Montag, 10. Februar 2020

Der Zorn des Volkes verbreitet sich in Lateinamerika


Mit Dank an ‘Folket i Bild’ und Dick Emanuelsson übersetzte ich diesen Artikel, was durch die Digitalisierung der Zeitschrift ermöglicht, bzw. sehr erleichtert wurde.
Der Zorn des Volkes verbreitet sich in Lateinamerika
Aufruhr gegen den Neoliberalismus


Dick Emanuelsson
16. Januar 2020

Der Zorn des Volkes verbreitet sich in Lateinamerika

Aus dem Schwedischen: Einar Schlereth


In den ersten Tagen des Oktober 2019 wurde ein Funke entzündet, der buchstäblich zu einem Volksaufstand in Ecuador führte. Der Funke verbreitete sich wie ein Lauf-feuer über große Teile des lateinamerikanischen Kontinents, einschließlich Haiti in Karibien, wo die Proteste seit Juni 2019 anhalten.




Die Explosion des echten Volkszornes gegen das Schock-Paket mit erhöhten Brennstoffpreisen, Strom- und Wasser-Tarife, Wegezölle, erhöhte Kosten im Bildungs- und Gesundheitssektor, wo die Mehrheit des Volkes keinen Zugang mehr hat oder sie nicht bezahlen kann, sowie bei den Pensionen, die die Hälfte der Bevölkerung ins Elend stürzen, haben Millionen Lateinamerikaner in Bewegung gesetzt. Sie sandten Schocksignale an Lateinamerikas politische Rechte und an die Regierung in Washington.


Dies wurde Ende 2019 geschrieben und nun können wir nach drei Monaten rasender Klassenkämpfe in Chile, Ecuador, Kolumbien, Haiti, Panama, Brasilien, Bolivien und Honduras ein paar konkrete Schlussfolgerungen ziehen aus dem, was diese kontinentale Konfrontation ausgelöst hat.

Als das neoliberale Laboratorium in Chile am 11. September 1973 nur ein Jahr nach dem blutigen Militärputsch gestartet wurde, da zog der Nobelpreisträger für Ökonomie, Milton Friedman, mit seinen “Chicago-Boys” in Santiago deChile ein und setzte das neoliberale Experiment in Gang, das juristisch legitimiert wurde durch die faschistische Verfassung von 1980.

Es sei einfacher, eine private Universität-Fakultät in der eigenen Garage zu starten, als dem Staat die Erlaubnis zu geben, eine produktive Tätigkeit im Dienst des eigenen Volkes zu erteilen, sagte Carlos Arue, Verfassungsexperte der chilenischen kommunistischen Partei und des vormaligen Präsidenten Michel Bachelet.
Als ich mit Andres Lagos sprach, Mitglied des Exekutiv-Komités der Chilenischen Kommunistischen Partei und ihn fragte, ob es Zufall sei, dass José Piñera, Bruder des heutigen Präsidenten Chiles, als «Ideologe der faschistischen Verfassung von 1980» betrachtet wird und von dem Diktator Pinochet zum Arbeitsminister und “Pate” des verabscheuten Pensionssystems AFP ernannt wurde, sagte er:

«José Piñera verfocht noch vor kurzem, dass das neoliberale System für Pensionen eher ein akkumulierendes als ein soziales System sei. Es ist ein System, das stiehlt und plündert.
Aber Piñera sagt, das System müsse verfeinert werden. «Das System ist wie ein Mercedes Benz, der verbessert werden kann zu mehr, als er ist.»

Deshalb ist der tägliche Kontrast so gewalttätig in Chile. Wer nicht sehen will, sieht nichts. Chile ist laut Weltbank das siebte meist ungleiche Land der Welt. Wie sieht das in der Wirklichkeit aus? Besuche die Krankenhäuser, sprich mit den Pensionären oder mit den Arbeitern, wie ihre Löhne aussehen und auf welchem Niveau sie stehen und dann wirst du die chilenische Ungleichheit verstehen.

Das ist eine kurze konkrete Beschreibung der Kämpfe in den Ländern, die ich oben aufzählte – einKampf um elementare Menschenrechte.

Der Neoliberalismus hat gnadenlos zugeschlagen. Um die Privatisierung und den Ausverkauf des ganzen staatlichen Besitzes und der öffentlichen Dienste zu realisieren, wurde eine Zerschlagung des Arbeitsrechtes und der Gesetze des Arbeitsmarktes durchgeführt. Die Gewerkschaften verloren sukzessive in Lateinamerika an Bedeutung. Einer Gewerkschaft anzugehören, bedeutete früher oder später den Rauswurf, wenn man sie nicht freiwillig verlies. Die Initiative zu ergreifen, eine Gewerkschaft zu gründen war wie eine Garantie, auf die Schwarze Liste zu kommen und in Kolumbien konnte es im schlimmsten Fall den Tod bedeuten.

Mit anderen Worten hat der gewerkschaftliche Organisations-Grad in Kolumbien für die ökonomisch aktive Bevölkerung die 5 %-Grenze erreicht und die übrigen Mitglieder sind zu 90% öffentlich Angestellte, vor allem unter den organisierten Lehrern.
Mit der entwaffneten Gewerkschaft war es dann ein leichtes Spiel, die Naturressourcen abzugeben und den staatlichen Sektor an das multinationale Kapital zu verditschen und ihm freie Hand zu geben, noch schlimmer vorzugehen als der ehemalige Paragraph 32 in Schweden vor der MBL [das ist das 1976 eingeführte Mitbestimmungsgesetz in Schweden. D. Ü.].

Die progressiven Regierungen, die Ende des vorigen Jahrzehnts an die Macht kamen, saßen auf großen Erdöl- und Gasvorräten. Sie setzten auf eine Demokratisierung der Gesellschaft. Große soziale und ökonomische Reformen zerbrachen großenteils die früheren Machtstrukturen. Eine Umverteilung der ökonomischen Ressourcen des Landes konnten Bildung, Gesundheit gefördert werden und die extreme Armut effektiv bekämpft werden.

Allein in Brasilien wurden 17 neue staatliche Universitäten geschaffen, die kostenlos waren. Über 40 Millionen arme Menschen entkamen der Armut unter den Regierungen von Ignacio “Lula” da Silva und Dilma Rousseff. In Nicaragua stieg der Analphabetismus unter den drei Rechtsregierungen 1990-2006 um 38 Prozent an.

Als die Sandinisten wieder die Macht übernahmen im Januar 2007 übernahmen, begannen sie sofort den Kampf gegen die Unwissenheit aufzunehmen. Nach 3 Jahren wurde der Analphabetismus eliminiert (auf unter 4,5 % laut UNESCO).

Der Kampf gegen den Analpabetismus in ganz Lateinamerika wurde zu einer vorrangigen Aufgabe und damit konfrontierte man das multinationale Ausbildungs-Kapital.

Dasselbe geschah im öffentlichen Gesundheitsdienst in den genannten Ländern. Er wurde drastisch entwickelt und verbessert, dank auch des kubanischen Einsatzes, durch Ausbildung von tausenden Ärzten in Havanna und den eigenen Gesundheitsbrigaden, die in Lateinamerika eingesetzt wurden.

Die Reaktionen ließen nicht auf sich warten. Schon am 11. April 2002, nur 30 Monate nach dem Sieg von Hugo Chávez bei den Präsidentenwahlen in Venezuela wurde der 1. Staats-Coup gegen ihn durchgeführt. Chávez hatte die Steuer auf das Öl von schändlichen 1 % auf 49% erhöht. Er führte eine moderate Bodenreform durch und durchgreifende soziale und ökonomische Reformen. Die Reaktion der USA und der einheimischen Opposition war gewaltsam.

Auf den Staatsstreich folgten mehrere Coup-Versuche und ökonomischer Krieg. Die gigantischen Öl- und Gasreserven des Landes – die größten der Welt in nur 5-tägigem Transport-Abstand von Miami – sollten ja, um mit dem außenpolitischen Dokument Santa Fe IV zu sprechen, das von den Republikanern ausgearbeitet worden war, «disponibel sein, um unseren nationalen vorrangigen Bedarf zu decken».

Denn die täglichen strategischen Natur-Ressourcen liegen in Lateinamerika, nicht in den USA. Dieser Weltteil verfügt über 94 % der Weltreserven von Litium, wovon allein Bolivien 75 Prozent besitzt, das unumgänglich für die Mobil-Telefone und Komputer ist.

Hier gibt es auch Niob, das laut Wikipedia ein sehr seltener metallischer Grundstoff ist, der zu den Übergangsmetallen gehört. Allein in Brasilien gibt es 96 % der Weltreserven.

Kupfer gibt es in Chile und Bolivien. Lateinamerikas Reserven bestehen aus 35 % der Weltreserven.

Die größten Ölreserven gibt es wie gesagt in Venezuela, aber neue große Erdölquellen sind in Brasilien angetroffen worden.Fast 30 des Süßwassers des Planeten gibt es in Lateinamerika und sieben von zehn Ländern mit der größten Biovielfalt gibt es in Lateinamerika.

Mit Ausnahme des letzten Punktes fehlen den USA diese strategischen Naturressourcen auf dem eigenen Territorium. Aber in allen ihren Dokumenten erheben sie ein Anrecht darauf. Deswegen werden sofort Destabilisierung und ökonomische Kriegführung in Gang gesetzt gegen Länder, die nicht mit dem Imperium zusammenarbeiten zu seinen Bedingungen. Andernfalls werden sie verteufelt, oder wie John Bolton es ausdrückte, als die “Troika des Bösen” bezeichnet – Venezuela, Kuba und Nicaragua – deren Regierungen sich nicht Washington unterordnen.

Mit dem Fazit des Staatsstreiches in Bolivien in der Hand zeigen historische Erfahrungen, dass eine progressive Links-Regierung unumgänglich dara gehen muss, zu untersuchen, welche Möglichkeiten es gibt, feindliche Elemente in Armee und Polizei zu neutralisieren und eigene Kräfte zu schaffen, die den revolutionären Prozess verteidigen können, wenn er der Destabilisierung und Umsturzversuchen ausgesetzt wird.

Die Erfahrungen in Bolivien stehen im Gegensatz zu denen in Kuba, Venezuela und Nicaragua, wo die US-finanzierten Versuche, die Sandinisten im vorigen Jahr zu stürzen, von den “historischen Sandinist-Kämpfern” in zwei Wochen niedergeschlagen werden konnten, ohne dass die Armee, die im Krieg gegen den Diktator Somoza geschaffen wurde, einzugreifen brauchte.

In Venezuela leitete Chávez, selbst Militär, den Aufbau einer Volksmiliz ein, die mit 3,3 Millionen Venezolanern dieser Tage einen Eid schworen, das Vaterland gegen jeden Versuch, die Regierung zu stürzen und das Territorium zu invadieren zu verteidigen.

Was Kuba betrifft, so ist ein Invasionsversuch zurückgeschlagen worden und 60 Jahre Blockade reichten nicht, um den kubanischen Widerstand zu brechen.

Eine Revolution und ein demokratischer Wahlsieg können friedlich sein, aber die Konterrevolution ist immer gewaltsam und blutig. Das zeigen auch der Staatsstreich und die Massaker am bolivieanischen Volk nach dem 10. November 2019.

Dick Emanuelsson ist seit 1984 Journalist und ließ sich 2006 in Tegucigalpa, der Hauptstadt von Honduras nieder, wo er ganztägig als freier Journalist tätig ist.

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