Beim Aussortieren meiner Bibliothek - ich muss Platz schaffen für neue Bücher - fiel mir Richard Wrights Buch in die Hand, das ich vor Ewigkeiten las. Er schrieb es 1953 bei einem Besuch in Ghana, nachdem Kwame Nkrumah mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten gewählt worden war mit seinem Programm, die vollständige Unabhängigkeit von England zu erreichen. Dieses Ziel sollte noch 4 Jahre auf sich warten lassen.
Nun las ich mich wieder fest. Vieles war mir völlig entfallen. Zum Beispiel seine Ängste vor seiner ersten Begegnung mit der Heimat seiner Vorväter. Das erinnert mich exakt an die Ängste, die Weiße gegenüber dem Schwarzen Kontinent haben und zeigt, wie sehr Richard Wright innerlich ein Weißer geworden war.
Ich frage mich auch, wieso ich diese Ängste nicht hatte. Gewiss, ich hatte mich seit etwa dem 15. Lebensjahr sehr mit Afrika beschäftigt und Heinrich Barth, der große Humanist und Universalgelehrte und einzige Afrika"forscher", der kein Rassist war, wuchs mir sehr ans Herz. Und bei meinem ersten Aufenthalt in Paris lernte ich in der Jugendherberge einen schwarzen Musiker kennen. Für ein oder zwei Wochen waren wir unzertrennlich und er war mir geradezu ein Bruder. Dem folgten viele enge Beziehungen zu afrikanischen Männern und Frauen, bevor ich 1978 erstmals nach Afrika, genauer Tansania, reiste.
Ich hatte unmittelbar das Gefühl, schon auf der Gangway des Flugzeuges in Daressalaam, nachhause gekommen zu sein. Am dritten Tag hatte ich eine lange Unterhaltung mit 2-3 jungen Afrikanerinnen im Landwirtschaftsministerium, weil ich zur Konferenz aller Landwirtschaftsminister Afrikas in Arusha wollte. Irgendwann fragten sie mich, wie lange ich schon in Afrika sei. "Seit drei Tagen." Sie schauten mich entgeistert an und glaubten es beinahe nicht. "Du bist wie ein Afrikaner (allgemeines Gelächter), nein, ich meine, du benimmst dich so ungezwungen und natürlich. Das ist selten bei Europäern." Ich verstand, was sie meinte. Ich hatte keine Angst, zeigte keine besondere Beflissenheit, kein Schuldbewusstsein, sondern war ihnen gegenüber ebenso ungezwungen wie jedem anderen Menschen gegenüber.
Und ich hatte das Gefühl, dem schon Heinrich Barth Ausdruck verliehen hatte: Das Gefühl, dass die schwarze Hautfarbe die natürliche Hautfarbe des Menschen sei. Nun, heute wissen wir, dass es so ist, dass wir alle auf der Welt noch vor bloß 30 000 Jahren schwarz gewesen sind. Aber dass Heinrich Barth dies vor 160 Jahren schrieb, war natürlich skandalös, und man begreift, warum sein großes Werk nur einmal in einer kleinen Auflage auf Englisch und Deutsch erschien und dann nie wieder.
Aber zurück zu Richard Wright. Seine aufmerksamen Beobachtungen des afrikanischen Lebens und Verhaltens bei seinen endlosen Wanderungen durch die Stadt, durch die Slums, über die Märkte, in die Dörfer und sein Bemühen, all die neuen Eindrücke zu verarbeiten und zu verstehen, finde ich spannend und sympathisch. Er sieht die Würde der Menschen, ihren Stolz, ihre Gelassenheit. Gleichwohl findet er keinen rechten Zugang zu ihnen. Der Schmutz stört ihn ungeheuer, ihre Unwissenheit, ihr Pidgin-Englisch, ihr Aberglaube, ihre Rückständigkeit. Obwohl er natürlich die Gründe hierfür kennt. Aber er kann ihre
Sprache - keine ihrer vielen Sprachen - nicht. Das ist gewiss eine starke Barriere. Er ist ein Besucher, der ein Gemälde sieht oder vielmehr einen Film, der quasi stumm an ihm vorüberzieht. Und besonders fremd sind ihm ihre Tänze und Gesänge. Bis ihm zu seinem Erschrecken klar wird, dass er sie kennt, schon gesehen hat, und zwar in den Südstaaten der USA.
Aber in einem Punkt ist Richard Wright ungeheuer weitsichtig gewesen. In einem Brief an Kwame Nkrumah, dessen Gast er gewesen ist, erteilt er auf sehr behutsame Weise Ratschläge. Er warnt vor weißen Ratgebern, denn: "Ist die Gelegenheit günstig, werden sie jederzeit über Afrika herfallen, um so ihre eigenen, sehr dringenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme zu lösen ..." (wie prophetisch - siehe Libyen) und empfiehlt ihm, eisern auf das Vertrauen in die eigenen Kräfte zu bauen und mit Tempo die wirtschaftliche Unabhängigkeit voranzutreiben. Aber er warnt vor westlichem Geld: "Kwame, nichts auf Erden ist mehr zu fürchten als eine Million Dollar! Wenn aber eine Million Dollar Furcht bedeutet, dann ist eine Milliarde Dollar potenzierte Panik ..." und am Ende sagt er mit eindringlichen Worten: "Täuschen Sie sich nicht, Kwame: man wird Ihnen demokratische Theorien entgegenhalten; man wird Ihnen nichts ersparen und wird Ihnen vorwerfen, die Regeln der Schicklichkeit verletzt zu haben; Biedermeier werden Sie mit wissenschaftlichen Floskeln über eine "vernünftige" Entwicklung bedenken; geistliche Herren werden salbungsvoll von Werten und Maßstäben reden - kurzum: Sie werden es mit einem Sperrfeuer massierter Argumente zu tun bekommen, damit Sie das Tempo und die Schwungkraft Ihrer Bewegung dämpfen ..."
Aber ach, der kluge Kwame hat diese Ratschläge nicht befolgt. Er hat das Land mit Großprojekten überzogen, die mit westlichem Know-how und westlichem Geld erstellt wurden und das Land in tiefe Schulden stürzten. Die Wirtschaft verschlechterte sich, es kam zu Unruhen und Streiks, die er nur mit Gewalt zu beantworten vermochte. Am Ende verlor er die Präsidentschaft und die Heimat und ist 1972 im Exil gestorben.
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