Freitag, 20. Juli 2012

'Grüß den Brecht' – Das Leben der Margarete Steffin


von Hartmut Reiber
Ein Hörbuch – gelesen von Gina Pietsch
Auf der Leipziger Buchmesse im März dieses Jahres drückte mir Viktoria Knopp diese CD in die Hand, nachdem sie mir kurz erzählt hatte, worum es ging. Dass Grete Steffin eine Mitarbeiterin von Bert Brecht war, die ihn mit proletarischem Leben, proletarischer Sprache und Ausdrucksweise bekannt machte und mit der KPD. Nanu, davon hatte ich nie gehört. Ich wusste von Ruth Berlau, Hanns Eisler, Helene Weigel, Kurt Weill u. a. Aber Grete Steffin war mir nur dunkel als seine Sekretärin in Erinnerung. Auf alle Fälle war meine Neugier geweckt.
Abgeschreckt hat mich erst einmal die Länge von 14 Stunden. Wann sollte ich das alles hören? Für Hörbücher bin ich zu ungeduldig. Aber jetzt habe ich es endlich geschafft (Achtung: Die CD muss auf dem PC gehört werden. Selbst auf meinem neuen CD-Player war die Qualität extrem schlecht.).In Erinnerung war mir auch, dass BB ein reichlich patriarchalischer Knilch im Umgang mit Frauen gewesen sei. Das stimmt und stimmt nicht.
Mich hat beeindruckt, dass BB der Grete Steffin mit großer Achtung begegnet ist, ohne jede Überheblichkeit und auch nie den Lehrmeister gespielt hat. Im Gegenteil, er hat sie später oft als seine Lehrerin betitelt. Grete Steffin, die aus einfachsten Verhältnissen kam, aus einer hart kämpfenden, kommunistischen Arbeiterfamilie, die sich mit größtem Eifer autodidaktisch ständig weiterbildete, in kommunistischen Zirkeln, Theatergruppen, die das Sprechtheater entscheidend weiterentwickelte und vielseitige Interessen hatte, machte auf Bert Brecht von Anfang an einen großen Eindruck. Außerdem hatte sie einen sicheren Instinkt für das Echte, für literarische Qualität, für präzise Ausdrucksweise. Dies machte sie mit der Zeit zu BBs bester und schärfsten Kritikerin, was BB besonders schätzte.
Damit ist nun nicht gesagt, dass die Steffin keine Schwächen hatte. Die hatte sie. In erster Linie eine körperliche Schwäche schon durch ihre kleine Statur, aber vor allem wegen ihrer Lungentuberkulose, die bei ihr frühzeitig zu Tage trat. Da war nun ihre Freundschaft mit Brecht für sie ein Glück. Brecht kam aus einem begüterten Elternhaus und er hat sich um sie bis zu ihrem frühen Tod in Moskau immer hingebungsvoll gekümmert. Er konnte ihr die besten Ärzte, Kliniken, Sanatorien in ganz Europa bezahlen – in Deutschland, Frankreich, in der Schweiz und Russland. Ohne Brecht wäre sie mit Sicherheit sehr viel früher untergegangen.
Aber sie hatte noch andere Schwächen, die sich vor allem dann zeigten, als sich ihr Verhältnis zu Brecht in ein Liebesverhältnis verwandelte. Ihr starker christlicher Glaube, von dem sie sich nur sehr langsam und mühsam lösen konnte, verhinderte, dass sie die 'Vielweiberei' von Brecht billigen konnte. Damit hing auch ihre kleinbürgerliche Moral zusammen, ihr Besitzdenken in Liebesdingen. Sie wollte den BB für sich allein haben. So sehr sie Solidarität in jeder anderen Hinsicht übte, die weibliche Solidarität mit Helene Weigel ging ihr ab. Aber da stieß sie bei BB auf Granit. Er wollte frei sein in der Wahl seiner Beziehungen, die ja alle für ihn existentiell wichtig waren. Erst sehr viel später war er bereit, mit ihr zusammen zu leben, als sich ihre Krankheit erheblich besserte und die Aussicht bestand, mit Brecht Kinder zu haben, was beide sehr wünschten. Doch durch einen gesundheitlichen Rückschlag war daran gar nicht mehr zu denken.
So weit kann ich die Haltung Brechts durchaus verstehen, da sie genau meiner Einstellung entspricht. Doch da gibt es bei ihm noch eine andere Seite. Er meinte, ein Mann dürfe andere Frauen haben, aber eine Frau nicht. Da wird von einem Gleichnis berichtet, dass BB einmal zur Stützung seiner These anführte, das geradezu lächerlich und banal ist, und seinem ansonsten scharfen Verstand Hohn spricht. Außerdem schloss dies bei Brecht auch ein, dass man die Frau betrügen durfte. Steffin erfuhr immer von anderen, wenn er wieder mit einer anderen Frau untreu gewesen war. Und dafür habe ich wirklich nicht das geringste Verständnis. Das ist genau das, was heute mit Recht als typisches Macho-Verhalten bezeichnet wird - und als den ich den Brecht in Erinnerung hatte. Anderseits könnte man auch sagen, dass BB in gewisser Hinsicht der Steffin bis zum Tode 'treu' geblieben ist, nicht im bürgerlichen sondern einem – meine Meinung nach – viel wichtigeren Sinne. Manche meinten ja auch, dass er die Grete am meisten geliebt habe.
Doch Grete Steffin hat sich auch damit arrangiert. Sicherlich spielte für sie die Arbeit mit ihm und das, was Brecht schuf, eine sehr große Rolle. Aber sicher ist auch, dass sie von Brecht finanziell abhängig war – sie war ja recht bald von ihm als 'Sekretärin' eingestellt worden. Aber die Abhängigkeit ging ja weit über das Gehalt für ihre Arbeit hinaus – das sie sich auch durch ihre eigenen Arbeiten mehr oder weniger hätte verdienen können. Doch die ungeheuren Kosten, die ihre Krankheit verursachten, hätte sie nie und nimmer selbst aufbringen können.
Wie dem auch sei, so war Grete Steffin von sehr vielen Menschen hoch geachtet, sowohl wegen ihrer eigenen Texte und ihrer vielen Übersetzungen aus mehreren Sprachen, als auch wegen ihrer Tätigkeit bei Brecht, für den sie eine unentbehrliche Mitarbeiterin wurde. In vielen seiner Stücke wird ihre Mitarbeit genannt – und ist auch erkennbar. Doch in vielen ist ihr Anteil derart integriert, dass er kaum zu erkennen ist. Grete Steffin wurde aber auch als Mensch von Frauen und Männern hoch geachtet – wegen ihrer Warmherzigkeit, ihrer Klugheit, ihrer Bescheidenheit. Und das ist wirklich etwas Besonderes. Bedenkt man, dass sie an der Seite des großen Brecht stand, der eine internationale Berühmtheit war, dannn ist beachtenswert, dass es der Steffin gelang, nicht Neid und Missgunst zu wecken, was unweigerlich zu Intriguen und Querelen geführt hätte.
Ich bin also wirklich dankbar, die Bekanntschaft mit dieser Person gemacht zu haben. Allerdings muss ich sagen, dass ich den Text für entschieden zu lang halte. Allein Steffins selbstquälerisches „Soll ich ihn verlassen, soll ich ihn nicht verlassen“ wird unendlich ausgewalzt. Ich weiss, dass es heute Mode (aus den USA) geworden ist. Mir gefällt das nicht.
Gina Pietsch – auch wenn sie die Starinterpretin von Brecht ist – gefällt mir nicht als Sprecherin, was hauptsächlich mit ihrer eigenartigen Betonung zusammenhängt. Aber das ist Geschmackssache und darüber soll man bekanntlich nicht streiten.

Einar Schlereth
20. Juli 2012

Die CD ist erhältlich im
Libro Letto
Eulenspiegel Verlag.

Das Buch von Hartmut Reiber ist im
Eulenspiegel Verlag, Berlin 2008 erschienen.

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