Dr. Hans-Jürgen
Falkenhagen/Brigitte Queck
Nach dem Rücktritt des
kommunistischen Präsidenten von Moldawien, Wladimir Woronin, im
September 2009 war diese Funktion vakant, weil sich für eine Neuwahl
nicht mehr die verfassungsmäßig vorgeschriebene Dreifünftelmehrheit
(mindestens 61 Stimmen) im 101-köpfigen moldawischen Parlament fand.
Die Parlamentsvorsitzenden, zuletzt Marian Lupu fungierten als
Interimspräsidenten. Marian Lupu war für das Präsidentenamt lange
Zeit der Favorit der „Allianz für Europäische Integration“. So
nennt sich das Regierungsbündnis von Liberaldemokraten, Liberalen
und Demokraten.
Dies erlangte bei den vergangenen Parlamentswahlen am
28. November 2010 59 Abgeordnete, die Liberaldemokratische Partei
von Moldawien (PLDM) 32 Abgeordnete unter Führung von Vlad Filat,
derzeit auch moldawischer Ministerpräsident, Liberale Partei (PL)
12 Abgeordnete unter Führung von Mihai Ghimpu, die Demokratische
Partei (PDM) 15 Abgeordnete unter Führung von Marian Lupu. Die
übrigen 42 Sitze behielt die Kommunistische Partei (PCRM). Sie
hatte schon bei den Parlamentswahlen vom 29. Juli 2009 die absolute Mehrheit verloren, wodurch dann zunächst ein
Parteienquartett von Liberaldemokratischer Partei von Moldawien
(PLDM) mit 17 Abgeordneten, Liberaler Partei (PL) mit 15
Abgeordneten, Demokratischer Partei (PDM) mit 13 Abgeordneten und
damals noch der „Allianz für Rumänien“ mit 8 Abgeordneten,
insgesamt 53 Sitze, mit einfacher Parlamentsmehrheit eine
Regierungskoalition bildete, die sich auch schon „Allianz für
Europäische Integration“ nannte. Die Kommunisten unter Führung
von Wladimir Woronin waren damals noch mit 48 Abgeordneten im
Parlament vertreten).
Laut Koalitionsabsprache
sollte ab Juli 2009 Marian Lupu Staatspräsident werden, aber dazu
verweigerte ihm die Kommunistische Partei bei mehreren Wahlversuchen
für die fehlenden Reststimmen die Unterstützung, auch weil Marian
Lupu ihr als prominentes Führungsmitglied, u.a. als der von der
Kommunistischen Partei ab 2003 gestellte Wirtschaftsminister und ab
2005 bis April 2009 gestellte Parlamentsvorsitzende angehörte.
Wladimir Woronin wollte nicht einen Renegaten unterstützen, obwohl
das, gemessen, was später kam, keine schlechte Lösung gewesen
wäre. Lupu genoss auch die Rückendeckung von Moskau, Kiew und
Minsk. Es gibt Anzeichen, dass sich Moskauer Diplomaten bis zuletzt
bemühten, doch noch die Wahl von Marian Lupu zum neuen moldawischen
Präsidenten (ab 30. Dezember 2010 fungierte er als frisch gewählter
Parlamentsvorsitzender auch als moldawischer Interimspräsident) zu
erreichen. Der Vorsitzende der Kommunistischen Partei, Wladimir
Woronin, wollte aber Neuwahlen und die waren unausweichlich fällig,
wenn im März 2012 die Wahl des Staatspräsidenten nicht durchkommen
würde. Nach den miserablen Umfragewerten und dem Grad der
Verhasstheit (schrumpfender ungenügender Beliebtheitsgrad ist hier
zu gelinde ausgedrückt) der liberalen Regierung wären die
Kommunisten sogar mit absoluter Mehrheit wieder an die Regierung
gekommen.
Nun wollten aber die
meisten Führer der „Allianz für Europäische Integration“
einen absolut hundertprozentigen prowestlichen Politiker zum
Staatspräsidenten küren. Das war aber mit Marian Lupu nur bedingt
gewährleist. Gegen ihn besteht trotz seines Renegatentums, der
Abkehr von den Kommunisten, das Misstrauen fort, auch weil er in
Moskau studiert und promoviert hatte und ursprünglich den
Kommunisten in führender Funktion angehörte. Trotz aller seiner
neoliberalen prowestlichen Bekenntnisse blieb gegen ihn das
Misstrauen erhalten. Er habe doch noch ein bedenkliches
sozialistisches und russenfreundliches Restdenken, der Sozialismus
und die Affinität zu Russland schwirren noch rudimentär durch
seinen Kopf, so dass er auch wegen seiner Wankelmütigkeit
rückfallgefährdet sei, und wenn er Staatsoberhaupt sei, könne in
ihm das sozialistische Gedankengut auch wegen seiner Neigung zum
Populismus leicht wiederaufleben, so lauteten die Bedenken und
Vorwürfe gegen ihn. Der Fakt, dass Marian Lupu ein guter Gewährsmann
für einen Brückenbau zwischen den GUS-Staaten und der EU hätte
werden können, wurde als unerwünscht angesehen, da derzeit
offensichtlich wieder der Ost- West-Konfrontationskurs anvisiert
wird.
Also entschieden sich die
gestandenen liberalen Pro-Westler Vlad Filat und Mihai Ghimpu im
Bunde mit den USA und der EU für einen Politiker, der absolut
neoliberale und prowestliche Zuverlässigkeit garantierte. Und der
Coup gelang wieder einmal. Man guckte sich erstmal einen Abkömmling
unter den früher unter kommunistischer Herrschaft unterdrückten
Familien („Sibiriendeportierten“) aus und stieß auf einen
Juristen und Richter, der zwar auch zu Sowjetzeiten eine gute
Karriere gemacht hatte, aber unter dem Trauma seines politisch
verfolgten Großvaters gelitten haben soll.
Er hieß Nicolae Timofti,
ein bis dahin parteiloser Richter, er studierte zu Sowjetzeiten bis
1972 mit Staatlichem Stipendium Jura an der Universität Chisinau,
leistete zwei Jahre Militärdienst in der Sowjetarmee und arbeitete
danach als Berater im Justizministerium der Moldawischen
Sozialistischen Sowjetrepublik, ab 1976 war er als Bezirksrichter und
ab 1990 als Richter des Obersten Rates tätig., insofern eine
aalglatte Kariere im Dienste de Sowjetmacht, wenn da eben nicht das
„Sibiriendeportiertentrauma“ seines Großvaters gewesen wäre
(genau genommen büßte dieser ein gerichtlich verhängte
Freiheitsstrafe im Amurgebiet ab). Die Eltern sollen ihren Sohn
Nicolae im Geiste eines strammen Antikommunisten erzogen haben. Das
eröffnete ihm nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch im neuen
Staat, der Republik Moldawien, weitere Aufstiegsperspektiven. Er
befreundete sich mit Mihai Ghimpu, dem bekannten Führer der
Liberalen Partei, und wurde dessen Intimus. Er war ab 1990
Vizevorsitzender des Obersten Gerichtshofs der Republik Moldawien,
in den Jahren 1996-2001 Vorsitzender der Berufungskammer in
Chisinau.
Dann gab es für Nicolae Timofti einen Karriereknick, er
wurde von den Kommunisten, die ab 2001 auf Grund eines
überwältigenden Wahlsieges die Regierung bildeten und auch den
Staatspräsidenten stellten, seiner führenden Richterämter
enthoben, was wohl seinen Kommunistenhass erneut schürte, obwohl er
auch dann wieder schnell aufstieg, denn er leitete u.a. eine
Überprüfungskammer für Justizpersonal. Er unterstützte aber
politisch die parlamentarische Opposition, die ihn auch schon
frühzeitig für Spitzenfunktionen im Staat ins Auge gefasst hatte.
Besonders dem Westen wurde er gefällig. Er gilt als europäisch
eingestellt, wie man Pro-Westler gerne bezeichnet, soll der Garant
für Zugehörigkeit zum Westen und auch für einen schnellen
EU-Beitritt Moldawiens sein, und er tendiert offenkundig auch zu
einer Politik des Wiederanschlusses Moldawiens an Rumänien. Für
einen NATO-Beitritt müsste allerdings noch eine entsprechende
Klausel der Verfassung aufgehoben werden, die Moldawien zu einem
Neutralitätsstatus verpflichtet. Aber auch das ist mit Nicolae
Timofti machbar. Der Austritt Moldawiens aus der GUS wäre die
Konsequenz eines EU-Beitritts.
Zur Wahl von Nicolae
Timofti in das Amt des moldawischen Präsidenten brauchte die
„Allianz für Europäische Integration“ noch zwei Stimmen, da
sie, wie gesagt, nur über 59 Abgeordnete verfügte. Doch die konnte
man nur von der Kommunistischen Partei bekommen, die 42
Abgeordnetenmandate halten. Um die zu kaufen, ließ die EU einige
Millionen Euros springen, sagt man in Moldawien. Man kaufte
schließlich drei Abgeordnete der Kommunisten, die sich fortan
Sozialisten nannten, und mit Hilfe dieser drei Abgeordneten wurde
dann am 16. März 2012 in der Tat Nicolae Timofti, geboren am 22.
Dezember 1948 in Cuitulesti (SSR Moldawien), ins höchste Staatsamt
gewählt. Nicolae Timofti erhielt bei seiner Wahl am 16. März 62
Stimmen, eine Stimme mehr als verfassungsrechtlich notwendig.
Der Parlamentscoup war
gelungen. Der dupierte Marian Lupu wurde zum Verzicht gezwungen,
indem man ihm auch beibrachte, dass die Allianz nicht mehr voll hinter
ihm stehe. Dazu musste aber noch ein weiteres Korruptions- und
Intrigenspiel inszeniert werden. Die Demokratische Partei mit 15
Abgeordneten als Teil der „Allianz für Europäische Integration“
war ursprünglich auf die Wahl ihres Vorsitzenden Marian Lupu zum
Staatspräsidenten eingeschworen, und es sah lange danach aus, dass
das gelänge, wenn da noch zwei bis drei Kommunisten für Lupu
stimmen würden. Das wollten der Westen und die Allianzbrüder aber
eben verhindern. Deswegen musste man die Abgeordneten der
Demokratischen Partei (PDM) auch auf den neuen
Präsidentschaftskandidaten Timofti umpolen, auch sicherlich durch
massive Bestechung, sprich Politikerkauf. Der Gewährsmann dafür,
dass dieses so klappt, wurde der frühere Vorsitzende der
Demokratischen Partei, dann ihr Ehrenvorsitzender und seit der
Übernahme des Amtes des Parlamentsvorsitzenden und
Interimspräsidenten durch Lupu auch der amtierende
Parteivorsitzende- und Fraktionsvorsitzende der PDM im Parlament,
Dumitru Diacow.
Damit waren die
Kommunisten ausgetrickst, die vergeblich darauf spekuliert hatten,
bei Neuwahlen wieder überlegener Wahlgewinner zu werden. Am Boden
zerstört wurde letztlich auch Marian Lupu, den seine
Achterbahnfahrten durch die Politik zum Absturz brachten, denn er
wird auch als Noch-Parlamentsvorsitzender mit seiner Demokratischen
Partei, die ihm schmählich in Stich gelassen hat, kaum noch eine
politische Perspektive haben.
Als Gegenspieler von
Marian Lupu profilierte sich in seiner Demokratischen Partei wieder
Dumitru Diacow, der früher Vorsitzender dieser Partei gewesen war
und offensichtlich Lupu wieder den Posten des Parteivorsitzenden aus
der Hand genommen hat.
Alle Probleme mit List
und Tücke in den Griff gekriegt, die „Demokratie“ hat mit den
bekannten Tricks wieder einmal „gesiegt“. Allerdings ein Problem
konnte auch mit dem Coup der Wahl von Nicolae Timofti nicht gelöst
werden, das ist das Problem mit der abtrünnigen
Transnistrien-Republik. Der anvisierte Wiederanschluss dieser derzeit
unabhängigen Republik an Moldawien wird schwieriger denn je werden,
denn die dort mehrheitlich lebenden Russen und Ukrainer verspüren
kaum den Wunsch, sich nicht nur vom neoliberalen Westen mit seiner
immer antisozialeren Politik, sondern auch noch direkt von Rumänien
vereinnahmen zu lassen, das sich mit seinen massiven Lohn-, Renten-
und Sozialeistungskürzungen schon im sozialen Abgrund befindet (s.
u.a. „Sozialproteste in Rumänien“ in „Arbeiterstimme“, Nr.
175, 41 Jahrgang, Nürnberg, Seiten 30-32).
Dr. Hans-Jürgen
Falkenhagen/Brigitte Queck.
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