Mittwoch, 24. August 2011

Warum der Fokus auf Libyen?


Dies haben sich vielleicht einige Leser gefragt. Es gibt so viele brennende (sogar im wörtlichen Sinne) Themen, die gegenwärtig die Welt erschüttern – der Aufstand der Jugend in England und Europa, Syrien, die still vor sich hindampfende Katastrophe in Fukushima, der offene Krieg in Indien gegen die Armen, die eskalierenden US-Angriffe auf Jemen und Somalia, die von den USA geschaffene Hungersnot am Horn von Afrika, die Weltwirtschaftskrise, die fortdauernde humanitäre Katastrophe im US-besetzten Haiti und so weiter ohne Ende. Warum also gerade Libyen?
Zum besseren Verständnis dieser Frage greift man am besten zu einem Globus oder Weltkarte. Und dann kann man mit Rotstift all die Länder, die von US/NATO direkt oder indirekt ins Visier genommen wurden, rot umranden. Gleichzeitig muss man im Hinterkopf behalten, dass die größten Feinde der US/NATO nach wie vor Russland und China sind.
Dann betrachtet man zuerst Zentral- und Nordeuropa. Da sehen wir, dass alles fest in der Hand der US/NATO ist: vom Nordmeer Norwegen/Schweden/Finnland/Dänemark, ganz Zentraleuropa und Südeuropa von der Türkei bis Portugal.
Als nächstes den Mittelmeerraum. Da sieht es nicht so gut aus. Da sind erstens Tunesien und Ägypten, zwei feste US-Alliierte, ins Wanken gekommen, wo der Westen sein Möglichstes tut, um diese Länder in ihrem Sinne zu stabilisieren. Zweitens gibt es zwei Länder, die sich strikt geweigert haben, nach der US-Pfeife zu tanzen: Syrien und vor allem Libyen. Ein unsicherer Punkt ist auch Palästina, auch wenn die Israelis eifrig an einer Endlösung arbeiten.
Weiter zum Nahen Osten. Dort wurde zwar der Irak befriedet, indem man ihn in die Steinzeit zurückbombte – schlimmer noch, ihn auf hunderte Jahre hinaus unbewohnbar machte. Im Grunde müsste das Land geräumt werden, weil es total radioaktiv verseucht worden ist. Aber das wird natürlich nicht geschehen. Die sollen dort ruhig krepieren. Man wird immer noch genug Kulis finden, die dafür sorgen werden, dass das Öl in die richtige Richtung fließt – nach Westen.
Der Iran steht auf der Abschussliste und in Afghanistan ist man hart am Arbeiten, um das Land völlig in den Abgrund zu stoßen, wenn man schon nicht siegen kann.
Pakistan ist gewissermaßen im Zustand einer kritischen Masse, wo es jederzeit zu einem GAU kommen kann. Die Marionetten-Regierung von Washingtons Gnaden weiss, dass sie auf einem schwachen Deckel sitzt, der dem Druck nicht mehr lange standhalten wird. Trotzdem hampelt sie nur herum, stößt leere Drohungen aus, ist aber unfähig, entschlossen eine nationale Politik zu verfolgen. Wenn es dort zu krachen beginnt, wird den USA nichts anderes übrig bleiben, als die berühmten 'boots on the ground' zu schicken, aber mindestens 1 Million. Woher wollen sie die nehmen? Also vielleicht Atombomben? Bei den Kriminellen in Washington kann man nie wissen. Verwundete Ratten sind am gefährlichsten.
Indien ist ebenfalls problematisch, auch wenn sich die herrschende Klasse in Sicherheit wiegt und sich obendrein dem großen Bruder als Juniorpartner aufgedrängt hat. Nun bekommt es jede Menge US-Berater, Technologie und KnowHow, um endlich den mehr als 30 Jahre dauernden Krieg gegen die Armen, pardon gegen die Armut zu gewinnen. Wie lange sich die mehr als 800 Millionen Inder, die von 2 $ täglich überleben müssen, zufrieden geben werden, ist eine große Frage, die aber die Herrschenden nicht sonderlich zu interessieren scheint, so lange die Wirtschaft boomt, die Reichen immer reicher werden, und sie auf auf ihre Waffen vertrauen können.
Echte Brennpunkte sind der Jemen und Somalia, die das Pech haben, nicht nur auf großen Erdöl- Vorkommen zu sitzen, sondern auch an dem enorm wichtigen Wasserweg durch das Rote Meer und den Suez-Kanal zu liegen. Auch dort meinen die Amerikaner das Problem mit Drohnen, Waffen und ihren Experten lösen zu können. Außerdem stehen dort zwei weitere Länder auf der US-Terrorliste: Sudan und Eritrea.
Zum Schluss ein Blick auf den Fernen Osten. Dort haben die USA einen festen Kordon aus sehr zuverlässigen Alliierten errichtet: Japan, Südkorea, Taiwan, die Philippinen, Indonesien, Vietnam, Thailand und Myanmar.
So viel zur geostrategischen Lage. Schauen wir uns nun die roten Kreise an, dann sehen wir, dass sie alle im Mittelmeerraum, dem Nahen Osten und Südasien liegen. Dort toben auch drei regelrechte Kriege – Afghanistan, Irak, Libyen – sowie zwei schwelende: Jemen und Somalia. Fallen Libyen und Syrien auch in amerikanische Hand, dann werden Russland und China nicht nur vom libyschen Öl abgeschnitten, sondern deren Zugang zum Mittelmeer ist ohne Stützpunkt keinen Pfifferling mehr wert. Das Gleiche gilt für die russische und chinesische Flotte im Indischen Ozean, wenn Pakistan und Iran als selbständige Staaten zu existieren aufhören und das Horn von Afrika fest in US/NATO Hand gerät. Ohne einen Schuss abzufeuern, könnte China von seinen wichtigsten Öllieferanten abgeschnitten werden wie Japan vor dem 2. Weltkrieg. Nach internationalem Recht ist das zwar eine Kriegserklärung, aber das hat die USA weder damals gestört, noch würde sie das heute stören. Würden die Chinesen reagieren, dann hätten sie den Krieg begonnen, so wie wir in der Schule lernten, dass die Japaner den Krieg begannen. Auf jeden Fall hätten die Amerikaner die totale Kontrolle darüber, wohin Öl fließen darf und wohin nicht. Ihre politische Kontrolle im ganzen asiatischen Raum würde noch effektiver werden, ebenso die materiellen Vorteile für die eigene Wirtschaft und die eigenen Multis, auch wenn sie dort nicht schalten und walten können wie in mittelamerikanischen Bananenrepubliken.
Nun zu Libyen und Gaddafi. Libyen hat enorme Erdölvorräte, sonstige Mineralien und – was schamhaft verschwiegen wird – Wasser. Enorme Mengen Wasser. Es wurde von Gaddafi verwendet, um den „von Menschenhand geschaffenen Fluss“ zu erbauen (siehe die Beschreibung dieses Wunderwerks der Technik und seine Bedeutung hier), um die libysche Wüstenküste zu begrünen und Libyen landwirtschaftlich selbstversorgend zu machen. (Etwas ausführlicher werden Libyens Errungenschaften unter Gaddafi in meinem Post hier beschrieben.)
Zum ganz großen Schlag gegen den westlichen Imperialismus holte Gaddafi aus, als er sich für die afrikanische Einheit und wirkliche Unabhängigkeit Afrikas stark machte und für die Vereinigten Staaten von Afrika. Und zwar nicht mit Worten, sondern mit Taten. Er bezahlte zum größten Teil einen eigenen Satelliten für Afrika, um die horrenden Fernseh- und Kommunikations-Gebühren an den Westen zu sparen. Gaddafi hat eine Afrikanische Zentralbank mit Sitz in Abidjan (Nigeria) geschaffen und arbeitete für die Einführung des Gold-Dinars. Darüberhinaus schuf er die African Investment Bank mit Sitz in Sirte (Libyen) und den African Monetary Fond mit Sitz in Kamerun, die den IMF und die Weltbank ersetzen und die französische monetäre Vorherrschaft mit ihrem CFA franc in Westafrika brechen sollten (siehe den Artikel von Brian E. Muhammad hier.)
Natürlich haben wir im Westen nichts über die Großtaten Gaddafis erfahren. Er wurde uns ja immer als Verrückter und Halbidiot, wahlweise als grausamer, größenwahnsinniger Diktator präsentiert. Kennt man diese Fakten, dann wird der 30-jährige Krieg der USA, Großbritanniens und Frankreichs gegen Gaddafi sonnenklar. Und auch der jetzige „humanitäre“ Krieg.
Eines ist sicher. Wenn Libyen besiegt und besetzt und Gaddafi möglicherweise auch ermordet wird, dann werden das Land und die Menshen die Segnungen des US-Kapitalismus pur erleben, wie schon der ehemalige Ostblock. Von wegen freie Erziehung, volle Gleichberechtigung der Frauen, freie Krankenversorgung, freies Wohnen, jeden Monat Anteile der Erdölgewinne auf dem Konto, subsidierte Lebensmittel, partizipative Demokratie. Die Menschen brauchen nur einen Blick auf den Irak zu werfen, um in ihre herrliche Zukunft zu schauen.
Aber für den gesamten afrikanischen Kontinent wird es zu einer furchtbaren Katastrophe werden. Ist Libyen erst einmal aus dem Weg geräumt, kann AFRICOM richtig losgehen. Das zersplitterte, macht- und wehrlose Afrika mit seinen unermesslichen Reichtümern, Bodenschätzen und landwirtschaftlichen Möglichkeiten wird einer neuen Epoche brutalster Ausbeutung, Erniedrigung und Versklavung entgegengehen. Jede Spur von Widerstand wird in den Anfängen mit äußerster Gewalt genau wie in den USA beseitigt. Man wird nicht warten, bis ein Cabral, Mondlane, Lumumba sich stark wächst. Die werden nach Möglichkeit schon in der Wiege abgemurkst. Dem schwarzen Kontinent steht eine noch schwärzere Zukunft bevor.
Einar Schlereth

Klavreström, 24. August 2011

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