Es war ein schlauer Schachzug Washingtons, Morsis
Moslembruderschaft zu engagieren. Ein neues Gesicht, aber ansonsten
alles beim Alten zu lassen, wie in Tunesien auch. Dass das aber keine
Dauerlösung sein konnte, konnte jeder an den fünf Fingern abzählen.
Denn Morsi hatte ja nichts zu bieten, außer der Sharia. Er hatte
kein neues politisches und kein wirtschaftliches Programm. Kein
Programm, um das ägyptische Volk aus seinem grenzenloses Elend zu
retten. Erstens ist er einer der reichsten Männer Ägyptens und
zweitens hat er sich ganz schnell mit den Militärs verbrüdert (ob
die Armee kollektiv in die Bruderschaft aufgenommen wurde, kann ich nicht sagen). Jedenfalls ist Morsi nach einem Jahr bankrott.
Genau so hätten es die Algerier auch machen sollen. Lasst sie an
die Regierung kommen, wo sie sich durch ihre Unfähigkeit
binnem kurzem selbst abwählen. Dann hätte man sich die unrechtmäßige,
undemokratische Einstellung der Wahl sparen können, hätte den
Fanatikern nicht den Trumpf des Märtyrertums geschenkt und
wahrscheinlich auch den blutigen 'Religionskrieg' vermieden, wo die
Fanatiker aber immerhin das Recht auf ihrer Seite hatten.
In Ägypten jedenfalls hat sich die Bruderschaft gründlich
desavouiert. Selbst die Polizei ist gespalten, aber wie es in der
Armee aussieht, lässt sich noch nicht mit Sicherheit sagen. Doch gerade dort wäre
eine Spaltung zu erwarten, weil es die de facto schon gibt: auf der
einen Seite die Generäle, die dick und fett in großen Teilen der
Wirtschaft sitzen – die sie schon unter Mubarak an sich gerissen
haben – und auf der anderen Seite die armen, heruntergekommenen
Soldaten, die den Lamettahengsten die Kohlen aus dem Feuer holen
sollen. Es fragt sich, ob die Progressiven die Zeit genutzt haben,
diesen Leuten die Augen zu öffnen.
In der ganzen Welt gehen Hundertausende, ja Millionen auf die
Straßen – in Chile,
Brasilien,
Türkei,
Spanien etc. - aber das reicht nicht. So lange die Kanonen und
Gewehre fest in der Hand der Herrschenden sind und mit Hilfe ihrer
künstlich hirnlos gemachten Soldateska überall auch brutal
eingesetzt werden, können die Eliten beruhigt einschlafen. Ohne Plan, Organisation und gründliche Vorbereitung werden diese Kräfte sinnlos vergeudet.
Wie oft noch muss das Volk diese Erfahrung machen?
Auf dem Schild steht 'Hau ab!' Und man beachte im Hintergrund die Schuhe!!! |
Anti-Regierungs-Demonstranten haben ein sit-in auf Kairos Tahrir-Platz schon vor den Massenprotesten am 30. Juni begonnen.
32 Zelte wurden in der Mitte des Platzes am 27. Juni errichtet und vier weitere nahe dem Ägyptischen Museum. Die geplanten Proteste am 30. Juni werden von der 'Rebel' Kampagne geführt, eine Mammuth-anti-Morsi-Petition Bewegung. Die islamistischen Anhänger Morsis bereiten sich auf Gegendemonstrationen vor.
Wütende Demonstranten sangen anti-Morsi-Lieder und gegen die Moslembruderschaft. Andere hielten Schuhe in die Höhe und rote Karten als Zeichen ihrer Verachtung.
Auch in Sharqiya fanden anti-Morsi-Demos statt. 243 Demonstranten wurden im Daqahliya-Gouvernat, 53 in Sharqiya und 2 in Gharbiya verletzt bei Zusammenstößen zwischen pro- und anti-Morsi-Demos.
Dutzende Anhänger der Bruderschaft wurden in Mansoura's Al-Sharraiya Moschee von wütenden Bewohnern eingesperrt, die das Gebäude am 26. Juni belagerten. Der Polizei gelang es nicht, die Demonstranten zu zerstreuen.
Im Menoufiya Gouvernat im Nildelta veranstalteten 3000 Oppositionsanhänger in der Stadt Shibin Al-Koum ein pausenloses Hukonzert. Tausende wütende Demonstranten führten mehrere Massendemos im Kafr El-Sheikh Gouvernat nach einer Rede des Präsidenten durch, die drei Stunden dauerte und nach Mitternacht endete.
In der Stadt Suez am Kanal marschierten hunderte Demonstranten aus Jugend- und revolutionären Bewegungen in den Straßen am frühen Morgen des 27. Juni, um ihre Wut über die Rede zu äußern.
In Kairo versammelten sich Tausende vor dem Verteidigungsministerium und auf dem Tahrir-Platz.
…
Eine gespaltene Polizei
Ägyptens frustrierter Polizeiapparat scheint angesichts der geplanten Demonstrationen gespalten zu sein, die Morsis Rücktrit und vorgezogene Wahlen fordern wollen.
Bei den geplanten landesweiten Protesten am 30. Juni gegen Morsi ist die Rolle der Polizei noch ungewiss.Seit der Erhebung im Januar 2011 ist die Polizei im Kreuzfeuer öffentlicher Angriffe gewesen wegen ihrer Folterpraktiken unter Mubarak und der Tötung von hunderten Demonstranten.
Die wiederholten Polizei-Exzesse stellten sich als einer der Hauptauslöser der 2011 Erhebung heraus, die zur Niederbrennung von 90 Poliziestationen führte.
Angesichts weit verbreiterte Ängste und der Möglichkeit einer Militär-Intervention [Morsi hat inzwischen am 28. Juni der Polizei und der Armee weitgehende Vollmachten erteilt. D. Ü.] befindet sich der Sicherheitsapparat in einem Dilemma.
Innenminister Mohamed Ibrahim war gezwungen, Stellung zu beziehen, aber sie war sehr unbestimmt. Am 10. Juni noch hatte er erklärt: „Polizei wir nicht bei den Protesten anwesend sein, damit friedliche Demonstranten frei ihre Meinung äußern können.“ [Ist inzwischen vielmals über den Haufen geworfen worden. D. Ü.]
Diese Erklärung ist auch sofort weithin kritisiert worden.
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Folglich wurde am 12. Juni eine widersprechende Erklärung abgegeben: „Polizeikräfte sind per Gesetz verpflichtet, die Sicherheit der Proteste am 30. Juni für alle Bürger, egal welcher politischen Richtung zu garantieren.“
Experten sagen, diese Änderung sei auf Druck von hohen Sicherheitsbeamten und der Opposition zustandegekommen, auch von der anti-Morsi-'Rebel'Kampagne. 'Rebel' ist eine Signatur, die im Mai aufkam, um dem Präsidenten [via Petition]„das Vertrauen zu entziehen“. Sie hat auch Unterstützung im Polizeiapparat gefunden, wo die Petition ebenfalls unterzeichnet wurde, wie verschiedene Medien berichteten.
Hesham Saleh, Sprecher des Ägyptischen Polizeioffiziers-Clubs … gab vor kurzem seiner Unzufriedenheit über die Gleichgültigkeit des islamistischn Regimes zum Ausdruck über die 205 Polizei-Todesfälle. Er zitierte auch die Entführung von sieben Soldaten im vergangenen Monat, wo die Täter nicht zur Verantwortung gezogen worden seien.
Die zunehmenden anti-Morsi und anti-Moslembruderschaft Gefühle in Teilen der Polizei werden außerdem illustriert durch die zahlreichen Soldaten-Beerdigungen, die sich in anti-Regierungsdemos verwandelten.
Der Club der Polizeioffiziere … hatte auf einem Treffen am 15. Juni die Strategie des Sicherheitsapparates für den 30. Juni festgelegt. Die Konferenz klärte die Rolle der Polizei im Dienst, die Uniform tragen werden zusammen mit denen, die als Zivilisten teilnehmen wollen. „Am 30. Juni wird die Polizei neutral sein und nur die Demonstranten, das Innenministerium und staatliches Eigentum verteidigen“, sagte der Polizeisprecher.
Und Polizeioffiziere erklärten auch, dann man nicht die Büros der Moslembruderschaft und ihr Hauptquartier im Moqattam-Viertel schützen werde. Ebensowenig die Büros anderer Parteien.
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Der berühmte Kampagne-Slogan der Moslembruderschaft „Islam ist die Lösung“ wurde besonders scharf von der Polizei kritisiert und als „eine Farce“ bezeichnet angesichts des weiter forschreitenden sozio-ökonomischen Niedergangs im Lande.
Abgesehen von offiziellen Erklärungen und Ereignissen sind auf der Straße die tiefen Trennungen zwischen und innerhalb hochrangiger Offiziere und auch in den mittleren und niedrigen Rängen offensichtlich.
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Einige einfache Polizisten … waren gegen die Anwesenheit der Polizei, weil sie meinen, dass sie apolitisch sein und sich aus den politishen Ereignissen heraushalten solle.
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Andere meinten, es ist die Entscheidung jedes einzelnen, ob er teilnehme oder nicht. Hingegen verteidigen viele junge Soldaten die 'Rebel' Kampagne und erklärten, dass sie mit dem Volk demonstrieren wollten, egal was der Innenminiser sage.
Viele dieser jungen unterbezahlten und überarbeiteten Soldaten der Sicherheitskräfte unterstützen und sympathisieren mit den Gefühlen und Forderungen der Demonstranten, da auch viele von denen aus ihren eigenen Familien kommen.
Gegner nehmen Morsis Rede auseinander.
Morsis lange Rede vom Mittwoch wurde von ägyptischen Oppositionellen nicht gut aufgenommen und auch nicht von dem Publikum auf den großen Demonstrationen am frühen Morgen des Donnerstag.
Der prominente Schriftsteller Alaa Al-Aswany [siehe hier und sein auch auf Deutsch erschienener Roman 'Der Jakubijan-Bau' ist sehr empfehlenswert. D. Ü.] bezeichnete die Rede als „miserabel“. Und er machte bissige Bemerkungen, wie Morsi die gegenwärtige politische Sackgasse als bloßen 'Konflikt' mit Figuren des alten Regimes und Strolchen, die Chaos anrichten wollen anseh, völlig unbekümmert um die Opposition, das Volk, das sie repräsentiert und ihre Forderungen. „Sind die 16 Millionen, die die 'Rebel'[-Petition] unterschrieben haben, Strolche und Überbleibsel [des alten Regimes]?“ fragte Al-Aswany, ein führendes Mitglied der oppositionellen Verfassungspartei.
Der Anwalt Gamal Eid seinerseits verriß den Präsidenten, weil er „sich rühme, er kenne Strolche beim Namen, während er nicht weiß, welche seiner Anhänger Shia- Moslems ermordet haben“.
Quelle - källa - source
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