Prof. Ismael Hossein-Zadeh
2. Juli 2016
Aus dem Englischen: Einar Schlereth
Zwar wird Marx für sein tiefes Verständnis der „Bewegungs -Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise“ geehrt, doch behaupten die meisten zeitgenössischen Ökonomen nichtsdestoweniger, dass seine ökonomische Analyse nicht viel taugt, wenn es darum geht, das moderne Banking und die hohe Finanz zu studieren, da sie relativ neu sind, Entwicklungen nach Marx. Ich möchte in diesem Essay nach einer sorgfältigen Lektüre seiner Arbeit über „fiktives Kapital“ behaupten, dass sie tiefe Einsichten und ein besseres Verständnis der Instabilitäten der heutigen Finanzmärkte bietet. [1]
Es stimmt, dass seine Diskussionen über fiktives Kapital kurz und fragmentarisch sind. Nichtsdestoweniger kann das, was er schrieb (in breiten Umrissen) über den Unterschied zwischen Geldkapital und wirklichem Kapital“, zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit und zwischen spekulativen und wahren Investitionen von großem Interesse in den Beziehungen zum Aufstieg des Finanzkapitals und seiner destabilisierenden Effekte auf die modernen Märkte unserer Zeit sein. [2]
Die Marx'sche Theorie des Wertes, als das Produkt menschlicher Arbeit, die im Prozess der Produktion erzeugt wird, und der Zwillingstheorie vom Mehrwert – Wert über die Produktions-Kosten hinaus – als Quelle des Profits, der Zinsen und Aktieneinkommen implizieren, dass für eine lebensfähige Ökonomie, die Geldsumme dieser verschieden Einkommenstypen nicht sehr vom Gesamt-Profit-Wert im Produktionsprozess abweichen darf. Mit anderen Worten, ist die Gesamtsumme der Geldeinkommen und/oder Profite in einer Ökonomie letztlich begrenzt durch die Gesamtsumme des wirklichen Wertes, der in einer Ökonomie produziert wird.
Die politischen Implikationen dieser Theorie in Bezug darauf, was wirklich eine Ökonomie aufrechterhält, sind enorm, da sie leicht die Politiker auf die Gefahren einer bevorstehenden Krise aufmerksam machen können, wenn Abweichungen der monetären Größen von den wahren Wertgrößen zu groß werden und damit nicht nachhaltig sind.
Dies steht im scharfen Kontrast zur mainstream/neo-klassischen Wirtschaftstheorie, die den Besitz und/oder das Management als Quellen des Profits oder eines ökonomischen Mehrwert anstatt der Arbeit ansieht. Entsprechend gibt es keine System-Grenzen zur Menge des Einkommens/Profits, der von „smarten“ Kapitalisten-Managern und Finanz-“Experten“ gemacht wird: alles hängt davon ab, wie kreativ sie sind sowie von allen Arten cleverer „finanzieller Innovationen“, die Papiere oder elektronischen Reichtum aus dem Nichts schaffen, ohne Grenzen zugrundeliegender wirklicher Werte.
Es überrascht nicht, dass die meisten mainstream-Ökonomen kein Problem sahen mit dem astronomischen Reichtum von fiktivem Kapital (relativ zum Industrie-Kapital) in der unmittelbaren Periode, die der Finanzimplosion von 2008 vorausging. Tatsächlich sagten lange vor dem Markt-Crash diese Ökonomen fröhlich voraus, dass es keine größere Krise des Kapitalismus geben würde, weil „kreative finanzielle Innovationen“ im Grunde den Markt gegen Risiken, Unsicherheit und Crash geimpft hätten.
Die Marx'sche Theorie von der Finanz-Instabilität (und der ökonomischen Krise im allgemeinen) geht über einfachen Tadel entweder des „irrationalen Verhaltens von Wirtschafts -Agenten, wie es die neoliberalen Ökonomen tun, oder „unzureichende Regierungs-Regulierungen“, wie es die Keynesianer Ökonomen tun, weit hinaus. Sie legt stattdessen den Fokus auf die inhärente Dynamik des kapitalistischen Systems, das sowohl dies Verhalten der Markt-Agenten als auch die Politik der Regierungen hervorbringt. Es sieht z. B. die finanzielle Kernschmelze 2008 als das logische Ergebnis der Überakkumulation des fiktiven Finanzkapitals, relativ zum gesamten Mehrwert, der von der Arbeit produziert wird.
Statt einfach die „bösen“ Republikaner oder den „neoliberal-Kapitalismus“ zu tadeln, wie es viele linke, liberale und Keynes-Ökonomen tun [3], legt Marx den Fokus auf die Dynamik des „Kapitals als selbst-expandierender Wert“, wie er es nannte, was nicht nur die riesige Finanzblase erzeugte, die 2008 implodierte, sondern auch die öffentliche Politik unterminierte angesichts der offenbar nicht nachhaltigen Blase. Mit anderen Worten sieht sie die öffentliche Politik nicht einfach als eine Verwaltungs- oder Technik-Angelegenheit, sondern, noch wichtiger, als eine zutiefst politische Angelegenheit, die ursprünglich mit der Klassennatur des kapitalistischen Staates zusammenhängt, der zunehmend von mächtigen Finanzinteressen beherrscht wird.
Zwar ist das Tadeln der Strategien der Deregulierung, Verbriefung und anderen finanziellen Innovationen als Faktoren, die die Finanzblase erleicherten, nicht falsch, doch wird die Tatsache verschleiert, dass diese Faktoren wesentliche Instrumente oder Vehikel der Akkumulation des fiktiven Finanz-Kapitals sind. Egal wie subtil oder komplex, sind es im wesentlichen clevere Werkzeuge oder Strategien für die Transferierung von Mehrwert, der sonstwo aus der Arbeit entstanden ist, oder fiktives Kapital aus Nichts zu schaffen. Marx charakterisierte diesen subtilen Transfer von (realem/Arbeits) Wert vom produktiven zum unproduktiven fiktiven Kapital als „eine extreme Form des Fetischismus der Waren, wobei die wirkliche, aber verborgene Quelle des Mehrwert verborgen wird. In der Diskussion, inwiefern die Flukturierung der Größe des fiktiven Kapitals oder Finanz-Guthabenwerte nicht unbedingt Veränderungen in der wirklichen Ökonomie widerspiegeln, schrieb Marx:
„In dem Maße, wie die Minderung oder Zunahme des Wertes einer Aktie unabhängig von der Bewegung des aktuellen Kapitals, das es darstellt, ist der Reichtum des Landes ganz genauso groß nach der Wertminderung oder der Vermehrung wie zuvor … das Land wurde nicht einen Cent ärmer beim Platzen dieser Seifenblase von nominellem Geld-Kapital.“ [4]
Marx leitet seine Diskussion der Beziehung zwischen Finanz-Kapital, das er „verleihbares Geld-Kapital“ nennt, und Industrie- oder produktivem Kapital mit dieser Frage ein: „in welchem Ausmaß fällt die Akkumulation von Kapital in Form von verleihbarem Geld-Kapital mit der wirklichen Akkumulation zusammen, d. h. der Ausdehnung des Reproduktions-Prozesses?“ [5]
Die Antwort, so betont er, hängt ab vom Entwicklungs-Stadium des Kapitalismus. In den frühen Stadien der kapitalistischen Entwicklung, d. h. vor dem Aufstieg der großen Banken und des modernen Kreditsystems, wurde das Wachstums des Finanz-Kapitals reguliert oder entschieden durch das Wachstum des Industrie-Kapitals. Denn in Abwesenheit der monpolistischen großen Banken und des modernen Kreditsystems bestand die herrschende Form des Kredits aus Handelskredit. Unter dem Handelskredit-System, wo eine Person einer anderen Geld lieh (z. B. lieh der Großhändler dem Einzelhändler oder der Einzelhändler dem Konsumenten), konnte das Finanz-Kapital nicht sehr vom Industrie-Kapital abweichen: „Wenn wir diesen Kredit untersuchen losgelöst vom Kredit des Bankers, ist es klar, dass er mit dem zunehmenden Industrie-Kapital selbst wächst. Darlehen- und Industrie-Kapital sind hier identisch 6]
Im höheren Stadium der kapitalistischen Entwicklun, wo Banken die nationalen Ersparnisse zusammenschaufeln oder zentralisieren oder kontrollieren, bewegt sich das Wachstum des Finanz-Kapitals nicht mehr im selben Tempo wie das Industrie-Kapital. Unter diesen Bedingungen „kann Profit allein aus dem Handel entstehen in einer Vielfalt von Finanz-Forderungen, die nur auf dem Papier bestehen … In der Tat kann Profit gemacht werden, indem nur geborgtes Geld genutzt wird, um (spekulativen) Handel zu treiben, der durch keinerlei greifbarem Wert gestützt wird.“ [7]
Diese kurzen Passagen enthüllen, dass Marx einen klaren Unterschied macht, zwischen wahrem Profit, der, deswegen auch begrenzt, in der Produktion von Mehrwert wurzelt, doch Profit aus Inflation von fiktivem Kapital nicht – zumindest nicht direkt, unmittelbar oder kurzfristig. Marx unterscheidet zwischen einer Vielfalt von Profiten und/oder Einkommen – die alle letzten Endes abhängig sind von der Summe an Mehrwert, der durch menschliche Arbeit im Prozess der Produktion geschaffen wird.
Die wichtigste und offensichtlichste Profit-Kategorie ist die, die aus Arbeit oder realer Produktion entsteht oder Profit aus „Unternehmen“, wie Marx sagte. Laut seiner Wert-Theorie ist Profit aus Unternehmen im wesentlichen unbezahlte Arbeit. Ausgehend von der Produktion drückt er den Wert des totalen Bruttonationalprodukts (BNP) durch die simple Gleichung: BNP = C + V + M, wo C für „konstantes“ Kapital (oder Entwertung und Inputs sowie Rohstoffe) steht, V für variables Kapital, das Äquivalent für Löhne und M für Mehrwert, der die Basis des (Produktions) Profits ist oder Profit aus „Unternehmen“. Zinszahlungen für geliehenes (und investiertes) Kapital sowie Mieten werden vom Profit des Unternehmens (Mehrwert) abgezogen.
Ein Teil des verbleibenden Profits wird normalerweise beiseitegelegt für Reinvestitionen und/oder Expansion – die „zurückgehaltene Verdienste“ genannt werden im heutigen Geschäfts-Kauderwelsch – und der Rest ist Dividenden-Einkommen und/oder Unternehmens/Management-Einkommen. [In der obigen Gleichung nennt Marx C „tote“ Arbeit, d. h. erstarrte Arbeit, die in Maschinen oder Produktionsmitteln stecken; (V + M) „live“ oder „lebende“ Arbeit, das ist die gesamte Arbeit (Stunden) oder der gesamte geschaffene Wert; der heute Netto National-Produkt genannt wird oder hinzugefügter Wert.]
Eine zweite Profit-Kategorie ist laut Marx „der Profit durch Entfremdung oder Enteignung“, der daher kommt, wenn Kapitalisten sich einen Teil des Arbeiter-Einkommens in Form von Zinsen oder Miete aneignen. Wenn der Lohn des Arbeiters (V in der obigen Gleichung) unter dem „Substistenz“-Niveau liegt, d.h. ein Lohn, von dem man nicht leben kann, dann greifen sie oft zum Borgen. Das führt häufig zur Verschuldung und dann wird ein Teil ihres Lohns von Bankern oder Geldverleihern in Besitz genommen. Diese „finanzielle Enteignung basiert auf einer Neu-Teilung des bestehenden Einkommens und führt zu einem Null-Summen Spiel“: Geldgeber gewinnen, was die Borgenden verlieren. Marx charakterisiert diesen Typ finanziellen Gewinns als Profit aus „sekundärer Ausbeutung“ - im Gegensatz zum Profit aus der „primären Ausbeutung“, den Profit aus dem Unternehmen.
Sowohl der Unternehmens-Profit als auch der Profit aus „Entfremdung“ finden in der Produktionssphäre statt; beide kommen vom NNP oder dem hinzugefügten Wert. Jedoch gibt es noch einen Profit-Typ, dessen Verbindung zum zugefügten Wert indirekt oder verborgen ist und dessen Maß an Ausdehnung noch weiter ist; es ist der Profit aus fiktivem Kapital, d. h. Profit der auf dem Papier oder am PC im Finanzsektor gemacht wird durch Handel oder Spekulation mit Papieren. Diese Art Profit und seine Akkumulation in fiktives/parasitäres Kapital ist die Hauptquelle von Finanz-Blasen und ihrem Platzen.
Aus diesen Unterschieden folgt, dass Ausbeutung im Prozes der Produktion (gemessen durch die Ratio von Mehrwert und notwendigem Wert oder annähernd die Profit-Lohn-Ratio, was Marx die Ausbeutungs-Rate nennt) und die Ausbeutung durch „Enteignung“ oder „Alienation“ geht Hand in Hand: wird erstere intensiver, wird es die andere auch. Z. B. ist der Anstieg der Profit-Lohn-Ratio in den USA in den vergangenen Jahrzehnten von einem korrespondierenden Anstieg der Verschuldung begleitet worden oder bei einem immer größeren Anteil des Arbeiter-Einkommens, der enteignet wird (in Form von Schuldbezahlungen) durch Verleiher.
Der Unterschied zwischen den verschiedenen Profiten ist nicht einfach eine akademische Übung oder „ein radikales, aber unpraktisches marxistisches Konzept“, wie die meisten der verwirrten zeitgenössischen Ökonomen meinen. Wichtiger noch ist, dass es eine enge Relevanz mit aktuellen ökonomischen Kategorien, Entwicklungen und Trends gibt. Dies zeigen nicht nur die Quellen dieser verschiedenen Profit- Arten, d. h. wie nationale Resourcen angeeignet oder verteilt werden, sondern auch die materiellen Stiftungen und Limits für echtes ökonomisches Wachstum, und die Quellen und Grenzen der Finanz-Blasen.
Diese transparente Beschreibung der verschienen Profitarten und ihrer Quellen steht in scharfem Widerspruch zur heutige mainstream-Wirtschafts-Theorie (oder neoklassischen Wirtschaftstheorien) der Einkommensverteilung, die dazu neigt, mehr zu verwirren und zu mystifizieren als zu erklären. Laut dieser Theorie, die „funktionelle Verteilung des Einkommens" genannt wird, erhält jeder der vier „Faktoren“ der Produktion (Arbeit, Kapital, Management und Grundeigentümer) einen Anteil am Einkommen, der automatisch „fair und gleich“ ist. Das Prinzip für diese „spontane, garantierte und faire Verteilung des Einkommens ist, dass jeder der Faktoren automatisch vom Mechanismus des Markts bestimmt wird in einer Weise, dass sie am Ende exakt dem Beitrags-Anteil des Faktors entspricht. (All diese Zaubervorführungen der „fairen und gleichen“ Verteilung des Einkommens wird erreicht mit Hilfe vieler unwirklicher Annahmen und hypnotischer mathematischer Gymnastik, besonders Differentialrechnung/Derivate).
Wie schon gesagt behaupten viele heutige Ökonomen, auch viele der Linken, dass, seit den Zeiten von Marx vor der Hochfinanz er nicht die destabilisierenden Einflüsse der Finanzblasen auf die moderne Markt-Ökonomie vorhersehen konnte.
Eine sorgfältige Lektüre seiner Arbeit über „Geldkapital und wirkliches Kapital“ enthüllt jedoch, dass er in der Tat die Szenarien systematischen Abfließens von Finanzkapital (das abwechselnd „Geldhorten“, „Mehrwertkapital“ „Geldkapital genannt wird) aus der Sphäre der Produktion in das Reich der Spekulation zur Erzielung höherer Gewinne erkannte, wodurch der Weg gebahnt wird für das Entstehen von Finanz-Blasen und deren Platzen. Marx hat nicht nur dies erkannt, sondern seine Analyse der Dynamik solcher Szenarien, die zu Finanz-Blasen und deren Platzen ist tiefer und reichhaltiger als die der modernen Ökonomen. [8]
Diesen Ökonomen zufolge ist jede Diskrepanz zwischen Finanz-Kapital, die sie Gesamtnationale Ersparnisse S nennen und wirklichem Kapital, das sie gesamtnationale Investitionen I nennen, nur zeitweise und daher problemlos, weil, wie sie sagen, die Ungleichheit zwischen S und I schnell entweder automatisch von den Kräften von Angebot und Nachfrage korrigiert (die Neoliberalen) oder durch Eingriffe der Regierung (Keynesianer).
Laut Neoliberalen würde ein Zuviel von S über I kurzfristig sein, da das zeitweise Überangebot von verleihbarem Geld schnell zu niedrigeren Zins führte, was die Unternehmen ermutigte, Darlehen aufzunehmen und zu investieren. Das würde fortgehen, bis der Überschuss ausgeglichen wäre. Keynesianer dagegen meinen, die Wiederherstellung der Balance zwischen S und I sei nicht garantiert und das Un-Gleichgewicht könnte lange bestehen bleiben. Unter den Bedingungen relativer Ungewissheit und schwacher Nachfrage würden selbst niedrige Zinsen die Produzenten nicht bewegen, zu borgen und zu investieren oder zu expandieren. Unter solchen Bedingungen kann die Regierung einschreiten, kann die „untätigen“ Ersparnisse leihen und ausgeben (zum Vorteil ihrer reichen Besitzer, wie Keynes sagte), um damit die Differenz zwischen Ersparnissen – Investitionen zu schließen.
Nach Marx'scher Ansicht hingegen kann die Differenz zwischen spekulativem „Mehrwert-Kapital“ und produktive Investitionen weiterbestehen, sogar größer werden mit katastrophalen Folgen wie Finanz-Blasen und Instabilität des Marktes. Marx zeigt, wie im Zeitalter von Großbanken das Finanzkapital unabhängig vom Industrie-Kapital wachsen kann und er schreibt: „Der folgende Kreditschwindel beweist, dass der Verwendung von Mehrwert-Kapital kein ernstes Hindernis im Weg steht,“, ein Szenario, das Aktien-Preis-Inflation oder Finanz-Blasen beschleunigen kann. [9]
Nachdem er zeigte, dass die Grenzen des spekulativem Finanzkapital viel weiter gehen als die des Industrie-Kapitals, warnt er, dass dies nicht bedeute, dass es endlos expandieren könne: „Ein Hindernis ist jedoch bei den Gesetzen der Expansion immanent, i. e. nämlich die Grenzen, an denen das Kapital sich als Kapital realisieren kann“. [10] Mit anderen Worten kann eine riesige Blase von fiktiven Werten auf schmaler Basis von wirklichen Werten nur bis zu einem gewissen Grad expandieren; darüberhinaus muss sie platzen.
Kurz gesagt, zeigt die Marxsche Diskussion entgegen der weit verbreiteten Auffassung zeitgenössischer Ökonomen, dass Marx sehr wohl Szenarien vorhersah wie das Auftauchens von finanziellen Inflationen und Deflationen oder Blasen und Crashes. Diese Diskussion zeigt ferner die Überlegenheit seiner Analyse der Beziehungen zwischen Industrie-Kapital und dem (parasitären) Finanz-Kapital gegenüber den neoklassischen Ökonomen, die behaupten, dass der Abfluss des Finanz-Kapitals aus der Sphäre der Produktion nur zeitweilig anhielte und unproblematisch sei, da es bald wieder in den wirklichen Wirtschaftssektor zurückkäme (entweder durch die unsichtbare Hand des Markt-Mechanismus à la Neo-Liberalismus oder durch die sichtbare Hand des Staates à la Keynes) für Investitionen. Darin liegt die Tragödie der Mainstream/Neoklassischen Ökonomen: in ihrer paranoiden Angst vor Marx haben sie in ernster Weise seine ökonomischen Ansichten zensiert, wobei sie sich selbst der reichsten Analyse des Kapitalismus beraubten. Dadurch haben sie es auch fertiggebracht, die Ökonomie als akademische Disziplin in etwas zu verwandeln, was Michael Hudson treffend „Schrott-Ökonomie“ nennt, auch wenn offiziell die Disziplin als eine „Wissenschaft“ bezeichnet wird.
Fußnoten:
[1] Dieser Essay fußt stark auf Kapitel 5 meines Buches
'Beyond Mainstream Explanations of the Financial Crisis:
Parasitic Finance Capital' (Routledge 2015).
[2] Karl Marx, Capital, vol. 3, New York, International
Publishers 1967, chapters 25-33.
[3] See, for example, David Kotz, “The Financial and
Economic Crisis of 2008: A Systemic Crisis of Neoliberal
Capitalism,” Review of Radical Political Economics, vol. 41,
no. 3
(2009), pp. 305-317.
[4] Karl Marx, ibid. p. 468.
[5] Ibid. p. 494.
[6] Ibid. p. 481.
[7] Diese Passage basert auf der Marx’schen Diskussion in
“Speculation and fictitious capital,” as quoted in Wikipedia:
<http://en.wikipedia.org/wiki/Fictitious_capital#cite_note-1>
[8] Karl Marx, ibid. pp. 476-519.
[9] Ibid. p. 507.
[10] Ibid.
Ismael Hossein-Zadeh ist Prof. Emeritus der Ökonomie. Er ist Autor von 'Beyond Mainstream
Explanations of the Financial Crisis' (2014); 'The Political Economy of U.S. Militarism' (2007)
und die 'Sovjet Non-capitalist Development: The Case of Nasser's Egypt' (1989). Er ist
Co-Autor von 'Hopeless: Barack Obama and the Politics of Illusion'.
Quelle - källa - source
Die beste Adresse für ökonomische Fragen ist das Marx Forum
AntwortenLöschenWas ist dran an der Kritik am Zinskapital?
Die Kritik am „ausbeuterischen Zinskapital“ taucht immer wieder auf und diese Kritik hat eine lange Geschichte. Es wäre verkehrt, diese Kritik als grundlos abzutun. Daher ein paar Gedanken für ein kritisch-distanziertes Verständnis:
Grundlegend für diese Kritik ist:
- Das Zinskapital ist Erwerb ohne Arbeit.
- Das Zinskapital ruiniert die arbeitende Gesellschaft.
Im Grunde ist das dieselbe Kritik, die Marx am Kapital überhaupt geübt hat, die Marx’sche Kapitalkritik wird hier nur auf eine bestimmte Form des Kapitals konzentriert.
Was ist also an dieser Kritik dran?
1. In der Frühzeit des Kapitalismus - noch im Mittelalter gab es im Wesentlichen nur diese zwei Kapitalformen: Das Handelskapital und das Wucherkapital (Zinskapital).
Die Kritik am Wucherkapital war in dieser Zeit besonders heftig und scharf (vgl. Luthers Reden gegen den Wucher), weil der Zinsfuß in der Tat oft so hoch war, dass er den Unternehmer- oder Handelsprofit mit einschloss. Insofern bereicherte sich damals das Wucherkapital an den Bauern, Handwerkern und Händlern und akkumulierte Reichtum auf deren Kosten.
In der heutigen Zeit scheint das in Teilbereichen wieder zuzutreffen:
Laut des Präsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Dietrich Hoppenstedt, „arbeitet ein Drittel des „Mittelstandes“ (kleines und mittleres Kapital) mit einem Jahresumsatz bis zu fünf Millionen Euro ohne jeden Gewinn. Mehr als die Hälfte dieser Unternehmen besitzt kein Eigenkapital.“ (spiegelonline/wirtschaft/0,1518,180580.00.html)
Dieser Bereich des kleinen und mittleren Kapitals sind nach Meinung der Zinskritiker die „Opfer des Finanzkapitals“. Das ist jedoch eine ganz kurzsichtige und kurzfristige Sicht. Tatsächlich sind es ganz normale Opfer der kapitalistischen Konkurrenz, die dem Bankrott zugehen, nicht weil die Zinsrate so hoch ist, sondern weil ihre individuelle Profitrate so niedrig ist.
Die Wirkungen mögen ähnlich sein wie beim Wucherkapital des Mittelalters, die Ursachen sind aber ganz umgekehrt.
zweiter Teil :
AntwortenLöschenDas Verhältnis von Unternehmensprofit zu Zins betrug als 80 : 20 (günstigster Fall) und 50 : 50 (ungünstigster Fall). Die Zinszahlungen sind zuletzt gestiegen, nicht weil die Zinsrate gestiegen ist – sie ist in dieser Zeit gefallen -, sondern weil die Unternehmensprofite gesunken sind und der Fremdkapitalanteil gestiegen ist.
Profitable Unternehmen haben nach meiner Kenntnis eine Gewinnrate von rund 15 % (schwankt konjunkturbedingt und sinkt tendenziell seit dem Hoch von 1950). Großunternehmen haben im Allgemeinen einen Fremdkapitalanteil zwischen 30 % und 40 %. Die Zinszahlungen übertreffen hier nie den Unternehmerprofit.
Anders ist das bei Unternehmen mit wenig Eigenkapital und/oder niedriger Profitrate. Wenn ein Unternehmen zu 100 % mit Fremdkapital arbeitet, dann beginnen Unternehmensprofite erst jenseits der Zinsrate von z.B. 7%.
Viele kleine Unternehmen erreichen aber nur eine Profitrate von 2 % oder 3%. Steigt deren Fremdkapitalanteil über 50 %, dann bringt das den Tod auf Raten - die Zinsen fressen die Profite auf.
Nebenbei: Die durchschnittliche Lebensdauer von Unternehmen liegt in Deutschland bei rund 40 Jahren - mit sinkender Tendenz.
2. Das moderne Kredit- und Bankenwesen ist gerade nicht die Fortsetzung des mittelalterlichen Wucherkapitals, sondern es ist gerade im Kampf gegen dieses Wucherkapital entstanden und entwickelt worden.
Wer genaueres wissen möchte, der sollte die Geschichte der ersten Kreditbanken in Norditalien und Holland studieren, die kommunale Einrichtungen waren, gerade um für die Handels- und Industrieunternehmen den Zinsfuß niedrig zu halten und das Wucherkapital niederzuhalten.
Das moderne Kreditsystem ist das ziemliche Gegenteil des Wucherkapitals und dient tatsächlich dazu, die Profitrate im gesellschaftlichen Durchschnitt möglichst hoch zu halten, während das mittelalterliche Wucherkapital die Profitrate möglichst aufgezehrt hat.
Wie das im Einzelnen geht, ist ein ziemlich komplizierter Prozess. Auf der Oberfläche kann man jedoch sehen, dass der allgemeine Zinssatz ganz den Konjunkturen folgt: Ist die Geschäftslage gut, dann steigt der Zins, ist die Geschäftslage schlecht - wie gegenwärtig - dann sinkt der Zins. Nirgends wird da ein Versuch sichtbar, die Profite der Unternehmen zu ruinieren.
dritter Teil
AntwortenLöschenDass Unternehmen in der Konkurrenz zurückbleiben, sich wegen zurückgehender Profite verschulden und dann Bankrott gehen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Die Bank ist da in jedem einzelnen Fall der Pastor, der das tote Unternehmen zu Grabe begleitet, aber das Grab hat nicht der Pastor geschaufelt.
Wo es um den Bankrott großer Unternehmen geht, da ist der Banker immer derjenige, der noch (fremdes) Geld nachwirft, wie wir jetzt bei Kirch und anderen Pleitenkandidaten sehen können.
Die Kritik am „Finanzkapital“ ist also etwas, was für kleine Selbständige und kleine Unternehmer typisch ist. Großunternehmer verstehen sich prima mit den Bankern.
Insofern greift diese Kritik wirkliche Missstände des Kapitalismus auf. Insgesamt mangelt es dieser Kritik jedoch sowohl an korrekten historischen Kenntnissen wie an Verständnis für den Gesamtablauf der kapitalistischen Wirtschaft.
3. Die „Abschaffung des Zinses“, von der diese Kritiker schwärmen, wird heutzutage jedes Mal dann erreicht, wenn die Inflationsrate höher ist als der Zinssatz. Japan hat zum Beispiel eine Zinsrate, die praktisch Null ist. Dort ist also der Zins gegenwärtig abgeschafft, niemand denkt jedoch deswegen, dort sei das Paradies eingekehrt.
Abschaffung des Zinses kann für kleine Selbständige und für kleine Unternehmer, die nicht mehr konkurrenzfähig produzieren und verkaufen, eine Atempause bedeuten. Deren Existenzangst steht hinter dieser Kritik am Zins- oder Finanzkapital.
Für diese Wenigen ist die Sache dringend und diese Leute sind keine „Spinner“. Um die Sache für alle dringend zu machen, wird jedoch behauptet, die Abschaffung des Zinses sei die Lösung für die Probleme der Menschheit.
4. Im übrigen haben Staatsschulden und Konsumentenkredite eine andere Dynamik als Unternehmenskredite, weil der Staat und die Konsumenten diese Kredite nicht gewinnbringend anlegen. Gewinnbringend angelegte Kredite sind (in der Regel) ihre eigene Einkommensquelle, sie können (in der Regel) also aus den damit erworbenen Gewinnen abgezahlt werden.
Staats- und Konsumentenkredite müssen aus anderen Einkommensquellen abbezahlt werden, aus Steuern, Lohn etc. Diese Frage ist also anders zu beantworten.
Wal Buchenberg, 14.2.2002.