Freitag, 29. Mai 2015

Pulverfass Äthiopien: Die Wahlen sind eine vom Westen gesponserte Maskerade


Investig'Action im Gespräch mit Mohamed Hassan
22. Mai 2015


Aus dem Französischen: Einar Schlereth

Am Sonntag sind die Äthiopier zu den legislativen Wahlen eingeladen. Zwischen Repression und Boykott wird die Opposition der große Abwesende bei diesem Wahlspektakel sein. Sogar die europäischen Beobachter haben sich geweigert, dort anwesend zu sein. Wenn die westliche Presse nicht über die Unregelmäßigkeiten dieser Wahlen schweigt, betont sie besonders die Stabilität Äthiopiens und sein bemerkenswertes ökonomisches Wachstum. Mohammed Hassan fragt sich jedoch, ob das sein Land ist, von dem die Rede ist. Ein Gespräch:

F: Diesen Sonntag werden die Äthiopier zu den Urnen gerufen Worum geht es bei diesen Wahlen im zweit-bevölkerungsreichste Land Afrikas?

A: Es geht um nichts. Diese Wahl ist nur eine Formalität, um offiziell die Verlängerung dessen zu legitimieren, was seit mehr als 20 Jahren abläuft: die Vorherrschaft der Front zur Befreiung der Völker Tigrays (FLPT) in ganz Äthiopien. Diese Bewegung hat zum Sturz der Militärdiktatur 1991 beigetragen, indem sie die Unabhängigkeit der Region Tigray forderte. Aber nach dem Sturz von Mengistu hat die FLPT die Kontrolle über das ganze Land ergriffen. Ihr sinnbildhafte Führer Meles Zenawi hat eine ethnische Politik geführt und bis zu seinem Tod 2012 ein korruptes Regime entwickelt.
F: Sie sprechen von der FLPT, aber es ist doch die Front der revolutionären Demokraten der äthiopischen Völker (FDRPE), die an der Macht ist. Diese Bewegung umfasst doch auch andere Ethnien als nur die Leute aus Tigray?

A: Nochmals, es ist eine Maskerade. Die anderen Gruppen in dieser Koalition sind nur da, um die FLPT zu legitimieren, die in der Tat alles kontrolliert. Zenawi hat alle Schlüsselposten des politischen Apparats und in der Armee an seine Nächsten in der FLPT verteilt. Jedoch sind die Bewohner Tigrays weit davon entfernt, von den Handlungen der Regierung zu profitieren. Nur eine kleine Minderheit monipolisiert die Reichtümer und die Macht. Die große Mehrheit der Menschen in Tigray sind Opfer der Unterdrückung und der Korruption genau wie alle anderen Äthiopier auch.

F: Gibt es keine Opposition in Äthiopien?

A: 2005 hatte die FLPT versucht, demokratische Wahlen zu organisieren unter dem Druck ihrer westlichen Förderer. Die USA und Europa waren zweifellos peinlich berührt zu sehen, dass ihr Schoßhündchen ein Diktaroren-Wahlergebnis um die 90 % erzielte.

Für die Legislative hat die FLPT jedoch 2005 etwas das Fenster geöffnet. Aber der Sturm hat das ganze Haus erfasst und hätte beinahe alles zerstört. Die ersten Resultate gaben der Opposition eine gewaltige Gewinn-Marge. Die europäischen Beobachter hatten sogar die Niederlage der FLPT erklärt. Indem er sich auf Sicherheitsmaßnahmen und nationale Versöhnung berief, hat Meles Zenavi eine furchtbare Repressions-Kampagne in Gang gesetzt. Viele Oppositionelle wurden getötet, eingesperrt oder ins Exil gezwungen.

Daraufhin hat sich im Ausland eine neue Partei gebildet: Ginbot 7. Sie hat die unglücklichen Opfer der Wahl von 2005 aufgefangen. Diese Partei ist auf der politischen Ebene aktiv, aber weil ihr klar ist, dass ein Wechsel über die Wahlurnen wegen der Repression des Regimes nicht mehr möglich ist, hat sie sich mit der Front Patriotique du Peuple Éthiopien, einer bewaffneten Gruppe, zusammengetan.

Ihrerseits hat die FLPT aus den Wahlen von 2005 ihre Lehren gezogen. 2010 durften die Oppositionsparteien sich nicht präsentieren. Zenawi ist allein den Marathon gelaufen und hat, welch Überraschung, gewonnen. Am Sonntag wird die FLPT, ohne Zenawi dieselbe Farce wiederholen. Aber dieses Mal hat die EU angekündigt, dass sie keine Beobachter schicken wird.

F: Heißt das, dass die EU Äthiopien im Stich lässt, das sie bisher immer unterstützt hat?

A: In Wirklichkeit ist die Haltung der EU sehr heuchlerisch. Einerseits boykottiert sie die Beobachtung der Wahlen. Aber andererseits finanziert sie die Wahlen. Diese legislativen Wahlen werden von einem äthiopischen Komitee organisiert, das von ausländischen Spendern finanziert wird, d. h. von den Imperialisten. Das ist völlig aberwitzig! Ein Land muss seine Wahlen mit eigenem Geld finanzieren. Stellen Sie sich vor: Wenn der Iran die Wahlen in Frankreich finanzierte oder wenn Russland dasselbe in Deutschland machte!

F: Warum schickt die EU dann keine Beobachter?

A: Zweifellos, um sich nicht zu sehr zu exponieren, wenn nach den Wahlen die Schwierigkeiten beginnen. Die FLPT hat keine Bedenken, den Wahlsieg einzuheimsen, aber wie wird sie danach regieren? Diese Partei kann wohl ihre Gegner beiseiteschieben, aber sie vergisst, dass sie keinerlei soziale Basis hat, nicht einmal in ihrer Gemeinde Tigray. Im vergangenen April zum Beispiel hatte das Regime eine Versammlung in Addis Abeba zum Abschluss einer drei Tage dauernden Trauer um 20 äthiopische Migranten organisiert, die in Libyen von der Daesh getötet worden waren. Aber das Ereignis entwickelte sich rasch zu einer Demonstration gegen die Regierung. Die Parolen waren gegen die FLPT gerichtet und forderten eine Veränderung. Am Ende musste die Polizei die Menge zerstreuen.

Die EU weiß, daß das Regime auf der Anklagebank sitzt. Wenn nach den Wahlen Revolten ausbrechen, möchte sie natürlich nicht mit den Unterschlagungen der Regierung in Verbindung gebracht werden. Außerdem werden insgesamt die Europäer günstiger beurteilt. In der Tat brachten neue Umfragen heraus, dass die Äthiopier weder die USA sehr schätzen noch China. Die ersten, weil sie Millionen Dollar an Militärhilfe für die FLPT ausgeben, die ihr Volk unterdrückt. Was die Chinesen angeht, die das Prinzip der Nichteinmischung buchstäblich anwenden, so handeln sie mit jeder Regierung. Daher sehen die Äthiopier die neuen Investitionen der Chinesen als eine Infusion für das dahinsiechende Regime.

F: In der westlichen Presse wird nicht besonders auf die Unregelmäßigkeiten der kommenden Wahlen hingewiesen. Stattdessen unterstreicht man die Stabilität Äthiopiens und sein ökonomisches Wachstum, das fast die 10% erreicht.

A: Ich frage mich, ob man von einunddemselben Land redet. Äthiopien hat Eritrea 1998 und Somalia 2006 angegriffen. Die Spannungen mit seinen Nachbarn halten an. Außerdem zündelt die FLPT nicht nur am Horn von Afrika. Im Inneren des eigenen Landes greift sie gegen jede Form des Widerspruchs militärisch durch. In der Provinz Gambella zum Beispiel hat die Armee die Anuak massakriert. Der Ogaden hat dasselbe Schicksal erlitten. Man spricht sogar von Genoziden. Und das soll Stabilität sein? Wenn die westliche Presse von Stabilität redet, spricht sie von der Stabilität der ausländischene Investoren, die in aller Ruhe dicke Profite in Äthiopien machen können. Die FLPT verschleudert die Ressourcen des Landes und massakriert alle Gruppen, die sich gegen den Diebstahl ihres Landes wehren. Die westliche Presse hat gut reden, dass das Land stabil ist, aber sie schreibt mit dem Blut von tausenden Unschuldigen.

Was das ökonomische Wachstum angeht, so profitieren davon nicht viele Leute. Die Regierung hat ein Programm gestartet, um Dörfer anzulegen auf dem Lande, wo die Menschen vereinzelt leben. Konkret bedeutete dieses Programm, dass die Bauern  zur Umsiedlung gezwungen wurden, weil sie ihr Land nicht verlassen wollen, das die Regierung dann an große Agro-Multis zu niedrigen Preisen verkauft hat. Eine wahre Katastrophe! Das Land, das die Bauern nutzten, um sich zu ernähren, ist jetzt in der Hand von ausländischen Gesellschaften, die ihre Produkte exportieren. Außerdem verkauft Äthiopien seine eigenen Kinder. Unter Bedingungen, die der Sklaverei ähneln, werden zahlreiche junge Mädchen als Hausangestellte an die Golfländer verkauft. In Wirklichkeit ist es allein das Elend, das ein bedeutendes Wachstum erfuhr.

F: Wie könnte Äthiopien aus dieser Sackgasse herauskommen?

A: Ich habe es schon gesagt, die TPLF wird die Wahlen gewinnen, aber ich sehe nicht, wie sie weiter regieren will. Sie hat keine soziale Basis und die Protestbewegungen werden immer mehr. Ich denke, dass Äthiopien, mein Land, an einem Kreuzweg steht. Die verschiedenen Diktatoren, die sich an der Spitze ablösten, haben daraus ein wahres Pulverfass gemacht. Deshalb stützen sich die Widerstands-Bewegungen auf Ethnien, womit man direkt in einer 'Somalisierung' Äthiopiens landet, das heißt eine Spaltung des Landes in kleine, künstliche Staaten. Es sei denn, dass sich die verschiedenen Oppositionsbewegungen auf eine gemeinsame Basis einigen, um aus Äthiopien eine wahre demokratische Nation zu machen, wo soziale Gerechtigkeit sichergestellt wird und wo alle Bürger, egal welchen Ursprungs, auf die gleiche Stufe gestellt werden.


Mohamed Hassan ist ehemaliger äthiopischer Diplomat, Spezialist für den Nahen Osten und des Horns von Afrika. Mit ihm hat Investig'Action zwei Bücher mit Gesprächen geschrieben, einmal 'La Stratégie du Chaos' und 'Jihad made in USA' (Der in den USA gemachte Dschihad). Er wird demnächst auf unserer Seite eine umfassende Analyse über Äthiopien schreiben.  

Quelle - källa - source




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen