30. Juni 2014
Aus dem Schwedischen: Einar Schlereth
Im Netz kann man in verschiedenen Sprachen lesen, dass Professor G. N. Saibaba von der Delhi Universität seit dem 9. Mai 2014 im Gefängnis ist. Ich kann jedoch nichts darüber in einer schwedischen offiziellen oder offiziösen Zeitung lesen. Aber die Frage geht uns alle an. [1]
Professor G. N. Saibaba unterrichtet in Literatur am Ram Lal Anand College der Uni Delhi. Er lud auch mich ein zu einer Vorlesung über Strindberg. Es waren auch schwedische Studenten anwesend. Zuletzt sah ich ihn hier in Varberg vor zwei Jahren, als Sven Lindqvist preisgekrönt wurde. Der Grund für seine Festnahme ist, dass er ein führender indischer Menschenrechtsaktivist ist, der aktiv solch juristisch, polizeiliche und militärische Übergriffe wie den jetzt gegen die Urbevölkerung in der blutigen "Operation Green Hunt" bekämpfte.
Flyer für G. N. Saibaba |
"The Sunday Standard" vom 20. Mai 2014 berichtete unter der Rubrik: "Die erschreckende Spur des Roten Terrors" über das vom Geheimdienst 'heimlich-gestempelte' Dossier "Der Plan der Maoisten für die Stadtgebiete", der die Ursache für die Verhaftung von Professor Saibaba ist. Dort heißt es, dass er:
" ... Akademiker als Lehrer und Ärzte für Mitglieder von legalen (offenen) Organisationen rekrutiert habe und an Treffen teilgenommen und Gelder an die Schatzkisten der Maoisten geschenkt habe. ... gewisse Treffen im Zusammenhang mit Linksextremismus sind 2010 auch in seiner Wohnung durchgeführt worden. Er organisierte ein Treffen für Jan Myrdal, einen schwedischen Schriftsteller und Naxalitensympathisanten irgendwann im Februar 2010. Myrdal soll eine Rolle gespielt haben im Kontrakt zwischen maoistischen Führern und legalen (offenen) Kadern, indem er sein "Schriftsteller"-Profil ausnutzte. ... Der Plan sei, eine solche Kraft zu erlangen, so viele Waffen zu bekommen und so große Unterstützung des Volkes, dass eine gleichzeitige Erhebung in allen Gebieten des Roten Korridors in eine Massenrevolution verwandelt werden könnte, die sich selbst tragen kann."
Das, was dort über mich geschrieben steht, ist sowohl im Detail als auch im Zeitpunkt falsch - was ich anderswo behandeln kann - aber das entspricht dem, was der Minister für Sicherheit Jitendra Sing dem Rajya Sabha (Oberhaus des indischen Parlamentes) am 16. Mai 2012 erläuterte:
"Bei seinem Besuch in Indien gab Jan Myrdal der CPI (Maoist) Ratschläge, wie sie Unterstützung von der Mittelklasse in Indien erhalten könnte, indem sie ihre Propaganda gegen die Sicherheitskräfte und die Betonung der Menschenrechtsfragen richte."
Professor G. N. Saibabas Gesundheitszustand ist jetzt sehr schlecht. Er sitzt in Isolationshaft, ohne Zugang zu der Pflege zu erhalten, die er als Herzpatient braucht. Dass die Behörden in Maharashtra ihm die nicht geben wollen, ist ganz selbstverständlich in der Kasten- und Klassen-geplagten indischen Gesellschaft. Er ist jemand, den es in nach Auffassung der in Indien traditionell Herrschenden einfach nicht geben dürfte. Er kommt as eine armen Bauernfamilie in Andhra. Er ist an den Rollstuhl gebunden und zu 90% Invalide. Den Rollstuhl konnte er sich erst zulegen, als er sich als Lehrer in Delhi versorgen konnte. Seit dem dritten Lebensjahr musst er durch's Leben kriechen. Nur durch die Hilfe einger Landlehrer, die zeitig seine Studienbegabung erkannten und später durch Stipendien - und Freunde - konnte er sich durch die Schulen kämpfen. Das hat seine Charakter und Weltbild geformt zusammen mit der Lektüre von dem großen Telugu-Schriftsteller Sri Sri - und dem auch Schweden nahestehenden kenyianischen Schriftsteller Ngugi Wa Thiong'o, den er persönlich kennenlernte.
Professoren und Studenten in Delhi sowie Aktivisten für Menschenrechte und gewerkschaftlich/politisch Engagierte in ganz Indien arbeiten jetzt daran, Öffentlichkeit herzustellen bezüglich der Übergriffe gegen G. N. Saibaba.
Sogar überall in der Welt gibt es Unterschriftensammlungen und Proteste. Aber ich kenne Indien. Man kann aus Erfahrung behaupten, dass Proteste für die Machtstruktur in Indien keine große Bedeutung haben. Aber andererseits ist Indien keine faschistische rechtslose Diktatur. Es ist nicht einmal eine Gesellschaft wie Pinochets Chile.
Die Rechtslage ist jetzt auch bei weitem besser als sie in Britisch-Indien war. Was G. N. Saibaba retten kann, sind nicht nur Proteste, nichr einmal internationale. Ich schlage vor, dass wir in Schweden anfangen, eine breit zusammengesetzte Juristen-Gruppe zu organisieren, die hinunterfliegt und vor Ort die Situation von G. N. Saibaba und anderer politischer Gefangener untersucht.
Ich muss erklären, was ich mit breit meine. Das ist keine Scheinfrage. Gewiss gibt es untaugliche und angepasste Juristen in Schweden wie anderswo auch. Aber wichtiger ist, dass es wirklich aus Juristen gibt, die unabhängig von ihren rechts-links Farben (Ideologien) tatsächlich scheinbar formelle Fragen wirklich ernst nehmen. Lasst sie eine Gruppe aufstellen, die sich nach Indien begibt.
Fußnote:
1. Jan Myrdal schickte den Artikel an Aftonbladet, die einzige Zeitung Schwedens, die vielleicht hätte in Frage kommen können. Der Artikel wurde umgehend abgelehnt.
Ich frage mich (und alle anderen natürlich auch), ab wieviel Millionen ermordeten Menschen - hauptsächlich indigene Menschen - seit der Unabhängigkeit 1947 darf/kann/muss man Indien ein faschistisches Land nennen? Zumal das Morden direkt und indirekt unaufhörlich weitergeht. Vor allem an den Indigenen und den Dalits (Unberührbaren), aber auch an den 80% völlig verarmten Klassen, die sich von Pfennigen pro Tag ernähren müssen. Die sich zu Hunderttausenden (ja, genauer mindestens 250 000) aus purer Verzweiflung selbst umbringen. Und wenn PRINZIPIELL kein Mitglied der obersten Kasten/Klassen jemals hinter Gitter gerät.
AntwortenLöschenMit 'indirekt' meine ich dasselbe, was Prof. Gideon Polya treffend in seinem Mammut-Werk 'Bodycount' mit dem Begriff 'Global Avoidable Mortality since 1950' (Globale vermeidbare Sterblichkeit seit 1950) zusammenfasste, wo er für Indien berechnete, dass jährlich 3.7 Millionen Inder an Entbehrung sterben, die durch Korruption verursacht wird (Daten von 2003). Mit anderen Worten bedeutet es, dass die oberen Klassen sich einen Dreck darum kümmern, ob die Armen verdursten, an verschmutztem Wasser sterben oder Hungers verrecken.
Und es bedeutet auch, dass jeder Widerstand - ob physisch oder geistig - mit äußerster Gewalt gebrochen wird, wobei die Methoden sehr verfeinert sind, von direktem Mord oder indirektem, was man offenbar jetzt mit Saibaba vorhat.
Aber in den 3.7 Mill. Toten pro JAHR sind nicht die Toten mitgerechnet, die durch staatliche Gewalt gegen die Dalits und gegen die indigenen Völker (die immerhin 70 Millionen ausmachen) von Kashmir bis Andhra Pradesh hinunter angewendet wird.
Dahinter steckt ein tief verwurzeltes rassistisches Denken, wodurch faschistisches Handeln erleichtert wird. Und ich nenne so ein Land - ebenso wie die USA - ein faschistisches Land. Und deswegen unterstütze ich die Naxaliten, die seit Jahrzehnten versuchen, mit dem Elend und Terror des Kastensystems und dem Rassismus gründlich aufzuräumen.