eine neue Einheit herzustellen, alle Widersprüche zu überwinden und das ganze verbrecherische und korrupte Gesindel mitsamt den US-Besatzern zum Teufel zu jagen. Eine
Sisyphos-Arbeit. Hoffen wir das Beste und tragen wir unseren Teil dazu bei, dass unsere Medien endlich ihr komplizenhaftes Schweigen brechen müssen.
Fotos:
In Ramadi spricht eine ehemalige weibliche Gefangene zu den Massen über die furchtbaren Foltern, denen sie im Gefängnis ausgesetzt wurde. Siehe YouTube.
Quelle des Videos
Delegationen shiitischer Pilger auf der Demo in Anbar |
Baghdads Adimiyaviertel im Januar 2013 |
Mitglieder der Anwaltskammer in Mosul |
Nein, nein zum Sektierertum |
Demos in der Saladdinprovinz |
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