Mittwoch, 17. September 2014

Ostukraine: Die nicht endende Krise (update)

Liebe Freunde, ich hatte die Gelegenheit, am Präsidiumstisch der Moskauer Konferenz mit Nocolai Petro zu sitzen, der den folgenden Artikel geschrieben hat. Er hat im vergangenen Jahr mit einem Fulbright Stipendium in der Ukraine gelebt. Er hat ein tiefes Verständninis für die Probleme der Ukraine und ist verlässlich in seinen exakten Informationen und Einsichten in die stattfindenden Ereignisse.
Sharon
Hinweis: Als Ergänzung dazu hat Sharon heute diesen Link geschickt: "US/NATO and RUSSIA/CHINA on a direct collision course" by Michael Payne.

Ostukraine: Die nicht endende Krise

Nicolai Petro

3. September 2014


Muttersprache Ukrainisch


"Russland hat auf die Wünsche des Volkes in der Ostukraine ganz anders geantwortet als in der Krim."

Laut Präsident Putin sind Russlands Ziele in der Ukraine von Anfang an dieselben, seit Beginn der Bürger-Unruhen: Man wünscht eine stabile nationale Regierung, die alle ihre Völker repräsentiert und respektiert. Warum also hat es so wenig Bereitschaft gegeben, mit Russland zusammenzuarbeiten, um diese Krise zu beenden?


Die offensichtlichste Antwort ist Russlands Annektion der Krim, was viele westliche Regierungen als Ablehnung des post-Kalten Krieges status quo und als ein mögliches Vorspiel zu weiterer territorialer Expansion sehen. Um jedoch fair zu sein, hat Putin diese beiden Punkte in seiner Rede vor Bundesversammlung am 18. März angesprochen und darauf bestanden, dass die Krim ein besonderer Umstand gewesen ist - eine einzigartige Kombination von einem überwältigenden Wunsch der örtlichen Bevölkerung, sich von der Ukraine loszusagen und der Notwendigkeit, militärische Zusammenstöße auf der Halbinsel zu verhindern, die hätten eskalieren und bereits dort stationierte russische Truppen mit hineinziehen können. Russland, sagte er seither wiederholt, wünscht keine Expansion und stellt keine Bedrohung für die internationale Ordnung dar.

Russlands Aktionen in der Ostukraine liefern einen guten Test, ob die Krim wirklich eine Ausnahme war oder ein Vorspiel für weitere Expansion. Ryssland hat dort ganz anders agiert als auf der Krim. Diese Unterschiede sind jedoch von den meisten westlichen Beobachtern ignoriert worden, die ihre Analysen auf drei Annahmen aufbauen: Erstens, dass Putin, trotz seiner Leugnungen die Rebellen aktiv mit Waffen und Geld unterstützt. Zweitens, dass ohne diese Hilfe die Rebellion mangels Unterstützung durch das Volk zusammenbrechen würde. Und schließlich, wenn die Rebellion erst einmal unterdrückt ist, wird die Ukraine mit ökonomischen und politischen Reformen beginnen, die das Land stabilisieren werden.

Da jede dieser Annahmen weit daneben liegt, überrascht es nicht, dass es auch die westliche Politik gegenüber der Ukraine und Russland ist.

Wer kämpft und warum

Die bemerkenswerteste Sache an den Behauptungen ist, dass Russland offiziell die Rebellen in der Ukraine unterstützt, obwohl es nach fünf Monaten Kampf so gut wie keine Beweise dafür gibt. In dieser Zeit haben ukrainische Beamte beinahe jeden Monat behauptet, dass russische Armee-Einheiten eingedrungen seien. Die NATO hat diesen Behauptungen zugestimmt, indem sie Satellitenbilder vorlegte, die russische militärische Ausrüstung in der Ukraine zeigen, was Russland aber als fake zurückweist. Und während Kiew kürzlich von "tausenden" russischen Soldaten und hunderten Panzern spricht, konnte es nur 9 russische Soldaten zeigen, die laut Moskau ungewollt Ende August über die Grenze gerieten. Das ist alles in einer Zeit von fünf Monaten, aber es seien noch viel mehr getötet worden, heißt es.

Amerikanische Beamte unterstützen routinemäßig derlei Behauptungen von Kiew und haben dann Mühe, Beweise zu liefern. Stattdessen verweist das Außenministerium dann auf soziale Medien und versichert ungeniert, dass "die russischen Separatisten ...  so etwas nicht ohne die Russen tun könnten".

Dies ist eine vielsagende Erklärung, nicht nur, weil sie völlig die Ukrainer mit den Russen verwechselt und die Aufständischen mit den offiziellen Truppen, sondern weil sie annimmt, dass der Aufstand keine einheimischen Resourcen oder Unterstützung hat. Das passt mit der Vorstellung zusammen, die im Westen beliebt ist, dass die Klagen im Donbass erfunden  sind und dass der ganz Konflikt im Kreml gebastelt wurde.

Diese Auffassung vom Konflikt steht jedoch im scharfen Widerspruch zu soziologischen Untersuchungen, die im April, Mai und Juni dieses Jahres gemacht wurden - alle seit Beginn der militärischen Kampagne gegen die Rebellen. Detaillierte Ergebnisse sind auf russisch in der Webseite des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie erhältlich und eine Zusammenfassung, die kürzlich übersetzt wurde,  ist auf der Website der Washington Post von Professor Ivan Katchanovski veröffentlicht worden.

Die wichtigsten Punkte: die ukrainische Öffentlichkeit ist weiterhin stark gespalten über die Legitimität der Proteste auf dem Maidan und den Coup, der Präsident Janukowitsch aus dem Amt entfernte. Obwohl es wenig Liebe für Janukowitsch irgendwo in der Ukraine gab, betrachten drei Vierlel der Bevölkerung in den östlichen Städten die Euromaidan-Proteste als illegal.

Insbesonders betrachten zwei Drittel im Donbass den Maidan als "einen bewaffneten Sturz der Regierung, organisiert von der Opposition mit der Unterstützung des Westens". Ein ähnlicher Prozentsatz glaubt, dass der Rechte Sektor "eine starke militärische Formation ist, die politisch einflussreich ist und eine Drohung für die Bürger und die nationale Einheit ist". Das mag erklären, warum die meisten Menschen in den Ost- und Südregionen der Ukraine (62%) den Verlust der Krim Kiew anlasten statt den Separatisten (24 %) oder den Russen (19%).

Majoritäten im Donbass (60 % in Donetsk und 52 % in Lugansk) stimmen nicht der Meinung zu, dass Russland die Rebellen organisiert und ihre Handlungen leitet. Darüberhinaus, würde ein Referendum heute abgehalten (April 2014), würden nur 25  % der EU beitreten wollen, verglichen mit 47 %, die der Eurasian Zollunion beitreten wollen.

Es sollte festgehalten werden, dass am Anfang die Rebellenführer nur mehr örtliche Autonomie in der Ukraine über ein Referendum über Föderalismus verlangten. Nachdem Kiew das abgelehnt hat, versteifte sich die Haltung der Einwohner. Eine Gallup Umfrage im Juni dieses Jahres, bezahlt von dem Gouvereur-Radio-Vorstand der US-Regierung, kam zu dem Schluss, dass die Ukraine "jetzt mehr gespalten ist als vor den Ereignissen, die im März in der Ukraine begannen". Das wurde immerhin von Kiews eigenem ernannten Donetsk-Gouverneur Sergei Taruta bestätigt.

Damit ist nicht gesagt, dass es keine ausländischen Freiwilligen gab, die die russische Grenze überquerten, um mit den Rebellen kämpften, genau wie ausländische Freiwillige in der feindlichen Armee sind. Doch scheinen sie ein ziemlich kleiner Prozentsatz an den Kämpfern zu sein (NGOs schätzen, dass es bloß eine Handvoll bis 30-40 % sind). Die meisten Medien-Zählungen haben die Rebellenkämpfer als unzufriedene Einheimische abgestempelt und es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass ihre Reihen verstärkt wurden von etwa 20 000 Sicherheitskräften (im Donbass allein 1500), die summarisch gefeuert wurden und mit Anklage wegen Hochverrat von dem gegenwärtigen ukrainischen Innenminister Arsen Avakov bedroht wurden.

Es wird manchmal gesagt, dass Russland vielleicht nicht offiziell die Rebellen unterstützt, aber sie sicherlich indirekt unterstützt, in dem Freiwilligen und Waffen erlaubt wird, die Grenze zu überqueren. Selbst diese Version einer offiziellen russischen Komplizenschaft wurde jedoch von einigen westlichen Reportern vor Ort abgelehnt, vor allem von Mark Franchetti, der ein bemerkenswertes Papier für die London Sunday Times schrieb, nachdem  er mehrere Wochen lang mit den Rebellen verbracht hat. Seine Feststellung wird von dem UN-Hochkommissar für Menschenrechte und der OSCE-Beobachter-Mission zurückgewiesen, die Ende Juli in der Grenzregion stationiert wurde. Beide sagen, dass sie in dieser Zeit keine Beweise an Waffen oder militärischem Personal gesehen haben, das von Russland in die Ukraine geht, obwohl die USA und die NATO das Gegenteil sagen.

Darüberhinaus waren zwischen April und Juli 2014, wie das russische Verteidigungsministerium betont, achtzehn internationale Inspektionsteams in der Grenzregion, und fanden "keine Verletzungen oder militärische Aktivität".

Auch kann das Vorhandensein von russischen Waffen bei den Rebellen, selbst großkalibrige, nicht als absolut verlässlicher Indikator für eine offizielle russische Beteiligung angesehen werden. Erstens, weil es solche Waffen in der Ukraine im Überfluss gibt. Zweitens, weil sie für die Rebellen leicht zu beschaffen waren, entweder von den Einheiten, die zu ihnen desertierten oder von Waffendepots, die sie zuvor eingenommen haben oder sonstwie.

Der folgende Vorfall ist sehr vielsagend. Laut einer gehackten Email-Korrespondenz, die angeblich vom Chef des Sicherheitsdienstes Oberst V. Pushenko in Dnepropetrovsk zwischen dem 20. Juni und 20. Juli verschickt wurde, "verloren" (profukali)  drei Militäreinheiten unter seinem Befehl 25 Panzer, neunzehn Infantrie-Kampffahrzeuge, elf gepanzerte Personal-Transporter, elf Mehrfach-Raketenwerfer-Systeme (BM21), 12 Grad-Plattformen, fünf D-30 Haubitzen, sechzehn 82 mm Kaliber Mörser, fünf Selbstfahrlafetten und zwei Flakgeschütze. Das alles fiel irgendwie in die Hände der Rebellen.

Inwiefern Krim und Donbass etwas anderes sind

Die Abwesenheit von offizieller russischer Unterstützung für die Rebellen ist wichtig, weil sie den Unterschied zwischen dem russischen Herangehen im Donbass und der Krim beleuchtet, was uns eine Menge über Russlands Gesamtziele für die Ukraine sagt.

In der Krim bereiteten russische Parlamentarier die offizielle Hilfe durch einen Besuch der Region vor auf Anforderung des Parlamentes in der Krim. Erst nach diesem Besuch hat Russland seine militärische Präsenz auf der Halbinsel im Rahmen des Schwarzmeerflotten-Abkommens aufgestockt, und einige der Kräfte abgestellt, um der regionalen Regierung und deren Milizen bei der örtlichen Verteidigung beizustehen. Ich erinnere Sie, dass dieses Abkommen am 1. März getroffen wurde, als das Parlament der Krim noch keine Entscheidung über eine Abtrennung getroffen hatte. Diese militärische Aufstockung war ausreichend, um es der Regierung der Krim zu erlauben, das Unabhängigkeits-Referendum ohne Einmischung aus Kiew abzuhalten.

Im Donbass hingegen distanzierten sich die russischen Behörden schnell von den Rebellen und boten ihnen nichts als allgemeine Erklärungen über die Notwendigkeit, den Willen des Volkes zu respektieren. Als die Rebellen ihr eigenes Referendum vorbereiteten, drängte Putin sie öffentlich, es nicht zu tun. Sie weigerten sich. Russland führte Militärübungen Ende Februar nahe der ukrainischen Grenze durch, aber brachte seine Truppen Ende April wieder in ihre Kasernen, nach dem Beginn von Kiews Anti-Terror-Operation. Sehr wichtig ist, dass Ende Juni, als sich die Militärkampagne zuspitzte, Putin das Parlament bat, seine Vollmacht, Truppen außerhalb Russlands einzusetzen, zurückzunehmen. Er erkannte auch Petro Poroshenko als legitimen de facto Präsidenten an. Die wesentlichen Unterschiede in der russischen Politik gegenüber beiden Regionen deuten an, dass die russische Regierung beschloss, irgendwann Ende April oder Anfang Mai, dass man nicht auf Seiten der Rebellen eingreifen werde.

Kiews Auffassung ist natürlich sehr anders. Laut Regierungs-Beamten versucht Russland die Ukraine zu destabilisieren, um zu verhüten, dass es den russischen Machtbereich verlässt. Indem man Instabilität fördert, kann Russland fortfahren, politischen und ökonomischen Druck auszuüben. Diesen Einfluss zu brechen wird typischerweise als "zivilisatorische Wahl" für Europa und gegen Russland charakterisiert.

Aber aus Russlands Perspektive ist dies keine zivilisatorische Wahl. Es ist nur die Wahl der gegenwärtigen Kiewer Regierung. So lange die Ukraine eine Demokratie bleibt, ist es möglich, sogar wahrscheinlich, dass die ukrainische Regierung eine enge Kooperation statt Konfrontation mit Russland wählt. In der Tat war der Hauptgrund, weshalb Russland so sehr dagegen war, aus Diskussionen über die Auswirkung eines EU-Eintritts ausgeschlossen zu werden, dass dies die Vorstellung umfasste, es bestehe eine zivilisatorische Trennung zwischen Russland und Europa und dass die Ukraine eins von beiden wählen müsse.

Die gegenwärtige Regierung in Kiew hat die Ideologie der "zivilisatorischen Wahl" übernommen und sich voll der Vorstellung geöffnet, dass die Wahl für die EU eine Zurückweisung Russlands ist. Indem sie an dieser Ideologie festhält, hat sie "die russische Aggression" zum Kernaspekt ihrer politischen Strategie gemacht.

Vor- und Nachteil der "russischen Aggression"

Es ist durchaus verständlich, dass Kiew versucht, die Schuld für alle ihre Rückschläge Russland aufzuladen. Indem es die Vorstellung fördert, dass sich das Land zusammenschließen müsse, um sich gegen äußere Aggression zu verteidigen, übernimmt es eine althergebrachte Strategie von wackligen Regimen. Es ist jedoch beunruhigend, dass dieses Motiv die heimische Politik formt und die Möglichkeiten für politisch Andersdenkende begrenzt.

Im Namen des Widerstands gegen "die russische Aggression" sind zum ersten Mal in der nach-sowjetischen ukrainischen Geschichte politische Massenparteien aus dem Parlament verbannt worden, wurden Gesetze eingeführt, die ganze Kategorien von Beamten daran hindern, jemals wieder am öffentlichen Leben teilzunehmen, werden ausländische Fernseh-Sendungen blockiert und die ukrainischen Medien werden jetzt Gesetzen unterworfen, dass alles, was gesagt oder bildlich gezeigt wird, das den Krieg unterminieren könnte, als Verletzung der nationalen Sicherheit angesehen wird.

Angesichts der historischen Abwesenheit in der Ukraine von klassisch liberalen Parteien und Politikern und die Beseitigung von institutionellen und rechtlichen Behinderungen für Machtmissbrauch, ist nationalistische Rhetorik zum Mainstream der ukrainischen Politik geworden. Darüberhinaus ist es ein bequemes Werkzeug, um Kritik an der gegenwärtigen Regierung zu unterbinden. Folglich schlug der Premier Yatsenjuk kürzlich vor, dass jeder, der gegen die drastischen Erhöhungen der Energie -Preise ein Agent des russischen Geheimdienstes sei.  Selbst Maidan-Aktivisten sind nicht immun gegen Anklagen, russische Agenten zu sein.

Das Folgende ist eine kurze Liste von jüngsten Regierungs-Maßnahmen gegen die "russische Aggression"

  • Außer dem Verbot von gewissen russischen Filmen wegen "Verfälschung historischer Fakten" hat das Kulturministerium eine Liste mit 500 russischen Schauspielern und Künstlern aufgestellt, denen nicht erlaubt wird, in der Ukraine aufzutreten. Der stellvertretende Premier Alexandre Sych ist noch einen Schritt weiter gegangen und schlug vor, dass alle Bücher in russischer Sprache lizensiert werden und Quoten geschaffen werden müssen für jede ausländische Literatur, die in der Ukraine verkauft wird.


  • Das Staatsfernsehen und das Radio-Komitee hat gefordert, dass alle Ukrainer (nicht nur Beamte) nicht mit russischen Nachrichtenagenturen sprechen dürfen. Er sprach aus, was bisher nur verlangt wurde, dass neue Gesetze der Regierung erlauben sollen, Medien und Blog-Seiten zu sperren aus Gründen der nationalen Sicherheit ohne gerichtliche Erlaubnis [Reporter ohne Grenzen  am 12. August 2014  http://en.rsf.org]

  • Andere neu eingeführte Gesetze geben dem Staat die Vollmacht, Eigentum jedes Beamten, von Medien-Unternehmen oder Privatunternehmen zu konfiszieren, die im Verdacht stehen, separatische Gefühle zu haben oder in Zukunft haben könnten. Diese "ent-separatistische Lustration" [Reinigung], wie es heißt, wird der Regierung erlauben, Vermögen von Individuen zu konfiszieren, die des Separatismus angeklagt sind, und  sie daran zu hindern, fünfzehn Jahre lang öffentliche Ämter zu bekleiden.

Manche könnten behaupten, dass diese Gesetze notwendig sind, um Rebellenführer daran zu hindern, eines Tages in ein Amt gewählt werden. Der Tag ist noch weit entfernt, wenn er je eintreten wird.

Unterdessen wird das Gesetz gegen einige der moderatesten Stimmen in der ukrainischen Politik angewandt, wie Sergei Kivalov, ein langjähriger Vertreter Odessas im Parlament und langjähriger Vertreter der Ukraine in der Europäischen Kommission für Demokratie, besser unter dem Namen Venedig-Kommission bekannt.

Am besten ist er jedoch bekannt als Ko-Autor des Gesetzes von 2012, das den Regionen erlaubte, andere Sprachen als Ukrainisch  für den offiziellen Gebrauch zu benutzen. Seine vergangenen Sünden holten ihn im vergangenen Monat ein, als der gegenwärtige Gouverneur von Odessa formell den Generalstaatsanwalt der Ukraine aufforderte, eine Untersuchung wegen Hochverrat gegen Kivalow  einzuleiten.

Die breite Anwendung des Begriffs "russische Aggression" hat die politische Landschaft der Ukraine dramatisch verändert. Vor weniger als zwei Jahren hat das europäische Parlament die politischen Ansichten der Svoboda Partei als so "rassistisch, anti-semitisch und fremdenfeindlich" agesehen, dass es die ukrainischen politischen Kräfte aufforderte, eine Koalition mit ihr zu vermeiden. Heute mit dem stellvertretenden Sprecher des Parlaments und vier Ministern wird sie beinahe als Mainstream in der Ukraine angesehen.

Noch extremere Individuen und Gruppen haben von dieser Rechtswendung profitiert. Oleg Lyashko, Ukraines Version von Wladimir Schirinowski, erreichte überraschende 8 Prozent bei den Präsidentenwahlen, und der Koalition politischer Kräfte, die als Rechter Sekotr bekannt sind,  gelang es, ihre bösartige Marke von Nationalismus in politischen Einfluss umzuwandeln, der ihren Wahlanteil bei weitem übersteigt.

Die Kiew Post berichtet, wie im Juni der Chefankläger der Stadt und drei seiner Vertreter auf die Forderung des Rechten Sektors hin des Amtes enthoben wurden. Und Ende August hat der Führer  des Rechten Sektors Dmitri Jarosch dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko gesagt, dass er nur 48 Stunden Zeit hätte, von der Polizei verhaftete Mitglieder seiner Organisation freizulassen und den stellvertretenden Innenminister Wladimir Ewdokimow  zu feuern. Täte er es nicht, würden Reservebataillone des Rechten Sektors einen "Marsch auf Kiew" organisieren. Es erübrigt sich zu sagen, dass die Forderungen von Jarosch schnell erfüllt wurden.

Poroschenko selbst hat nicht einen dieser Vorfälle öffentlich kommentiert, aber er nannte die Parlamentarier, die gegen die aktuelle Militärkampagne waren, weil sie einen hohen Zoll an zivilen Opfern forderte, als "fünfte Kolonne, die aus dem Ausland kontrolliert werde". Er unterzeichnete auch ein Gesetz, dass die Ukrainische Kommunistische Partei im Parlament auflöste. Beide Handlungen lassen seine Eröffnungsrede, in der er die Unterschiede der östlichen und südlichen Ukraine schützen wolle, hohl klingen.

Dieselben Probleme - unterschiedliche Lösungen


Wie wird also dieser Konflikt enden? Sowohl Russland als auch der Westen sagen, sie wollen Stabilität in der Ukraine, aber sie haben sehr unterschiedliche Ideen, wie sie zu erreichen ist. Westliche Regierungen scheinen den kulurelleln Kontext des Konfliktes, und wie er die politischen und ökonomischen Wahlmöglichkeiten des Landes bestimmt,  zu vergessen. Sie nehmen an, das Hauptproblem sei die Korruption. Wenn man die Korruption in den Griff bekommt, so lautet das Argument, dann werden die regionalen Unterschiede einfach verschwinden.

Russland hingegen sieht die Ukraine als kulturell fragmentierte Gesellschaft. Endemische Korruption baut auf diesen Trennungen auf  und führt zum politisichen Kollaps. Nur wenn man Wege findet, diese kulturelle Trennung zu überwinden, so sagt Russland kann die Ukraine gedeihen.

Diese verschiedenen Perspektiven führen zu verschiedenen Lösungsvorschlägen.  Für den Westen sind die Rücksicht auf die Sorgen der russisch-sprechenden Bevölkerung nur eine Ablenkung. Außerdem hat Kiew viele im Westen überzeugt, dass Russland nur die russisch-sprechende Bevölkerung der Ukraine unterstützt zum eigenen politischen Vorteil und dass es deswegen völlig gerechtfertigt sei, die ukrainische Kultur auf Kosten der russischen Kultur zu fördern.

Russland glaubt indes nicht, dass die Frage der kulturellen Rechte in der Ukraine so schnell verschwinden wird. Auf Basis der früheren Erfahrung mit dem Juschtschenko-Regime, glaubt man, dass die Anstrengungen der Regierung, den Osten zwangsweise zu ukrainisieren, die sozialen Spannungen erhöhen  und zu einem Rückschlag führen wird. Der einzige Weg, die Stabilität der Ukraine zu sichern, besteht darin, der russischen kulturelllen Minorität gleiche Rechte in der ganzen Ukraine zu geben. Das ist etwas, was das gegenwärtige Regime in Kiew kategorisch ablehnt.

[Die vier letzten Abschnitte des Artikels sind Spekulationen des Autors über das, was passieren wird, die aber von der aktuellen Entwicklung überholt und ad absurdum geführt worden sind. D. Ü.]  

Nicolai Petro ist Politik-Professor an der Universität Rhode Island. Er ist kürzlich zurück von einem einjährigen Aufenthalt mit einem Fulbright Forschungs-Stipendium in der Ukraine.

1 Kommentar:

  1. Eine wirklich bemerkenswerte Analyse, für die ich mich nicht zuletzt mangels ausreichender Ressourcen zur Verifizierung der zahlreichen sogenannten Informationen (die deshalb für die meisten Europäer Gerüchte bleiben müssen) herzlich bedanke. Das meine ich zunächst einmal ohne jede Wertung bezüglich der entscheidenden Frage, was Recht ist und wer Recht hat.
    Hinzufügen muss ich allerdings, dass es langsam schwer zu ertragen ist, dass in diesem Konflikt Russland ständig in Beweisnot ist, ob es denn nun ... oder ob es nicht. Die politisch-militärische Organisationsstruktur hielt sich mit solchen Lappalien wie Völkerrecht (auch hier wäre es wert zu untersuchen, was genau das im Einzelnen ist) seit dem Ende des 2. Weltkriegs bis zum heutigen Tage bei den unzähligen "humanitären" oder wie auch immer gearteten Interventionen nie auf. Wenn es nicht mit kodifiziertem UNO-Recht geht (die letztlich schon bei ihrer Gründung auch nur ein Zweckbündnis war, vom Weltsicherheitsrat mit seiner angemaßten Befehlsgewalt über die Geschicke der Welt ganz zu schweigen), na dann wird eben mit einer "Koalition der Willigen" Chaos und Vernichtung angerichtet.
    Ich bitte, mich nicht falsch zu verstehen: Ich bin keinesfalls der Meinung, dass ein Unrecht das andere rechtfertigt. Die ewige einseitige Bringeschuld Russland und der Menschen in der Ostukraine nach den zumindest fragwürdigen Ereignissen und der Situation nach dem Sturz der Regierung von Janukowitsch regt trotzdem auf. Zumal wir doch alle wissen, dass das Schicksal der Ukraine oder gar der Ukrainer in diesem Konflikt geopolitisch absolut nebensächlich ist.

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