Freitag, 11. Juli 2014

Michael Parenti: Gegen das Imperium

'Imperium' und 'Imperialismus' wird häufig benutzt, wobei den meisten Leuten unklar sein dürfte, worum es da eigentlich geht. Weil Michael Parenti ihn sehr einfach und einleuchtend erklärt -  er hat seinen Marx/Engels gelesen - übersetze ich das erste Kapitel seines Buches, das just "Gegen das Imperium" heißt.


Michael Parenti: Gegen das Imperium

22. Juni 2011

Michael Parenti
Imperialismus ist die mächtigste Kraft in der Welt-Geschichte der vergangenen vier oder fünf Jahrhunderte, die ganze Kontinente zerstückelten [oder vollständig an sich rissen wie Nordamerika und Australien. D. Ü.], wobei die einheimischen Völker unterdrückt und ganze Zivilisationen ausgelöscht wurden. Dennoch wird ihm selten ernste Aufmerksamkeit von unseren Akademikern, Medien-Kommentatoren und politischen Führern gewidmet. Wenn er nicht direkt ignoriert wird, dann wird der Begriff des Imperialismus gesäubert, so dass aus Imperien "Commonwealths" [=gemeinsamer Reichtum, kein Witz, so heißt das. D. Ü.] aus Kolonien "Territorien" oder "Dominions" (oder wie im Fall Puerto Rico ebenfalls "Commonwealths") werden. Imperialistische militärische Interventionen werden zu Fragen "nationaler Verteidigung", "Nationaler Sicherheit" und Aufrechterhaltung von "Stabilität" in der einen oder anderen Region. In diesem Buch will ich Imperialismus als das betrachten, was er wirklich ist.
Quer über den ganzen Globus

Mit "Imperialismus" meine ich den Prozess, bei dem die herrschenden politisch-ökonomischen Interessen einer Nation für ihre eigene Bereicherung das Land, die Arbeit, die Rohmaterialien und die Märkte eines anderen Volkes enteignet. Die frühesten Opfer des westlichen europäischen Imperialismus waren andere Europäer. Vor etwa 800 Jahren wurde Irland die erste Kolonie dessen, was später als Britisches Imperium bekannt wurde. Ein Teil Irlands ist immer noch unter britischer Besatzung. Andere frühe kaukasische Opfer waren etwa die Ost-Europäer. Die Menschen, die Karl der Große sich in seinen Bergwerken zu Tode schuften ließ zu Beginn des 9. Jd. waren Slawen. So häufig und lang andauernd war diese Versklavung von Ost- Europäern, dass das Wort "Sklave" sich von "Slawe" ableitet. Ost-Europa war eine frühe Quelle von Kapital-Akkumulation und wurde bis zum 17. Jh. völlig abhängig von westlichen Fabrikerzeugnissen.

Ein besonders scheußliches Beispiel von inter-europäischem Imperialismus war die Nazi-Aggression im 2. Weltkrieg, die den deutschen Geschäftkartellen und dem Nazi-Staat eine Gelegenheit gab, die Ressourcen zu plündern einschließlich der Sklavenarbeit in den KZ's.

Der überwiegende Stoß der europäischen, nordamerikanischen  und japanisch-kaiserlichen Mächte war gegen Afrika, Asien und Lateinamerika gerichtet. Im 19. Jd. sah man die Dritte Welt nicht nur als Quelle für Rohmaterialien und Sklaven, sondern auch als Markt für Fertigprodukte. Im 20. Jh. exportierten die Industrie-Nationen nicht nur Güter, sondern auch Kapital in Form von Maschinen, Technologie, Investitionen und Darlehen. [Diese Interpretation hat Michael Parenti direkt von Marx übernommen. Aber sie ist mir schon bei der Lektüre von Marx als schief vorgekommen. Wenn ich ein Auto exportiere, dann erhalte ich mein Geld dafür und das Auto gehört einem Ausländer. Geht aber ein Kapitalist mit einem Koffer voll Geld in die Dritte Welt, um dort eine Fabrik zu bauen, dann geht die Fabrik um kein Geld in der Welt in den Besitz jenes Landes über. Allenfalls dann, wenn sie nach einer Reihe von Jahren sich zig-mal bezahlt gemacht hat und schrottreif ist, darf sie das betreffende Land gegen teures Geld übernehmen. Es handelt sich also nicht um Export, sondern um eine fortgeschrittene, technologisierte Ausbeutung. D. Ü.] Zu sagen, dass wir das Stadium von Kapital-Export und Investitionen betreten haben, bedeutet nicht, dass die Plünderung der Natur- Ressourcen aufgehört hat. Wenn etwas, dann hat sie sich noch mehr beschleunigt.

Unter den verschiedenen Begriffen von Imperialismus, die heute in den USA zirkulieren, gibt es die allgemeine Ansicht, dass er nicht existiert. Imperialismus wird nicht als legitimes Konzept anerkannt, besonders nicht in Bezug auf die USA. Man kann von "Sowjet-Imperialismus" oder dem "Britischen Imperialismus des 19. Jh." sprechen, aber nicht vom US-Imperialismus. Ein Student politischer Wissenschaften würde an den meisten Unis dieses Landes keine Gelegenheit bekommen, eine Arbeit über den US-Imperialismus zu schreiben unter dem Vorwand, dass so etwas nicht wissenschaftlich wäre. Während viele Leute in der ganzen Welt die USA anklagen, eine imperialistische Macht zu sein, werden in diesem Land Leute, die vom US-Imperialismus sprechen als Leute beurteilt, die ideologisch dummes Zeug reden.

Die Dynamik der Kapital-Expansion


Imperialismus ist älter als Kapitalismus. Die persischen, mazedonischen, römischen und mongolischen Imperien existierten alle vor den Rothschilds und Rockefellers. Kaiser und Konquistadoren waren meistens an Plünderei und Tribut interessiert, an Gold und Gloria. Kapitalistischer Imperialismus (KI) unterscheidet sich von diesen früheren Formen in der Weise, dass er systematisch Kapital akkumuliert durch organisierte Ausbeutung der Arbeit und der Durchdringung von Überseemärkten.  KI investiert in anderen Ländern, formt um und beherrscht ihre Ökonomien, Kulturen und politisches Leben, und integriert ihre finanziellen und produktiven Strukturen in ein internationales System von Kapital-Akkumulation. Ein zentraler Imperativ des Kapitalismus ist Expansion. Investoren werden ihr Geld nicht in Unternehmen stecken, wenn sie nicht mehr herausholen als sie hineinstecken. Vermehrte Gewinne kommen nur durch Wachstum im Unternehmen. Der Kapitalist sucht unentwegt nach Wegen, mehr Geld zu machen, um noch mehr Geld zu machen. Man muss immer investieren, um Profite zu machen und so viel Macht ansammeln, um gegen Konkurrenten und unvorhersehbare Märkte zu bestehen.

Angesichts seiner expansionistischen Natur hat der Kapitalismus wenig Neigung, zuhause zu bleiben. Vor beinahe 150 Jahren beschrieben Marx und Engels eine Bourgeoisie, dass "sie über die ganze Erdoberfläche jagt. Sie muss sich überall einnisten, sich überall niederlassen, Verbindungen überall herstellen ... Sie schafft eine Welt nach ihrem eigenen Bild." Die Expansionisten zerstören ganze Gesellschaften. Selbstversorgende Völker werden gewaltsam umgewandelt, in entrechtete Lohnarbeiter verwandelt. Indigene Gemeinschaften und Volkskulturen werden mit Massenmärkten, Massenmedien, Konsum-Gesellschaften ersetzt. Gemeinschaftsland wird mit Fabrik-Farmen des Agrobusiness ersetzt, Dörfer werden zu trostlosen Elendsvierteln, autonome Regionen zu zentralisierten Autokratien.
Bedenkt nur eins von tausend solcher Beispiele. Vor ein paar Jahren hatte die Los Angeles Times einen Sonder-Report über die Regenwälder auf Borneo [Parenti meint Kalimantan im Südchinesischen Meer. D. Ü.].

Nach ihren eigenen Aussagen führten die Leute dort ein zufriedenes Leben. Sie jagten, fischten und zogen ihre Nahrungsmittel in ihren Dschungelgärten und Obsthainen. Aber ihre ganze Lebensweise wurde rücksichtslos ausradiert durch ein paar gigantische Unternehmen, die den Regenwald [den ältesten der Welt! D. Ü.] zerstörten, um die Harthölzer für schnelle Profite zu ernten. Ihr Land wurde in ein ökologisches Katastrophengebiet verwandelt und sie selbst in entrechtete Bewohner von Elendsvierteln, gezwungen für Hungerlöhne zu schuften - wenn sie überhaupt eine Arbeit finden.

Nordamerikanische und europäische Multis haben die Kontrolle über mehr als drei Viertel der bekannten Mineral-Ressourcen Asien, Afrikas und Lateinamerikas. Aber der Gewinn von Naturressourcen ist nicht der einzige Grund für die kapitalistische Expansion in Übersee. Es gibt die zusätzliche Notwendigkeit, die Produktionskosten zu senken und die Profite zu maximieren indem man in Ländern mit billigerer Arbeitskraft investiert. Auslandsinvestitionen der US-Multis  wuchsen zwischen 1985 bis 1990 um 84 %, wobei der größte Zuwachs in Billiglohnländern wie Süd-Korea, Taiwan, Spanien und Singapur geschah.

Wegen der niedrigen Löhne, niedrigen Steuern, nicht existierender Arbeits-Zusatzleistungen, schwachen Gewerkschaften und abwesenden Arbeits- und Umwelt-Schutzes sind die Profite der US-Multis in der Dritten Welt um 50 % höher als in entwickelten Ländern. Citibank, eine der größten US-Firmen macht 75 % ihrer Profite in Übersee. Während die Profitraten zuhause manchmal ein flaues Wachstum haben, sind die Profite in Übersee dramatisch gestiegen, was die Entwicklung der multinationalen oder transnationalen Korporationen förderte. Heute kontrollieren etwa 400 Multis ca. 80 % der Kapital-Einlagen des globalen freien Marktes; und  sie dehnen ihre Kontrolle auf die ex-kommunistischen Länder Osteuropas aus.

Multis haben eine globale Produktionskette entwickelt. GM hat Fabriken, die Autos, LKWs und eine große Palette von Autoersatzteilen in Kanada, Brasilien, Venezuela, Spanien, Belgien, Jugoslawien, Nigeria, Singapur, den Philippinen, Südafrika, Südkorea und einem Dutzend anderer Länder herstellen. Diese "Vielzahl an Quellen" ermöglicht es GM, Streiks in einem Land zu überstehen, indem sie die Produktion in einem anderen Land erhöhen, die Arbeiter verschiedener Länder gegeneinander ausspielen, um Lohn- und Leistungsforderungen zu entmutigen und Strategien der Gewerkschaften zu unterminieren.

Nicht notwendig, nur verlockend

Manche Autoren bezweifeln, ob der Imperialismus eine notwendige Bedingung für den Kapitalismus ist, indem sie darauf verweisen, dass das meiste West-Kapital in westlichen Ländern und nicht in der Dritten Welt investiert is. Wenn die Unternehmen alle ihre Investitionen in der Dritten Welt verlören, meinen sie, könnten sie immer noch mit ihren europäischen und amerikanischen Märkten überleben. Als Antwort sollte man beachten, dass der Kapitalismus vielleich ohne Imperialismus auskäme - aber er zeigt keine Neigung, es zu tun. [Hier steht MP im Widerspruch zu Marx, der schrieb, dass die imperiale Expansion eine Notwendigkeit sei bei Strafe des Untergangs, was leicht einsehbar ist. D. Ü.] Er zeigt keinen Wunsch, auf die enorm profitablen Unternehmen in der Dritten Welt zu verzichten. Imperialismus mag keine notwendige Bedingung für das Überleben des Investors sein, aber es scheint eine inhärente Tendenz und eine natürliche Folge des fortgeschrittenen Kapitalismus zu sein [na bitte, da widerspricht er sich selbst und entspricht Marx. D. Ü.] Imperiale Beziehunen mögen nicht der einzige Weg zum Profit sein, aber sie sind der lukrativste Weg. Ob Imperialismus für den Kapitalismus notwendig ist, ist nicht wirklich die Frage. Viele Dinge, die nicht absolut notwendig sind, sind gleichwohl sehr wünschenswerte Bedingungen, um verlockend attraktiv zu sein. Superprofite mögen nicht notwendig für das Überleben des Kapitalismus sein, aber das Überleben ist es nicht allein, woran Kapitalisten interessiert sind. Superprofite sind sehr bevorzugt gegenüber bescheidenen Profiten. Dass es keine Notwendigkeit zwischen Kapitalismus und Imperialismus geben mag, heißt nicht, dass es nicht eine Verlockung ist.

Dasselbe gilt für andere soziale Dynamiken. Z. B. muss Reichtum nicht notwendig zu luxuriösem Leben führen. Ein größerer Teil der Reichtümer der besitzenden Klasse könnte für Investitionen benutzt werden statt für persönlichen Konsum. Der sehr Reiche könnte von bescheideneren Summen überleben, aber die meisten bevorzugen das nicht. In der ganzen Geschichte haben reiche Klassen eine Vorliebe gezeigt, das Beste von allem zu bekommen. Der ganze Zweck mit dem  Reichwerden von anderer Leute Arbeit, ist schließlich, gut zu leben, alle Formen von gedankenlosem Schuften und Schinderei zu vermeiden, die großen Gelegenheiten eines üppigen Lebensstiles mit ärztlicher Versorgung, Erziehung, Reisen, Erholung, Sicherheit, Muße sowie die Gelegenheiten für Macht und Prestige zu genießen. Zwar ist nichts von all diesen Dingen wirklich "notwendig", so klammern sie sich doch inbrünstig daran, all jene, die sie besitzen - wie man an den gewaltsamen Maßnahmen ermessen kann, die von den bevorteilten Klassen gebilligt wurden, wann immer sie die Drohung einer gleichmachenden oder nivellierenden demokratischen Kraft spüren.

Mythen der Unterentwicklung

Die verarmten Länder Asiens, Afrikas und Lateiamerikas sind uns als "Dritte Welt" bekannt, um sie von der "Ersten Welt" des industrialisierten Europa und Nordamerikas  und der weitgehend verschwundenen "Zweiten Welt" der kommunistischen Staaten zu unterscheiden. Die Dritte Welt-Armut, genannt "Unterentwicklung" wird von den meisten westlichen Beobachtern als ein genuin historischer Zustand angesehen. Man verlangt von uns zu glauben, dass er schon immer existierte, dass arme Länder arm sind, weil ihre Länder immer unfruchtbar oder ihre Menschen unproduktiv waren. In Wirklichkeit haben die Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas lange einen große Reichtum an Nahrungsmitteln, Mineralien und anderen Naturressourcen erzeugt. Deswegen machten sich ja die Europäer all die Mühe, sie zu stehlen und zu plündern. Man geht nicht in arme Länder, um sich zu bereichern. Die Dritte Welt ist reich. Nur ihre Menschen sind arm - und das wegen der Plünderung, die sie erdulden mussten.

Der Prozess der Enteignung der Naturressourcen der Dritten Welt begann vor Jahrhunderten und geht bis heute weiter. Zuerst zogen die Kolonisierer das Gold, Silber, Pelze, Seide und Gewürze heraus, dann Flachs, Hanf, Holz, Molasse, Zucker, Rum, Gummi, Tabak, Kaliko, Kakao, Baumwolle, Kupfer, Kohle, Palmöl, Zinn, Eisen, Elfenbein und später Erdöl, Zink, Mangan, Quecksilber, Platin, Kobalt, Bauxit, Aluminium und Uran. Nicht zu vergessen, die teuflischte aller Enteignungen, die Entführung von Millionen menschlicher Wesen für die Sklavenarbeit.

Über die Jahrhunderte der Kolonisierung hinweg sind viele eigennützige imperialistische Theorien gesponnen worden. Ich wurde in der Schule gelehrt, dass Menschen in den Tropen träge seien und nicht so hart arbeiten wie Bewohner der gemäßigten Zonen. In Wirklichkeit haben die Einwohner warmer Klimata bemerkenswert produktive Taten vollbracht, haben großartige Zivilisationen aufgebaut, bevor Europa aus dem dunklen Zeitalter heraustrat. Und heute arbeiten sie lange und harte Stunden für magere Löhne. Doch das alte Stereotyp vom "faulen Eingeborenen" sitzt fest in uns. In jeder kapitalistischen Gesellschaft werden die Armen - sowohl zuhause wie in Übersee - regelmäßig für ihren Zustand verantwortlich gemacht.

Wir hören, dass Dritte Welt Leute kulturell zurückgeblieben sind in ihrem Verhalten, ihren Sitten und technischen Fähigkeiten. Es ist eine bequeme Vorstellung derjenigen, die westliche Investitionen als Rettungsoperation darzustellen, um den zurückgebliebenen Menschen zu helfen, sich selbst zu helfen. Der Mythos von der "kulturellen Zurückgebliebenheit" geht auf das Altertum zurück, das die Eroberer benutzten, um die Versklavung indigener Völker zu rechtfertigen. Es wurde von den europäischen Kolonisatoren in den vergangenen fünf Jahrhunderten zum selben Zweck verwendet.

Auf welche kulturelle Überlegenheit konnten sich denn die alten Europäer berufen? Vom 15. bis zum 19. Jh. waren die Europäer in einer Reihe von Dingen "voraus", wie etwa in der Anzahl des Hängens, Mordens und anderer gewalttätiger Verbrechen; die Fälle von Geschlechtskrankheiten, Pocken, Typhus, Tuerkulose, Pest und sonstige körperliche Gebrechen: soziale Ungleichheit und Armut (sowohl in der Stadt als auf dem Lande); Misshandlung der Frauen und Kinder sowie der Häufigkeit von Hungersnöten, Sklaverei, Prostitution, Piraterei, religiösen Massakern und Folter der Inquisition. Jene, die behaupten, der Westen sei die fortgeschrittenste Zivilisation, sollten an diese "Taten" denken.

Ernster war, dass Europa einen großen Vorteil bei der Seefahrt [nachdem sie sie von den Arabern erlernt hatten. D. Ü.] und der Waffen hatten. Musketen und Kanonen, Repetier-Geschütze und Kanonenboote, und heute Raketen, Kampfhubschrauber und Kampfbomber sind entscheidende Faktoren gewesen, als der Westen auf den Osten traf und der Norden auf den Süden. Überlegene Feuerkraft, nicht überlegene Kultur, hat die Europäer und die Euro-Nordamerikaner zur Position der Oberherrschaft gebracht, die heute noch mit Gewalt aufrechterhalten wird, doch nicht allein mit Gewalt.

Es wurde gesagt, dass die kolonisierten Völker biologisch zurückgeblieben und weniger entwickelt seien als ihre Kolonisatoren. Ihre "Wildheit" und das "niedrigere" Niveau der kulturellen Evolution sind ein Sinnbild für ihre unterlegene genetische Evolution. Aber waren sie kulturel unterlegen? In vielen Teilen, die heute als Dritte Welt angesehen werden, entwickelten die Menschen eindrucksvolle Kenntnisse in Architektur, Gartenbau, Handwerk, Jagd, Fischerei, Geburtshilfe, Medizin und anderen Dingen. Ihre sozialen Sitten waren oft weit anmutiger und humaner und weniger autokratisch und repressive als alles, was es in Europa zu jener Zeit gab.  Natürlich müssen wir diese indigenen Gesellschaften nicht romantisieren, von denen einige grausame und ungewöhnliche Praktiken hatten. Aber im allgemeinen genossen jene Menschen ein gesünderes, glücklicheres Leben, mit mehr Freizeit als die meisten Bewohner Europas.

Es gibt noch mehr beliebte Theorien. Wir hören, dass die Armut der Dritten Welt der Überbevölkerung geschuldet ist, dass zu viele Menschen zu viele Kinder ernähren müssen. In Wirklichkeit sind viele Länder der Dritten Welt in den vergangenen Jahrhunderten weniger dicht bevölkert gewesen als bestimmte Teile Europas. Indien hat weniger Menschen pro Acre - aber mehr Armut - als Holland, Wales, England, Japan, Italien und ein paar weitere Industrie-Nationen. Außerdem sind es die industrialisierten Länder der Ersten Welt, nicht die Armen der Dritten, die 80 % der Welt-Ressourcen verschlingen und die größte Bedrohung für die Ökologie des Planeten sind. [Hier hat MP einen wichtigen Punkt übersehen. Es sind die Weißen in Europa gewesen, die sich wie die Karnickel vermehrten. Aber sie rissen sich einfach ein paar Kontinente und etliche Länder unter den Nagel, wo sie dann ihren Überschuss - und auch Abschaum - abladen konnten. D. Ü.]

Aber man kann nicht leugnen, dass die Überbevölkerung ein wirkliches Problem für die Ökosphäre der Erde ist. Begrenzung des Bevölkerungs-Wachstums in allen Ländern würde der globalen Umwelt gut tun, aber sie würde nicht die Probleme der Armen lösen - weil Überbevölkerung an sich nicht die Ursache der Armut ist, sondern einer ihrer Effekte. Die Armen neigen dazu, große Familien zu haben, weil Kinder eine Quelle der Familienarbeit und des Einkommens sind und eine Hilfe im hohen Alter.

Frances Moore Lappé  und Rachel Schuman fanden, dass von 70 Ländern der Dritten Welt sechs Länder - China, Sri Lanka, Kolumbien, Chile, Burma und Kuba - sowie der Staat Kerala in Indien es fertig brachten, ihre Geburtsraten um ein Drittel zu senken. Sie genießen weder eine dramatische Industrialisierung noch hohes Pro-Kopf-Einkommen noch ausgedehnte Familienplanungsprogramme. Die Faktoren, die sie gemeinsam hatten, waren allgemeine Schulpflicht und Gesundheitsfürsorge, eine Verminderung der ökonomischen Ungleichheit, Verbesserung der Frauenrechte, Subsidien für Nahrungsmittel und in einigen Fällen Landreform. Mit anderen Worten wurde die Fruchtbarkeitsrate nicht durch kapitalistische Investitionen und ökonomisches Wachstum erreicht, sondern durch sozio-ökonomische Verbesserungen,
wenn auch in bescheidenem Maße und begleitet durch die Entwicklung der Frauenrechte.

Künstlich in Armut verwandelt

Was "Unterentwicklung" genannt wird, ist eine Reihe von sozialen Beziehungen, die Ländern gewaltsam aufgezwungen wurden. Mit der Ankunft der westlichen Kolonisatoren wurden die Völker der Dritten Welt in Wirklichkeit in ihrer Entwicklung für Jahrhunderte zurückgeworfen. Der britische Imperialismus in Indien liefert ein aufschlussreiches Beispiel. 1810 exportierte Indien mehr Textilien nach England als umgekehrt. 1830 war der Warenfluss umgekehrt worden. Die Briten hatten extreme Zollbarrieren errichtet,  um indische Fertigprodukte auszusperren und verramschten dann ihre Produkte in Indien, eine Praxis, die von Kanonenbooten und Armee unterstützt wurde. Innerhalb weniger Jahre waren die großen Textilzentren von Dacca und Madras in Geisterstädte verwandelt. Die Inder wurden zurück aufs Land geschickt, um Baumwolle für die britischen Textilfabriken anzubauen.

Indien wurde wirklich in eine Kuh verwandelt, die von den britischen Finanziers gemolken wurde. Bis 1850 waren Indiens Schulden auf 53 Mill. Pfund gestiegen. Von 1850 bis 1900 fiel das pro-Kopf-Einkommen um beinahe zwei Drittel. Der Wert der Rohmaterialien und Güter, die Inder verpflichtet waren, nach England zu schicken im ganzen 19. Jh. betrug jährlich mehr als das gesamte Einkommen der 60 Millionen indischen Land- und Industriearbeiter. Die massive Armut, die wir mit Indien verbinden, war nicht der ursprüngliche historische Zustand des Landes. Der britische Imperialismus tat zwei Dinge: Zuerst beendete er die indische Entwicklung und dann hat er gewaltsam das Land unterentwickelt.

Ähnliche Ausblutungsprozesse geschahen in der gesamten Dritten Welt [mit Bezug auf die Textilindustrie exakt wie in Indien auch in Nigeria, von wo die qualitativ besten Tuche der Welt kamen. Kann man bei Basil Davidsson nachlesen. D. Ü.] Der enorme herausgezogene Reichtum sollte uns daran erinnern, dass es ursprünglich sehr wenig arme Länder gab [zu denen vor 100 Jahren noch Schweden zählte. D. Ü.] Länder wie Brasilien, Indonesien, Chile, Bolivien, Zaire, Mexiko, Malaysia und die Philippinen waren und sind manchmal noch reich an Ressourcen. Manche Länder sind so gründlich geplündert worden, dass sie in jeder Hinsicht völlig verwahrlost sind. Der größte Teil jedoch der Dritten Welt ist nicht "unterentwickelt", sondern überausgebeutet. Westliche Kolonisierung und Investitionen  haben einen niedrigeren statt einen höheren Lebensstandard geschaffen.

In Bezug auf das, was die Briten den Irländern antaten, schrieb Friedrich Engels 1856: "Wie oft haben die Iren begonnen, etwas zu erreichen, und jedesmal wurden sie politisch und industriell zerschmettert. Durch konsequente Unterdrückung sind sie künstlich in ein äußerst verarmtes Land verwandelt worden." So geschah es mit dem größten Teil der Dritten Welt. Die Mayas in Guatemala hatten im frühen 16. Jahrhundert, vor der Ankunft der Europäer, eine nahrhaftere, abwechslungsreichere Diät und einen besseren Gesundheits-Zustand als heute. Sie hatten mehr Handwerker, Architekten, Kunsthandwerker und Gartenbau-Experten als heute. Was Unterentwickelung genannt wird, ist kein ursprünglicher historischer Zustand, sondern ein Produkt der Superausbeutung des Imperialismus. Unterentwicklung ist selbst eine Entwicklung.

Der Imperialismus hat das geschaffen, was ich eine "Fehlentwicklung" genannt habe: moderne Bürogebäude und Luxushotels in der Hauptstadt statt Wohnungen für die Armen, Kosmetik-Chirurgie-Kliniken für die Betuchten statt Krankenhäuser für die Arbeiter, für den Export bestimmte landwirtschaftliche Güter für das Agrobusiness statt Nahrung für die örtlichen Märkte, Schnellstraßen, die von den Bergwerken und riesigen Farmen zu den Raffinerien und Häfen gehen, statt Straßen im Hinterland für jene, die vielleicht hoffen, einen Arzt oder Lehrer zu sehen.

Der Reichtum wird von den Völkern der Dritten Welt an die ökonomischen Eliten Europas und Nordamerika (und seit jüngerer Zeit Japans) transferiert durch direkte Plünderei, durch Enteignung der Naturressourcen, die Erzwingung runinöser Steuern und Landpachten, die Bezahlung von Elendslöhnen und dem erzwungenen Import von Fertigprodukten zu stark überhöhten Preisen. Dem kolonisierten Land wird die Freiheit des Handels verweigert und die Gelegenheit, seine eigenen Naturressourcen, Märkte und Industrien zu  entwickeln. Selbstversorgung und Eigenarbeit muss der Lohnarbeit weichen. Von 1970 bis 1980 wuchs die Zahl der Lohnarbeiter in der Dritten Welt von 72 auf  120 Millionen mit steigender Tendenz [dann gibt es hier Leute, die behaupten, es gäbe keine Arbeiter mehr. D. Ü.]

Hunderte Millionen Menschen in der Dritten Welt leben jetzt im Elend in abgelegenen Dörfern und überfüllten städtischen Slums, leiden unter Hunger, Krankheit und Analphabetentum, oft weil das Land, das sie einst bebauten, nun vom Agrobusiness kontrolliert wird, die es für den Bergbau oder Export-Feldfrüchte wie Kaffee, Zucker und Rindfleisch benutzen, statt Bohnen, Reis und Mais für den eigenen Bedarf anzubauen. Eine Studie von 20 der ärmsten Länder, aus offiziellen Statistiken zusammengestellt, fand, dass die Zahl der Leute, die in "absoluter Armut" leben oder dem schlimmsten Elend, die Ärmsten der Armen, um 70000 täglich steigt und im Jahr 2000 etwa 1.5 Mrd. erreichen wird (San Francisco Examiner vom 8. Juni 1994).

Der Imperialismus zwingt Millionen Kinder in der ganzen Welt, ein Alptraum-Leben zu leben, ihre mentale und physische Gesundheit ist schwer geschädigt durch endlose Ausbeutung. Ein Dokumentarfilm auf dem Discovery Channel (24. April 1994) berichtete, dass in Ländern wie Russland, Thailand und Philippinen große Mengen von Kindern in die Prostitution verkauft werden, um ihren verzweifelten Familien beim Überleben zu helfen [das war noch zu Zeiten von Jetsin. D. Ü.] In den Ländern Mexiko, Indien, Kolumbien und Ägypten werden Kinder zu gesundheitsschädlicher Arbeit vom Morgengrauen bis zur Dunkelheit auf Farmen, Fabriken und Bergwerken für Pfennige gezwungen, ohne Gelegenheit zu spielen, zur Schule oder zu einem Arzt zu gehen.

In Indien werden 55 Millionen Kinder zur Arbeit gezwungen. Zehntausende schuften in Glasfabriken bei Temperaturen bis zu 38° C. In einer Fabrik arbeiten 4-jährige vom 5 Uhr morgens bis in die Nacht und atmen Dämpfe ein, wodurch sie Emphysem bekommen, Tuberkulose und andere Atemkrankheiten. Auf den Philippinen und in Malaysia haben die Unternehmen Druck gemacht, die Altersbestimmungen für die Arbeit zu streichen. Die Jagd nach Profit wird zu einer Jagd nach dem Bösen.

Entwicklungs-Theorie

Wenn wir sagen, ein Land sei "unterentwickelt", implizieren wir, dass es rückständig und irgendwie zurückgeblieben ist, dass sein Volk wenig Fähigkeiten zeigt, etwas zu erreichen und voranzukommen. Der negative Beiklang von "unterentwickelt" hat bewirkt, dass die UNO, das Wall Street Journal und Parteien verschiedener politischer Couleur die Länder der Dritten Welt nun als "sich entwickelnde" Länder bezeichnen, ein Begriff, der ein bisschen weniger beleidigend als "unterentwickelt" ist, aber gleichermaßen irreführend. Ich ziehe es vor,  "Dritte Welt" zu benutzen, weil "sich entwickelnd" nur eine euphemistische Weise ist zu sagen "unterentwickelt, aber verspätet anfängt, etwas dagegen zu tun". Das impliziert immer noch, dass es ein ursprünglicher Zustand war und nicht von den Imperialisten verursacht wurde. Es deutet auch fälschlicherweise an, dass diese Länder sich entwickeln, während sich in Wirklichkeit ihre ökonomischen Bedingungen verschlechtern.

Die beherrschende Theorie im vergangenen halben Jahrhundert, die wiederholt von Leuten wie Barbara Ward und W. W. Rostow ausgedrückt wurde und in den USA und anderen Teilen der westlichen Welt beliebt wurde und die behauptet, dass die reichen Länder des Nordens die Aufgabe haben, die "rückständigen" Nationen des Südens nach oben zu bringen, indem wir ihnen Technologie bringen und sie lehren, ordentlich zu arbeiten. Dies ist eine upgedatete Version von der "Bürde des Weißen Mannes", ein Favorit der imperialistischen Phantasie.

Laut diesem Entwicklungs-Szenario werden durch Einführung von West-Investitionen Arbeiter freigesetzt, die dann produktivere Anstellung im modernen Sektor zu höheren Löhnen finden. Wenn das Kapital akkumuliert, werden die Geschäftsleute ihre Profite reinvestieren, wodurch mehr Produkte, Jobs, Kaufkraft und Märkte geschaffen werden. Am Ende wird eine wohlhabendere Gesellschaft entstehen.

Diese "Entwicklungs-Theorie" oder "Modernisierungs- Theorie", wie sie manchmal genannt wird, hat wenig Ähnlichkeit mit der Realität. Was in der Dritten Welt entstanden ist, ist eine intensiv ausbeuterische Form von abhängigem Kapitalismus. Die ökonomischen Bedingungen haben sich drastisch verschlechtert mit den Investitionen der Multis. Das Problem ist nicht arme Länder oder unproduktive Bevölkerungen, sondern ausländische Ausbeutung und Klassen-Ungleichheit. Die Investoren gehen in ein Land, nicht um es emporzuheben, sondern um sich selbst zu bereichern.

Die Menschen in diesen Ländern müssen nicht gelehrt werden, wie sie das Land bearbeiten müssen. Sie brauchen Land und die Mittel für den Anbau. Sie müssen nicht das Fischen gelehrt werden. Sie brauchen Boote und Netze und Zugang zur Küste, Buchten und Ozeanen. Sie brauchen Industrien, die nicht ihre giftigen Abfälle in die Gewässer kippen. Sie müssen nicht überzeugt werden, dass sie hygienische Standards benutzen müssen. Sie brauchen kein Friedens-Freiwilligen-Corps, das ihnen erzählt, ihr Wasser zu kochen, zumal wenn sie sich kein Brennstoff leisten können und keinen Zugang zu Brennholz haben. Sie brauchen die Bedingungen, die ihnen erlauben, sauberes Trinkwasser zu haben und saubere Kleidung und Häuser. Sie brauchen keinen Rat über ausgeglichene Nahrung von Nordamerikanern. Sie wissen gewöhnlich, welche Nahrung am besten für ihre Nährstofferfordernisse ist. Sie müssen ihr Land und ihre Arbeitskraft zurückbekommen, damit sie für sich arbeiten können und die Nahrung für ihren eigenen Bedarf anbauen können.

Das Erbe der imperialen Beherrschung ist nicht nur Elend  und Kampf, sondern eine ökonomische Struktur, die von einem Netzwerk internationaler Unternehmen beherrscht wird, das selbst abhängig ist von Muttergesellschaften in Nordamerika, Europa und Japan.

Wenn es irgendeine Harmonisierung oder Integration gibt, dann unter den globalen Investitions-Klassen, nicht unter den indigenen Ökonomien dieser Länder. Die Ökonomien der Dritten Welt verbleiben fragmentiert und nicht integriert zwischen einander und innerhalb, was sowoh den Fluss von Kapital und Güter als auch der Technologie und Organisation angeht. Kurz gesagt, ist das, was wir haben, eine Weltökonomie, die wenig mit den ökonomischen Bedürfnissen der Völker der Welt hat.

Neoimperialismus: die Sahne abschöpfen

Manchmal wird die imperiale Beherrschung erklärt mit dem Entstehen eines inneren Wunsches nach Herrschaft und Expansion, einem "territorialen Imperativ". In der Tat ist der territoriale Imperialismus nicht mehr die vorherrschende Methode.

Verglichen mit dem 19. Jh. und dem frühen 20. Jh. als die europäischen Mächte die Welt untereinander aufteilten, ist heute fast kein koloniales Dominion mehr übrig. Oberst Blimp ist tot und begraben [eine englische Cartoon-Figur eines reaktionären Kolonialisten. D. Ü.], ersetzt durch Männer in Geschäftsanzügen. Statt von der imperialen Macht direkt kolonisiert zu werden, wurden den schwachen Ländern die Fallen der Souveränität gewährt - während das westliche Finanzkapital die Kontrolle über den größten Teil der Naturressourcen behält. Diese Beziehung läuft unter verschiedenen Namen: "informelles Imperium", "Kolonialismus ohne Kolonien", "Neo-Kolonialismus" und "Neo-Imperialismus". Amerikanische politische und Business-Bosse waren unter den ersten Anwendern dieser neuen Art von Imperium, vor allem in Kuba zu Beginn des 20. Jh. Nachdem sie gewaltsam die Insel Spanien im Krieg von 1898 entrissen hatten, gaben sie Kuba schließlich seine formale Unabhängigkeit. Die Kubaner hatten jetzt ihre eigene Regierung, Verfassung, Flagge, Währung und Sicherheitskräfte. Aber größere außenpolitische Entscheidungen  blieben in den Händen der USA wie auch der Reichtum der Insel, seine Zucker-, Tabak- und Touristen-Industrie sowie der Im- und Export.

Historisch sind die Interessen der US-Kapitalisten weniger an der Gewinnung von mehr Kolonien interessiert gewesen als vielmehr an der Gewinnung von Reichtum, ohne sich darum zu kümmern, die Länder selbst zu besitzen und zu verwalten. Unter dem Neo-Imperialismus bleibt die Fahne zuhause, während der Dollar überall hingeht - gewöhnlich vom Schwert begleitet.

Nach dem 2. Weltkrieg nahmen auch die europäischen Mächte wie England und Frankreich die Strategie des Neo-Imperialismus an. Da sie nach Jahren des Krieges finanziell erschöpft waren und intensivem Widerstand der Völker in der Dritten Welt gegenüberstanden, beschlossen sie widerstrebend, dass indirekte ökonomische Hegemonie weniger teuer und politisch nützlicher wäre als direkte koloniale Herrschaft. Sie entdeckten, dass die Beseitigung einer auffälligen, eingedrungenen kolonialen Herrschaft es nationalistischen Elementen schwerer machte, in den Ländern anti-imperialistische Gefühle zu wecken.

Obwohl die neu etablierte Regierung weit entfernt war von vollständig unabhängig zu sein, genoß sie gewöhnlich mehr Legitimität in den Augen der Bevölkerung als eine koloniale Verwaltung, kontrolliert von der imperialen Macht. Außerdem übernimmt unter dem Neo-Imperialismus die einheimische Regierung die Kosten der Verwaltung, während die imperialistischen Interessen frei sind, sich auf die Akkumulation von Kapital zu konzentrieren - was eigentlich alles ist, was sie wollen.

Nach Jahren des Kolonialismus finden die Länder der Dritten Länder es extrem schwer, sich aus der ungleichen Beziehung mit ihrem ehemaligen Kolonisator herauszuziehen und unmöglich, aus der globalen kapitalistischen Sphäre auszubrechen. Die Länder, die versuchen auszubrechen, werden einer ökonomischen und militärischen Bestrafung unterzogen durch eine oder mehrere Großmächte, heute gewöhnlich von den USA.

Die Führer dieser neuen Nationen mögen revolutionäre Schlagworte benutzen, doch finden sie sich eingesperrt in den globalen kapitalistischen Einflussbereich, und müssen mit Gewalt bei Investitionen, Handel und Hilfe mit der Ersten Welt kooperieren. So wurden wir Zeuge des seltsamen Phänomens von Führern kürzlich unabhängig gewordener Länder der Dritten Welt, die den Imperialismus als Quelle der Übel ihrer Länder anklagen, während eben diese Führer Kollaborateure des Imperialismus sind.

Sehr häufig entstand eine Kompradoren-Klasse oder wurde installiert als eine erste Bedingung für die Unabhängigkeit. Kompradoren bilden eine Klasse, die mitarbeitet, ihr eignes Land in einen Marionettenstaat ausländischer Interessen zu verwandeln. Ein Marionettenstaat ist ein Staat, der sich den Investitionen öffnet zu Bedingungen, die entscheidend günstig für die ausländischen Investoren sind. In einem Marionettenstaat genießen Investoren der Multis direkte Subsidien und Land, Zugang zu Rohmaterialien und billigen Arbeitskräften, leichte oder nicht vorhandene Steuern, wenig effektive Gewerkschaften, keine Minimallöhne oder Gesetze gegen Kinderarbeit oder für Arbeitsschutz und keinen Konsum- oder Umweltschutz, der der Rede wert wäre.

Alles in allem ist die Dritte Welt so etwas wie ein kapitalistisches Paradies, das ein Leben bietet, wie es in Europa und den USA im 19. Jh. herrschte, mit einer Profitrate, die enorm viel höher ist als in einem Land mit strengen ökonomischen Regelungen. Die Kompradoren-Klasse wird üppig belohnt für ihre Kooperation. Ihre Führer genießen Gelegenheiten, ihre Taschen zu füllen mit der Entwicklungshilfe, die von der US-Regierung geschickt wird. Stabilität wird erreicht durch Schaffung von Sicherheitskräften, bewaffnet und trainiert von den USA mit den neuesten Technologien des Terrors und Unterdrückung. Gleichwohl birgt der Neo-  Imperialismus Risiken. Die Erlangung der de jure Unabhängigkeit fördert Erwartungen einer de facto Unabhängigkeit. Die Form der Selbst-Herrschaft erregt den Wunsch nach den Früchten der Selbst-Herrschaft. Manchmal taucht eine nationaler Führer auf, der ein Patriot und Reformer statt ein Kompradoren-Kollaborateur ist. Daher ist der Wechsel vom Kolonialismus zum Neo-Kolonialismus nicht ohne Risiken für die Imperialisten und und stellt einen Gewinn für die Kräfte des Volkes in der Welt dar.

Dies ist das erste Kapitel von "Against Empire" (Gegen das Imperium) von Michael Parenti, der interational bekannt ist als preisgekrönter Autor und Dozent. Er ist einer der führenden progressiven politischen Analytiker des Landes. Seine sehr informativen und unterhaltsamen Bücher und Reden habe ein großes Publikum in Nordamerika und im Ausland gewonnen.
http://www.michaelparenti.org/

3 Kommentare:

  1. Günter Schilling14. Juli 2014 um 00:44

    Sehr geehrter Herr Schlereth. So sehr ich Ihren Blog mag und beachte, ärgert mich manchmal ein kleines Detail, wie bei diesem Artikel Ihr Einführungsbild.
    Weil es offensichtlich der damaligen Anti-Deutschland Propaganda des imperialen Gross Britanien entnommen ist.Nicht Deutschland war der Weltbeherrscher sondern das englische Königreich! Schon vergessen? Das Reich das keinen Sonnenuntergang kennt, oder so ähnlich? Musste es Ausgerechnet wieder Bismark sein der als Karikatur eines Anti-Deutschen Artikels eines angelsächsischen Presseorgans zur damaligen Zeit dargestellt wurde? Gibt es keine Darstellungen des wahren imperialistischen, britischen Imperiums seiner Zeit, das man hätte verwenden können? Wie die vor Kanonen gebundenen Aufständischen in Indien?
    MfG Günter Schilling

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  2. Günter Schilling14. Juli 2014 um 00:53

    Für Ihre Arbeit zur Aufklärung der Gesellschaft möchte ich mich hiermit trotzdem herzlich Bedanken.

    MfG Günter Schilling

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  3. Ja, ich hatte leider so ein Bild, wie du vorschlägst, nicht gefunden. Ich suchte nach 'Aufteilung Afrikas'. Der Tortenschneider hätte England oder Belgien sein sollen. Deutschland lag damals ja im Hintertreffen und wollte sich halt auch einen Happen schnappen. Doch es war - wie du richtig sagst - keineswegs der Hauptakteur.

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