Beschlagnahmte Waffen der Terroristen |
Freitag, 20. Juli 2012
Reportage aus Idleb und von der türkischen Grenze
Als kleiner Zusatz zu der Reportage noch folgende neue Information: der
syrisch-türkische Grenzübergang Bab al-Hawa, von dem die Medien heute
den ganzen Tag berichten, er sei in der Hand der Rebellen, steht wieder
unter der Kontrolle der Regierungstruppen. Die bewaffneten Banditen
konnten ihn für einen halben Tag lang besetzen, bevor sie in die Türkei
zurückgedrängt wurden.
Midan-Platz |
In Damaskus ist es nach Berichten von Anhar Kotschnewa
wieder weitgehend ruhig. Das Foto hier oben hat sie auf dem Midan-Platz
geschossen. Es hat keinen Sturm von Regierungsgebäuden gegeben, es gibt
keine Kämpfe mehr in der Stadt bis auf eine halbe Handvoll
Scharfschützen, die vom "Vulkan" des Unrats von vor zwei Tagen
übriggeblieben sind.
Hier folgt die Ausschrift der deutschen Übersetzung der Reportage:
Anastasia Popowa in Schutzweste ab @00:41:
Die Stadt Idleb ist der unruhigste und gefährlichste Ort auf der Karte Syriens. Dieser Ort wird auch als "Tor" bezeichnet - nach Auskunft der Armee ist es diese Stadt, durch welche Waffen und Drogen auf syrisches Territorium gelangen, gleichzeitig ist es das Einfallstor für bewaffnete Kämpfer.
Text ab 00:54: Die Aufschrift "Herzlich willkommen!" an der
Einfahrt ist trügerisch - hier ist weder die Armee, und noch viel
weniger sind Journalisten willkommen. Vielleicht hat deswegen mehr als
ein Jahr kein einziger, nicht einmal einheimischer Reporter von hier
berichtet. Von den ersten Tagen der Krise an ist die Stadt zu einem
Aufmarschgebiet und einem Umschlagplatz der bewaffneten Rebellen
geworden. Die mit einer solchen Wendung nicht einverstandenen Anhänger
des Präsidenten wurden unter militärischem Geleit evakuiert. Über deren
weiteres Schicksal kann man nur spekulieren.
Hier glaubt keiner keinem - nicht einmal den eigenen Leuten. Kaum gibt
man das "Freund-Feind"-Erkennungssignal, löst das sofortigen Beschuss
aus.
Nervosität und Vorsicht bestimmen jeden Schritt - das lehrt die
Erfahrung. Die Abwehr von Angriffen auf die Checkpoints ist zur
täglichen Routine geworden. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die
Rebellen sich häufig für Soldaten ausgeben und Militäruniformen tragen,
die sie aus dem Ausland geliefert bekommen, und sich mit gestohlenen
Militärfahrzeugen fortbewegen.
Idleb erscheint leer. Vor einem Monat wollten die Banditen das Gebäude
von Sicherheitskräften sprengen. Der Sprengsatz in dem präparierten Pkw
zündete nachts; die Wände zweier Wohnhäuser sind dabei eingestürzt. Von
34 Opfern waren 16 Kinder.
So sieht das Stadtzentrum und das zerstörte Gebäude des
Nachrichtendienstes aus. Nach der Explosion ist drinnen niemand am Leben
geblieben. Die Einwohner schauen mißtrauisch auf ungebetene Gäste. Der
Platz selbst sieht wie nach einem Bombenangriff aus. Es scheint, als
hätten sich alle an einen solchen Anblick gewöhnt. Keiner beachtet mehr
die Ruinen.
Anastasia Popowa versucht ab 02:20, gegen das Getöse des Helikopters anzukommen:
Die syrisch-türkische Grenze ist fast 900 Kilometer lang, verläuft größtenteils durch Gebirge und schneidet kleinere Flüsse. Sie vom Boden aus zu kontrollieren ist unmöglich. Das Grenzgebiet wird von Hubschrauberpatrouillen aus überwacht.
Text ab 02:34: Die Rebellen beschießen die Helikopter regelmäßig
aus schweren Maschinengewehren. Wir steigen auf eine Höhe von 2.000
Metern - so hoch bleibt man für sie fast unerreichbar. Der Pilot zeigt
uns Pfade und Landwege, die von kleinen Dörfern aus in die Berge gehen.
Genau das sind die Hauptrouten für den Waffenschmuggel.
Unkenntlich gemachter Helikopterpilot ab 02:48:
Die Grenze ist schwieriges Gelände, geht einen gewundenen Bergbach entlang. Hier ist noch Syrien, dort - bereits die Türkei. Selbst, wenn man alle 100 Meter einen Soldaten postiert, würde das nicht helfen. Die Türken helfen den Rebellen mit allem - von diesem Berg dort werden wir immer beschossen, und nach dem abgeschossenen Flugzeug können wir nicht näher als bis auf 10 Kilometer an die Grenze heran - ihre Raketen zielen auf uns.
Text ab 03:10: Den Worten der Militärs nach bekommen die
bewaffneten Kämpfer auf der türkischen Seite der Grenze Hilfe vom
britischen Geheimdienst. Sie bilden Scharfschützen und Sprengmeister aus
und unterrichten die "Oppositionellen", wie man mit Sprengstoff umgeht.
Dort befinden sich auch die Feldlazarette, die für Flüchtlingslager
ausgegeben werden.
Anastasia Popowa in der Wildnis ab 03:25:
[Für die Bewohner der Grenzdörfer] ist der Schmuggel Existenzgrundlage. Hinüber in die Türkei bringt man Brot, Zucker, und - als einträglichstes Geschäft - Benzin. Von der anderen Seite nach Syrien hinein sind Waffen das beste Geschäft. Menschen zu bekämpfen, die hier jeden Pfad kennen, ist sinnlos - es ist einfacher, sich mit ihnen zu einigen.
Text ab 03:40: Diese Taktik geht auch tatsächlich auf, zum
Beispiel in der Gegend von Aleppo. Doch in Idleb ist das
Kräfteverhältnis ein ganz anderes. 60 Prozent sind für die Regierung, 40
dagegen. Das ist fast das gesamte ländliche Gebiet ohne die Städte.
Nahe Idleb gibt es ganze 3 Dörfer, die als Basis für Al-Kaida dienen -
Taftanaz, Kafr Tahrin und Binnish. Dort wird jede Feinheit des
Untergrundkampfes gelehrt, und das in reinem Hocharabisch, ohne Akzent
oder Dialekt, nach denen man bestimmen könnte, aus welchem Land der
Lehrmeister stammt.
Hier gibt es auch eine ganze Untergrundfabrik zur Herstellung von Bomben
und Raketen. An den Anlagen wird in mehreren Schichten gearbeitet.
Sprengsätze und ungelenkte Raketen sind zur Hauptwaffe der hiesigen
Rebellen geworden.
Man leidet dabei nicht am Mangel an Material. Sprengladung und Geld
fließen ebenso aus der Türkei. Die Grenzen sind nach wie vor
durchlässig. Doch während man früher alles offen zum Beispiel in
Traktoren beförderte, kommen nun solche gepanzerten Lkws zum Einsatz.
Dieser beispielsweise wurde in Homs aufgebracht.
Eine dicke Schicht Panzerplatten, zehn Gefechtsstände, eine Laffette für
ein schweres MG, Satellitenverbindung im Führerstand, massive, schwere
Türen und Riegel, auch die Räder sind geschützt und von Panzerung
abgedeckt; ein spezieller Motorschutz - dieses Fahrzeug ist von Profis
ausgerüstet worden.
Unter den bewaffneten Kämpfern sind Syrer, aber auch ausländische Söldner. Durch die türkische Grenze kommen vor allem Libyer und Tunesier nach Syrien. Bei den Festgenommenen finden sich Einreisestempel aus Istanbul.
Fahad ist 21, er kämpfte schon gegen Gaddhafi und kam nun, das syrische
Volk zu befreien. Der Tunesier sagt, er sei dem Aufruf seines Imam
gefolgt, der alle zum Dschihad gegen den syrischen Präsidenten Baschar
al-Assad aufrief. Beide behaupten, sie hätten je 1.000 Dollar angespart
und den bewaffneten Rebellen etwas bezahlt, um in ihre Reihen
aufgenommen zu werden. Sich selbst bezeichnen sie als verführte Opfer
eines Medienkriegs.
Interview mit Fahad Saleh ab 05:27:
Ich war überzeugt davon, dass die Armee Menschen umbringt und vergewaltigt, deswegen wollte ich sie auch umbringen. In Libyen habe ich aus einer "Kalaschnikow" zu schießen gelernt. Mir wurde versprochen, mich nach Homs oder an die Front nach Idleb zu bringen und mir dort eine Waffe zu geben.
Interview mit Marsuki Belel ab 05:39:
In Stambul haben mich Türken empfangen und in einem weißen Wagen zur Grenze gebracht. Dort sagte man mir, ich solle Abu Achmed kontaktieren, er sei von Al-Kaida, ein Syrer mit irakischem Akzent, er ist ein Koordinator. Er übergab mich an drei Schmuggler, mit denen ich die Grenze überquerte. Auf dieser Seite haben mich Leute aus der Freien Syrischen Armee erwartet, versprachen mir eine Waffe zu geben und mich an die Front zu bringen.
Text ab 06:00: Jeden Tag sterben in Syrien ca. 50 Soldaten, die
meisten davon in der Provinz Idleb. Die Regierung hat die bewaffneten
Kämpfer oftmals dazu aufgerufen, die Waffen niederzulegen; man gab
Amnestie, versuchte zu verhandeln - alles ohne Erfolg. Nach den
Terroranschlägen von Damaskus, bei denen die Militärspitze des Landes
umgekommen ist, hat das Kommando die Strategie geändert: die Argumente
sind zu Ende. Anstelle eines humanen Umgangs erwarten die bewaffneten
Rebellen nun überall totale Säuberungsaktionen.
Hier ist eine weitere wichtige Kurzmeldung: Alle Grenzposten zur Grenze mit dem Irak sind wieder in der Hand der Regierung.
Quellen - källor - sources:
Video
Mobilmachung - ein Artikel, der wichtige Fragen aufwirft.
Deutsche Ausschrift der Reportage
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