Gedanken zu “Die Transformation der Bildung”
- ein Artikel von Annett Torres im Freidenker Nr. 2/20
Einar Schlereth
16. Juli 2020
Der Artikel beginnt verwirrend. Ein Franz Stuhlhofer schätze, dass wir eine Wissenexplosion zu erwarten haben und unser Wissen sich alle 100 Jahre verdopple. Im nächsten Satz heißt es, dass die Anzahl der Menschen mit wissenschaftlich-technischer Ausbildung zwischen 1759 und 1850 eine Million betrug, zwischen 1850 und 1950 10 Millionen und von 1950 bis 2000 auf 100 Millionen stieg. Er sagt aber nicht, ob die Wissensmenge in menschlichen Hirnen gemeint ist oder an totes, in Bibliotheken, Museen, Archiven aller Art geknüpft ist und auch nicht, ob diese Aussagen weltweit gelten oder nur für die westliche Welt.
Auf der nächsten Seite werden einerseits Zahlen für die ganze Welt angegeben, andererseits wird z. B. von der Erfindung des Buchdruckes gesprochen (ganz offenbar auf Europa bezogen), aber in China gab es ihn schon tausend Jahre vor Gutenberg und in China hat es auch schon im frühen Mittelalter eine industrielle Revolution gegeben. Bei der Plünderung Chinas wurden tausende Maschinen im Land gestohlen und nach Europa und USA geschafft. China war das führende Industrieland in der Welt und es ist anzunehmen, dass dort schon vor 1800 die Menschen auch älter waren als hier ganz allgemein für das 18. Jahrhundert angegeben wird.
Auf der 3. Seite bezeichnet Annett Torres Bildung heute ganz richtig als Ware und sagt dass «die Freiheit der Wissenschaft ... zur Farce wird», da sie seit langem und zunehmend an Geld gebunden wird. Viele Studien-Reformen (Bologna) und Vereinheitlichungen haben Quantität und Qualität sinken lassen.
Annett Torres macht damit einen großen Sprung bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts, aber sie hätte ihn gerne schon früher ansetzen können, denn schon gleich nach dem Krieg wurden viele US-amerikanische Normen im Unterricht angewandt, was dann in den 70-er und 80-er Jahren (als
meine Tochter eingeschult wurde) mit Reformen des Mathematik-, Sprachen- und geschichtlichem Unterrichts nochmals nach unten korrigiert wurde.
Sehr gut, dass Annett Torres auch auf den miserablen Deutschunterricht zu sprechen kommt. Aber wie gesagt, ging es schon Anfang der 70-er Jahre rapide bergab, Grammatik und Orthographie – das fiel alles unter den Tisch. Das Ergebnis war, dass meine Tochter selbst an der Uni nicht korrekt schreiben konnte, «weil es darauf gar nicht ankommt», wie ihre Lehrerin sagte. Dass Erstklässler Englisch – die Herrensprache – lernen müssen, passt auch dazu. Dass sie mit Druckschrift schreiben lernen und ganztägig in der Schule hocken müssen auch. Nicht zu fassen. Da braucht es einen nicht wunder nehmen, wenn die Kinder verwahrlosen, keine Manieren kennen und so häufig auf Drogen
abfahren oder gar kriminell werden.
Ich habe in den vergangenen Jahren eine Reihe Menschen aus der ehemaligen DDR kennengelernt und musste feststellen, dass sie höflicher, freundlicher, hilfsbereiter sind, dass sie echt gebildet sind, nicht nur oberflächliches Wissen besitzen. Ist das ein Wunder? Während wir jeden Dreck aus den USA vorgesetzt bekamen, uns an allen Verbrechen der USA beteiligt haben, daran auch wunderbar verdient haben, dafür aber ohne Ende buckeln und kriechen mussten und bei jeder Gelegenheit in den Hintern getreten wurden. Dass wir von diesem ordinären US-Diebesgesindel um die Milliarden in Gold bestohlen werden, was sie jetzt auch mit Venezuela machen. Dass wir politisch gesehen, den Status einer Bananerepublik haben, uns aber über diese armen, geknechteten und ausgebeuteten Länder haushoch überheben empfinden und uns noch am Plündern beteiligen. Pfui Teufel. Wir sind das Dreckland, das seit 75 Jahren in den Staub getreten wird. Das haben wir zu gutem Teil der US-»Bildung» zu verdanken. Hätten wir eine wahre Bildung, hätten wir auch mehr Würde und Charakter und würden uns das nicht gefallen lassen.
Damit komme ich zu einer anderen Frage. Warum haben wir seit der Französischen Revolution im Westen keine Revolutionen mehr zustande gebracht? Nun ja 1848 und 1918 wurde hie und da a bisserl revoluzzert, aber das war’s dann auch. Während überall in der Welt Revolutionen entfacht wurden (auch schon häufig in der Vergangenheit), und zwar von ungebildeten Menschen geleitet und oft mit Erfolg zu Ende geführt wurden, herrschte bei uns trotz aller Aufklärung Totenstille. Nicht nur, es wurde geschäftig den Kolonialländern geholfen, die Revolutionen zu unterdrücken. Die einzigen, die den Revolutionären in der 3. Welt halfen, waren die Russen, Chinesen, Koreaner, Kubaner – die sozialistischen, kommunistischen Länder. Denken wir weiter zurück. Im tiefen Mittelalter gab es überall Aufstände der Bauern und des ‘gemeinen Volkes’. In der Schweiz, Norwegen und vor allem in Schweden waren die Bauern-Erhebungen erfolgreich. In Schweden saßen von da an die Bauern als 4. Stand im Reichstag. Und das Land hatte als erstes Schulen FÜR ALLE - gut, es waren nur Katechismus-Schulen, aber alle lernten lesen und oft ein wenig rechnen. Deswegen wurde dort auch der Analphabetismus schnell überwunden. Und Schweden wurde ein Land mit einer großartigen Literatur, die im Gegensatz etwa zu Frankreich eine proletarische ist.
Soll man daraus den Schluss ziehen: je dümmer die Menschen sind, desto eher kämpfen sie für die Menschenreichte und die Freiheit?
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