Einar Schlereth
23. Mai 2012
Vorgestern bekam ich die Nachricht,
dass ein sehr guter alter Freund in Bremen gestorben ist. Er hatte
mit seiner Barbara einen Fahrradausflug gemacht, fühlte sich
plötzlich nicht gut, stieg ab, setzte sich auf die Wiese und fiel
um. Barbara rief den Notarzt, der per Helikopter kam, aber alle
Wiederbelebungsversuche waren vergebens. 63 Jahre alt. Morgen wäre
er 64 geworden – ein Jahr vor seiner Pensionierung.
In wenigen Wochen wollten sie mich
besuchen. Auf ihrem jährlichen Ferienausflug hoch in den Norden Schwedens und Norwegens, wo
sie tagelange Wanderungen unternahmen, von denen er immer
atemberaubend schöne Fotos mitbrachte. Ich hatte mich sehr auf den
Besuch gefreut und deswegen gerade in letzter Zeit viel an ihn
gedacht.
Sein Tod ging mir vedammt nahe. Warum
er, warum nicht ich? Das ist kein dummer Spruch. Ich habe seit langem
einen – tja, nicht Lebensüberdruss, das ist das falsche Wort –
eher Weltschmerz. Aber das ist so mit 'Werthers Leiden' verknüpft.
Es hängt mit dem politischen und faktischen Zustand der Welt
zusammen – und dadurch auch mit meiner Arbeit, die mir immer
häufiger sinnlos wie ein Kropf erscheint. Wenn ich all diese
Politikervisagen sehe – der Hammer war Obama und Merkel beim
Mundkuss, pfui Teufel! - und die Ahnungslosigkeit und Lethargie der
Menschheit gegenüber der Zerstörung und Vernichtung von
Menschenleben, ganzen Gesellschaften und unserer Natur, dann sehne
ich mich nach einem Schlaganfall, wie mein Freund ihn jetzt erlitt.
D. h. nicht erlitt. Er hat nicht leiden müssen. Er war einfach weg.
Und ich bin froh für ihn, dass er nicht mehr „gerettet“ werden konnte. Halb oder
ganz gelähmt, womöglich noch mit Verlust der Sprache! Das weiss
ich, dass ihm das absolut nicht gefallen hätte. Und ohne seine
geliebten Bücher!
Ja, Hannes, er war ein wahrer
Bücherwurm. Ein ruhiger, stiller, liebenswerter Mensch, geradezu
introvertiert. Ich staune heute noch, dass er vor über 30 Jahren die
Initiative ergriff, mich in Hamburg anzurufen und vorschlug, uns zu
treffen. Der Grund war, dass ich eine ganze Menge von Jan Myrdal
übersetzt hatte, den er sehr schätzte. Hinzu kam das gemeinsame
Skandinavien-Syndrom. Und seither waren wir Freunde.
Merkwürdigerweise liebte er es nicht, Briefe zu schreiben – das
hätte doch zu ihm gepasst - und auch nicht zu telefonieren. Aber
sowie ich in Hamburg war, richtete er es sofort ein, dass wir uns
treffen konnten. Und ich war immer ein gern gesehener Gast bei
beiden.
Und dann konnte er unendlich viel erzählen, über Bücher,
Politik, seine Beobachtungen in der Schule, wo er unterrichtete.
Gerne machten wir auch lange Wanderungen, zu Fuß oder mit dem
Fahrrad. Und landeten mit Sicherheit in irgendeinem Café. Kaffee und
Kuchen, auch das liebten wir beide. Nie kam er bei uns an, ohne ein
Kuchenpaket unter dem Arm zu haben. Und er war ein sehr starker
Raucher. Selbstgedrehte mit starkem Tabak. Auch ich rauche ja, doch
habe ich erstens seit Jahrzehnten auf Zigarillos umgestellt – die
nicht auf Lunge geraucht werden – und zweitens sukzessive reduziert
auf heute drei pro Tag. Beim Röntgen können die Ärzte nicht
feststellen, dass ich rauche. Aber das pausenlose Rauchen von Hannes
hat mir oft Sorgen gemacht. Aber das Missionieren liegt mir nicht.
Tja, und letztlich ist er auch nicht am Rauchen gestorben, sondern am
Herzen, was in der Familie liegt. Sein Vater war schon mit 59 tot.
Und nun ist auch Hannes tot. Satan
också! Ich habe eine Wut und gleichzeitig auch so etwas wie eine
Lähmung. Nicht äußerlich – bei so etwas stürze ich mich
geradezu in die Arbeit – sondern innerlich. Ich möchte irgendwie
schreien und toben. Die ganze Welt anbrüllen. Ja, etwa wie der Georg
Schramm hier
oder in 'Volksverblödung'
).
Oder wie sein Namensvetter George Carlin in „We like war“
(zusammen mit dem Artikel 'White fears …' ),
der ihm mit seiner Wut und Raserei gleicht. D. h. glich, denn er ist
auch tot, aber schon ein paar Jahre.
Nun, das stimmt in etwa mit meiner
gegenwärtigen Gefühlslage überein, deswegen auch habe ich mich
lieber im Garten ausgetobt als vor der Kiste zu sitzen. Zwei weitere
Hochbeete gebaut und während ich alte Äste, Laub, Grasschnitt,
Kompost ins Loch warf, hätte ich zu gern noch ein paar von den
großmäuligen Politikern mit reingeworfen. Aber vielleicht doch
lieber nicht. Vielleicht würde dann nur noch Teufelskraut wachsen.
Klavreström, 23. Mai 2012
Ich fühle mit Dir lieber Einar. Mein aufrichtiges Beileid.
AntwortenLöschenLieber Einar
AntwortenLöschenDanke für die schöne Wörter. Pflege Dein Garten weiter. Erst morgen wäre Hannes 63 Jahre alt. Mit lieben Grüßen - Barbara
Lieber Einar,
AntwortenLöschenerst muss man mühsam so vieles im Leben gewinnen, um es dann ebenso mühsam wieder verlieren zu lernen - da fällt mir auch die Bergpredigt mit ihren vordergründig oft nicht leicht zu durchschauenden Aussagen ein.
Andererseits gibt es auch die Qualität einer Freundschaft frei - die insofern zeitlos und ewig wird.
Bleib stark - die Jungen brauchen Dich noch
jo
Mein Beileid Dir und allen die trauern;
AntwortenLöschenEin geschickter Reisender
hinterläßt keine Spuren,
ein geschickter Redner
spricht ohne Fehler
ein geschickter Rechner
braucht keine Merkstäbchen.
Was geschickt verschlossen ist,
hat kein Schloss,
doch kann man es nicht öffnen.
was geschickt geknüpft ist,
kommt ganz ohne knüpfendes Seil aus,
doch kann man es
nicht aufknoten.
Darum leisten Weise
den Menschen stets geschickt Beistand
und lassen die Menschen niemals fallen
und lassen niemals fallen,
was an den Dingen von Nutzen ist;
dies nennt man Vergrößerung
der Erleuchtung.
Darum sind gute Menschen
Lehrer der Guten,
und Menschen, die nicht gute sind,
bilden den Rohstoff für die Guten.
(Lao Tse)
"...Es hängt mit dem politischen und faktischen Zustand der Welt zusammen – und dadurch auch mit meiner Arbeit, die mir immer häufiger sinnlos wie ein Kropf erscheint. Wenn ich all diese Politikervisagen sehe – der Hammer war Obama und Merkel beim Mundkuss, pfui Teufel! - und die Ahnungslosigkeit und Lethargie der Menschheit gegenüber der Zerstörung und Vernichtung von Menschenleben, ganzen Gesellschaften und unserer Natur..."
AntwortenLöschenHallo Bruder im Geiste.
Mach langsam, du wirst noch gebraucht!
Falls du Familie hast, klär sie auf.
Ich habe einige kleinere und größere in der Familie, die müssen jetzt aufgeklärt werden!!
Ich danke euch für die lieben Worte. Und das Lao Tse Gedicht ist wunderbar. Ich bin doch froh, dass ich mich zu dem Blog aufgerafft habe, wodurch ich feststellen konnte, dass Worte, richtig gebraucht, ihre innewohnende Kraft nicht verloren haben. Dass man Menschen erreichen und anrühren kann. Das ist ein Trost in diesen finsteren Zeiten.
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